7.

[311] Das achtzehnte Jahrhundert begann mit einer rationalistischen Aufklärungsperiode für den deutschen Stil. Es war Frieden im Lande, die Gespenster des Kriegs- und Soldatenlebens waren von den deutschen Fluren gewichen und man begann das erschütterte Dasein einen Moment lang wieder einzurenken in regelrechte Formen. Die Verwilderung und Ordnungslosigkeit aller Zustände des abgelaufenen Jahrhunderts suchte nun den Gegensatz einer correcten und musterhaften Existenz in allen Dingen zu erreichen. Mit der Wohlhabenheit des Friedens erwachte wieder die Bequemlichkeit, der Genuß, und der Antheil an den Musen, soweit derselbe nicht etwa zu einem unbequem fallenden Pathos oder in die höheren Regionen führte.[312] In dieser Zeit kam das Sprüchwort in Deutschland auf, daß Ruhe die erste Bürgerpflicht sei. Die Cabinete gruppirten sich in den Constellationen des politischen Gleichgewichtssystems, in der Kirche schwiegen einen Augenblick die katholischen und protestantischen Antipathien, und die allgemeine Weltanschauung war durch die wolfische Philosophie nicht minder zu einer ersprießlichen Schwebe, zu einer gesunden Diät des menschlichen Geistes angeführt. Ordnung, System, Verstandesklarheit, wurden die höchsten Begriffe und Potenzen des Lebens, Alles was man fühlte und dachte mußte fortan Methode haben, und dann war man sicher vor den Gefahren und Abgründen, denen die regellose Willkür des Genies zutaumelt. Es schien, als hätte die Furcht vor dem Geist der Unordnung, dem das siebzehnte Jahrhundert erlegen war, um den Anfang des achtzehnten diese Epoche der Correctheit in den Gemüthern heraufgebracht. In der Literatur war auf die kommende Erscheinung Gottsched's schon durch die Männer der sogenannten galanten und geistlosen Partei, die ihr Wesen vornehmlich in Hamburg und Niedersachsen[313] trieben, wie prophetisch hingewiesen worden. August Bohse und Hunold, die unter dem Namen Talander und Menantes schrieben, der Licentiat Postel und einige Andere, waren die ersten seichten Aufklärer der deutschen Diction, indem sie rückgängige Bewegungen aus der Hoffmannswaldau-lohensteinschen Manier in die nüchternste, aber galant sein sollende Correctheit unternahmen. Diese Schriftsteller, die eine Unzahl von Romanen, Gedichten und Theaterstücken zu Tage förderten, waren die ersten Typen industriöser Vielschreiberei in Deutschland. Sie kamen aus der Hoffmannswaldauschen Schule her, bekannten sich auch noch als Anhänder derselben, und legten für ihren Meister, in dem lächerlichen Federkrieg mit dem Epigrammatisten Wernike, eifrigst ihre Lanze ein, aber sie rühmten es sich zugleich nach, die Ueppigkeiten des Hoffmannswaldau-Lohensteinianismus auf das vernünftige Maaß der opitzischen Correctheit wieder zurückgeführt zu haben. Im Grunde aber war es die abgestandene Neige dieser Manier, die sie auf sorgfältig gepfropfte Flaschen zogen und als unschädlich gemachte Essenzen zur Blutreinigung feilboten.[314]

Als der größte Reiniger erschien aber bald nach ihnen der vielverspottete Gottsched, mit seiner ebenso correcten als tugendhaften Frau, Louise Adelgunde Victorie Gottsched. Dieses literarische Ehepaar und die deutsche Gesellschaft in Leipzig bezeichneten eine neue Epoche des Geschmacks, die nur durch die Gegenbewegungen, welche sie erregte, bedeutend und folgereich wurde. Gottsched ließ sich nicht erst mit wohlmeinenden Verbesserungen des Gongorismus seiner Zeit ein, sondern eröffnete sich seine Bahn durch eine nachdrückliche Polemik gegen die hoffmannswaldausche Manier, womit er in seinen Vorlesungen zu Leipzig debütirte. Die Pleißestadt wurde nun der Mittelpunct der correcten Literatur, mit der es Gottscheden ein bitterer Ernst war. Man kann ihm eine gewisse Größe der Persönlichkeit nicht abläugnen, wenn man bedenkt, welche Ausdauer, Charakterfestigkeit, Consequenz und Gelehrsamkeit er an die Aufgabe setzte, das ganze poetische Herz und Gemüth der Deutschen zu einer fehlerfreien Rechenmaschine abzurichten. Seiner Pedanterie, muß man sagen, fehlte es nicht an Begeisterung und Heroismus, um unerschrocken,[315] unter tausend Anfechtungen des beleidigten Nationalgefühls, das vorgenommene Werk durchzuführen. Das Revolutionstribunal der Correctheit, das er in Leipzig aufgeschlagen hatte, wirkte durch den Terrorismus der Richtigkeit gewaltig genug in die Nähe und Ferne. Unter Allen, die in seiner Manier geschrieben haben, war er selbst unstreitig der Genialste, und malte hübschausgeschnittene Frostblumen an den Fenstern des Kerkers, hinter dem er die deutsche Poesie gefangen hielt. Mit Schaudern überblickt man die Verheerungen, welche hier der gesunde Menschenverstand anrichtete, indem er durch sich allein zu schaffen wähnte. Gottsched war ein Wolfianer, und hatte aus dieser Schule die kategorische Behandlung der Sprache, die besonders auf die reine, deutliche und logisch bestimmte Fassung der deutschen Prosa von Einfluß gewesen war, in die Literatur mitgebracht. Sein Irrthum bestand nur darin, daß er diese Prosa, in der eine formalistische Philosophie ihr abstractes und körperloses Leben abprägte, für das Ideal ansah, nach dem auch die Poesie Deutschlands geregelt werden müsse. So gründete Gottsched gewissermaßen[316] eine neue Einheit von Poesie und Prosa, indem er Alles prosaisch machte, was bisher in der deutschen Sprache poetisch gewesen war, und jede Eigenmächtigkeit der dichterischen Diction, der Wortstellung, Inversionen und Machtwörter mit Todesstrafe belegte. Alle Bäume und Gesträuche, oder was den ernsten Mann sonst durch Laubschatten, Blüthenduft und romantisches Gesäusel geniren konnte, hieb er nieder, und machte aus dem Dichterwald eine Landstraße, auf welcher der breitspurige Postwagen der gottschedischen Muse sicher einhertrabte, seine bestimmt abgemessenen Stationen einhielt, und zur richtigen Stunde an seinem Ziel anlangte. Nachdem er dies undankbare Werk, Alles zu ebenen und richtig zu machen, vollendet, vergriff er sich aus Correctheit auch am Hanswurst, den er auf dem deutschen Theater nicht länger leiden mochte, und die Truppe der Madame Neuber in Leipzig half damals seine Pläne verwirklichen, nur correcte und hanswurstlose Stücke, wie sie Gottsched und seine Gattin meistentheils nach dem Französischen in ehelicher Gemeinschaft verfertigten, aufzuführen. Es war wahrlich schade um Louise Adelgunde Victorie,[317] daß sie an Gottsched gerathen war! In ihr schlummerte mehr Poesie, als Gottsched an seiner Seite vertragen konnte, wie ihre nach ihrem Tode erschienenen Briefe beweisen, welche ein liebenswürdiges, feines, kluges, wißbegieriges Gemüth abspiegeln, und als Briefton aus damaliger Zeit trefflich genannt zu werden verdienen1. Aber Gottsched, der sie in Danzig kennen gelernt hatte, als sie noch kaum sechszehn Jahre zählte, leitete sie früh zur Correctheit an, er nahm ihren für damalige weibliche Bildung ungewöhnlich regsamen Geist in seine Schule, und zog, nachdem er sie geheirathet, die erste Gottschedianerin aus ihr. Sie wetteiferten nun Beide in einer musterhaften aber unfruchtbaren Ehe mit einander in der Correctheit, wie sehr auch gerade die Correctheit sie hindern mochte, sich herzinnig zu lieben.

Aber auch Gottsched's Verdienste, namentlich die Reinheit seiner Diction, mit der er sich der Sprachmengerei gegenüberstellte, dürfen nicht übergangen[318] bleiben. Herder, in den Fragmenten zur deutschen Literatur, nannte ihn in dieser Beziehung einen ruhmwürdigen Goldfinder (nach der Bedeutung dieses Wortes im Englischen), der den Stall des Augias mit herkulischer Hand durchwässert und gereinigt habe. Seine bedeutende Kenntniß der altdeutschen Literatur muß jedoch Gottscheden eher zur Schmach, als zum Ruhme gereichen, wenn man bedenkt, daß er, im Besitz dieser alten Schätze, wie ein blödsinniger Geizhals lieber Hunger dabei litt, als sie für den Gebrauch des Lebens nutzbar und flüssig zu machen. Hierin ließ er gerade seinen Gegnern, den verdienstvollen Schweizern Bodmer und Breitinger, eine Waffe in den Händen, mit der sie den Sieg über ihn davontrugen.

Diese Schweizer führten den Kampf gegen das gottschedische Geschmacksverderben mit ebenso viel Patriotismus, als geistiger Ueberlegenheit der Kriegführung. Von den ältern deutschen Sprachdenkmälern, von denen Gottsched nur Sammlungen, aber im gottschedischen Sinne veranstaltet, machten sie den wirksamsten Gebrauch gegen Gottsched[319] selbst. Bodmer studirte eifrig und mit Lust die alte, herrliche Sprache der Minnesänger, und stärkte das ermattete Nervenleben der deutschen Diction an diesen Urquellen des schwäbischen Zeitalters. Dazu fügte er die hochtönende Dichtersprache Miltons, und übersetzte das verlorene Paradies, um die Hülfstruppen der englischen Poesie gegen die französische und gottschedische Correctheit ins Feld zu stellen. Gottsched fragte freilich auch nach Milton nichts, und erklärte ihn von Leipzig aus in den Bann, sowie er sich auch über das Wunderbare in der Poesie, worüber Bodmer zur Rechtfertigung Miltons geschrieben, gravitätisch lustig machte. Er wollte auch die Teufel und Dämonen austreiben aus der deutschen Darstellung. In diesem Streite der beiden Parteien, der nun in helle Flammen ausbrach, glaubte Gottsched, auf seinen Professor Schwabe und seinen Doctor Triller gestützt, der ganzen Welt trotzen zu können. Aber Bodmer war ein heiterer und zugleich stahlgewappneter Mentor seiner Zeit, der sich, ungeachtet der Blößen, die seine eigenen Mängel darboten, nicht aus der Fassung bringen ließ, und mit klarem und scharfem Auge[320] das nothwendige Erneuerungswerk der deutschen Poesie erkannt hatte. Er steht vor der Sonnenwende dieser neuen Periode, wenn auch nicht als ein Kriegsgott, doch als eine anregsame polemische Gestalt da, die wetterleuchtend die neuzubetretende Bahn bezeichnete. Ihn unterstützte sein Freund und Mitarbeiter Breitinger durch ästhetische und philosophische Untersuchungen, besonders in seiner kritischen Dichtkunst, auf eine bedeutende Weise. Breitinger war ein scharfsinniger, gelehrter und gemüthlicher Mann, der nicht die joviale Keckheit der Bodmerischen Polemik an den Tag legte, aber dafür gründliche und geläuterte Beobachtungen anstellte, in einer Sprache, die meistentheils reiner und gediegener ist, als die Prosa Bodmer's, der sich in seinem Eifer oft nicht Zeit ließ, gut zu schreiben. Breitinger machte in seiner Poetik treffliche Bemerkungen über Sprache und Stil, namentlich über den Gebrauch der Kraft- und Machtwörter, die durch die Pedanterie der Gottschedianer, mit Ausnahme etwa der für ihre Polemik brauchbaren Kraft- und Schimpfwörter, fast gänzlich aus der deutschen Diction vertrieben waren.[321] Die ersten Schwalbenvorboten der schönern Poesie ließen sich auch schon in Haller und Hagedorn vernehmen. Die charaktervolle Sprache des ernsthaften Haller tönte für sich allein, unbekümmert um die Manieren und Parteien ihrer Zeit, und erhob in ihrer harten aber gedankenkräftigen Weise die Gemüther zur Anschauung der moralischen Weltordnung, die sich freilich auch oft mit juvenalischer Bitterkeit bei ihm ausmalte. Seine eigenthümliche, energische Behandlung der deutschen Diction belebt auch die Prosa in seinen drei politischen Romanen, Usong, Alfred und Fabius und Cato, welche, wenn auch nicht Schönheit, doch Reinheit und feste, gediegene Haltung verräth. Was in Haller das gesunde und wohlthätige Element inmitten der Verschrobenheiten seines Zeitalters ausmacht, ist einmal die Naturanschauung, die, wenn auch mit moralischen und didaktischen Tinten versetzt, doch mit frischen Lebensfarben bei ihm heraustritt, und dann ein edler kernhafter Menschensinn, erhellt durch großartiges Wissen und Denken. Leichter bewegte sich der elegante Hagedorn, in seinen Liedern den Lebensgenuß singend. Er wirkte durch seine epikuräische[322] Grazie verfeinernd auf den Geschmack, und erweckte den Sinn für Anmuth und Scherz, soweit es zu einer Zeit, die einen Gottsched hatte hervorbringen können, nur irgend möglich war. Indeß nicht bloß diese zarten Vogelstimmen der Lyrik deuteten auf die kommende bessere Zeit, auch die Satire nahm ihr altes Recht wahr, die Pedanterie zu geißeln, und durch die Carikatur auf das Ideal hinzudeuten. Der übermüthige Poet Rost schien vom Schicksal dazu ausersehen, Gottscheden das Leben sauer zu machen, sowohl durch die Epistel des Teufels an Gottsched, die durch eine getroffene Veranstaltung dem Letztern auf einer Reise bei jeder Station, wo er verweilte, überreicht wurde, als durch die satirische Epopöe das Vorspiel, die zu dem Witzigsten gehört, was in dieser Gattung die deutsche Literatur hervorgebracht.2 Auch Liscov, der größte Satiriker des achtzehnten Jahrhunderts, der seinen ätzenden ironischen Genius in einer vortrefflichen Prosa leuchten ließ, kehrte[323] seine gefährlichen Waffen gegen den schlechten Geschmack. Niemals hat Gott für elende Schriftsteller eine größere Plage geschaffen, als diesen unerbittlichen Geist, der sich seine Opfer nur in der Literatur suchte und so grausam war, einen »gründlichen Erweis der Nothwendigkeit und Vortrefflichkeit der elenden Scribenten« zu schreiben. Mit hohnlachendem Jubel schwingt er das Panier seines Spottes und saugt sich wie ein Vampyr an das bloße Fleisch seiner Gegner an. Dann ruht er nicht eher, als bis er die Leiche vor sich liegen sieht, und verläßt sie mit einem unangenehmen Lächeln. Dabei schrieb er selbst so vortrefflich, in einem kurzen, correcten, nachdrücklichen Stil, daß ihm Niemand etwas anhaben, noch sich darin mit ihm messen konnte. Hätte er das ganze Feuer seines Witzes, das er gegen einen Magister Sievers und Professor Philippi abbrannte, concentrirt, um einem Gottsched, dieser seltenen Gestalt der Satire, eine ewige Beleuchtung für die Nachwelt zu geben, so würde er sich damit ein dauerndes Kunstverdienst erworben haben, statt daß seine pamphletartigen Schriften bald die Vergessenheit überdeckte.[324] Doch zucken auch viele Anflüge feiner und ächter Ironie um seinen Mund, merkwürdig in einer Periode, wo Sulzer in seiner Theorie der schönen Wissenschaften für das Wort Ironie noch keine eigenthümliche Bezeichnung kannte, sondern bloß Spott dafür setzte. –

Alle diese durcheinanderflackernden Lichter und Streifen am Literaturhimmel waren Zeichen, aber sie konnten noch nichts erfüllen. Der productive Genius, der sich jetzt des günstigen Zeitpuncts bemächtigen mußte, um neue Nationaltypen für Sprache und Geschmack hinzustellen, erschien in Klopstock, welcher der eigentliche Eroberer und Schöpfer der modernen Dichtersprache in Deutschland wurde, Eroberer, weil er die engen Gränzen erweiterte, welche ihm die Sprache seiner Zeit vorhielt. Was Opitz als verständiger Reformer begonnen hatte, vollendete Klopstock als umwälzendes Genie, auf einer tiefern und umfassendern Grundlage. Er ist das Genie der Sprache in diesem Jahrhundert, und wirkte nicht so sehr durch das Innere seiner Poesie, als durch die Formen derselben, mit durchgreifender Schöpfermacht. Klopstock[325] tränkte seine Diction zuerst an den altdeutschen Quellen, besonders auch an Luther, und vermittelte dann durch eine etwas mühsame, aber feinsinnige und geistvolle Combination die deutschen Elemente mit den römischen und griechischen Sympathieen unserer klassischen Bildung. Diese aus modernen und antiken Vortheilen und Schönheiten combinirte Diction brachte er in einen kunstvoll berechneten Guß, und machte sie flüssig mit einer originellen Begeisterung, der an Ursprünglichkeit des Lebens und der Anschauung nichts fehlte. Aber wenn man das Wirken der andern Geister, die bald gleichmächtig neben ihm aufstanden, mit dem seinigen vergleicht, so ist es immer nur die Sprache seiner Zeit, die Klopstock vorzugsweise beherrschte, während Andern die Aufgabe zufiel, die Gesinnung, die Weltbildung, die Humanität und das Urtheil ihres Jahrhunderts neuzugestalten. Klopstock hatte herrliche Gefühle, ein reiches Dichterherz für Liebe und Freunde, schöne große Gedanken über Natur und Gott, doch brachte er es mit Allem diesen nur zu einem musikalischen Effect, zu einem tönenden Meisterstück der Sprache. Die Thränen,[326] welche Schmerz, Liebe und Andacht bei ihm ausströmen, erstarren ihm unter den Händen zu Crystallen und Perlen, aus denen sich funkelnde Kränze zusammensetzen, und mitten in der hingerissenen Bewegung fängt man an, mit diesen schönen Steinen seines Gefühls zu spielen, oder sie wie kostbare Schmucksachen zu behandeln.

Aber die Wirksamkeit dieser Sprache war gewaltig und beispiellos, und zeugte neues Leben in der ganzen Literatur. Die correcte Literatur hatte seit Opitz in der Trittmühle des Alexandriners am sichersten und regelrechtesten gearbeitet. Klopstock schlug durch seine polymetrische Behandlung der deutschen Sprache den Weg zu ihrer Umwandelung ein. Die Anwendbarkeit unserer Sprache auf den polymetrischen Numerus der griechischen und römischen keck voraussetzend, ließ er die deutsche Natur voll Begeisterung in diesen fremden Bewegungen walten. Zwar war er in der kunstreichen Bildung des Hexameters, durch den er die Alexandriner verdrängte, nicht um Vieles glücklicher, als seine übrigen Zeitgenossen, die darin mit den Quantitätsfähigkeiten der deutschen Sprache dilettirten,[327] denn das antike Gesetz der Quantität spielte auch in Klopstocks Hexametern eine schlechte Rolle. Aber das Neue waren hier weniger die Formen, als vielmehr die Diction, welche eigenthümlich an diesen Formen entstand, sowohl unter der Bedingung des Hexameters, als durch die hochfliegenden Sylbenmaaße der Oden, deren er zum Theil eigen erfundene, aber im antiken Sinne schuf. Herder bekämpfte zwar in seinen Fragmenten zur deutschen Literatur die Meinung, als eigene der polymetrische Charakter jener alten Sprachen der Deutschen natürlich, aber er erklärte sich zugleich gegen die Literaturbriefe, welche mehrere selbstgebildete Sylbenmaaße Klopstock's nur für »künstliche Prosa« gelten lassen wollten. Herder verglich diese klopstock'schen Erfindungen mit dem Numerus der Hebräer, und wollte sie eher die »natürlichste und ursprünglichste Poesie« genannt sehen. Es mochten freilich im damaligen Publikum, eben wie im jetzigen, die Leute zu zählen sein, welche ein Odenmaaß, wie:


–– –– –– –– U –– U U –– U

Weht sanft, auf ihren Grüften, ihr Winde!

U –– U U –– U U ––

Und hat ein unwissender Arm[328]

U – U – U –– U –– U –– U

Der Patrioten Staub wo ausgegraben,

U –– U ––

Verweht ihn nicht!


anders denn als Prosa zu lesen verständen, da mehrere der lang angenommenen Sylben ebenso gut kurz gebraucht werden könnten, und umgekehrt. Auch hatte Gottsched seinerseits den Unterschied des Hexameters von der Prosa nicht einsehen können, was denn von dem Patriarchen der leipziger Correctheit nicht zu verlangen war, der sich schon deshalb mit der Messiade nicht einlassen konnte, weil auch Klopstock zu den Füßen Bodmer's gesessen hatte. Unter Denen aber, welche für Klopstock Partei ergriffen, befanden sich auch die Wolfianer, und der bekannte wolfische Vielschreiber G.F. Meier in Halle schrieb eine Beurtheilung der Messiade, die er einzeln erscheinen ließ. Denn obwohl Gottsched an der wolfischen Philosophie seinen Geist und seine Absichten genährt, so hatte diese Schule sich doch keineswegs mit ihm verschworen, und selbst seine Gegner, wie Breitinger, standen ihm mit wolfischen Ideen, die Kritik der Poesie darauf begründend, gegenüber. Gottsched konnte sich nicht mehr retten, noch half es ihm, seine Ohren zuzuhalten,[329] denn rings um ihn her summte und brauste es bald allgemein von antiken Versmaaßen und hochpoetischen Redensarten. Junge Prediger und Candidaten der Theologie hielten hier und da ihre Predigten sogar in Hexametern ab, und brachten Klopstock's Pathos und Odenschwung mit auf die Kanzel. Es war eine Bewegung entstanden, die national genannt werden mußte. –

Klopstock's poetischer Stil ist eine kunstvolle Vereinigung aller sinnlichen und geistigen Elemente der Sprache. Sein großer Takt, Bild und Gedanke in ein gleichberechtigtes Verhältniß zu einander zu stellen, brachte die feinsten und originellsten Nüancen der Diction hervor, schuf Wörter und Zusammensetzungen, in denen die Grammatik nach der ideellen Anschauung sich merkwürdig formen mußte, und wirkte selbst im Kleinen und Einzelnen durch überraschende Handgriffe der Sprache, durch die Kunst der Uebergänge, durch Partikeln, namentlich aber durch die Vorsatzsylben, mit denen er seine Zeitwörter bildete. So werden durch Wörter, wie niederdonnern, herunterhallen, zujauchzen und unzählige andere, die mit antikem Anflug geformt sind, ganze Begriffe[330] plastisch vor die Anschauung geführt. Noch eigenthümlicher läßt er die Poesie in der Diction walten, indem er das Concrete für das Abstracte, und an andern Stellen auch wieder den abstracten Ausdruck für den concreten zu setzen versteht. Ferner ist seine Behandlung des ganzen Periodenbau's bedeutsam für die Sprache sowohl, wie für die Elastizität der deutschen Darstellung. Die Verschlungenheit seiner metrischen Strophen brachte ihn zu einer Verkettung der Redesätze, wie sie in dieser Freiheit und Kunstsinnigkeit bisher noch nicht geübt war, Zwischensätze, Participialconstructionen, Weglassung der Hülfszeitwörter und Pronomina, Abkürzungen und frappante Verbindungen wurden dabei ebenso kühn als wirksam benutzt, und auch die Wortstellung im Einzelnen gewann dadurch oft einen originellen Charakter. So sehr hier das Vorbild der antiken Sprachen mitwirkte, so wurde doch die Productionslust der deutschen Sprache dadurch in ihrem eigensten Grundwesen aufgeregt, und auch für ihre neue Befähigung zur Kunst der Prosa empfing sie durch diese keckpoetische Periodisirung bildende Eindrücke.[331]

Es entstand eine allgemeine Sprachgährung, unter deren bedeutungsvollen Wehen sich ein Genie nach dem andern zur Erfüllung der neuen Epoche erhob. Wieland, Lessing, Herder, Winkelmann, Goethe traten auf verschiedenen Bahnen die Mission ihres Genius an. Das Bewußtsein, in eine die ganze Nation durchdringende Bildungsepoche der Sprache mit der Productionskraft der Ideen einzutreten, erleichterte das individuelle Schaffen und deren Erfolge. Herder beschäftigte sich in seinen Fragmenten zur deutschen Literatur, die 1767 erschienen, vorzugsweise mit Bildung und Ideal der Sprache, und ruft im dritten Fragmente aus: »Unsere Sprache ist in der Zeit der Bildung! und das Wort Bildung der Sprache ist beinahe als ein Losungswort anzusehen, das heutzutage Jedem auf der Zunge ist, Schriftstellern, Kunstrichtern, Uebersetzern, Weltweisen. Jeder will sie auf seine Art bilden; und Einer ist oft dem Andern im Wege!« Wieland schlug in seiner Abhandlung über die Frage: »Was ist Hochdeutsch?« – (Werke, Supplementb. 6. S. 326.) vor: die älteren Dialekte als Gemeingut und Eigenthum der ächten deutschen Sprache[332] anzusehn und als eine Art von Fundgrube, aus der man den Bedürfnissen der allgemeinen Schriftsprache zu Hülfe kommen könnte. Ein Gedränge von neuen ausdrucksvollen Formen und Wendungen war allgemein zu sehen, selbst in den unbedeutendern Schriften. Man mußte erstaunen über Alles, was die Sprache aus ihren innersten Eingeweiden nun plötzlich herauskehrte, und was ihr doch ganz natürlich und eigen war. So hebt Petersen in seiner Preisschrift eine Fähigkeit der deutschen Sprache hervor, die in dieser Zeit besonders an ihr gepflegt und bemerkt wurde, nämlich die Erreichung eines Zwecks oder die Wirkung einer Handlung durch das bloße Verbum mit einer Präposition so stark und kurz auszudrücken, wie es im ähnlichen Fall keine andere Sprache vermöchte, z.B. Caffarelli hat sich zum Herzog gesungen, wo man fast in jeder andern Sprache umschreiben müßte: Caffarelli hat sich durch sein Singen ein Herzogthum erworben; oder, der Höfling hat sich zum Minister getanzt; der Schalk hat sich aus dem Gefängniß gelogen u.a. Diese poetische und sinnliche Stärke des Verbums, die abstracter Umschreibungen überhebt, weist auf verborgene[333] Kräfte und Mittel der deutschen Sprache hin, die ihr eine unendlich auszudehnende Gewalt der Darstellung sichern. Was unsere Sprache allein durch die Mannigfaltigkeit der Accentuation zu erreichen vermag, zeigen ganz triviale Sätze, wie sie in den Rhetoriken gewöhnlich aufgeführt werden, z.B. den Ring hat er mir gegeben, u.s.w., wo der Ton, so oft er ein anderes dieser sechs Wörter trifft, jedesmal eine völlig veränderte Gedankenreihe und Vorstellung bezeichnet.

Ueberblickt man diese Bewegungen des Jahrhunderts, so muß man mit einem seltsamen Gefühl auch Friedrichs des Großen gedenken, der noch im Jahre 1780, als er seine merkwürdige Abhandlung de la litérature allemande schrieb, sich nur von einer halb barbarischen Sprache umgeben sehen wollte, und das sprühende geistige Leben, in derselben nirgend gewahr wurde. Auf einer skeptischen Weltbildung fußend, für die der einheimische Zustand der Sprache und Literatur allerdings ungenügend und ohne Nahrung war, mühte sich der große Monarch noch am Ende seiner Tage auf eine fast rührende Weise ab, Verbesserungsvorschläge[334] für das Emporkommen seiner vaterländischen Literatur zu thun. Den ersten Anstoß nahm er an der Sprache, ihrer Rauhigkeit, und ihrer Trennung in verschiedene Mundarten, sodaß, was man in Schwaben schreibe, unverständlich in Hamburg sei u. dgl. Dabei konnte er jedoch den französischen Maaßstab keinen Augenblick fallen lassen. Er wünschte eine Art von akademischem Dictionnaire, um in einer Sammlung von ausgewählten Wörtern und Redensarten etwas Allgemeingültiges für die deutsche Sprache festzustellen. Er wußte nicht, daß die productiven Umwälzungen, welche das Deutsche allein gestalten und zu einem nationalen Canon hinführen können, bereits tiefe Wurzel im Volke gefaßt hatten. Diese Selbsttäuschung des großen Königs wurde mehr mit Schweigen als mit Klagen hingenommen, aber F.A. Wolf, der eine vortreffliche Schrift »über ein Wort Friedrichs des Großen von deutscher Verskunst« geschrieben, behauptet irrig, daß die Klagen über Friedrichs unpatriotische Sprachvernachlässigung erst dann lauter wurden, als man gelernt habe, in vernehmlicherem Deutsch zu klagen,[335] und sich nicht mehr schämen durfte, über Verachtung einheimischer Barbarei in barbarischen Tönen zu murren. Schon viele Jahre vor Erscheinen der Schrift über die deutsche Literatur hatte auch Klopstock seine Ode: Kaiser Heinrich (1764.) gesungen, und darin in seiner hochtönenden Weise fast zu hart beklagt, daß Friedrich nur


»um Gallius Pindus irrte.«


Friedrich der Große schlug in seiner Abhandlung de la litérature allemande vor, die deutsche Rede durch Uebersetzungen der Alten gedrungener und energischer zu machen. Er tadelte mit Recht die weitschweifige Schreibart der deutschen Schriftsteller und ihre Sucht, durch Häufung von Einschiebseln die Sätze in die Länge zu ziehn; am Ende einer langen Seite finde man oft erst das Verbum, auf dem der Sinn des ganzen Redesatzes beruhe; sie seien, anstatt reichhaltig und mannigfach zu sein, so gedehnt, daß man eher das Räthsel der Sphinx als ihre Gedanken errathen könne. Durch Uebersetzung des Thucydides und Xenophon, des Demosthenes, Marc-Aurel, Cäsar,[336] Sallust, Tacitus, und von den Franzosen des Rochefoucault, der persianischen Briefe, des Geistes der Gesetze, würde die Sprache genöthigt werden, alle müßigen Ausdrücke und unnützen Worte zu vermeiden; unsere Scribenten würden dann allen ihren Scharfsinn zur Zusammendrängung der Gedanken aufwenden müssen, um in der Uebersetzung die an der Urschrift bewunderte Kraft zu zeigen. Um aber die harten Laute in der Sprache selbst zu sänftigen und wohltönender zu machen, kam Friedrich auf ein gewaltsameres Auskunftsmittel, nämlich allen Zeitwörtern mit den unendlich monotonen Endungen auf – en ein A hinten anzusetzen, Sagena für Sagen u.s.w., wodurch das Deutsche allerdings zu italienischen Melodieen sich heranschmeicheln könnte.3 Ihn wandelte freilich dabei sogleich die richtige Besorgniß an, daß, wenn auch der Kaiser selbst mit seinen acht Kurfürsten auf einem feierlichen Reichstag diese Aussprache durch ein Gesetz einführen wolle, es doch[337] aller Orten heißen möchte: Caesar non est super Grammaticos, und das Volk bei seiner hergebrachten Mundart verharren würde. Bei solchen Vorurtheilen und solchen Conflicten, in denen sein fremdgebildeter Geist zu der einheimischen Nationalsprache stand, muß man Friedrich des Großen Individualität darin erkennen, daß er nicht in deutschen Lauten seine geistigen Bedürfnisse befriedigte. Schleiermacher sagt einmal sehr treffend über die sprachliche Bildung Friedrichs: »Unserm großen König waren alle feineren und höheren Gedanken durch eine fremde Sprache gekommen, und diese hatte er sich für dieses Gebiet auf das innigste angeeignet. Was er französisch philosophirte und dichtete, war[338] er unfähig deutsch zu philosophiren und zu dichten. Wir müssen es bedauern, daß die große Vorliebe für England, die in einem Theil der Familie herrschte, nicht die Richtung nehmen konnte, ihm von Kindheit an die englische Sprache, deren letztes goldenes Zeitalter damals blühte, und die der deutschen um so Vieles näher ist, anzueignen. Aber wir dürfen hoffen, daß, wenn er eine streng gelehrte Erziehung genossen hätte, er lieber würde lateinisch philosophirt und gedichtet haben, als französisch.«4 Das Urtheil, welches Friedrich in der Abhandlung de la litérature allemande, bei Gelegenheit des Götz von Verlichingen, über Shakespeare fällte, beweist freilich kaum die Möglichkeit einer wahlverwandten Hinneigung für das Englische. Dagegen gewährte Friedrich, wenn er auch in seinen Landen nichts für die Kunst deutsch zu schreiben that, doch Schreib- und Gedankenfreiheit, diese ersten Grundelemente alles guten Schreibens und Darstellens, und man[339] kann sagen, daß er dadurch mehr und ruhmwürdiger für das Emporkommen der deutschen Literatur gewirkt, als wenn er selbst deutsch geschrieben oder seine Besserungsprojecte mit der litérature allemande in Ausführung gebracht hätte.

Fußnoten

1 Dresden, 1771. 3 Thle. Herausgegeben von ihrer Freundin Dorothea Henriette von Runkel.


2 S. eine ausführlichere Notiz darüber in Flögel's Geschichte der komischen Literatur, Bd. 3. S. 512.


3 Oeuvres de Frédéric II. publiées du vivant de l'auteur T. 2. p. 87. (de la litérature allemande): »Il sera difficile d'adoucir les sons durs dont la plupart des mots de notre langue abndent. Les voyelles plaisent aux oreilles; trop de consonnes rapprochées les choquent, parcequ'elles coûtent à prononcer, et n'ont rien de sonore: nous avons de plus quantité de verbes auxiliaires et actifs dont les dernières syllabes sont sourdes et désagréables, comme sagen, geben, nehmen: mettez un a au bout de ces terminaisons et faites – en sagena, gebena, nehmena, et ces sons flatteront l'oreille.«


4 S. Schleiermacher's Abhandlung über die verschiedenen Methoden des Uebersetzens (in den Abhandl. der berl. Akademie 1812–13.) S. 165.


Quelle:
Theodor Mundt: Die Kunst der Deutschen Prosa. Berlin 1837, S. 340.
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