V. Brief.

Magister Lampert an den Doctor Bartlett.

[11] Ich sehe aus einen Schreiben unsers jungen Cavaliers, daß Ew. Hochwürden meinen Namenstag in Grandisonhall feierlich begangen haben.


Theuerer und schätzbarer Gönner, womit verdiene ich eine solche Gewogenheit? Ich bin gerührt, und es fehlet mir an Worten, Ihnen die dankbarsten Empfindungen meines Herzens abzuschildern. Nehmen Sie[11] hier einen Abriß der merkwürdigsten Umstände meines Lebens hochgeneigt an. Sie können es der Königl. Societät der Wissenschaften in meinen Namen überreichen. Ich arbeite gegenwärtig an einem großen Werke.1 Aus Dankbarkeit will ich es gedachter Gesellschaft dediciren.


Ich komme nunmehro zur Sache selbst, und liefere Ihnen: memoires pour servir a l'histoire de Monsieur Lampert Vilibald, oder Denkwürdigkeiten der Lampertischen Geschichte. Ich Lampert Wilibald bin unter freiem Himmel zwischen Weißenfels und Merseburg auf der sogenannten Michelshöhe den 29 Februarius 1716 gebohren worden.


[12] Scholion I. Meine Aeltern waren eben auf der Reise. Meine Mutter glaubte nicht, daß ihre Niederkunft so nahe sey; sie wurde also übereilt und nachhero auf einem Karn nach Rosbach gebracht, welcher Ort nunmehro in allen Theilen der Welt bekannt worden ist.


Schol. II. Das Jahr 1716 war ein Schaltjahr. Da ich nun eben den 29 Febr. das Licht der Welt erblickte; so kann ich meinen Geburtstag nur alle vier Jahr feiern, welches auch künftiges Jahr 1760 wenn ich anders noch lebe, zu Kargfeld geschehen wird.


§. 2.


Nachdem meine Mutter ihre sechs Wochen zu Rosbach gehalten hatte; so packte sie mich fein säuberlich in einen Korb, und trug mich nach Hause.


§. 3.


Im sechsten Jahre meines Alters führte mich mein Vater in die zu Dürrenstein befindliche[13] Schule, in welcher ich in allen unterrichtet wurde, in quibus puerilis aetas impertiri debet. Nep. in Attic.


Schol. Der Schulmeister war zugleich ein Metzger; sonst aber sang er einen guten Baß durch die Fistel, und schnitt auf Baurenhochzeiten so manierlich vor, als ein Trabizius. Der gute Mann prophezeihte immer, daß ich meiner klugen Reden wegen frühzeitig sterben würde; es ist aber nicht eingetroffen.


§. 4.


Ich hatte indessen eine unüberwindliche Neigung zu den Wissenschaften; ich machte mir heimlich eine Peruque von Werg; ich war allemal der Gerichtsdirector unter den andern Jungen; und wenn sich einer widerspenstig bezeigte, so peitschte ich ihn, daß er hätte Oel geben mögen. Dieses letztere ist mir desto leichter zu vergeben: weil Cyrus in seiner Jugend dergleichen auch gethan. Nunmehro änderten sich die Umstände zu meinem Vortheile,[14] und ich kam von Dürrenstein weg.


Schol. I. Mein Vater war ein wirklicher Polyhistor. Er riß Zähne aus und setzte Zähne ein; stach den Star; verschnitt den Bauern die Haare und mußte dem Schulzen seinen Bart scheeren. Er konnte aus der Tasche spielen, und tanzte meisterlich auf dem Seile.


Schol. II. Dieser mein Vater nun sollte dem Schulmeister einen Zahn ausziehen; er kam aber über den unrechten, welchen der ehrliche Mann noch brauchen wollte. Dieser albere Streich machte den Küster so wütend, daß er meinen Vater in die Haare fiel, und ihm also Gelegenheit gab, den Cantor tüchtig abzuprügeln. Sie giengen in dem Entschlusse auseinander, niemals wieder Freunde zu werden, und ich wurde sogleich aus der Dorfschule genommen und nach G. in das Gymnasium gebracht.
[15]

§. 5.


Auf diesem Gymnasio habe ich bis 1736 alle Classen durchritten. Ich gieng in die Currente; wurde famulus communis, fraß täglich drei Pfund schwarz Brodt und bewieß in meiner Abschiedsrede: Daß Johannes in der Wüsten keine Heuschrecken, sondern Krebse gegessen habe.


§. 6.


Nunmehro begab ich mich also nach H. Wer kein Vermögen hat, muß sich hier durchfressen. Dieses that ich auf die feinste Art von der Welt. Außerdem disputirte ich zweimal publice und schlug mich sechsmal privatim; wurde aber nur ein einziges mal von einem M. verwundet. 1740 erlangte ich die Würde eines Magisters, welche ich noch mit Ruhme trage.


Schol. Ich führe noch bis dato von obiger Schlägerei eine ansehnliche Narbe als ein Ehrenzeichen auf dem linken Backen.
[16]

§. 7.


In gemeldetem Jahre starb mein Vater. Was sollte ich nun thun? ich begab mich auf die Wanderschaft. Die Haare würden Ihnen, verehrungswürdiger Gönner, zu Berge stehen, wenn ich meine verdrüßlichen Begebenheiten auf dieser Reise erzählen wollte. Hunger und Durst mußte ich ausstehen. Wie viel mal habe ich unter freiem Himmel schlafen müssen! Die Handwerksgenossen waren nicht allemal so höflich, als ich glaubte, daß sie seyn sollten. Für mich war also nichts weiter zu thun, als daß ich 1742 unter die Königl. Preußl. Husaren gieng, und mir einen Bart wachsen ließ. Zum Unglück sahe mein Rittmeister in dem ersten Feldzuge ein, daß ich zu keinem Soldaten gebohren war. Ich bekam meinen Abschied, und gieng voller Verzweifelung nach Dürrenstein. Hier hatte der Himmel für mich gesorgt. Der Hr. von N. brauchte einen Informator, und fand in mir alle Eigenschaften eines solchen Mannes.
[17]

§. 8.


Hier habe ich verschiedene Junkers und Fräuleins erzogen. Die benachbarten Edelleute erfuhren meine Geschicklichkeit, und thaten ihre Kinder bei meinem Herrn Principal in die Kost. Ich machte mich also eben so berühmt, als Melanchthon und Trotzendorf ehedem gewesen waren.


§. 9.


An Vermögen fehlt es mir nicht. Die Menschen, welche um mich sind, haben von Natur muntere Seelen. Alles lacht und scherzt. Nur mein gnädiger Patron hat manchmal ernsthaftere Gedanken; Fräulein Kunigunde lacht schon seit 30 Jahren nicht mehr: die andern aber sind desto lustiger. Die beständigen Abwechselungen machen, daß ich mich zeithero nach keiner Pfarrstelle gesehnt habe. Nur eins liegt mir im Kopfe: ich seufze nach Hanchen ihrer Gegenliebe. Der unempfindlichste Stoiker müßte bei dem Anblicke dieses reizenden Mädchens verliebt werden. Vielleicht[18] ändert sich ihre Gesinnung, wenn ich nach den Versprechen meines Principals ihrem Vater im Amte nachfolge. Wo nicht – – doch es muß seyn, es muß seyn.


Von Natur bin ich ein Sanguineo cholericus. Das Geld ist mir gleichgültig; ich ziehe die Lustbarkeiten dem Besitze der ganzen Welt vor.


Hier haben Sie also, theuerster Gönner, eine kurze Nachricht von meinen Lebensumständen. Sollten Sie diese memoires der Königl. Societät vorlesen; so melden Sie mir doch, was für Urtheile darüber gefällt werden. Doch diesen letztern §. den ich blos zu Ihrer Nachricht beygefüget und auf ein besonders Blatt geschrieben habe, werden Sie vorhero schon davon thun. Ich bin stark Willens, eine Academie im kleinen, auf dem Rittersitze meines Hrn. Principals, anzulegen. Die schönen Künste sind ja Kinder des Ueberflusses. An Essen und Trinken mangelt es uns nicht, und ich habe den Hrn. von N. welcher[19] den Witz eines großen Mannes besitzt, bereits darzu aufgemuntert. Es sollen vier Classen geordnet werden. Die erste wird sich mit der Landwirthschaft beschäftigen. Erfahrne Verwalter und Bauern können hierinnen nützliche Mitglieder abgeben: denn diese Männer verstehen von der Oekonomie mehr als die Gelehrten. Die zweite Classe ist der französischen und lateinischen Sprache gewidmet; die dritte aber tractirt Staatssachen. In diesen beiden sollen Pastores, Mamsells und politische Kannengieser angenommen werden. Die vierte heißt die musicalische. Der Grund ist bereits gelegt: denn es wird wöchentlich bei uns Concert gehalten. Vor drei Wochen ließ sich ein reisender Schulmeister auf der Orgel hören. Mein Principal verehrte ihm ein paar lederne Hosen, die ihm sehr nöthig und angenehm waren. Ich denke, es sollen mehrere Virtuosen kommen. Da ich Willens bin, den ersten Präsidenten in der Akademie vorzustellen, so werde Ew. Hochwürden in kurzem nähere Nachricht durch den ordentl. Secretair,[20] von dem Erfolge der Sache, geben lassen; bleibe indessen mit Hochachtung


Dero

gehorsamster Diener

M. Lampert Wilibald.

Fußnoten

1 Es ist eigentlich ein allgemeines historisches Lexicon aller Magister, welche seit der Reformation in Deutschland gelebt, und sich entweder durch Kinderzeugen oder Bücherschreiben, berühmt gemacht haben. Dieses Werk wird ohngefehr 30 Alphabete stark werden, und in Leipzig herauskommen.


Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite,Erster bis dritter Theil, Band 2, Eisenach 1761, S. 21.
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