III. Brief.

Der Herr v.W. an den Herrn v.N.

[6] Wilmershausen, den 19 Sept.


Du hast schön Zeug mit deinem Briefe gemacht. Weißt du denn nicht, daß ich nicht schreiben kann, und daß meine Frau alle Briefe erbricht, die an mich einlaufen? Diesen Brief schreibt mir mein neuer Verwalter, sonst würdest du niemals eine Antwort erhalten haben. Meine Frau war, wie du leicht denken kannst, bei Erbrechung deines Briefes außer sich. Sie gab eine ganze Salve von Flüchen; riß in der Bosheit ihr Nachtzeug ab, und warf es in eine Ecke. Niemals werde ich den Auftritt vergessen. Höre was sie sagte: so ein alter verfluchter Bärenhäuter will sich über mich aufhalten! mich prügeln, wenn ich seine Frau wäre! und hat mich noch darzu mit dem Major im Verdachte! die Augen will ich dem[7] Hunde auskratzen. Ich versuchte zwar, dich zu entschuldigen, und sie zu besänftigen; allein nun fieng sie auch mit mir an, warf mir meine Einfalt, Faulheit und noch andere Dinge vor, die ich nicht gerne erzählen will. Den Augenblick, sprach sie, fordern sie den alten Kerl heraus, wenn sie noch für sechs Pfennige Courage im Leibe haben; sie müssen sich mit ihm schlagen, oder ich lasse mich von ihnen scheiden.

Fürchte dich nicht Bruder, ich werde dich nicht heraus fordern. Beiläufig siehest du, daß aus der Heirath mit meiner Juliane nichts werden wird. Meine Frau ist zu sehr aufgebracht. Ich bin müde, weiter zu dictiren. Mache was du willst.

v.W.


N.S. Ich höre, daß meine Frau alleweile einen Boten an den Major absendet. Gott wende alles zum Besten!

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite,Erster bis dritter Theil, Band 2, Eisenach 1761, S. 6-8.
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