Karl Liebknecht – Rosa Luxemburg
ermordet am 15. Januar 1919

[158] Zieht euch die Kappen tiefer ins Gesicht,

wenn ihr an diesem trüben Wintertage

zur Arbeit schleicht.

Wie, Proletarier? Quälen euch die Sorgen,

ob ihr mit euerm Lohn die Woche reicht

und ob man mit der kargen Tüte nicht

euch die Papiere in die Hände schiebt?

Ihr seid es ja gewöhnt zu sehn,

wie Frau und Kinder hungern, die ihr liebt.

Vielleicht

steht morgen der Betrieb schon still.

Wenn es der Fabrikant so will,

wenn er euch nicht mehr braucht,

weil eurer Arbeitskraft Gewinnst

sich ihm nicht mehr nach Wunsch verzinst,

dann stellt euch mit Millionen Arbeitslosen

auch ihr in Frost und Not,

betrogen um der Kinder Brot,

vor Kirchentüren, winselnd um Almosen

und bis zum Knöchel watend in die Pfützen.

Vielleicht

schmeißt irgendwer euch einen Bettel in die Mützen.

Zieht euch die Kappen tiefer ins Gesicht.

An diesem Wintertag sind's sieben Jahre –

da schlug man euer Hoffen auf die Bahre.

Vergeßt es nicht!

Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg – sie wußten:

Freiheit und Glück wächst nur aus starker Tat!

Sie starben für das Proletariat ...

Doch, sollen sie darum gestorben sein

und alle, die nach ihnen sterben mußten –

darum schlöss' Tausende das Zuchthaus ein,

daß, Proletarier, ihr nach sieben Jahren,

dem Wucher mehr als je verknechtet,[159]

als Paria der Republik entrechtet,

hilflose Sklavenscharen

den Mördern eurer Helden dienstbar seid?

Nein! Streift die Kappen hoch aus dem Gesicht!

Laßt Licht,

laßt Hoffnung in den Blick! Faßt Mut!

Schaut vor euch und ergebt euch nicht dem Leid!

Schwört euern Toten, die für euch gefallen,

schwört bei der Besten ungerächtem Blut –

und laßt zum Eid die roten Fahnen wallen:

Die Revolution, sie ist nicht verloren.

Das Elend mahnt uns, uns zu befrei'n.

Die Stunde ist nah – wir haben geschworen –:

Ihr Toten, wir woll'n eure Rächer sein!

Quelle:
Erich Mühsam: Ausgewählte Werke, Bd.1: Gedichte. Prosa. Stücke, Berlin 1978, S. 158-160.
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