IX. Brief.

Fräul. Amalia an ihren Bruder.

[46] Schönthal den 23. Mai.


Lieber Bruder,


Welche Veränderung in unserm Hause! Alles ist metamorphosiret! Kein Bedienter, kein Bauer darf meinen Oncle mehr gnädiger Herr, oder die alte Kunigunde gnädiges Fräulein nennen; sondern Sir und Lady müssen sie sprechen. Viele fragen den Magister um die Bedeutung dieser Titel; und dieser ist allemal bereitwillig, ihnen zu erklären, wie die Wörter a radice haben. Sein Dorf heist nicht mehr Kargfeld,[46] sondern N. hall. Wir hatten am Montage alle Mühe, ihn darzu zu bringen, daß er einen Brief annahm, auf welchen noch a Kargfeld gesetzt war. Wiganden hat er umgetauft und Jeremias genennet. Der feinste Einfall ist die Auszierung eines alten Ganges, welchen er nunmehro mit dem prächtigen Namen einer Bildergallerie beehret hat. Du weißt, daß nur wenige Personen von unsern Ahnen abgemahlt sind, damit aber die gemeldete Gallerie ganz besetzt werden möge, so stehen unter andern zusammengeraften Gemählden, auch der weinende Petrus, Aristoteles mit einem großen Buche, von welchem der Magister berichtet, daß es seine Metaphysic wäre, die heilige Veronica, der Kasten Noä, die Zerstöhrung Jerusalem, und Thomas Münzer mit darunter. Wigand mußte sie aufstellen helffen, und war so boshaft, einige grobe Einwürfe wider diese Ahnen zu machen; allein, mein Grandisonirender Oncle versiegelte seine kurze Antwort mit einer entsetzlichen Maulschelle, daß dem Kutscher die Lust, den Streit weiter zu treiben, vergieng.[47] Hast du Schurke jemals gehört, setzte er hinzu, daß Jeremias mit seinem Herrn so unverschämt sprechen darf? Wenn du Schlingel länger bei mir in Diensten seyn willst; so mußt du weit ehrerbietiger mit mir reden, woferne ich dir nicht deine schelmische Ohren abschneiden soll. Mit einem Worte, die Gallerie wurde fertig, und wir müssen in seiner Gesellschaft oft dahin gehen, und uns von ihm die Thaten dieser ehrwürdigen Ahnen erzählen lassen. Er selbst nimmt in Lebensgröße zu Pferde den ersten Platz ein. Damit aber sein heroisches Wesen recht natürlich gebildet wurde, so bestieg er seinen alten Fuchs, welcher drei Tage zuvor nicht eingespannt, vielmehr reichlich gefünert wurde, paradirte im Hohe herum, und der Mahler mußte die Anlage zum Bilde, unter freien Himmel verfertigen. Lampert wollte bei dieser Gelegenheit sich auch mahlen, und bei Münzern oder bei den Aristoteles stellen lassen; Allein seine Bitte wurde ihm rund abgeschlagen; doch erhielt er den Trost: ich will eine Bronze aus Sie machen lassen, und Sie in meine Bibliotheck stellen. Ich[48] nahm mir die Freiheit, ihn wegen der Unanständigkeit des Orts einige Vorstellungen zu thun; welche auch so kräftig waren, daß er das am Ende der Gallerie befindliche heimliche Gemach, sogleich mit eigener Hand versiegelte. Hier, sprach er, ist das Medaillencabinet von der Olivia befindlich, welches ich nach und nach in eine bequemere Stelle bringen werde.

Das rühmlichste bei seiner Nachahmung ist die Bestimmung einer Stube zur Hauscapelle, worinne Abends Betstunde gehalten wird, und wobei Lampert die Stelle des Dr. Bartletts vertritt. Jedermann erfreuet sich darüber: denn du weißt, daß er sonst niemals von Beten und Singen ein großer Liebhaber gewesen.

Kargfeld, den 25. Mai, früh 7. Uhr. Den Augenblick reiset mein Oncle mit dem Jeremias fort, wir fragten ihn ganz zärtlich: wo er hin wollte; allein wir bekamen keine Antwort als diese: ich habe auf meinen Irrländischen Gütern eine Verbesserung vorzunehmen.[49] Wir thaten während seiner Abwesenheit einen Spaziergang. 11. Uhr. Ums Himmelswillen! da kommt Jeremias mit dem Wagen. Was muß er in aller Welt aufgepackt haben? wir liefen alle an die Fenster, und Fräulein Kunigunde schrie: Wigand, was bringst du hier? Es ist eine Orgel, gnädige Lady.


Tante. Was willst du damit? du führst sie an unrechten Ort.

Wigand. Nein, Mylady, unser gnädiger Herr hat sie der Gemeine zu Daasdorf abgekauft: weil dort eine neue gebauet wird.


Indem kam Grandison der zweite auch; und da er uns insgesammt erblickte: so sagte er: nun, Kinder, soll unser Schloß bald ein Grandisonhall werden. Siehst du wohl, Schwester, daß ich ein Musiczimmer anrichten will? Friedrich, lauf sogleich zum Cantor, und hole ihn anbei, er soll die Pfeiffen vorsichtig abpacken, und die Sache in Ordnung bringen. Sie aber, Herr Magister, welcher[50] eben stand, und in eine große Orgelpfeiffe blies, sagte er, können ihm behülflich seyn, damit ein jedes Stück recht orthodox an seinen Ort gebracht werde.

Es wurden auch sogleich zwei Bauern beordert, welche die Bälge zur Fröhne anbei fahren mußten. Das schlimmste ist, fuhr er fort, daß ich die Orgel nicht spielen kann, sonst wollte ich, wie Sir Carl, zuweilen in das Musiczimmer gehen, und eine Cantate aborgeln.

Den 26ten. Bald wird die sogenannte Kinderstube in ein prächtiges Musiczimmer verwandelt seyn. Die Mägde haben ausziehen und in eine andere Stube wandern müssen. Die Instrumente, womit selbiges ausgezieret ist, sind:


1.) Ein altes Clavier, das ist der Flügel, worauf seine künftige Henriette spielt.

2.) Eine Violine, woran die Quinte fehlt.

3.) Ein Baß, welchen mein Oncle von einen Adjuvanten für zwei Martinsgänse angenommen.[51]

4.) Eine Trommel, diese gehört aber eigentlich zum Landregimente.


Die Orgel ist noch nicht gesetzt; der Orgelmacher aber ist verschrieben. Auf die künftige Woche soll alles im Stande seyn: da wir denn sämmtliche große Veränderung einweihen werden. Nur der Schulmeister ist mit seiner neuen Stelle, als Hoforganiste, nicht zufrieden. Du wirst seine Zweifel im beiliegenden Briefe lesen. Wir führen bei diesem reißenden Strohme der Thorheiten, welchem sich nunmehro Niemand widersetzen kann, das angenehmste Leben, und wünschen dir ein gleiches.

Amalia v.S.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Erster bis dritter Theil, Band1, Eisenach 1760, S. 46-52.
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