3.

[393] Das Verhältniß der Prosa zur Wissenschaft ist noch zu bezeichnen übrig. Die Form der Wissenschaft steht ebenfalls in einem tiefen und eigenthümlichen Zusammenhang mit dem Geist der Sprache, und wenn sie sich demselben entfremdet und an zünftige Formeln und gelehrte Abstractionen verfällt, so ist es ihre Schuld. Der wissenschaftliche Geist ist auf seinem Gebiete einer ebenso hohen und ursprünglichen Diction fähig, als der poetische auf dem seinigen, nur gemäßigt nach den verschiedenen Elementen, auf denen beide ruhen. Plato und Aristoteles können die Begründer der wissenschaftlichen Diction genannt werden, obwohl sie Beide auf entgegengesetzten Polen die zwei[394] Gipfel derselben bezeichnen.1 Das poetische Gestalten der Erkenntniß und Forschung bei Plato tritt zu entschieden als Leistung des Talents und der Individualität auf, um als eine Norm wissenschaftlicher Behandlung im Allgemeinen zu wirken, doch ist das dialektische Wesen der Untersuchung in den platonischen Dialogen bestimmt ausgebildet worden und hat die Darstellung der Wissenschaft seitdem beständig bewegt. Aristoteles dagegen stempelt in seiner strengen Aneinanderreihung des Thatsächlichen und Gedankenmäßigen die eigentlich wissenschaftliche Epoche, in welche die Schönheit des griechischen Lebens auslief, und worin selbst die Grazien der frei umherwandelnden Speculation, die sonst in Griechenland in Gärten und Hainen ihren Gedanken nachgehangen, methodisch gefangen und in einen begriffsmäßigen Zusammenhang eingeordnet wurden. In Aristoteles begründete sich die strenge Sprache der Wissenschaft, die in deren Fortentwickelung als wesentliches und leitendes Element[395] überging, und den Einfluß der aristotelischen Philosophie durch alle Jahrhunderte hindurch bis in die Formen der modernen Geistesbildung verbreitete. Die Reinheit und Ursprünglichkeit dieser wissenschaftlichen Diction des Aristoteles, die in spröder Gemessenheit ihrem Gegenstande anliegt, ist aber in der Geschichte der modernen Wissenschaft, namentlich der deutschen, selten getroffen worden. Bestandtheile aller Art haben sich der wissenschaftlichen Darstellung angehängt, und oft gleichsam einen Abzugscanal aller schlechten Formen und Stoffe der Sprache oder auch einen Tummelplatz mystischer und phantastischer Ausschweifungen aus ihr gemacht. Die Prosa der deutschen Gelehrsamkeit hat auf der einen Seite Extreme der Geistverlassenheit dargeboten, die man unter einer gebildeten Nation nicht für möglich halten sollte, auf der andern Seite hat die höher sich gestaltende Wissenschaft, von der Bahn der gegenständlichen Einfachheit abirrend, sich ganz in Poesie zurückgestürzt und den Kreis der auf sich beruhenden Forschung schwärmerisch durchbrochen. So könnte zu der wissenschaftlichen Abgränzung der aristotelischen Diction[396] kein größerer Gegensatz in moderner Darstellung gefunden werden, als die Prosa von Görres, in der die Wissenschaft wie in eine brennende Zauberwüste voll magischer Lichter und Schatten versetzt steht. Die Erkenntniß malt sich hier in einer Fata Morgana von Erscheinungen aus, die durch ein wunderbares, wenn auch auf dem Kopf stehendes Luftbild hinreißt, wo sie nicht überzeugen kann. Diese trunkene Mischung der Poesie mit der Wissenschaft ist verwirrend für dieselbe, weil sie nicht, wie in Plato, zu einer plastischen Gestaltung und Durchdringung kommt, sondern gewissermaßen auf der Stufe subjectiver Verzückung bleibt. Einen modernen Ableger der platonischen Dialektik stellt dagegen die Sprache Schleiermacher's dar, in ihren rein wissenschaftlichen Darstellungen häufig peinlich und ohne den idealen Schmelz, den Plato's höhere poetische Natur selten verliert, aber in der Weihnachtsfeier, den Monologen und vielen Predigten, besonders den frühern, oft meisterlich und voll innerer Springkraft. Unabhängiger von bestimmten antiken Einflüssen, aber von dem Geist des Alterthums und dem erhabenen Sinn seiner[397] Darstellungskunst durchdrungen, ist die Prosa Wilhelm von Humboldts vielleicht die gediegenste und großartigste, zu der es die deutsche wissenschaftliche Diction bisher hat bringen können, und die selbst auf dem trockenen Felde grammatischer Untersuchungen eine immer rege Geistesbewegung verbreitet. Die Schreibart dieses tiefsinnigen Forschers ist ebenso würdevoll als natürlich und einfach, und weiß mit Leichtigkeit das Einzelnste in die höhere Verbindung mit dem Allgemeinen zu rücken. Als eigenthümlicher Meister, mit noch mehr poetischen und modernen Stoffen der Darstellung gefärbt, ist neben ihm sein Bruder Alexander von Humboldt zu nennen, der zugleich die Gewandtheit und den Faltenwurf des Weltmanns mit wissenschaftlicher Behandlungsart verbindet. Sein Stil besitzt viel originelle Grazie, doch hat er auch manche französische Einflüsse in sich aufgenommen. Eine wahrhaft poetische Bedeutung aber erreicht er in seinen Naturschilderungen, die oft wie mit neuen Sprachorganen reden. –

Die ächte Sprache der Wissenschaft wird sich nicht leicht unabhängig von der philosophischen[398] Speculation eines Volkes zu etwas Großem bilden können. Der Sprache der deutschen Philosophie fehlte aber meistentheils das nationelle Gepräge, sie steht als eine künstliche Maschine da, deren Bewegungen nur der im Besitz des Geheimnisses Befindliche verstehen mag. Unsere Speculation hat den Krebsschaden der scholastischen Terminologie, der sich in ihr innerstes Leben eingefressen, niemals ganz verwinden können. Leibnitz2 bemerkte, daß bei den Engländern und Franzosen die scholastische Methode zu philosophiren darum abgekommen sei, weil diese Nationen schon früh in ihrer eigenen Muttersprache philosophirt hätten, wodurch dem Volke und sogar den Frauen Zugang zu solchen Dingen eröffnet worden sei. Die strengere wissenschaftliche Speculation in Deutschland hat freilich die Stufe der freien Darstellungskunst, zu der sie Leibnitz hinüberführen wollte, nur in wenigen Ausnahmen erreichen können. Wilhelm von Humboldt sagt in seiner Einleitung zur Kawi-Sprache[399] über die philosophische Diction: »Die wahrhaft tiefe und abgezogene Philosophie hat auch ihre eigenen Wege, zu einem Gipfel großer Diction zu gelangen. Die Gediegenheit und selbst die Abgeschlossenheit der Begriffe giebt, wo die Lehre aus ächt schöpferischem Geiste hervorgeht, auch der Sprache eine mit der inneren Tiefe zusammenpassende Erhabenheit. Eine Gestaltung des philosophischen Stils von ganz eigenthümlicher Schönheit findet sich auch bei uns in der Verfolgung abgezogener Begriffe in Fichte's und Schelling's Schriften, und, wenn auch nur einzeln, aber dann wahrhaft ergreifend, in Kant. Die Resultate factisch wissenschaftlicher Untersuchungen sind vorzugsweise nicht allein einer ausgearbeiteten und sich aus tiefer und allgemeiner Ansicht des Ganzen der Natur von selbst hervorbildenden großartigen Prosa fähig, sondern eine solche befördert die wissenschaftliche Untersuchung selbst, indem sie den Geist entzündet, der allein in ihr zu großen Entdeckungen führen kann.« Diese Durchdringung des allgemeinen productiven Geistes mit dem philosophischen und wissenschaftlichen Stil kann allerdings als der[400] Gipfelpunct desselben bezeichnet werden. Aber wo in der Geschichte der modernen Philosophie der Gipfel der philosophischen Methode erscheint, bei Hegel, sind die scholastischen Bestandtheile der Diction, wenn auch neu und originell verschmolzen, wieder vorherrschend. Wenn der rednerische Fichte als der Rhetoriker, und Schelling mit seiner genialen Schreibart als der Dichter unter den Philosophen erscheint, so sucht der aristotelische Hegel dagegen die strengste philosophisch gelehrte Behandlung auch im Stil zu behaupten. Dennoch erreicht er in seiner eigenthümlichen Manier auch eine großartige und erhabene Darstellung, namentlich in der Phänomenologie, und in der Logik, wo die festgeschlossene und geharnischte Sprache in markigen Gebilden auftritt. Andere Partieen seiner Philosophie sind schlotterichter ausgearbeitet, und am allerwenigsten gelingt es ihm, wo er versucht, populaire Anschaulichkeit für die Vorstellung zu geben, wie an vielen Stellen seiner Vorlesungen. Unter seinen Nachfolgern, welche sich die Mission haben angelegen sein lassen, seine Philosophie zu verarbeiten, hat Karl Rosenkranz ein bedeutendes[401] Talent für wissenschaftliche Popularität gezeigt und trägt in seinen encyclopädisch umsichtigen Schriften und Aufsätzen viel dazu bei, die Interessen der Wissenschaft und der Idee mit den fortlaufenden Zeitinteressen im Niveau zu erhalten.

Inwieweit die philosophische Darstellungskunst zu einer populairen Form für den Inhalt der Philosophie ausgebildet werden kann, stellt sich als die wichtigste Frage bei der Schreibart der Speculation dar. Die bedeutsamsten philosophischen Ideen sind am Ende geläufige Thatsachen des Bewußtseins geworden und haben sich in die currente Anschauungsweise unwillkürlich umgesetzt. Der Begriff durchbricht die Formeln des Systems, und verbreitet sich, auf die Fortbewegungslinie der Geschichte tretend, in die Vorstellungen des Lebens. Die ächte Popularität wird in der productiven Flüssigmachung des philosophischen Inhalts bestehen und auf diese Weise dürften wohl die abgezogensten Begriffe im Genius eines großen Philosophen eine populaire Form gewinnen können. Schelling war durch seine poetische Natur dieser philosophischen Popularität am nächsten gekommen, aber seine sinnlich lebensvollen[402] Auseinanderlegungen der Begriffe umflorten sich wieder auf der andern Seite mit Nebelschleiern der Phantasie, die auch den Gedanken selbst überschatteten. Die dunkelstammenden poetischen Blitze, mit denen Schiller in seinen philosophischen Abhandlungen die Sandsteppen der kantischen Kategorieen durchschoß, boten zwar oft ein prachtvolles, wenn auch schwer zu übersehendes Schauspiel, aber es war nicht die richtige Begegnung des productiven Geistes mit der Philosophie, um dieser die höchstvollendete Darstellung zu erringen. F.H. Jacobi war auf dem Wege, der Philosophie eine treffliche, ächt deutsche Prosa zu gewinnen, und in seinen klaren Gedankenentwickelungen bebten leise die geheimen Saiten seines poetischen Herzens durch, aber was ihm fehlte, war die wissenschaftliche Großartigkeit, deren der philosophische Stil nicht ermangeln darf, für die aber Jacobi ein zu weibliches Naturell hatte. Eine merkwürdige Mischung poetischer und philosophischer Natur stellt der sibyllinische Hamann dar, der alle Geheimnisse und Zauberkünste der deutschen Sprache kennt, aber sie mit allerlei fremdartigen und magischen Zuthaten[403] behängen muß, um seinen wahrsagerischen Gedankenspielen ein Genüge zu thun. In Hamann erscheint die philosophische Sprache auf der Stufe der Prophetie, und hat die Extase sowohl wie die spielende Dunkelheit derselben an sich, und nur sein Witz erleuchtet zuweilen mit räthselhaftem Kometenfeuer die Nacht seiner Darstellung. Hamann ist der auf tieferer wissenschaftlicher Grundlage ruhende Jacob Böhme auch hinsichtlich der Schreibart, mit Ausnahme des Humors, von dem der philosophische Schuster noch keinen Anflug hatte. Auf einem Gebiet, das mehr der Poesie als der Philosophie angehört, zeigt Hippel den Widerstreit eines zu gleicher Zeit poetischen und philosophischen Naturells, welcher sich in beständiger Fluctuation nach diesen zwei Seiten hin durch seine Darstellungen bewegt. Seine poetischen Schilderungen gerathen ihm oft zu philosophisch, der Gedanke hängt seiner Phantasie einen Schwerestoff an, und seine philosophischen Betrachtungen schlagen gern in die Region der Träume über; ein Conflict, der auch Herder's wissenschaftliche Sprache so schwankend machte. –[404]

Die am Eigentlichsten populaire Form der Speculation ist die Geschichte, in der das Ideelle als Thatsächliches erscheint. Die Darstellung der reinen Ideen wird immer mit formalistischen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, ehe sie zu einem productiven Guß und zu einer Einheit sich verschmilzt. Die Darstellung der gegebenen Thatsachen aber steht von vorn herein in einer freieren und heitern Sphäre und läßt dem individuellen Talent der Behandlung einen größeren Spielraum. Die historische Prosa hat sich in Deutschland nur selten der höchsten Vollendung angenähert, und es fehlt ihr der sichere nationelle Takt der antiken Geschichtschreibung, der nur aus einem großen und in sich beschlossenen Volksbewußtsein hervorgeht. Dieser charakteristische historische Ton durchzieht bei den Alten selbst ihre Compendien der Geschichte mit Lebensbedeutung. Für die Deutschen ist es schwer, überhaupt einen eigenthümlichen Ton in der Geschichtschreibung zu treffen, und wenn sie der strengpragmatischen Langenweile oder der politisch kannegießernden Manier aus dem Wege gegangen sind, haben sie sich mit unnützen Raisonnements das[405] historische Feld verrückt, oder zur Nachahmung der alten Historiker ihre Zuflucht genommen. Unsere Literatur hat kaum eine bedeutende Geschichtsdarstellung aufzuweisen, die ganz ohne Vorbild und Anflug des Alterthums entstanden wäre, besonders haben Tacitus, Thucydides und auch Xenophon einen großen Einfluß fast überall geübt. Eine kritisch zusammengelesene Mosaik von Darstellungstönen offenbart sich bei den meisten unserer Geschichtschreiber, namentlich bei Johannes von Müller, der in der historischen Behandlung für Viele den Ton angegeben. Müller bildete seine Schreibart mit außerordentlichem Studium und sehr genauem Bewußtsein, und man kann sie ein Mischproduct der Alten und der Engländer nennen, zu einer originellen Manier verbunden durch seine hinzutretende geistige Eigenthümlichkeit, doch hat auch die französische Sprache, in der er erzogen worden, einen wichtigen Einfluß auf seinen Stil gehabt, vorzüglich in der Satzbildung. Welche Mühe sich Johannes von Müller in der Bildung seiner Darstellung gegeben, ist interessant aus seinen Briefen, wo er sich mehrfach darüber äußert, zu ersehn. An[406] seinem Schweizerischen Geschichtswerk arbeitend, schrieb er (unter dem 10. Juni 1777.) an seine Eltern: »Ich muß euch sagen, daß ich meinem Werke seit meinem letzten Briefe noch eine andere Vollkommenheit zu geben gesucht habe. Die deutsche Sprache, die in den meisten Schriftstellern etwas schwerklingend ist, hab' ich durch geschickte Wahl und Stellung der Worte so melodisch und sanft zu machen gesucht, als die italienische Sprache; und soweit ist meine Sorgfalt gegangen, daß ich an den meisten Orten den übelklingenden Zusammenstoß solcher Consonanten, welche einander verschlucken, der v und f, der d und t, der ch und ck, vermieden habe.« – Den Stil des Johannes von Müller lediglich auf den Tacitus zurückzuführen, ist ein ziemlich verbreiteter Irrthum, dessen er sich selbst häufig zu erwehren gesucht hat. Im Jahre 1781 schrieb er über seinen Stil Folgendes an seinen Bruder: »Seit mehr als fünf Jahren hab' ich Tacitum nicht gelesen; gleichwohl hat einer neulich gesagt, ich wäre Tacito Tacitior. Ich halte dafür, daß die Kürze meiner Schreibart von der Gewohnheit herkommt, Alles[407] in Auszüge zu bringen, und von der Begierde, viel zusammenzudrängen, um keine Langeweile zu erregen.« – Merkwürdig ist auch folgende Aeußerung in seinem Aufsatz über Studium und Uebersetzungen des Tacitus3, in dem er Cäsar und Macchiavell für die größten Muster der Geschichtschreibung erklärt: »Die großen Muster der alten Geschichtschreibung deutsch zu liefern, ist ein wahrlich ungemeines Verdienst, eine Erneuerung dessen, welches sich Luther durch die Bibelübersetzung um die Sprache erwarb. Erst dann wird man erkennen, wie viel in ihr liegt, was sie auch hierin vermag. Nur würde ich vielleicht nicht mit Tacitus anfangen; er ist aus den Zeiten des von der ersten Einfalt schon ins Gekünstelte sinkenden Geschmacks. Ich fürchte, wir würden uns bald zu viel zieren, oder vielmehr Concetti in Bande pressen, bei denen dem Leser nie ganz wohl ist. Beginnen wir lieber mit Julius Cäsar's majestätischer Eleganz, mit Xenophon's goldreinem Honig, mit Herodot's Grazie;[408] ja Thucydides in der Erzählung ist höchst würdig und kraftvoll klar; in Reden unvergleichlich vor andern, und Sallust ihm der nächste. Nicht bewahre Gott, als mißkennte ich die stoische Größe der Seele des Tacitus, oder seinen Reichthum, seine Gluth, aber es kommt viel darauf an, daß die ersten Muster die vollkommensten, und von den herrschenden Fehlern die entferntesten seien.« –

Indeß scheint Johannes von Müller doch, unbewußt oder geflissentlich, übersehen zu haben, was er dem Tacitus verdankt und worin dessen eigentliche Größe und ewige Bedeutung für die Geschichtschreibung beruht. Wenn es auch bei Müller nicht jene Anwandlung von Eifersucht war, in der man wohl öfter die Copie gegen ihr Original sich auflehnen sieht, so konnte ihn doch der Aerger über häufige und unverständige Vorwürfe der Nachahmung leicht bewegen, sich der tacitischen Schreibart gegenüber für eigenthümlicher zu halten als er war. Thomas Abbt hatte in seinem Fragment der portugiesischen Geschichte und einigen andern Aufsätzen dem Tacitus am genialsten nachgeahmt, und mit einer größeren Wahlverwandtschaft des Naturells,[409] als sie dem Johannes Müller zustand. In neuester Zeit hat Ranke in demselben Genre vortreffliche Töne angeschlagen, jenen coupirten Stil eigenthümlich und geistvoll handhabend, ohne im höheren Grade originell zu sein. Seine rasche pointirte Sprache ist für die historische Portraitmalerei geschickt, zu spröde aber für den Fluß und Zusammenhang der Begebenheiten. Mit genialem Raisonnement durchdringt und verbindet Leo die Thatsachen und stellt sie unter eine scharfe, aus dem Gedanken hervorgehende Beleuchtung, ohne sich im Einzelnen des Stils Mühe mit seiner Darstellung zu machen. Seine Schreibart hat zuweilen etwas Burschikoses und überläßt sich einem geistreichen Cynismus, dem man freilich oft die allertreffendsten Bezeichnungen nicht abläugnen kann, doch finden sich auch, namentlich in seiner italienischen Geschichte, objective Darstellungen von wahrhaft historischer Kraft und Würde. Zur Einfachheit und Ruhe der Alten, an Xenophon erinnernd, ist Varnhagen von Ense in seinen Biographieen und historischen Skizzen zurückgekehrt, dem Gegenständlichen sich anschmiegend, ohne in sauberster Ausmalung[410] des Einzelnen und Individuellen den allgemeinen Geschichtssinn zu verläugnen. –

Die politische Prosa konnte in Deutschland noch bei weitem weniger dahin zielen, sich einen Nationaltypus zu erschaffen, als die historische, denn was in dieser noch durch wissenschaftliches Bestreben erreicht und nachgeahmt zu werden vermag, muß für jene aus dem unmittelbaren Leben entspringen, wenn es überhaupt wirksam und charakteristisch sein soll. Die römische Prosa bildete sich am meisten zum Ausdruck eines politischen Volkscharakters. Die politische Prosa der Alten hat ihren nationellen Hintergrund an der öffentlichen Beredtsamkeit, die moderne müßte dagegen durch die Debatte gepflegt werden. Für die moderne Politik fehlt ein Volksbuch, wie sie für die Religion in der Bibel gegeben ist, wo sie zugleich in der modernen Sprachschöpfung, die sich durch Luther an sie knüpfte, die bedeutsamsten Ausdrücke des Nationallebens gründete. Friedrich der Große beabsichtigte auch im preußischen Landrecht ein politisches Volksbuch, das nach dieser Seite eine nationale Grundlage gewähren sollte. Eine immer[411] höhere Ausbildung dieses Gedankens führt in der Abfassung der Gesetze zu einem wahrhaft volksthümlichen Stil. Die Verdienste Hardenberg's um eine schöne, klare und deutliche Gesetzabfassung wären bei einer umfassenderen Berührung dieses Gegenstandes vorzüglich herauszuheben. Die Klippen, an denen die Sprache der Gesetze noch immer scheitert, sind aber der Canzleistil, der so viel zähe Traditionen in sich hat, daß es ihm schwer wird, sich vernünftig reformiren zu lassen.4 Was jedoch die deutschen publizistischen Schriftsteller anlangt, so sind ihre Reihen dünn und ihre Gestalten meistens dürftig, und ich weiß keinen zweiten zu nennen, der so wie Friedrich von Gentz hervorragte, durch welchen die Prosa der Kabinette eine künstlerische und ideale Höhe erstieg. Auch in[412] seiner »authentischen Darstellung des Verhältnisses zwischen England und Spanien« (Petersburg 1816.) ist ein seltener, merkwürdiger Stil, der mit aller Keckheit und Freimüthigkeit der Bezeichnung zugleich eine speculative Entwickelung verbindet, in der er sich ebenso natürlich bewegt. Man lese, was Varnhagen von Ense (in der Galerie von Bildnissen aus Rahels Umgang I. 194.) über Gentzens Schreibart bemerkt, und was Gentz selbst in späterer Zeit, wo ihm eines seiner früheren Bücher wieder vor Augen gekommen, im Bewußtsein seines Talents (I. 248.) an Rahel darüber schreibt. –

Die Einflüsse der politischen Verhältnisse und Wirren auf den Stil haben sich in der letzten Zeit vornehmlich in der kritischen Schreibart mehrerer Schriftsteller auf eine bemerkenswerthe Weise gezeigt. – Die ästhetisirend kritische Manier, welche durch die Schlegel'sche Schule begründet worden, genügt heutzutage dem Geist nicht mehr, der sich an der Kritik einen Ausdruck zu geben sucht. Der gleißende ästhetische Firniß, mit dem A.W. Schlegel seine Schreibart überwarf, ist jetzt unwirksam[413] für die praktischer gewordenen Bewegungen der Kritik, die sich mit den bloßen Formen weniger zu thun machen. Inhaltvoller und kernhafter in seiner Schreibart ist Friedrich Schlegel, der oft erhabene Großbauten des Periodenstils unternimmt und die seltene Länge und Fülle seiner Satzbildung doch zur Harmonie zu meistern versteht. In der ästhetisirenden Manier der Schlegel'schen Schule fuhr Franz Horn fort, ein sentimental humoristisches Naturell und jean-paul'sche Anflüge hinzufügend, auch in seinem Stil, der oft eine vortreffliche Durchbildung hat, mehr für ein Frauenpublikum der Kritik geeignet. – Die neueste Kritik befand sich meistentheils immer nur auf dem qui vive? und nahm dadurch einen unruhigen, die literarischen Zwecke überschreitenden Charakter an. Dagegen ist die feine Gränzlinie in Varnhagen von Ense's kritischer Behandlung als Studium zu empfehlen, dessen Einwirkung sich bei Heinrich Laube zeigt, der in seinen »modernen Charakteristiken« einen anziehenden, gesellschaftlich conversirenden Ton getroffen. Mehr didaktisch conversirend, ein moderner Peripatetiker, geht Karl Rosenkranz[414] in seinen kritischen Abhandlungen zu Werke. Dagegen strebt Gutzkow, nur zu sehr aller Einflüsse der Phantasie und des Gemüths auf den Stil sich enthaltend, Lessing'schen Kraftwirkungen nach, und sucht namentlich in seinem Buch »Goethe im Wendepunct zweier Jahrhunderte« (gedruckt in Berlin 1836.) eine stählerne Festigkeit der Darstellung zu erreichen, der es bloß an Melodie gebricht. Eine elegante Mitte zwischen poetischer und kritischer Behandlung hält F.G. Kühne, die Eigenthümlichkeit seines Gegenstandes tief ergreifend und die Tonart der Darstellung danach abmessend. An rednerischem und durchdringendem Feuer halten sich Wienbarg, Gutzkow und Wolfgang Menzel das Gleichgewicht. Productiver ist die kritische Schreibart von H. Heine, oft weniger im Einzelnen der Diction, als in der Behandlung und Auffassung. Am meisten künstlerisch ausgearbeitet aber zeigt sich Börne's Stil, ursprünglich von jean-paul'scher Diction herkommend, die er merkwürdig mit einem skeptischen Naturell verschmolz, später aber sich vernachlässigend. –

Fußnoten

1 S.W.v. Humboldt, über die Kawi-Sprache. Einleitung S. CCL.


2 in seiner Abhandlung de stilo philosophico Nizolii (Opera, ed. Dutens, Tom. IV. p. 48.)


3 Joh. v. Müller's sämmtliche Werke, 8. Thl. S. 412.


4 Lesenswerth ist eine kleine, sehr gut geschriebene Schrift, die hier vor mir liegt, unter dem Titel: »Woher kommt es, daß der alte, dem Fürsten und Volke gleich schädliche Kanzleistil, welchen Friedrich der Einzige verwünschte, und Joseph der Einzige verbot, noch an vielen Orten herrscht, und wie ist er auszurotten? Von F.C. Chr. Link. (Nürnberg 1794.)


Quelle:
Theodor Mundt: Die Kunst der Deutschen Prosa. Berlin 1837.
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