XXXIV. Brief.

Das Fräulein v.W. an Fräulein Amalien.

[231] Wilmershausen den 16 Septembr.


Ich kann Ihnen die zween Anschlüsse Ihres Briefes unmöglich zurück schicken, ohne meinen Dank für die Mittheilung derselben abzustatten, und zugleich Ihnen diejenige Beleidigung abzubitten, wozu mich eine gottlose Leidenschaft, der ich mich ganz und gar nicht fähig glaubte, verleitet hat. In der That, der Argwohn ist so eine schlimme Sache, daß diejenigen, welche damit behaftet sind, so sehr dadurch bestrafet werden, daß man nicht Ursache hat, Ihnen deswegen Vorwürfe zu machen, oder eine andere Gnugthuung für geschehene Beleidigungen zu verlangen: man sollte nur ein gerechtes Mitleiden mit den Unglückseligen haben.[232]

Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr mich der Gedanke gequälet hat, Sie wünschten eine Heirath zwischen mir und Ihrem Oncle, und wären bei diesem Geschäfte selbst eine der vornehmsten Triebfedern. Ich markerte mich in meinem Gemüthe, wie ein armer Missethäter, der seinen Tod vor Augen siehet, und noch nicht alle Hoffnung zum Leben aufgegeben hat; ich hatte keinen Grund Sie anzuklagen, ich hatte aber auch keinen, allen Verdacht gegen Sie zu verbannen.


Durch Ihr tröstendes Schreiben ist mein Herz um ein paar Centner leichter; es wird aber dennoch von einer sehr großen Last beschweret. Ihren gütigen Rath werde ich, so viel mir möglich ist, befolgen; was wird es aber helfen, wenn wir eine kleine Galgenfrist erhaschen? Wird nicht dadurch meine Marter vergrößert werden? Glauben Sie, daß ich mehr Ihren Vorschriften folgen werde, um Ihren Verweisen zu entgehen, wenn die Sache einen widrigen Ausschlag für mich bekäme; als daß ich einen günstigen Erfolg[233] davon hoffen sollte. Wie sehr würde es mich kränken, wenn ich Sie einmal sagen hörte: beklagen Sie Sich nicht, warum haben Sie nicht gefolget, so geht es den Leuten die sich nicht wollen rathen noch helfen lassen. Solche Vorwürfe würden tödliche Stiche in mein Herz seyn. Nein, nein, ich will Ihnen folgen, ich will Ihnen gern gehorsam seyn: aber der Gehorsam gegen meinen Vater darf dadurch nichts verlieren. Sollte ich Ihn durch meinen Ungehorsam unter die Erde bringen?


Ach Gott! Jetzt schlägt es 3 Uhr – Wie wird es morgen um diese Zeit aussehen? – Morgen habe ich einen sauern Tag zu überstehen, ich zittere, wenn ich daran gedenke.


Heute frühe, kündigte mir meine Stiefmutter, wie sie sagte, auf Befehl meines Vaters an: daß morgen der feierliche Verlöbnistag zwischen dem Herrn v.N. und mir feste gestellet wäre; sie wollte sich nach meiner Entschließung erkundigen, ob ich noch der Meinung wäre, den Herrn von N. meine[234] Hand zu geben. Ich sagte ihr, daß ich in diesem Stücke keine Entschließung zu fassen hätte, sondern mich gänzlich nach dem Befehle meines Vaters richten würde.


Wenn nun ihr Herr Vater will, Sie sollen den Herrn v.N. für ihren künftigen Gemahl erklären, wollen Sie denn das thun? Diese Frage werde ich Niemand als meinem Vater selbst beantworten, (ich sah ein wenig sauer aus.)


Ich will mit unangenehmen Fragen nicht in Sie dringen; ich will Ihnen nur so viel sagen: ziehen Sie Ihre Klugheit bei Ihrer morgenden Aufführung zu Rathe; damit Ihr Herr Vater nicht bewogen werde, seinen väterlichen Ernst, auf eine nachdrücklichste und beschämende Art, Ihnen zu zeigen. Sie ging, ohne auf meine Antwort zu warten und machte die Thüre ein wenig unsanfte hinter sich zu.


Eine tödliche Traurigkeit überfällt mich; die harte Begegnung meines Vaters, die heimliche[235] Feindschaft meiner Stiefmutter, mein bevorstehendes Schicksal, beunruhiget meine Gedanken auf äußerste. Wodurch habe ich denn alles dieses verdienet? Bin ich jemals ein so gar gottloses Kind gewesen? Bedauren Sie mich, meine Amalia.

Ihrem redlichen Herrn Schwager, und ihrer guten Frau Schwester empfehlen Sie mich bestens. Wenn Sie nicht eine fußfällige Abbitte von mir verlangen; so rücken Sie mir mein Verbrechen gegen Sie ja niemals auf. Ich schließe, die innerliche Bekümmernis sucht durch die Thränen einen Ausbruch bei


Ihrer

Juliane v.W.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Erster bis dritter Theil, Band1, Eisenach 1760, S. 231-236.
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