Vierundzwanzigste Erzählung.

[198] Ein junger Edelmann liebte eine Königin, die ihm eine Probezeit von sieben Jahren auferlegt, nach deren Verlauf der Edelmann sie zurückweist.


An dem Hofe eines Königs und einer Königin von Kastilien, deren Namen ich nicht nennen will, gab es einen Edelmann, der so schön von Gestalt und so liebenswürdig war, daß man in ganz Spanien nicht seinesgleichen fand. Jeder bewunderte seine Tugenden, aber noch mehr erstaunte man über seine Sonderbarkeiten, denn niemals erfuhr man, daß er eine Dame liebte oder ihr Ritterdienste leistete, und obgleich es am Hofe Viele gab, die solche Reize besaßen, um selbst Eis zum Brennen zu bringen, war doch keine unter ihnen, welche diesen Edelmann, namens Elisor, gefangen nehmen konnte. Die Königin, welche eine sehr tugendhafte Frau, aber doch von derjenigen Flamme nicht ausgeschlossen war, welche um so mehr brennt, je weniger man sie gewohnt ist, wunderte sich sehr über diesen Ritter, welcher keiner ihrer Damen diente, und fragte ihn eines Tages, ob es möglich sei, daß er so wenig Liebe fühle, wie es den Anschein hätte? Er antwortete, daß, wenn sie sein Herz so gut kennen würde, wie sein Gesicht, sie diese Frage nicht stellen würde. Da sie nun durchaus wissen wollte, was er meinte, drängte sie ihn so sehr, daß er ihr endlich gestand, er liebe eine Dame, welche er für die tugendreichste der ganzen Christenheit halte. Darauf versuchte sie durch alle erdenklichen Bitten und Befehle zu erfahren, wer es sei, doch ohne daß es ihr gelang, so daß sie sich stellte, als sei sie sehr erzürnt über ihn, und schwor, sie würde nie wieder ein Wort mit ihm sprechen, wenn er seine Dame nicht nenne; er war also gezwungen, ihr zu antworten, daß er eben so gern sterben, als das thun wollte. Da er aber sah, daß er ganz in ihre Ungnade verfallen würde, wenn er weiter eine Wahrheit verhehlte, die so ehrenwerth war, daß sie von Niemand übel genommen werden konnte, sagte er ihr mit großem Zagen: »Edle Frau, ich habe weder den Muth noch die Kraft, sie Euch zu nennen; aber wenn Ihr das nächste Mal zur Jagd geht, werde ich sie Euch zeigen, und ich bin überzeugt, Ihr werdet sie für die schönste und[199] vollkommenste Frau auf der Welt halten.« Die Folge war, daß die Königin viel früher zur Jagd ritt, als sie es unter anderen Umständen gethan hätte. Elisor wurde davon benachrichtigt und bereitete sich vor, ihr, wie gewöhnlich, dabei seine Dienste zu widmen. Er ließ sich einen großen Stahlspiegel in Form eines Küraß machen, und nachdem er ihn vor die Brust geschnallt hatte, deckte er ihn sorgfältig mit einem schwarzen, kunstreich mit Gold bestickten Mantel zu. Er ritt ein kohlschwarzes Pferd, das wohl behängt und gezäumt war und dessen Geschirr ganz mit maurischer Arbeit vergoldet und emaillirt war. Er selbst trug einen schwarzseidenen Hut, auf welchem sich ein reiches Bild befand, einen Amor darstellend, dem die Augen verbunden waren, das Ganze reich mit Edelsteinen besetzt. Degen und Dolch waren nicht minder trefflich und schön und trugen gleich gute Devisen.

Kurz und gut, er sah sehr schön aus, besonders zu Pferd; er wußte es so gut zu handhaben, daß alle, welche ihn sahen, die Jagd außer Acht ließen, um die Kunststücke und Sprünge zu bewundern, die er sein Roß vollführen ließ. Nachdem er unter den eben beschriebenen Wendungen und Sprüngen die Königin bis zu dem Ort geleitet hatte, wo die Netze aufgestellt waren, stieg er ab und kam zu der Königin, um ihr vom Pferde zu helfen. Während sie ihm die Arme entgegenstreckte, öffnete er seinen Mantel vor der Brust, und indem er ihr behülflich war abzusteigen, zeigte er ihr seinen Spiegel-Küraß und bat sie, dorthin zu blicken. Ohne eine Antwort abzuwarten, ließ er sie dann sacht zur Erde gleiten. Nach beendeter Jagd kehrte die Königin nach dem Schloß zurück, ohne mit Elisor zu sprechen; aber nach dem Abendbrot rief sie ihn zu sich und sagte ihm, er sei der größte Lügner, den sie je gesehen habe, denn er hätte versprochen, ihr auf der Jagd die Dame seines Herzens zu zeigen, und das habe er nicht gethan, und sie sei nun entschlossen, sich garnicht mehr um ihn zu kümmern. Elisor, welcher fürchtete, daß die Königin ihn nicht verstanden habe, antwortete, daß er sein Wort wohl gehalten habe, denn er habe ihr die Frau, welche er über alles liebe, gezeigt. Sie die immer noch die Unwissende spielte, sagte, so viel sie wüßte, habe er ihr keine einzige ihrer Damen gezeigt. »Das ist wahr«, sprach Elisor, »aber[200] was habe ich Euch gezeigt, als Ihr vom Pferde stiegt?« »Nichts«, sagte die Königin, »ausgenommen einen Spiegel vor Eurer Brust.« »Und was habt Ihr in diesem Spiegel gesehen?« »Nur mich allein«, antwortete die Königin. Darauf sprach Elisor: »Nun also, edle Frau, ich habe Eurem Befehl gehorcht und mein Versprechen erfüllt, denn niemals wird ein anderes Bild in meinem Herzen wohnen, als das der Frau, welche Ihr in meinem Spiegel gesehen habt, und diese will ich lieben, verehren, anbeten, nicht wie eine Frau, sondern wie Gott auf Erden, und in ihre Hände lege ich Tod und Leben. Nun bitte ich Euch, laßt meine große und vollkommene Liebe, welche mein Leben war, so lange ich sie verborgen trug, nicht zu meinem Tode werden, da sie jetzt offenbar ist; wenn ich nicht werth bin, von Euch als Euer Ritter betrachtet und angenommen zu werden, so duldet wenigstens, daß ich zufrieden mit dem bin, was ich bisher besaß. Mein Herz hat seine Liebe auf so würdigem und guten Boden gegründet, daß ich daraus das wohlthuende Bewußtsein ziehe, eine so große und wahre Liebe zu nähren, daß ich zufrieden damit sein kann, zu lieben, selbst wenn ich nicht wiedergeliebt werde. Und wenn es Euch nicht gefällt, mich nach der Erkenntniß dieser großen Liebe in Eure größere Huld zu nehmen, so nehmt mir wenigstens nicht das Leben, welches für mich darin besteht, Euch weiter zu sehen wie bisher; denn ich habe nicht mehr Gunst von Euch, als durchaus nöthig ist, um zu leben; wenn Ihr mir die nun noch entzöget, würdet Ihr den besten und den ergebensten der Diener verlieren, welchen Ihr je hattet oder haben werdet.« Die Königin, welche sich entweder verstellen, oder seine Liebe zu ihr länger prüfen, oder einen Andern, den sie liebte, nicht seinetwegen verlieren, oder endlich ihn vielleicht so lange zurückstellen wollte, bis der, den sie liebte, einen Fehler beging, durch den er seiner Stelle verlustig wurde, sagte mit einem Gesicht, das weder zornig noch zufrieden war: »Elisor, ich werde Euch, da ich die Macht der Liebe nicht kenne, nicht fragen, woher Euch der Muth zu einem so großen, hohen und schwierigen Unternehmen kommt, wie das, mich zu lieben; denn ich weiß, daß der Mensch sein Herz so wenig in der Gewalt hat, daß er ihm nicht befehlen kann, zu lieben oder zu hassen, wie er will; aber da Ihr[201] mir so offen Eure Meinung gesagt habt, will ich auch wissen, seit wann Euch diese Liebe ergriffen hat.« Als Elisor ihr schönes Antlitz betrachtete und hörte, wie sie sich nach seiner Krankheit erkundigte, hoffte er, sie würde ihm ein Mittel dagegen geben; andererseits wieder schien ihm während ihrer Fragen ihre Miene so weise und ernst, daß er wie vor einem Richter, dessen Urtheil gegen sich er fürchtete, ängstlich wurde; so schwur er ihr, daß diese Liebe schon von seiner frühen Jugend an Wurzel in ihm geschlagen hätte, daß er aber nicht darunter gelitten habe, bis vor sieben Jahren; und auch seit dieser Zeit hatte ihm diese Krankheit keine Schmerzen, sondern so viel Freuden bereitet, daß seine Genesung dem Tode gleich sein würde. »Da es so ist«, sprach die Königin, »daß Ihr schon solch lange Probe Eurer Festigkeit abgelegt habt, so muß ich Euch eben vollständig glauben, wie Ihr mir die Wahrheit gesagt habt. Wenn es also so um Euch steht, wie Ihr sagt, so will ich Euch eine Prüfung auferlegen, nach welcher ich sicher nicht mehr zweifeln kann; nach bestandener Prüfung werde ich Euch für alles das halten, was Ihr schwört, zu sein; und wenn ich Euch dann Eurem Wort gemäß erkannt habe, werdet Ihr auch das an mir finden, was Ihr wünscht.« Elisor bat sie, ihm welche Prüfung sie wolle, aufzuerlegen, denn es gäbe keine Aufgabe, die für ihn zu schwierig wäre, auf der Stelle ausgeführt zu werden, um ihr seine Liebe zu beweisen; sie möchte ihm doch nur gleich sagen, was sie befehle. Sie sprach darauf wie folgt: »Wenn Ihr mich so liebt, wie Ihr sagt, Elisor, so bin ich sicher, daß Euch nichts zu schwer sein wird, um meine Gunst zu erringen. Darum befehle ich Euch bei aller Sehnsucht, die Ihr danach habt, und aller Furcht, sie zu verlieren, daß Ihr, ohne mich noch einmal zu sehen, morgen vom Hofe abreist und an einen Ort geht, wo weder Ihr von mir noch ich von Euch für die nächsten sieben Jahre irgend eine Nachricht erhalten kann. Da Ihr mich schon sieben Jahre liebt, seid Ihr Eurer Liebe sicher; wenn ich selbst aber noch weitere sieben Jahre diese Erfahrung bestätigt sehe, so werde ich zur Stunde wissen und glauben, was ich Eurem Wort nach allein nicht wissen und glauben kann.«

Als Elisor diesen grausamen Befehl hörte, fürchtete er einerseits,[202] sie wolle ihn nur aus ihrer Gegenwart entfernen, andererseits hoffte er, diese Probe würde besser für ihn sprechen, als seine Worte; so nahm er den Befehl an und sprach: »Wenn ich sieben Jahre ohne Hoffnung mit diesem verborgenen Feuer leben konnte, so werde ich jetzt, da Ihr alles wißt, noch weitere sieben Jahre in größerer Hoffnung und Geduld hinbringen können. Aber, hohe Frau, wenn ich Eurem Befehl, durch den ich alles Guten, was ich in der Welt besaß, beraubt bin, gehorche, welche Hoffnung gebt Ihr mir, mich nach sieben Jahren als treuen und gerechten Diener anzuerkennen?« Die Königin zog einen Ring vom Finger und sprach: »Hier gebe ich Euch einen Ring, wir wollen ihn in zwei Hälften theilen; Ihr mögt die eine, ich werde die andere behalten, damit, falls die lange Zeit mir das Gedächtniß an Eurem Aussehen verwischt, ich Euch an der anderen Hälfte dieses Ringes, welche der meinen gleicht, wiedererkennen kann.« Elisor nahm den Ring, brach ihn entzwei und gab der Königin die eine Hälfte, während er die andere behielt; und nachdem er Abschied von ihr genommen hatte, ging er, lebloser als ein Todter, in seine Wohnung, um seine Reise vorzubereiten; er schickte sein ganzes Gefolge nach Hause und ging mit einem Diener an einen so einsamen Ort, daß keiner seiner Verwandten und Freunde während der sieben Jahre Nachricht von ihm erhalten konnte. Man weiß nichts von dem Leben, welches er während dieser Zeit führte, und von der Qual, welche er erlitt, doch werden die, welche lieben, sie ermessen können.

Genau nach sieben Jahren, als die Königin zur Messe ging, kam ein Eremit mit einem großen Bart auf sie zu; er küßte ihr die Hand und gab ihr eine Bittschrift, welche sie sich nicht die Mühe nahm gleich anzusehen, obgleich sie gewöhnlich mit eigener Hand alle Bittschriften, welche man ihr gab, selbst dem Aermsten abnahm. Als man in der Mitte der Messe war, öffnete sie das Papier und fand darin den halben Ring, welchen sie Elisor gegeben hatte; darüber war sie hoch erstaunt und erfreut; ehe sie las, was darin stand, befahl sie plötzlich ihrem Großalmosenier, daß er ihr den großen Eremiten herbeibringe, der ihr die Bittschrift gegeben habe. Der Großalmosenier suchte ihn nach allen Seiten hin, aber er konnte ihn nirgends auftreiben, und man sagte ihm, er sei zu[203] Pferd gestiegen; doch wußte man nicht, welchen Weg er genommen hatte. Während sie auf die Antwort des Almoseniers wartete, las die Königin die Bittschrift, welche sich als eine wohlabgefaßte Epistel erwies. Wenn ich Ihnen, meine Damen, nicht so gern dieselbe mittheilen wollte, würde ich nie gewagt haben, sie zu übersetzen; immerhin bitte ich Sie, zu bedenken, daß die costilianische Art und Sprache unvergleichlich viel besser die Leidenschaft der Liebe wiedergiebt als die französische. Der Inhalt war folgender:


Die Zeit hat mich gelehrt mit Macht und Stärke,

Was Liebe ist und was sie will und kann;

Doch hat die Zeit, die ich seitdem erduldet,

In langen sieben Jahren mich gelehrt,

Was nie vorher mich Liebe lehren konnte.

Die Zeit vorher, die konnte mir nur zeigen,

Daß ich Euch liebte, und ich glaubte nur

An dieser Liebe Art wie an ein Wunder.

Die Zeit nachher hat mir in scharfem Lichte

Gezeigt, wie ich Euch liebte und warum.

Ich liebte Eure Schönheit, edle Frau,

Und wußte nicht, daß unter ihr verborgen

So harte Grausamkeit sich finden konnte.

Run hat der sieben Jahre müde Zahl

Mir klar gemacht, daß diese Schönheit nichts

Genüber Eurer Grausamkeit bedeute. –

Als Eure Härte mir den Anblick raubte

Von Eurer Schönheit, sah ich besser ein,

Daß Ihr zu grausam seid, um schön zu sein.

Ich habe Euch gehorcht und bin gegangen,

Und als die Frucht von dieser langen Zeit

Trag' ich nun ein zufried'nes Herz im Busen

Und wünsche nicht zu Euch zurückzukehren,

Es sei denn heut auf einen Augenblick,

Um Euch ein letztes Lebewohl zu sagen.

Es lehrte mich die Zeit, wie ich Euch sagte

Die Liebe zu erkennen ungeschminkt,[204]

In ihrer Hohlheit und woher sie kam

Vor Liebe blind, ersehnte ich das Ende

Der sieben Jahre; nun das Ende kam,

Bin sehend ich geworden und ich fühl's,

Ich liebe Euch nicht mehr, es ist vorbei.

In meiner Einsamkeit lernt' ich die Liebe kennen,

Die wahre Liebe ist; sie kommt von oben,

Und wer sie je gewinnt, verliert zur Stunde

Die andre Lieb', die ihm kein Glück gebracht.

Die Zeit hat mich der heil'gen Lieb' ergeben,

Und ihr nur will ich Leib und Seele widmen,

Um ihr fortan zu dienen anstatt Euch.


Als ich Euch diente, galt ich Euch ein Nichts

Und mit dem Nichts zufrieden dient' ich Euch.

Ihr gabt den Tod zum Lohn für treue Dienste,

Nun wird mir Leben noch als Himmelslohn.

Die Liebe Gottes, welche ich erworben,

Hat so die andre Lieb' in mir zerbrochen,

Daß sie gleich Rauch verflüchtigt ist im Wind.

Euch gab ich diesen Rauch zurück, ich brauche

Ihn nicht und Euch nicht fürderhin im Leben.

Die heil'ge Lieb', von der ich Euch berichtet,

Zieht mich zu sich mit göttlich milder Macht.

Ich geh' zu ihr und will fortan ihr dienen,

Vergessen Euch und was mich an Euch band.

So nehm' ich Abschied denn von meinen Leiden

Von Euch und Eurer harten Grausamkeit,

Abschied von Haß, Verachtung und von allem,

Was Euch erfüllte, Abschied von dem Feuer,

Das Euch verzehrt, Ihr wunderschöne Frau.

Ich kann nicht anders meinem Lebewohl

Für alle Uebel, alles Unglück, alle Leiden

Und für die Hölle eitler Frauenliebe,

Ich kann nicht besser diesem Lebewohl

Hier Ausdruck geben, als mit einem Worte:[205]

Lebt wohl, o Königin! So lang ihr lebet,

Hofft nimmermehr, mich wieder zu erblicken,

Wir beide bleiben für einander todt.


Dieser Brief wurde mit großem Erstaunen und unter vielen Thränen gelesen; die Königin fühlte ein unbeschreibliches Bedauern, und der Verlust eines Ritters, welcher von einer so großen Liebe erfüllt war, schien ihr so unersetzlich, daß weder ihre Schätze noch ihr Königreich sie davon abhielten, sich für die ärmste und elendeste Frau der Welt zu halten, weil sie etwas verloren hatte, was alle ihre Güter ihr nicht wieder einbringen konnten. Nachdem sie die Messe gehört hatte, zog sie sich in ihre Gemächer zurück und verfiel in so große Trauer, wie ihre Grausamkeit verdiente. Es gab keinen Berg, Felsen und Wald, den sie nicht nach dem Eremiten absuchen ließ; aber der, welcher ihn ihr entrissen hatte, gab ihn ihr nicht wieder und geleitete ihn eher ins Paradies, als sie es erfuhr.

»Dieses Beispiel«, fuhr Dagoncin fort, »zeigt Euch, daß kein Ritter Geständnisse machen soll, die ihm nichts nützen, wohl aber schaden können; und noch weniger, meine Damen, solltet Ihr wegen Eures Unglaubens so schwere Proben verlangen, daß Ihr mit der Erfüllung den Ritter verliert.« »In der That, Dagoucin«, sprach Guebron, »ich habe immer gehört, daß diese betreffende Dame sehr tugendreich sein soll, aber jetzt halte ich sie für die Thörichtste und Grausamste der Welt.« »Dennoch scheint es mir«, sagte Parlamente, »daß sie ihm kein Unrecht that, indem sie die sieben Probejahre von ihm forderte, bis sie an seine Liebe glaubte, denn die Männer pflegen in solchen Fällen so viel zu lügen, daß, ehe man ihnen traut (wenn man ihnen überhaupt trauen soll), man keine zu lange Probe machen kann.« »Die Damen«, warf Hircan ein, »sind sehr viel weiser als es nöthig wäre, denn in einer Probe von sieben Tagen würden sie schon dieselbe Sicherheit über ihren Ritter haben wie andere in sieben Jahren.« »Und dennoch«, sprach Longarine, »befinden sich in dieser Gesellschaft welche, die über sieben Jahre lang unter allerlei Prüfungen geliebt worden sind, und die dennoch nicht ihre Freundschaft zum Lohn vergeben haben.« »Bei Gott«, rief Simontault, »das ist wahr! aber diese müssen auch noch zur[206] guten alten Zeit gerechnet werden, denn heutzutage findet man keine mehr.« »Uebrigens«, sagte Oisille, »geschah dem Ritter nur Gutes durch die Dame, denn durch sie wandte er sein Herz ganz Gott zu.« »Es war sein Glück«, meinte Saffredant, »daß er Gott auf dem Wege traf, denn es wäre kein Wunder gewesen, wenn er sich in seinem Kummer allen Teufeln ergeben hätte.« Emarsuitte antwortete darauf: »Und wenn Ihr von Eurer Dame schlecht behandelt worden seid, habt Ihr Euch dann auch dem Teufel ergeben?« »Tausend und aber tausend Mal habe ich mich ihm ergeben«, lachte Saffredant; »da aber der Teufel sah, daß alle Qualen seiner Hölle noch nicht die erreichen konnten, welche sie mich erdulden ließ, wollte er nie etwas von mir wissen, denn bekanntlich giebt es keinen schlimmeren Teufel als eine Dame, welche man liebt, und die nicht wieder lieben will.« »Wenn ich an Eurer Stelle wäre«, sagte Parlamente zu Saffredant, »so würde ich bei solchen Ansichten nie einer Dame dienen.« »Ich habe immer so sehr geliebt«, sprach Saffredant, »und meine Thorheit war immer so groß, daß ich selbst da, wo ich nicht befehlen konnte, noch glücklich war, dienen zu können, denn die Bosheit der Frauen kann meine Liebe nicht ertödten. Aber ich bitte Euch, sagt mir offenherzig, ob Ihr diese Dame wegen ihrer großen Strenge lobt?« »Ja«, sagte Oisille, »denn ich glaube, sie wollte weder lieben noch geliebt werden.« »Wenn sie so dachte«, sprach Simontault, »warum gab sie ihm Hoffnung für die Zeit nach den sieben Jahren?« »Ich bin Eurer Meinung«, sagte Longarine, »denn die, welche nicht lieben wollen, geben keine Gelegenheit, weiter geliebt zu werden.« »Vielleicht liebte sie einen anderen«, meinte Nomerside, »der nicht so viel werth war, wie dieser Edelmann, so daß sie um des Geringeren willen den Besseren gehen ließ.« »Nun, beim Himmel«, rief Saffredant, »ich glaube, sie wollte ihn sich vorräthig halten, um ihn bereit zu haben, wenn sie dessen, den sie gerade liebte, überdrüssig geworden wäre.« »Ich sehe wohl«, sprach Oisille, »daß, je länger wir darüber streiten, desto Schlimmeres über uns von denen zu Tage treten wird, die sich nicht schlecht behandeln lassen wollen. Darum bitte ich Euch, Dagoucin, gebt Eure Stimme weiter.« »Ich gebe sie«, sprach Dagoucin, »Longarine, da ich sicher bin, daß sie uns etwas Neues erzählen wird, ohne[207] dabei Herren und Damen die Wahrheit zu ersparen.« »Da Ihr mich für so wahrheitsliebend haltet«, antwortete Longarine, »werde ich so kühn sein, eine Geschichte von einem großen Fürsten zu erzählen, der alle seine Zeitgenossen an Tugend übertraf. Merkt Euch auch, daß man nur im alleräußersten Nothfall von Lüge und Verstellung Gebrauch machen soll, denn das sind sehr häßliche und schändliche Laster, besonders an großen Herren und Prinzen, zu deren Mund und Miene die Wahrheit besser steht als zu anderen. Aber kein Prinz der Welt ist so groß, und wenn er alle wünschenswerthen Ehren und Reichthümer besäße, daß er nicht der Herrschaft und Tyrannei der Liebe unterthan wäre. Je edler und großherziger der Fürst ist, um so mehr sucht ihn die Liebe mit ihrer starken Hand zu bezwingen, denn diese große Göttin macht sich nichts aus alltäglichen Dingen und will nur alle Tage Wunder voll bringen, wie z.B. Starke schwächen, Schwache stärken, die Unwissenden weise, die Weisen thöricht machen, Leidenschaften begünstigen, die Vernunft zerstören u.s.w. Kurz, die liebende Göttin belustigt sich mit derlei Veränderungen; und da die Prinzen davon nicht ausgeschlossen sind, müssen sie sich auch allen Anforderungen im Dienste der Liebe fügen. Also ist es ihnen auch erlaubt, sich der Lüge, Heuchelei und Verstellung zu bedienen, welche Mittel dazu sind, um den Feind zu besiegen, wie Meister Jean de Meung gelehrt hat. Da also in diesem Fall ein Prinz thun darf, was sonst jedenfalls verächtlich wäre, will ich Euch die Erfindungen eines jungen Prinzen erzählen, durch welche er sogar die täuschte, welche sonst selbst alle Welt betrügen.«

Quelle:
Der Heptameron. Erzählungen der Königin von Navarra. Leipzig [o.J.], S. 198-208.
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