XXXIII. Brief.

Fräulein Amalia an das Fräulein v.W.

[223] Schönthal den 14 Sept.


Wo soll ich anfangen, Ihren Brief zu beantworten? Soll ich mich wegen eines ungegründeten Verdachts vertheidigen, und wegen Ihres garstigen Argwohns auf Sie schmälen? das werde ich nicht thun. Ihr Gemüthe ist nicht in der Verfassung, daß es jetzo Verweise annehmen kann. Ich muß Ihnen aber doch meine Empfindlichkeit darüber bezeigen, daß Sie mich für eine Meineidige halten und mir den strafbaren Eigennutz zutrauen, daß ich das Glück meiner Freundinn auf das Spiel setzen könnte, um eine gute Tante dadurch zu gewinnen. Warten Sie, warten Sie, das kann Ihnen nicht so hingehen. Ihr gekränktes Gemüthe schützet Sie dieses mal für einer kleinen Rache, ich würde sonst in der[224] That ein bisgen böse thun; doch diesmal soll Ihnen alles vergeben seyn. Sie haben einigermaßen Ursache zu dem Verdachte gehabt, mich für ihre Kupplerin, nein, das ist ein gar zu garstiges Wort, für eine Unterhändlerin bei ihrer Freierei anzusehen. Ich lasse Ihnen alle Gerechtigkeit wiederfahren. Meinem Oncle fällt es ein, sich zu verheiraten, nothwendig muß er meinem Schwager und uns Schwestern etwas davon entdecket haben. Vielleicht bat er uns, ihm eine Partie vorzuschlagen. Wir werden nothwendig so eigennützig gehandelt, und ihm eine Person vorgeschlagen haben, mit der wir uns wohl auszukommen getrauten, die wir als unsere Tante lieben und ehren könnten. Kein altes verlebtes Fräulein werden wir nicht erwählet haben; so eine geschleierte Ziege würde eine schlimme Tante abgeben, sie würde zänkisch und geizig seyn, und uns mit bösen, finstern Gesichtern bewillkommen, wenn wir nach Kargfeld kämen. Das Fräulein v.W. kennen wir, sie ist unsre Freundin, die gäbe eine vortreffliche Tante. Ja, ja, es war[225] natürlich, daß wir sie unsern Oncle vorschlugen. Sie mag sehen, wie sie mit dem alten wunderlichen Manne auskommt, sie mag bei ihm für ihre Person unglücklich seyn; wenn wir nur eine gute gesellige Tante an ihr bekommen, die nicht ewig an uns etwas zu bessern und zu tadeln findet. Es blieb dabei, wir schlugen ihm das Fräulein v.W. vor; er verliebte sich, von dem ersten Augenblicke an, in sie, wie der Narciß in seine Gestalt, die er im Wasser erblickte. Die Sache wurde so kartiret, daß das liebe gute Kind nichts davon erfuhr. Die Stiefmutter mußte den Vater stimmen; dieser mußte auf einmal mit seiner väterlichen Gewalt auf die arme verkaufte und verrathene Tochter losstürmen, um sie zu zwingen, den verhaßten Freier anzunehmen.


Nicht wahr, das ist die ganze Fabel, die Sie Sich von Ihren guten Freunden in in Schönthal in den Kopf gesetzet haben? Das sind böse, ungetreue, meineidige Freunde! Aber nun will ich Ihnen die rechte Wahrheit[226] erzählen, hernach werden Sie anders von uns urtheilen. Gestern Nachmittage statte unser Oncle bei uns einen Besuch ab. Er machte uns zum ersten male in seinem Leben bekannt, daß er feste entschlossen wäre, zu heiraten, er nennte uns seinen geliebten Gegenstand. Wir erschracken, daß keins von uns im Stande war zu reden, da er Sie nennte. Ich habe die ganze Unterredung mit unserm Oncle aufgeschrieben, und will sie meinem Briefe beifügen, Sie können daraus unser ganzes Betragen bei dieser wichtigen Angelegenheit erkennen. Die meiste Sorge macht uns der Brief Ihres Herrn Vaters an unserm Oncle. Mein Schwager erhielt die Erlaubnis ihn zu lesen, und hat ihn abgeschrieben. Unfehlbar ist es Ihnen noch nicht bekannt, daß unser Oncle bereits von Ihrem Herrn Vater das Jawort hat, Sie würden mir diesen Umstand nicht verschwiegen haben. Ich übersende Ihnen auch die Abschrift von diesem Briefe. Schicken Sie mir diesen doppelten Einschluß, wenn es möglich ist, bald wiederum zurück. Sie haben eben nicht Ursache[227] so sehr über den voreiligen Consens ihres Herrn Vaters zu erschrecken. Kleinmüthigkeit und Verzweiflung kann der Sache keinem guten Ausgang versprechen, fassen Sie einen Muth, wir arbeiten alle daran, das Werk zu hintertreiben.


Gestern hielten wir bis um Mitternacht großen Rath, und ich war eben im Begriff, Ihnen einen Besuch zu geben, da Ihr Mädchen kam und mir Ihr Schreiben brachte. Um allen Verdacht zu vermeiden, stelle ich meinen Besuch ein; Ihro Frau Stiefmama würde uns auch vermuthlich nicht alleine mit einander reden lassen; ich will Ihnen deswegen das, was zu Ihrem besten beschlossen ist, lieber schriftlich als mündlich sagen. Wenn es in Ihrer Gewalt ist, so nehmen Sie eine Gelassenheit an, die der Unempfindlichkeit gleich kommt. Ihre Stiefmutter mag Ihnen von der verhaßten Sache sagen was sie will, so berufen Sie Sich auf Ihren Herrn Vater, sagen Sie, wie Sie es bereits gethan haben, Sie wollten, Sie wären bereit, Ihm[228] zu gehorsamen. Sollte man in Sie dringen, auf eine verdrüßliche Sache ja, oder nein zu antworten; so sehen Sie zu, daß Sie auf eine schickliche Art ausbeugen. Ich dächte, Sie könnten mit der Versprechung des kindlichen Gehorsams oftmals durchkommen. Künftigen Dienstag haben Sie von unserm Oncle und uns einen Besuch zu erwarten, Sie werden es aus Ihres Herrn Vaters Briefe sehen. Wie es scheint, sollen Sie da Ihr Jawort von sich geben; dieses darf durchaus nicht geschehen. Es ist uns, meine theureste Freundin, nichts nöthiger, als daß wir in etwas Zeit gewinnen, mit einander auf Maasregeln zu sinnen, wie wir diesem plötzlichen Sturme ausweichen wollen. Wir sind alle überraschet worden. Lesen Sie den 6ten Band des Grandisons mit Aufmerksamkeit. Wenden Sie die Gründe, die Henriette braucht, den Hochzeittag zu verspäten, auf den Tag der Verlobung mit unserm Oncle an. Sie wissen, daß er in allen Stücken dem Grandison nachahmen will. Wir müssen uns in seine Schwachheit richten, wenn etwas gutes soll[229] ausgerichtet werden. Wir wollen unsern Oncle zubereiten, Ihnen keine Bitte abzuschlagen. Ersuchen Sie Ihn um eine Frist von 6 Wochen, ehe Sie Ihr Jawort von sich geben könnten, diese setzen Sie hernach, wenn er auf einem kürzern Termine bestehet, auf 4 Wochen herunter. Unter der Zeit getrauen wir uns die Sache so einzufädeln, daß Ihrer Stiefmutter und unserm Oncle das Concept ziemlich soll verrücket werden.


In einem Punkte müssen Sie nur nicht gar zu zärtlich seyn, wenn die Sache einen guten Ausgang haben soll. Es scheinet, Sie wollen Ihrem Herrn Vater, wenn er darauf bestehet, in der That gehorsamen, und sich unsern Oncle zum Gemahle aufdringen lassen. Sie machen sich den Ungehorsam in diesem Stücke zu einem Gewissenspunkte, und dieses aus einem Misverstande. Sie erklären Ihren Catechismus unrecht. Das vierte Gebot will nicht, daß wir den Eltern als Sklaven eine blinde Unterthänigkeit beweisen sollen; es befiehlet uns, Ihnen zu gehorchen[230] in gerechten und billigen Dingen. Wenn aber ein Vater seine Tochter zwingen will, einen alten verlebten Mann zu heiraten, und der noch darzu mehrerer Fehler als das Alter hat; das wäre eben so viel, als wenn er ihr den Befehl gäbe, in ein Wasser zu springen, oder sich die Kehle abzuschneiden. Würden Sie denn einem solchen Befehle gehorsamen? Wenn Sie meinem Rathe folgen, so denke ich, es soll das Ungewitter, daß sich über Ihrem Haupte zusammen gezogen hat, sich wiederum zertheilen. Leben Sie wohl, meine Freundin, machen Sie Sich nicht so vielen unnöthigen Kummer, und seyn Sie versichert, daß nichts in der Welt vermögend ist, diejenige freundschaftliche Gesinnung zu ändern, welche gegen Sie, meine Werthe, bis auf den letzten Tag ihres Lebens beibehalten wird


Dero

aufrichtig und ergebenste Freundin

Amalia v.S.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Erster bis dritter Theil, Band1, Eisenach 1760, S. 223-231.
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