XVI. Brief.

Der Herr v.S. an den Herr v.N.

[103] Grandisonhall, den 5 August


Hochgeschätzter Herr Oncle,


Ohngeachtet Sir Carl und seine würdige Gemahlin Sie hier in Engelland zu sehen wünschen; so begreifen Sie die Schwürigkeiten vollkommen, welche mit einer solchen Reise verknüpft sind. Zwei solche ädle Gemüther sind bereits verbunden; ob sie gleich tausend Meilen von einander leben. Vielleicht geht Sir Carl nach Deutschland, um Berlin zu sehen: in diesem Falle würde Ihnen sein Zuspruch gewiß seyn. Sie verlangen in Ihrem letzten Brief einen jungen Hund von dem Fresco und Alexanders Gastmahl. Mit dem letzten warte also gehorsamst auf: Da aber Fresco ein Chapeau und noch darzu castrirt ist: so hat man keine Hoffnung,[104] seine Race zu erhalten. Ihr Anschlag auf Clementinen ist vergeblich. Sie ist verheirathet und hat bereits drei Kinder von dem Graf von Belvedere. Wer weiß aber, was sie gethan hätte, wenn sie von Ihrer ädlen Neigung zeitiger benachrichtiget werden wär. Indessen ist Kätchen Holles noch ledig. Ich sprach das angenehme Kind zu Selbyhaussen, und finde an ihr etwas ungemein sanftes. Besser aber würde sich Fräulein Orme für Sie schicken; wenn der Fall kommt, daß Sie heirathen müssen. Sie sind aber gegenwärtig in einer solchen Ruhe, die Sie im Ehestande nicht haben werden. Ich gehe einige Tage nach Londen, um den Hof und alles merkwürdige in der Stadt zu besehen; nachhero kehre ich wieder nach dem angenehmen Grandisonhall zurück.

Den 9ten. Ein merkwürdiger Umstand: Lady Grandison ist in die Wochen kommen. Ein schönes Fräulein, sagt man.

Den 11ten. Immer eine Kutsche nach der andern. Oncle Selby und seine Dame sind[105] auch da. Der Cornet Jacob hat Urlaub. Ich muß hin und ihm mein Compliment machen. Die Gevattern sind erwählt. Sir Beauchamp, Lady G. und Sie, mein Hochgeehrtester Herr Oncle, wie auch der rechtschaffene Doktor Bartlett. Lesen Sie beikommenden Gevatterbrief von Sir Carln. Ich habe die Uebersetzung dabei gelegt. Da ich das Absehen auf Dero Person zum Voraus merkte; so gieng ich sogleich nach Londons und ließ mir ein prächtiges Kleid machen: damit ich in eben dem Lichte erschiene, in welchem Sie erschienen seyn würden.

Den 12ten. Nunmehro ist alles glücklich vorbei. Ich trank mir in Ihrem Namen einen derben Rausch. Oncle Selby war auch nicht nüchtern. Senden Sie nur ein ansehnliches Patengeschenke: denn man macht sich hier von Ihrem Vermögen eben so große Begriffe, als von Ihrer Freigebigkeit. Der Himmel erhalte Sie gesund und wohl. Mit vieler Ehrerbietung bin ich


Dero

gehorsamster Diener

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Erster bis dritter Theil, Band1, Eisenach 1760, S. 103-106.
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