XXXVII. Brief.

Fortsetzung des vorigen Briefs.

[261] den 19 Septembr.


Diesen Morgen habe ich dem Baron meinen Brief vorlesen müssen. Wenn ich seiner Kritiken nicht schon gewohnt[261] wäre; so würde meine gestrige Arbeit im Feuer aufgegangen seyn. Wahrhaftig! wenn du so viel an meinen Briefen zu tadeln fändest als unser Schwager; so würde ichs verschwören, wieder eine Feder anzusetzen. Der lose Mann! wie er über mich gespottet hat, daß ich wegen des ehrlichen Lamperts eine kleine Rache an dir geübet habe. Bald war ich Willens, die Zänkerei mit der Frau v.W. wieder auszustreichen. Acht Tage lang würde ich über kemen von seinen Spaßen lachen, wenn ich nicht recht gut wäre. Doch ich bin wie die Frau v.W. ich vergebe den Leuten alles, wodurch sie mich beleidiget haben, aber ich sage ihnen erst die Wahrheit. Der Baron und ich sind wieder gute Freunde. Zur Strafe für seine Spöttereien, hat er mir alle meine Federn schärfen und angeloben müssen, nicht zu verlangen, daß ich ihm die Fortsetzung meines Briefes zeigen sollte. Das ist auch sehr gut für ihn, er würde nur seine eigne Schande darinne finden. Die Herren erschienen bei der Gasterei des Herrn v.W. eben nicht zu ihrem Vortheile; du weißt, daß[262] er seine Gäste gerne bezecht, mehr brauche ich nicht zu sagen. Doch nüchtern betrinkt man sich nicht leicht; ich will deswegen auch in meiner Erzälung die Gäste erst speisen lassen. Um zwei Uhr wurde zur Tafel geblasen. Geblasen? denkst du; in diesem Ausdrucke finde ich eben nichts wichtiges. Es soll auch kein witziger Gedanke seyn, der Herr v.W. ließ wirklich zu Tafel blasen, und zwar mit den Trompeten aus der Kirche. Dem Himmel sey Dank, dachte ich, ohne zu wissen, was dieser kriegerische Schall zu bedeuten hatte, da kommen Soldaten, nun ist Fräulein Julgen der Marter loß; wer wird bei dieser Unruhe auf die Ceremonien einer Eheverbindung denken. Doch zu meinem Verdruße wurde ich meines Irrthums gar zu bald gewahr. Wir traten in den Speisesaal. Ich zählte sechzehn Köpfe in der Geschwindigkeit, die Bedienten nicht mit gerechnet, lauter gute Freunde und Bekannte, außer dem Major von Ln. einen Anverwandten der Frau v.W., den ich noch nicht von Person kannte. Unser Oncle bekam seinen Platz neben dem Fräulein[263] v.W. bei der Tafel, Lampert vertrat die Stelle eines Hoffouriers, und wies jedem seinen Platz an. Hier sitzen Sie, gnädiger Herr, neben dem Fräulein v.W., schrie er, gleich und gleich gesellt sich, und lachte abscheulich. Das vortreffliche gleiche Paar! Fräulein Julgen hatte ihren besten Putz anlegen müssen. Wahrhaftig ein allerliebstes Mädchen! Sie muß nicht meine Tante, sie muß meine Schwester werden. Ich drehete mich, ehe wir uns setzten hin und her, um mit ihr ein Wort alleine reden zu können; es wollte sich aber nicht füglich thun lassen. Wir würden das Reden auch haben entbehren und einander doch verstehen können, wenn sie meine Gedanken so gut als ich die ihrigen errathen hätte. Die Backen glüheten dem guten Kinde vor Angst und Erwartung ihres Schicksals. Sie schlug fast immer die Augen nieder, und wagte es nur dann und wann, auf mich einen furchtsamen Blick zu thun. Ich wurde dadurch so gerühret, daß ich durch nichts anders, als durch eine Kritik über unsern Oncle, mich von einer merklichen Tiefsinnigkeit[264] befreien konnte. Ein seltsamer Mann in der That! Kennst du den Schulmeister in Wilmershaußen? Du würdest unsern Oncle davor angesehen haben, wenn du unvermuthet in das Zimmer getreten wärest. Ueber die Comödie! Er reitet in seinem rothen Galakleide, mit seiner englischen Knotenperucke, von dem Regenschirme seiner Schwester bedeckt, aus Kargfeld. Der Wind ist so unbarmherzig und reißt Wiganden den Schirm aus der Faust, der geputzte Liebhaber wird badennaß. Man bringt ihn, nach seinem lächerlichen Auftritte in Wilmershausen, zu Bette. Ueber die Beschickung im Hause, vergißt man andere Kleider aus Kargfeld holen zu lassen. Er schläft bis gegen Tischzeit, der Magister schnarcht auch bis zu unsrer Ankunft. Da war kein anderer Rath, sollte unser Oncle nicht im bloßen Kopfe erscheinen, oder dem Magister seine Sammtmütze abborgen; so mußte man den Schulmeister ersuchen, seine Stuzperucke, die sehr ins gelbe fiel, herzugeben. Du weist, daß der Herr v.W. und der Pastor ihr eigen[265] Haar tragen. Das kurze schwarze Kleid des Herrn v.W., und die hervorragende rothe Tressenweste, gaben ihm das feinste Ansehen. Das Kleid schien noch die Halbtrauer wegen der Frau Shirley anzuzeigen, vielleicht hatte er es auch um deswillen gewählet, und die rothe Weste sollte unfehlbar seine feurige Liebe gegen Fräulein Julgen abbilden.


Er sprach, so lange ihn der Wein noch nicht erhitzet hatte, wenig; was er aber sagte, das mußte mit einer Redensart aus dem Grandison gewürzet seyn, und wenn er keine fand, die seine Meinung ausdruckte, so sprach er durch Minen. Er lächelte, nickte oder schüttelte mit dem Kopfe, wie es etwan die Gelegenheit erforderte. Ich werde es ihm so bald nicht vergeben können, daß er mich einmal bei Tische roth machte, aus Verdruß wurde ich roth. Er fragte mich lächelnd, wie mir ein blauer Rock mit rothen Aufschlägen gefiel? Konnte ich eine so treuherzige Frage gleichgültig aufnehmen? Was muß der Major von Ln. dabei gedacht haben? Ich ärgerte[266] mich über die seltsame Frage, und noch mehr, da ich fühlte, das mir das Blut ins Gesichte stieg. Sie müssen diese Frage ihrer Aemilie vorlegen, die wird sie eher beantworten können als ich. Fräulein Fiekgen ist nicht da, sagte er, heute sind Sie meine Aemilie.


Der Baron überhob mich einer beschwerlichen Antwort, durch einen von seinen drei Hasen, welchen er lauffen ließ. Das ist eine geheimnißvolle Redensart, du weißt nicht, was ich damit, sagen will. Die Sache ist von Wichtigkeit, sie verdient eine Erklärung. Meine Schwester und ich baten den Baron, ehe wir nach Wilmershaußen fuhren, nochmals inständig, alle seine Kunst anzuwenden, das Fräulein von der gefahrvollen Versuchung zu befreien, die Hand unsres Oncles anzunehmen oder auszuschlagen. Dazu habe ich bereits die nöthigen Maasregeln genommen, sagte er. Ich will es, mit einer kleinen Veränderung, machen, wie Taubmann. Wenn das Fräulein v.W. von ihren Bollenbeißern[267] angefallen wird; wenn ich merke daß es Ernst werden soll; so werde ich einen Hasen lauffen lassen, ich werde die Unterredung auf so etwas lenken, darüber man gerne disputirt. Man wird auf eine kurze Zeit den Liebesantrag des Herrn v.N. vergessen, und nur streiten und trinken. Wenn ich sehe, daß sich die Gemüter wieder anfangen zu besänftigen; so werde ich eine neue Materie auf die Bahn bringen, darüber noch ärger gestritten wird, als über die erste, dabei müssen die Deckelgläßer nicht vergessen werden. So denke ich in zwo Stunden es so weit zu bringen, daß das Frauenzimmer über uns Männer etwas zu lachen bekommt, und an keinen Ehevertrag wird können gedacht werden. Drei Materien habe ich durchstudiret. Wenn Noth vorhanden ist, und ich anfange zu reden; so denken Sie nur,daß ich einen von meinen Hasen loßlasse, denn die ganze Gesellschaft hetzen wird.


Der Baron hielt sein Wort. Er sahe mich nicht sobald in einer kleinen Verlegenheit[268] über dem wunderbaren Betragen des Oncles; sie fiengen an etwas aus den Zeitungen zu erzälen. Er wußte sich hierüber so glücklich auszubreiten, daß wir in fünf Minuten die wichtigsten Anmerkungen über die jetzigen Zeitläufte hörten. Der Geist der Partheilichkeit mischte sich in das Gespräche, die Meinungen waren getheilt und es gab allerhand Streitigkeiten. Die Herren wurden so laut, daß man sein eigen Wort nicht mehr hören konnte. Ich habe mir noch nie die Sprachenverwirrung so deutlich vorgestellt, als bei diesem Geräusche. Alle sprachen zugleich, und suchten einander durch die Stärke der Stimme zu überwältigen, und keiner verstund den andern. Mir wurde ganz schwindelnd davon im Kopfe. Etliche kämpften stehend miteinander, etliche befreieten das rechte Ohr von der Perucke um desto genauer zu hören. Ich weiß nicht, ob dieser Lerm sobald würde seyn geendiget worden, wenn nicht das Geräusche einiger umgestoßenen Weingläßer einen kleinen Waffenstillstand verursachet hätte. Man fieng nun an mit weniger Hitze die Staatsund[269] Landesangelegenheiten zu beurtheilen. Der Schauplatz wurde verändert. Nach der Vorstellung eines hitzigen Kampfes erschien die ehrwürdige politische Versammlung aus dem Kannegießer. Man erforschte die Staatsmaximen der hohen Häupter. Man that Friedensvorschläge. Sie wurden verworfen. Man lieferte wieder Schlachten. Man belagerte Festungen. Wien hätte bald ein heftiges Bombardement von einer englischen Flotte ausstehen müssen. Man setzte Könige ab und ein. Mit einem Worte, man that alles, man entschied das Schicksal von Europa mit einem Thone, aus welchem nur Brehmen oder Götter reden können. Es gieng über diesen politischen Betrachtungen eine gute Zeit hin. Der leichtfertige Einfall des Barons hatte alle die Wirkung, die er sich davon versprochen hatte. Dieses war ihm aber noch nicht genug; er brachte zum Beschluß dieses scherzhaften Auftritts, die Gesundheit der hohen kriegenden Mächte aus. Es war dem Herrn v.W. und unserm Oncle ganz gelegen, daß solches mit dem großen[270] Deckelglase geschahe, so verdrüßlich auch die Frau v.W. darüber schien. Sie ist fein, und dabei sehr argwöhnisch; vermuthlich hatte sie schon einen gegründeten Verdacht auf unsern Schwager geworfen, daß er ihren Absichten hinderlich seyn möchte. Indessen konnte sie es doch nicht verhindern, daß ihr Herr und unser Oncle, da sie bei der Gesundheit der kriegenden Mächte sich ihrer eignen Feldzüge erinnerten, nicht wegen alter Freundschaft den Pokal zweimal ausleereten. Sie suchte deswegen ihre Angelegenheiten eiligst in Richtigkeit zu bringen. Sie druckte eine gnädige Mine nach der andern auf den Magister ab, um ihn zu bewegen, seinen Herrn aufzumuntern, daß er doch sein Wort anbrächte. Der Baron hatte sich aber ein eigen Geschäfte daraus gemacht, dem Magister immer etwas zuthun zu geben, um ihn abzuhalten, seinen Herrn an etwas zu erinnern. Er mußte vorschneiden, und die Regelmäßigkeit jedes Schnittes aus der Trenschierkunst beweisen. Er mußte griechisch reden, Künste machen, die Weingläser mit der Faust umwenden,[271] mit verkehrter Hand trinken und was dergleichen mehr war. Jedermann sahe auf den künstlichen Magister, und dieses verursachte ein allgemeines Stilleschweigen. Bei dieser kleinen Pause war die Frau v.W. so glücklich, ihm durch einen Wink ihre Sehn sucht, nach dem Anwerbungscomplimente unsres Oncles zu verstehen zu geben. Er war so witzig, daß er die Sprache dieser boshaften Frau verstund. Aus einem poßierlichen Gaukler verwandelte er sich, in einem Augenblicke, in einen ehrwürdigen Bartlett. Er griff mit einer sonderbaren Ernsthaftigkeit an seine Sammtmütze, und legte sie unter den Teller, als wenn er die Danksagung nach Tische sprechen wollte. Er sahe den Oncle starr ins Gesichte, und schien einem Entzückten ähnlich, der anfangen will zu prophezeihen. Sein Patron hatte aber mehr zuthun, als auf ihn Achtung zu geben, der Wein fieng schon an, bei ihm seine Wirkung zu thun. Die Sprache Grandisons hatte ihn verlassen. Er machte sich immer etwas mit Fräulein Julgen zu schaffen, er wollte zärtlich und witzig[272] seyn; er wollte sie auf eine feine Art im Gespräch unterhalten; es waren ihm aber alle Redensarten seines Herrn Gevatters entwischt, nur noch eine einzige blieb ihm getreu.


Wenn es mit ihren Begriffen, von der zärtlichen Empfindung für die Ehre bestehen kann, gnädiges Fräulein, so küsse ich Ihnen die Hand. Das möchte noch hingehen; aber wie gefällt dir das folgende Compliment? Wenn es mit ihren Begriffen, von der zärtlichen Empfindung bestehen kann, gnädiges Fräulein, so belieben sie doch etwas zu speisen. Sie sind gewiß zu feste geschnüret, daß gar nichts hinter will, machen Sie Sichs doch ein bisgen commode. Fräulein Julgen mußte, bei aller ihrer Angst und Unruhe, über diese feinen Sachen, die er mit einem recht bescheidenen, recht männlichen Wesen vorbrachte, heimlich lachen. Im übrigen spielte sie eine vollkommene Pantomime, über zwei Worte, die in ja und nein bestanden, habe ich den ganzen Tag nichts von ihr gehöret. Der Major, der, so viel ich weiß, sie noch nicht[273] kannte, muß sie für ein sehr einfältig Mädchen gehalten haben. Es ist wahr, sie schien sich selbst nicht gleich; aber kann man es seyn, wenn man in so kritischen Umständen sich befindet? Ueber die Bewegungen des Magisters verlohr sich bei uns beiden wiederum das Lachen. Sie suchte, durch einen flüchtigen ängstlichen Blick, bei mir Trost und Hülfe, und ich suchte solche selbsten bei unserm Schwager. Dieser hatte sich zum Unglück in eine Unterredung vertieft, bald kehrte er sich zu seiner Nachbarin zur rechten, bald zur linken Hand. Wir hatten eine bunte Reihe gemacht. Ich saß auf Kohlen. Der Baron schien einen kleinen Tummel zu haben, und Lampert wagte es nun, da der Oncle auf seine Minen nicht Achtung gab, Worte zu gebrauchen. Jezt, dachte ich bei mir, wäre es Zeit, daß der Baron wieder einen Hasen vorspringen ließ. Hören Sie, gnädiger Herr, sagte Lampert, gedenken Sie auch daran, was Herr Grandison der Große that, da er bei seiner Henriette –? Der Baron brach hier geschwinde das Gespräch mit seinen Damen[274] ab. Das bitte ich mir aus, Herr Magister, verschonen Sie den Herr Grandison mit dem Titel des Großen; ein Mann der keine Galle hat, ist nicht groß. Ihr Baronet mag ein guter ehrlicher Mann seyn; aber um den Namen eines großen Mannes zu verdienen, muß man die Welt bezwingen, oder doch bezwingen wollen. Alexander war groß, Pompejus war groß, und wie die Weltbezwinger sonst noch heißen mögen. Was rief unser Oncle, wollen Sie meinen Herrn Gevatter schimpfen? Lassen Sie mir das Ding bleiben, Herr Vetter, wenn Sie mein guter Freund seyn wollen, oder –.


Ich habe alle Hochachtung für ihren Herrn Gevatter, ich schätze ihn hoch; daß aber so ein kleiner dicker Schulmeister als ihr Lampert ist, dem Helden ihre Ehre stehlen will, um einem Privatmann damit zu bereichern: das leide ich nicht, und wenn ich darüber auf dem Platze bleiben sollte. Nun gieng das Disputiren von neuen an, der vorige Streit über Krieg und Friede war nur[275] ein Scharmützel, jezt kam es zu einer Schlacht. Baß- Tenor- Diskantstimmen, alles summte durch einander. Die Frau v.W. that alles, um diese Streitigkeiten beizulegen. Ihr Herr war eingeschlafen, und ließ sich durch kein Geräusche ermuntern. Lampert glühete vor Wein und Eifer, er wurde gegen den Baron unhöflich. In diesem hatte der Wein auch endlich über den Verstand die Uebermacht bekommen. Bald wäre dem armen Magister ein Weinglas ins Gesichte geflogen, wenn man solches nicht verhindert hätte. Einige Herrn warfen sich endlich zu Friedensrichter in diesen Zwiste auf. Nach einigen Schwierigkeiten wurden beide Theile besänftiget, und der Friede unter den Bedingungen wieder hergestellt, daß der Magister, wegen seiner Vergehungen, den Baron schriftlich um Verzeihung bitten, und dieser hingegen den Grandison auf der Stelle für einem großen Mann erkennen sollte. Dieser Vertrag wurde mit dem Deckelglase bestätiget. Die Frau v.W. konnte ihren Verdruß nicht verbergen, daß sie ihre Absicht noch nicht erreicht[276] hatte. Sie moralisirte ziemlich nachdrücklich über ihren Herrn Schwiegersohn; er ließ sich aber durch nichts aufbringen, und trank dann und wann ihre Gesundheit; doch einmal sagte er in seiner Begeisterung: Hören Sie auf zu keiffen, alte Frau Shirley. Unvergleichliche Henriette, was machen Sie denn mit einer so bösen Stiefmutter? Wollen Sie mich haben, so will ich Sie von dieser ungeheuren Frau befreien. Das war vortrefflich, es hätte nichts bessers zu Fräulein Julgens Befreiung können erdacht werden. Die Frau v.W. wurde dadurch so aufgebracht, daß sie, wider ihre Neigung, ihm ins Gesichte sagte: ihr Herr und sie, würden das Fräulein keinem irrenden Ritter geben, es möchte nun Ernst oder Scherz bei ihm seyn, so würde sie ihn nicht zum Schwiegersohne annehmen. Mein Herz wurde nun ganz leichte, unser Oncle verschlimmerte seine Sachen noch mehr, daß er über den Zorn der Frau v.W. heftig lachte. Sie sind doch meine Henriette, sagte er zu dem Fräulein, und sie würde einem derben Kusse nicht haben[277] entgehen können, wenn sie nicht dadurch vorgebogen hätte, daß sie ganz freundschaftlich bat, ihrer zärtliche Empfindung für die Ehre zu schonen.


Es war 6 Uhr da wir vom Tische aufstunden. Der Herr v.W. mußte zu Bette gebracht werden, unser Oncle und der Magister verschwanden auch. Die übrigen Herren tranken mit dem Frauenzimmer Coffee. Die Frau v.W. verließ uns keinen Augenblick, sie glaubte vielleicht, daß wir uns, in ihrer Abwesenheit, über sie lustig machen möchten. Der übrige Theil des Tages, wurde auf unsrer Seite sehr vergnügt zugebracht, ich wurde mit in ein Tarock gezogen, wir spielten bis um zehn Uhr. Der Oncle und Lampert kamen da wieder zum Vorschein, sie waren aber ganz unmunter. Den Herrn v.W. bekamen wir nicht wieder zu Gesichte. Wir nöthigten den Oncle mit in unserm Wagen zu steigen, er wollte mit aller Gewalt reiten. Am besten wäre es gewesen, er hätte seinen Rausch in Wilmershaußen ausgeschlafen. Ich wünschte,[278] daß ihn die Frau v.W. bitten sollte, da zu bleiben; doch sie war so verdrüßlich, so mürrisch, daß man es ihr ansehen konnte, daß ihr etwas nicht nach ihrem Sinne gegangen war. Beim Abschiede hatte Fräulein Julgen Gelegenheit, mir mit einem recht muntern, recht freudigen Wesen zu sagen, daß sie mir alles, was sie mir heute nicht mündlich hätte sagen können, bald schriftlich sagen würde. Vor einer Stunde brachte mein Mädchen ein Briefgen von ihr; ich habe es noch nicht gelesen; ich werde es aber meinem Briefe, wenn es etwas merkwürdiges in sich enthält, beifügen. Wir nahmen unsern Rückweg durch Kargfeld, um unsern schlafenden Oncle auszuladen.


Meine zwei Bogen sind nun wieder voll, und meine Hand ist so steif, daß ich sie fast nicht mehr bewegen kann. Ich bin von Herzen froh, daß ich mit meinem Gewäsche fertig bin. Habe ich dir, in der Sprache des Magisters zu reden, die Nuß in der Schaale geliefert, und allerlei überflüßige Dinge in meine Erzählung gemischt; so wirst du dir den[279] Zeitvertreib machen können, solche aufzubeissen, und den Kern heraus zu suchen. Ich bewundere mein glückliches Gedächtnis, daß ich diesen kleinen Roman, wie ich glaube, ziemlich getreu zu Pappiere gebracht habe. Jezt lege ich den fünften Bogen auf, um was sich zwischen hier und Sonnabends noch eräugnen möchte, denn eher werde ich mein Briefpaquet nicht siegeln, dir zu berichten.


Sonnabends den 22 September. Gestern haben wir einen Besuch in Kargfeld abgelegt. Unser Oncle ist krank, er hat einen heftigen Anfall vom Podagra bekommen, das sind die Nachwehen von dem Schmauße bei dem Herrn v.W. Er ist der unleidlichste Mann von der Welt. Da wir uns um sein Bette herumgesetzet hatten, und anfiengen, ihn die Reihe herum zu bedauren; so mußte ich einmal nießen. Er fieng darüber erbärmlich an zu schreien, als wenn ich ihm mit einem Hammer auf das podagrische Bein geschlagen hätte. Was das ärgste ist, so will er es nicht Wort haben, daß sich das Podagra bei ihm[280] einquartieret hat. Er würde sich kein Bedenken machen seine Beine in noch mehrere Küssen einzuhüllen, als er jetzo thut, gesetzt, daß er davon nicht den geringsten Anstoß hätte: wenn man ihn nur überzeugen könnte, daß Herr Grandison davon auch manchmal einige Beschwerung habe. Ich dächte, du ließest ihn mit nächsten an der Krücke der Frau Shirley herum hinken, und rühmtest dabei seine außerordentliche Gedult und seine Diät. Ich bin versichert, daß du unsern Oncle eher kuriren würdest, als alle Doktor und Apotheker in unsrer ganzen Gegend. Der Magister bewies aus verschiedenen Gründen, daß sein Gönner unmöglich das Zipperlein haben könnte, er gab der Unpäßlichkeit unsres Oncles einen verwünschten griechischen Namen, den ich vergessen habe. Der Baron hatte dasmal keine Lust mit ihm zu streiten; er behielt also, zu großer Beruhigung des Patienten, leichtlich Recht. Der schmerzhafte Fuß des Oncles, ließ nicht zu, daß er an seine Henriette denken konnte, und damit waren wir auch sehr wohl zufrieden. Vorgestern[281] hat ihn der Herr v.W. auf ein paar Stunden besucht, es scheint aber nicht, daß sie sich von der Heirath mit einander unterredet haben.


Du wirst einen Haufen Innlagen in meinem Briefe finden. Vorhin brachte Jeremias einen ziemlich dicken Brief, von dem Magister an den Doktor Bartlett. Ich bin so neugierig gewesen, und habe ihn erbrochen, du wirst mich desfalls schon bei dem Herrn Doktor entschuldigen. Unser Oncle ist ein wunderbarer Mann, alles Unglück das er hier anstiftet, soll sein Baronet wieder gut machen. Verschreibe ja nicht etwan den armen Bornseil, unser Oncle würde ihn dir mit Weib und Kindern schicken, der Baron will ihn gelegentlich versorgen. Wenn ich dir doch mündlich sagen könnte, daß du die aufrichtigste Freundin besitzest an


Deiner Schwester

Amalia v.S.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Erster bis dritter Theil, Band1, Eisenach 1760, S. 261-282.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Grandison der Zweite oder Geschichte des Herrn von N.
Grandison der Zweite oder Geschichte des Herrn von N.

Buchempfehlung

Neukirch, Benjamin

Gedichte und Satiren

Gedichte und Satiren

»Es giebet viel Leute/ welche die deutsche poesie so hoch erheben/ als ob sie nach allen stücken vollkommen wäre; Hingegen hat es auch andere/ welche sie gantz erniedrigen/ und nichts geschmacktes daran finden/ als die reimen. Beyde sind von ihren vorurtheilen sehr eingenommen. Denn wie sich die ersten um nichts bekümmern/ als was auff ihrem eignen miste gewachsen: Also verachten die andern alles/ was nicht seinen ursprung aus Franckreich hat. Summa: es gehet ihnen/ wie den kleidernarren/ deren etliche alles alte/die andern alles neue für zierlich halten; ungeachtet sie selbst nicht wissen/ was in einem oder dem andern gutes stecket.« B.N.

162 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon