Kurze Nachricht

des Herausgebers,

Von den Personen, welche in gegenwärtiger Geschichte vorkommen.

von N. ein alter Edelmann, der von Jugend auf einen Ansatz gehabt hat, ins Wunderbare zu fallen. Sein blasses Gesicht, und eine angenommene Soldatenmine, nebst einem langen und hagern Körper, machen ihn etwas unleidlich. Widersprechen darf ihm keine Seele. In seinem Alter kam er über die Geschichte Sir Carl Grandisons. Es überfiel ihn, diesen Engländer nachzuahmen. Nunmehro kann er nicht geheilet werden.

Fräulein Kunigunde von N. des vorigen Schwester, ein altes Knochengebäude, die weiter kein Leben, als nur noch in der Zunge hat. Sie ist zwar erst 56. Jahr alt; will aber dennoch unverheirathet bleiben, und die Wirthschaft ihres Bruders besorgen.

Baron von F. ein heimlicher Satiricus, und Kunstrichter von dreizehn umliegenden Dörfern. Er hat seinen Scherz mit allen benachbarten Edelleuten: indessen lenkt er manchen von ein paar ausgesuchten Thorheiten ab, und verdienet dadurch den besten Neujahrswunsch seines Herrn Pfarrers.

von S. ein Neveu des Herrn von N. Sonst war er sehr munter. Er soll sich aber in fremden Ländern stark geändert haben. Gegenwärtig ist er in Londen.

Fräulein Amalia von S. des vorigen Schwester. Sie hat alle Tugenden und alle Fehler ihres Bruders, und macht sich mit ihrem Oncle lustig.

Fräulein Juliane von W. die liebenswürdigste und tugendhafteste Person, die ich kenne. Die Ränke ihrer Stiefmutter haben sie etwas gebeugt; sonst würde sie bei jeder Gelegenheit munterer erscheinen.

Herr von W. seiner ersten tugendhaften Gemahlin ihr Tirann, und der zweiten bösen ihr Sclave. Er hat einen vortreflichen Magen und die besten Zähne von der Welt.

Frau von W. des vorigen wilde und mit der ganzen Welt unzufriedene Gattin. Sie hat Muth, und versteht die Kunst, ihre reizende Stieftochter zu martern.

Magister Lampert Wilibald, ordentlicher Lehrer der Hochadlichen Jugend zu Kargfeld. An diesem theuern Rüstzeuge hat die Natur alles gethan, was sie an einem Magister thun konnte, der nicht boshaft widerstrebte. Er ist klein, aber dick, und da ich dieses schreibe, hat er drittehalb geometrische Schuh im Durchmesser. Er versteht die Kunst, einen seltsamen Katzenbuckel zu machen, und damit seinen Gegner, im Disputiren, aus der Fassung zu bringen. Uebrigens leitet er den Geschmack auf dem Hochadlichem Hofe, und schickt sich vollkommen zu seinem Principal.

Magister Wendelin, der Herr Pfarrer zu Kargfeld, ein kreuzbraver Mann. Wenn er das Podagra nicht hat, so ist er ziemlich ausgeräumt, und belustiget sich an

Jungfer Sanchen, seiner Tochter, einem angenehmen und brauchbaren Mädchen. Magister Lampert hat sie zu seiner Clementine ausersehen, und will sie gern in den Roman ziehen; bekömmt aber wider sein Vermuthen – – –.

Lorenz Lobesan, ein stöckischer Schulmeister zu Kargfeld. Er wurde gebohren, wie er sagt, da der Türke vor Wien lag. Sein Großvater starb vermöge des damaligen großen Kometens. Ob gleich unser Lorenz dem erbaren Schneiderhandwerke geweihet wurde; so hatte er dennoch erhabenere Absichten, und ein gut Theil Schelmerei in seinem Kopfe. Er lief seinen Eltern davon, und wurde bei dem Vater des Herrn von N. Laquai; welcher ihn endlich zur Belohnung seiner Dienste zum Schulmeister machte. Er führt einen sehr exemplarischen Lebenswandel und hat von Natur ein casuistisches Gewissen. Der Himmel erhalte unsern Lobesan noch lange!

Jeremias, sonst Peter Wigand genannt, ein alter lustiger Kutscher des Herrn von N. Magister Lampert hat schon verschiedene Jahre an diesem Schlingel gebessert; aber er kann ihn noch nicht recht fassen.

Nicolaus Brumhold, der Barbier zu Kargfeld. Wenn ihn ein Bauer beleidigt, so schiert er den Bösewicht Sonnabends wider den Strich. Er versteht, außer seiner Barbierkunst, die Chirurgie, und thut an Menschen und Vieh trefliche Curen.


Mehr braucht der Leser von keiner Person zu wissen, wenn er den ersten Theil dieser Geschichte lesen will. Magister Lampert würde freilich viele Züge in diesen Schildereien für falsch erklären, und sich als ein anderer Theophrast folgendergestalt darüber heraus lassen:


Sir Ehrhard Rudolph von N. ist die Blume und Zierde aller deutschen Ritter. Sein Gesicht ist männlich, und dabei doch angenehm. Ob er gleich schon viele Jahre auf dem Buckel hat; so wird er dennoch von einem heroischen Feuer belebt, das Helden eigen ist. Er liebt mich, und andere grundgelehrte Männer, von Herzen, und ist, seit einem halben Jahre, gegen das Frauenzimmer nicht unempfindlich.

Lady Kunigunde von N. ist etwas beißig, und macht ihrem Herrn Bruder und mir, mit abgenöthigten Vertheidigungen, viel Mühe. Glaubte ich die Seelenwanderung; so würde ich behaupten, daß Doctor Eckens seine Seele in die alte Kunigunde gefahren wär.

Baron von F. ist ein wenig superklug, ob er gleich weder Griechisch noch Hebräisch kann. Ich habe ihn ein paar mal zwischen den Sporen gehabt; und seitdem hat er sich nicht mehr an mich gewagt. Außerdem sind wir ganz gute Freunde.

von S. dieser junge Baron hat mir viel zu danken. Ich war sein Mentor, und wußte das natürliche Feuer bei ihm durch verschiedene Kunstgriffe zu mäßigen. In Hebräischen und andern morgenländischen Sprachen, habe ich ihm freilich nicht weit bringen können; doch kann er desto mehr lateinisch. Er schreibt manchmal mit vieler Hochachtung an mich.

Fräulein Amalia von S. ein loses, loses Ding! Sie macht so gar mit mir ihren Spaß; aber ich kann nicht böse werden: denn sie ist ein allerliebstes Fräulein; und so war sie schon ehedem, da sie noch meinen Hörsaal besuchte.

Von W. ein guter Mann, und ein guter Christ. Von Sorgen wird er niemals grau werden. Er kann in unserer Grafschaft das meiste essen und trinken, und schläft so lange, bis ihn wieder hungert. Seinen Namen kann er nicht schreiben.

Lady W. eine belebte und muntere Dame. Sie hat ein Maul wie ein Schwerd. Sie erzieht ihre Töchter sehr vernünftig, und ist in allen Dingen so billig und gerecht, wie ein Corpus iuris.

Fräulein Juliane von W. ein stilles gutes Kind: ja, ich würde sie noch mehr loben, wenn sie sich nicht zuweilen ihrer Frau Mama widersetzte. Sie ist noch jung; ein gesetzter und vernünftiger Mann kann bei ihr noch etwas ausrichten.

Magister Wendelin, Pastor Loci. In seinem Amte ist er ganz wohl zu gebrauchen; in schweren Wissenschaften aber giebt er mir den Vorzug. Ich habe indessen meine Ursachen, wenn ich mit ihm nicht disputire: denn

Jungfer Sannchen ist seine Tochter, und meine Clementine. Ha! ha! ha! O Liebe, wie bezauberst du mich! Tange Chloen femel arrogantem! dulce ridentem Lalagen amabo, dulce loquentem.

Lorenz Lobesan, ein serpentischer Schulmeister. Kein Händel ist er zwar nicht; er kann aber zehn andere Kerls überschreien.

Jeremias könnte weit besser seyn, wenn er meinen Lehren nachlebte, und den Kutschern in Großbritannien nachahmte. Mein Commentarius über den Grandison wird meinem Herrn und ihm gute Dienste thun.


So würde Magister Lampert reden, wenn er eine Vorrede schreiben sollte.

Doch, nichts mehr von ihm! In der Geschichte wird er eine Hauptperson spielen, und sich näher zu erkennen geben.

Wir legen der Welt kein Gedichte vor Augen; so erdichtet auch die Geschichte Sir Carls ist. Die hierinne vorkommende Personen leben, und befinden sich wohl. Hat nicht Jedermann das Recht, nach seinen Grundsätzen zu handeln? Meine Freunde haben zeithero die Möglichkeit, Sir Carln nachzuahmen, bestritten.

Sie haben Recht. Niemals aber wird es an Leuten mangeln, welche dem Herrn von N. und Magister Lamperten ähnlich zu werden, fähig sind. Lorenze und Wigande giebt es ohnedem in allen Städten und Dörfern.

Es werden künftig noch mehrere Personen vorkommen, die aber dem Leser zuvor sollen geschildert werden. Am Ende will ich mich mit Namen nennen. Den 9ten Septembr. 1759

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Erster bis dritter Theil, Band1, Eisenach 1760.
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Grandison der Zweite oder Geschichte des Herrn von N.
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