XXV. Brief.

Die Gemeinde zu Kargfeld an Herrn Carl Grandison.

[161] den 26 August,


Hochwohledelgebohrner, Gestrenger Herr,


Eu. Hochwohledelgebohrne und gestrenge Herrlichkeiten wird wohl aus den öffentlichen Avisen nicht unbekannt seyn, welcher Unglücksfall unsern armen Ort, das Hochadliche Gerichtsdorf Kargfeld am 27 Julius jetztlaufenden Jahres zwischen 11 und 12 Uhr Vormittage betroffen hat. Es hatte nämlich unser gestrenger Herr, der Hochwohlgebohrn. Herr Ehrhard Rudolph v.N. Erd-Lehn und Gerichtsherr auf Kargfeld Dürrenstein et cact. den 19 obbemeldeten Monats eine ehrbare Gemeinde fordern, und da männiglich im hochadlichem Schloßhofe[162] erschien, durch den Herrn Hofmeister, Ehrn M. Lampert Wilibald anzeigen lassen: daß eine gewisse hochadliche Matrone aus der Familie unsres Erbherrn in Engelland Todes verfahren wäre, und dieserwegen christl. Gebrauch nach, das gewöhnliche Trauergeläute 14 Tage lang, jeden Tag zwo Stunden, sollte angeordnet werden. Sämmtliche Gemeinde versprach, nach dem Befehle des gestrengen Junkers sich gebührend zu achten. Der Herr Schulze forderte alle Tage 2 Fröhner zum Geläute. Am 27 Julius, da Adam Riese und Georg Velten zur Fröhne litten, börstete die große Glocke. Die Leute machten allerlei Auslegungen darüber, einige wollten sagen, die beiden Nachbarn, welche damals läuten mußten, hätten die Glocke gestohlen und eine von Topf davor in den Glockenstuhl gehänget. Nachdem sie aber von den Geschwornen ist besichtiget worden, hat es sich gefunden, daß die rechte Glocke zwar noch an Ort und Stelle ist; aber einen gräßlichen Riß bekommen hat. Da nun durch dieses Unglück unsere liebe Kirche ihren Schmuck[163] und der Kirchthurm, seine Baßstimme verlohren hat; unsere Gemeinde aber, seit der Schwedenzeit, wegen vieler Unglücksfälle, die aus dem Kirchenbuch, sub littera A ausgezeichnet, zu ersehen sind, auf das äußerste herunter gekommen ist, daß es nicht in ihren Kräften stehet, wiederum eine tüchtige Glocke gießen zu lassen; das liebe teutsche Vaterland auch durch den schädlichen und landverderblichen Krieg dergestalt mitgenommen ist, daß wir uns keine sonderliche Beisteuer daraus versprechen können: so ergehet unsere demüthige Bitte an Eu. Hochwohledelgebohrne und gestrenge Herrlichkeit, Sie wollen durch Ihr vielgeltendes Vorwort, bei der hohen Obrigkeit Ihres Landes es dahin bringen, daß in ganz Engelland eine Collecte für unsere arme Kirche eingesammlet, und uns solche getreulich übersendet werde. Solche hohe Gnade werden wir icht nur mit geziemenden Danke erkennen; sondern auch dem Glockengießer anbefehlen, Eu. Hochwohledelgebohrnen hohen Namen, oben über unser Gerichtsherrn und des Herrn Pfarrers Namen[164] dankbarlich an die neue Glocke zu setzen. Verharrende

Eu. Hochwohledelgebohrnen und gestrengen Herrlichkeit

Kargfeld,

1759

unterthänige

Hanns Sachs,

Schultheiß.

Lorenz Lobesan,

Ludimagister und

Gemeindeschreiber,

concepit.

Thomas Hebebaum,

Gemeinde Vorsteher.

Sebastian Kleinmann,

Kirchvater.


A.

Auszug des Kirchenbuches zu Kargfeld, was für Unglücksfälle besagten Ort seit der Schwedenzeit betroffen, und wodurch die Gemeinde daselbst gar sehr mitgenommen worden ist.


Anno 1634 den 9 Junius marschirte die schwedische Armee unter dem General Baner durch das Dorf, die Bagage ging hinten weg. Die Reuter haußeten sehr übel.[165] Sie zogen ihre Pferde in die Stuben, und haben Matthesen ein ganz Gebräude Bier ausgesoffen. Im Schlosse lag der Stab.


1637 den 3 August kam der General Pallasch, (dieser Name ist sehr undeutlich geschrieben, der Herr Pfarr sagt, er hieße Gallas,) mit einem Corpo Kaiserlichen bei hiesigem Dorfe an, und lagerten sich auf dem Gänserasen. Die Nachbarn mußten ihnen Essen und Trinken hinaus tragen. Des Nachts hieben sie die Satzweiden um und machten viele Wachtfeuer davon. Der Herr Pfarr behielt nicht einen Korb voll Rüben auf seinen ganzen Acker. Des Morgens fuhr die Herrschaft hinaus ins Lager, welches vielen Leuten nicht gefallen wollte.


1642 des Abends vor Petri Stuhlfeier kam ein Trupp Reuter in das Dorf und quartierte sich ein. Der Herr Pfarrer mußte den Hauptmann einnehmen, der schalt ihn einen Pfaffen und seine Frau noch ärger. Des Morgens wollten sie Schulzens Ilsen[166] mitnehmen, und hatten sie schon auf ein Pferd gesetzt; sie wurde aber wieder losgebeten.


1653 wurde das neue Schloß zu bauen angefangen. Da gieng es an ein Fröhnen, alle neun Tage kam die Reihe herum.


1657 den 11ten December in der Nacht, kam bei der tollen Aenne Feuer aus, welches 9 Häuser mit Scheunen und Ställen verzehrte.


1671 starben viele Leute, das trug mir und dem Herrn Pfarrer etwas ehrliches ein.


1677 wurde Martha, Saufsteffens Wittib, wegen des Verdachts, daß sie eine Hexe wäre, eingezogen. FH hatte immer wegen ihrer rothen Augen kein gutes Vertrauen zu ihr. Ob ich gleich von ihren Kindeskindern kein Schulgeld nahm; so hat sie mir doch, weil ich das eine Mädchen geschlagen, durch ihr giftiges Anhauchen, bei nüchternem Morgen, einen dicken Backen gemacht. Des Herrn Pfarrers[167] Gänse hat sie alle in einer Nacht gesterbet, und ihnen die Köpfe abgebissen, als wenn es das Ratz gethan hätte. Sie konnte sich in eine schwarze Katze mit feurigen Augen verwandeln, und hat mir einmal selbst in dieser Gestalt, da ich aus der Schenke nach Hause gieng, begegnet. Der Böse ist in Menschengestal bei ihr ein und ausgegangen; hat seinen Kuhfuß aber doch nicht recht verstecken können, ob er gleich oftmals Stiefeln angehabt.


1678 wurde diese Unholdin vor dem Dorfe auf dem Anger verbrannt. Sie ist auf die 20 und mehrmal auf dem Blocksberge gewesen, und Steffgen ist alle Jahr 2 mal bei ihr eingefahren, ob er gleich niemals, außer das letzte mal, ist gesehen worden.


Fürm Drachen uns bewahre Gott

Und trage uns aus aller Noth.


1680 zu Ende des Jahres und zu Anfang des folgenden, stund ein großer Comet über unserm Dorfe, und kehrte den Schwanz gerade nach dem Edelhofe zu. Etliche[168] meinten, der alte Herr würde es wohl nicht lange mehr machen.


1683 rückte der Türke vor Wien, vom 29 August dieses Jahres bis zum 14 des Christmonats, da die erste Nachricht in unser Dorf kam, daß die Türken von Wien weggeschlagen wären, mußte ein Mann aus der Gemeinde Tag und Nacht auf dem Thurme wachen, um ein Zeichen zu geben, wenn er Türken sähe, damit sich Jedermann retten könnte.


1687 im Julius wurden durch ein schweres Ungewitter alle Feldfrüchte in unsrer Fluhr verhagelt.


1692 kurz vor der Erndte fiel ein Volk Heuschrecken auf unsere Krautländer, deswegen mußte die ganze Gemeinde durch schreien, schießen, trommeln und allerhand Geräusche sie zu vertreiben suchen; es wollte aber nichts helfen, bis ich selber meine Stimme erhob, und auch so glücklich war, daß ich sie in einer halben Stunde[169] alle aus unsrer Flur wegschrie. Davor bekomme ich jährlich auf Jacobstag 2 Kannen Bier.


1699 in der Nacht vom 13 auf den 14 Hornung brachen die Diebe im Schlosse ein; der Nachtwächter und des gnädigen Herrns Bollenbeißer verjagten sie aber, daß sie nichts wegbringen konnten.


1709 war so ein grimmig kalter Winter, daß die Orgel mit heißen Steinen mußte erwärmet werden, damit der Wind in solcher unter der Music nicht einfrieren und der Generalbaß gehemmet werden möchte.


1713 fiel N.N. der Gemeindevorsteher mit einer Weibsperson von der Bank, und kam deswegen vom Dienste.


1719 wurde Herr Lorenz Lobesan Schuldiener und Küster in Kargfeld.


1722 im August wollte der kleine Samuel von einem Kornfuder herunter springen, und brach ein Bein.
[170]

1728 in diesem Jahre hat das Vieh nicht gedeihen wollen. Es kam ein gewaltiges Sterben unter die Bienen, meine zwei Stöcke giengen auch darauf. Bernd dem Scheerenschleifer ist im Frühjahr ein Schwein ersoffen. Hin und wieder ist auch durch die großen Wasser vieler Schade geschehen.


1735 den 19 October hätte sich der Herr Schulmeister auf einer Kindtaufe, da er einen Braten trenschiren wollte, beynahe den Daumen weggeschnitten.


1744 gieng wieder ein Comet knapp über unsern Dorfe weg, wer oben auf der Spitze des Kirchthurms gewesen wäre, hätte ihn leichtlich mit der Hand erlangen können.


1759 den 20 April marschirten etliche Regimenter Kaiserliche Türken durch das Dorf, welches Jedermann in große Furcht und Schrecken setzte. Mir haben sie 2 Gänse und dem Schulzen ein Schwein mitgenommen. Das waren, barbarische Leute.

il fin.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Erster bis dritter Theil, Band1, Eisenach 1760, S. 161-171.
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