Das ewangelisch baner.

[189] Das ander baner, das sie tragen,

Da můß ich fieren bitter klagen,

Het in vff erd kein mensch empfolhen,

Sie hons der cristen gemein gestolen.

Die heilig gemeine cristenheit

Hat vnß vff erd allein geseit

Vnd gelernet ire kind,

Welches die ewangelien sind.

Ia wan ir keins beschriben wer,

So blib dannocht cristus ler[189]

In lebndigen büchern beschriben

Vnd wer in vnsern hertzen bliben.

Des sie vnß felschlich wöln berauben,

Der cristlich gemeinen nit glauben,

Der iederman glaubet baß.

Da noch kein ewangelium was

Beschriben von den ewangelisten,

Glaubten doch die gemeinen cristen,

Was sie die botten cristi lerten

Vnd von iren mündern hörten.

Das ist also gehalten bliben,

Da noch kein bůch nit was geschriben.

Noch glaubt man gemeiner cristenheit,

Was sie von cristo lernt vnd seit.

Biß sie nachgons an genumen hat

Die ewangelisch beschribne dat,

Die selbig lieblich, frölich mer,

Von got gesant von himel her;

Die hon sie an so manchem ort

Gerincklet wol vff tusent mort

Vnd zerren daruß den verstant,

Den vnsere gemein nie hat erkant.

Wer kan das ewangely fron

Im grunt vff erden baß verston

Den die frum vnd cristlich gemein,

Die weder lügt noch trügt kein?

Darumb wa du mir zögst ein span,

Den wil ich an die gemein lan;

Was mir die gemein erkent darin,

Das sei der ewangelisch sin,

Das nim ich für ein warheit an

Vnd wil bei irem vrteil stan.

Die cristenheit hat nie gehuncken:

So wil es mich nit sicher beduncken,

Das ich weich von der cristenheit[190]

Vnd hör, was mir ein eintziger seit.

Die gemein, die mir vor hat gegeben

Das heilig ewangelisch leben

Vnd mich bericht on argen list,

Welches das ewangelium ist,

Die thůt mir das auch wol bekant,

Welches sei der recht verstant.

Den wil ich von der gemein gern hören

Vnd nit erst von eim weber leren,

Der me verwürt vff einen tag,

Dan ich mein lebtag schlichten mag.

Ich sag es noch / habs vor auch geseit,

Mein lerer ist die cristenheit,

Vnd laß mich kein eintzigen man

Bringen vff ein andern plan.

Das ewangelium fürwar

Ist me dan fünfftzehen hundert iar

Gewesen bei der gantzen gemein,

Die solchs baner tregt allein.

Wem sie das selb nit hat empfolhen,

Der hat es wissenlich gestolen.

Quelle:
Thomas Murner: Von dem großen lutherischen Narren, in: Thomas Murners Deutsche Schriften mit den Holzschnitten der Erstdrucke, Band 9, Straßburg 1918, S. 189-191.
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