Zehnte Erzählung.

[62] Von der Liebe Amadours und Florindens, worin viel Ränke und Verstellungen enthalten sind, und von der lobenswerthen Keuschheit Florindens.


In der Grafschaft Arande in Aragon lebte eine Dame, welche noch ziemlich jung Witwe des Grafen von Arande wurde und einen Sohn und eine Tochter hatte, welche Florinde hieß. Die junge Witwe hielt darauf, ihren Kindern in allen Stücken eine Erziehung zu Theil werden zu lassen, wie sie sich für Edelleute geziemte, und so kam es, daß ihr Haus in dem Rufe stand, eines der wohlanständigsten von ganz Spanien zu sein. Sie hielt sich oft in Toledo auf, wo damals der König von Spanien residirte, und wenn sie nach Saragossa kam, in dessen Nähe ihr Schloß lag, war sie viel bei der Königin und bei Hofe, wo sie so angesehen war wie nur irgend eine andere Edeldame. Als sie einmal wie herkömmlich zum König reiste, der sich in Saragossa auf seinem Schloß von Jaffière aufhielt, kam sie durch ein kleines Dorf, welches dem Vicekönig von Catalonien gehörte, der für gewöhnlich wegen der unterbrochenen Kriege zwischen ihm und dem Könige von Frankreich nicht von der Grenze von Perpignan wegkam; jetzt war aber gerade Friede, und er war mit allen seinen Offizieren gekommen, um dem Könige zu huldigen.

Als der Vicekönig erfuhr, daß die Gräfin von Arande seine Besitzungen passirte, fuhr er ihr entgegen, theils weil sie alte Freunde waren, theils um ihr als einer Verwandten des Königs seine Ehrerbietung zu erweisen. In seiner Begleitung hatte er eine Anzahl junger Edelleute, die durch ihr Kriegshandwerk schon Ruhm und Ehre erlangt hatten, so daß man sich glücklich schätzen mußte, sie kennen zu lernen. Unter ihnen ragte einer namens Amadour hervor;[62] er war zwar erst 18 oder 19 Jahre alt, aber sein Auftreten war ein so sicheres und sein Verstand so scharf, daß unter Tausenden er allein würdig gewesen wäre, einen Staat zu lenken. Noch muß erwähnt werden, daß seine hohe Bildung durch eine große Schönheit noch gehoben wurde, und so schön er war, so geistvoll war er in der Unterhaltung, so daß man manchmal im Zweifel sein konnte, wem man den Vorzug geben sollte, seiner Anmuth, seiner Schönheit oder seiner Unterhaltungsgabe. Am meisten gereichte ihm aber sein Muth und seine Kühnheit zur Ehre, deren Ruf trotz seiner Jugend schon weit in die Länder gedrungen war, denn er hatte schon an so vielen verschiedenen Orten Proben davon abgelegt, daß seine Tapferkeit nicht nur in Spanien, sondern auch in Frankreich und Italien hoch geschätzt wurde, weil er in allen Kriegen, an denen er Theil genommen hatte, immer in der ersten Reihe der Kämpfenden zu finden gewesen war, und wenn sein Vaterland Frieden hatte, fremde kriegführende Länder aufsuchte und sich bei Freund und Feind gleich beliebt machte.

Dieser Edelmann nun war im Gefolge seines Generals mit in die Gegend gekommen, welche augenblicklich die Gräfin Arande durchreiste. Als er die Schönheit und Anmuth ihrer damals erst zwölf Jahre alten Tochter sah, sagte er sich, daß sie das schönste Mädchen sei, das er bisher noch gesehen habe, und daß, wenn er ihre Neigung erwerben könnte, ihn das glücklicher machen würde, als alle Reichthümer und Genüsse, die ihm eine andere bieten könnte. Nachdem er sie lange angesehen hatte, beschloß er ihr seine Liebe zu widmen, wenngleich ruhige vernünftige Ueberlegung ihm davon abrieth, einmal weil sie aus zu vornehmen Hause war und zweitens wegen ihrer zu großen Jugend, an die man mit dergleichen noch nicht herantreten konnte. Er setzte sein Heil auf die Hoffnung und erwartete, daß Zeit und Geduld schließlich seine Ausdauer belohnen würden. Um nun der Hauptschwierigkeit abzuhelfen, welche in der großen Entfernung des Landes, in dem er wohnte, und der seltenen Möglichkeit Florinden zu sehen, lag, beschloß er sich zu verheirathen.

Die Gräfin kam also nach Saragossa und wurde vom König und dem ganzen Hof aufs beste empfangen. Der Gouverneur von[63] Catalonien besuchte sie sehr oft, und Amadour verfehlte dann nicht ihn zu begleiten, um wenigstens das Vergnügen zu haben, Florinde zu sehen. Um nun in diesen Gesellschaftskreis eingeführt zu werden, wandte er sich an die Tochter eines alten Edelmannes, der zugleich Nachbar seiner Eltern war. Sie hieß Aventurade und war von Jugend auf gemeinschaftlich mit Florinde erzogen worden, so daß sie deren Herzensgeheimnisse wußte. Sowohl wegen ihrer hohen Geburt als auch weil sie eine Rente von dreitausend Dukaten als Mitgift bekam, beschloß Amadour ihr als ein Bewerber um ihre Hand gegenüber zu treten. Sie war gern bereit ihn anzunehmen, aber sie wußte, daß ihr geldstolzer Vater seine Einwilligung zu einer Heirath nicht geben würde, es sei denn, daß die Gräfin Arande sich für ihn verwendete. Sie wandte sich deshalb an Florinde und sagte ihr: »Siehst Du den castillanischen Edelmann dort, der sich so oft mit mir unterhält? Ich glaube, er will nichts anderes als mich heirathen; aber Du kennst meinen Vater, er wird niemals seine Einwilligung geben, wenn nicht Deine Mutter und Du ein gutes Wort für ihn einlegen.« Florinde, welche ihre Freundin herzlich liebte, versprach ihr, sich dieser Angelegenheit wie einer eigenen anzunehmen. Aventurade stellte ihr Amadour vor, und als er ihre Hand küßte, war er nahe daran ohnmächtig zu werden, und obwohl er in ganz Spanien für den geistvollsten Mann galt, konnte er vor Florinde kein Wort herausbringen. Sie war sehr erstaunt darüber, denn obgleich sie noch sehr jung war, hatte sie doch schon davon gehört, daß es in der ganzen Monarchie keinen anmuthigeren und unterhaltenderen Mann gebe als ihn. Und da er sie immer noch nicht anredete, sagte sie zu ihm: »Euer Ruf, Herr Ritter, ist ein so großer, daß Ihr in unserem Kreise wohl bekannt seid, und alle, die Euch kennen, sind froh über eine Gelegenheit, Euch gefällig zu sein; deshalb wollet auf mich rechnen, wenn ich in irgend einer Beziehung Euch zu Diensten sein kann.«

Amadour sah nur ihre Schönheit und war so hingerissen, daß er sich kaum bedankte. So erstaunt Florinde auch war, daß er ihr nicht einmal antwortete, so schrieb sie es doch nur einer vielleicht ungeschickten Bemerkung ihrerseits, nicht aber seiner Liebe zu und entfernte sich ohne noch weiter mit ihm zu sprechen. Als Amadour[64] solche liebenswürdige Anmuth bei so großer Jugend sah, sagte er zu Aventurade: »Wundert Euch nicht, daß ich vor Florinde die Sprache verloren zu haben schien, ihre Liebenswürdigkeit und ihr verständiges Sprechen trotz ihrer so großen Jugend haben mich dermaßen in Erstaunen versetzt, daß ich kein Wort zu sagen wußte. Aber ich bitte Euch, Ihr wißt ja alle ihre Geheimnisse, gehören ihr nicht die Herzen aller Prinzen und Edelleute dieses Hofes? Denn wer sie kennt und nicht liebt, muß ein Herz von Stein haben oder ein Mensch ohne Augen sein.« Aventurade liebte Amadour schon mehr als irgend einen andern Edelmann des Hofes und wollte ihm deshalb nichts verheimlichen. Sie sagte ihm also, daß Florinde von allen geliebt werde, daß sie aber der Landessitte gemäß noch nicht viel mit jungen Leuten verkehrt hätte, und daß sie von ernsteren Absichten noch nichts bemerkt habe, abgesehen von zwei jungen Prinzen, welche sie zu heirathen wünschten, und zwar der Sohn des Infanten aus dem königlichen Hause und der junge Herzog von Cardonne. »Und welchen bevorzugt sie wohl?« fragte Amadour. »Sie ist viel zu gehorsam«, antwortete Aventurade, »als daß sie einen anderen Willen als den ihrer Mutter haben wird, aber so viel ich es beurtheilen kann, ist sie dem Sohn des Infanten mehr zugethan als dem Herzog von Cardonne. Im übrigen habt Ihr selbst Urtheil genug und könnt, wenn Ihr wollt, Euch heute noch selbst überzeugen, denn der Sohn des Infanten, einer der schönsten jungen Prinzen der Christenheit, lebt ja hier am Hofe. Und wenn er heirathet, meinen wir jungen Mädchen, muß es Florinde sein, die er zur Frau nimmt; es wäre das schönste Paar. Ich muß Euch auch noch sagen, daß, wenn auch beide noch sehr jung sind, sie erst zwölf und er fünfzehn Jahre, es schon drei Jahre sind, daß sie einander lieben, und wenn Ihr wünscht, daß sie Euch gefällig sei, so rathe ich Euch, sucht seine Freundschaft.«

Amadour war sehr froh, daß das junge Mädchen überhaupt der Liebe fähig war, denn so hoffte er schließlich doch sein Ziel zu erreichen und wenn auch nicht ihr Gatte, so doch ihr Freund zu werden; was er nämlich allein fürchtete, war, daß sie etwa überhaupt nicht liebte. Amadour machte sich auch schnell daran, sich mit dem Sohn des Infanten zu befreunden, was ihm bald gelang,[65] denn alle Vergnügungen, die der Prinz liebte, verstand er zu veranstalten; er war tüchtig zu Pferde, kannte alle Waffen und alle anderen Spiele, auf die ein junger Mann nur verfallen kann. Da brach in Languedoc wieder der Krieg aus, und Amadour mußte mit dem Vicekönig dorthin ziehen, worüber er großen Kummer empfand, denn dort hatte er vorläufig keine Gelegenheit, Florinde irgendwo wiedersehen zu können. Er setzte sich deßhalb mit einem seiner Brüder in Verbindung, der Hofmarschall der Königin war, erzählte ihm, wie er im Hause der Gräfin Arande und von Aventurade gut aufgenommen worden sei, und bat ihn, während seiner Abwesenheit nach Kräften seine Heirath zu betreiben und zu diesem Zweck den Einfluß des Königs, der Königin und aller sonstigen Bekannten aufzubieten. Der Bruder, der ihn ebensowohl wegen ihrer nahen Verwandtschaft als auch wegen seiner Tapferkeit liebte, versprach Alles zu thun, was in seinen Kräften stände. Er brachte es auch wirklich zu Wege, daß der alte geldstolze Vater einmal seinen Geiz gegenüber den Vorzügen Amadours hintenansetzte, von denen ihm die Gräfin Arande und vor Allem die schöne Florinde und auch der junge Graf Arande, der heranwuchs und Edelmuth und Tapferkeit zu schätzen begann, viel erzählten. Als die Heirath zwischen den Eltern beschlossene Sache war, ließ der Hofmarschall seinen Bruder vom Kriegsschauplatz herbeirufen, während die Fehde zwischen den beiden Königen noch andauerte. Gerade zu jener Zeit hatte sich der König von Spanien nach Madrid begeben, um der großen Hitze, die an mehreren andern Orten herrschte, aus dem Wege zu gehen. Auf Anrathen seiner Räthe und auch auf Wunsch der Gräfin Arande, hatte er dem jungen Grafen von Arande seine Verwandte, die Prinzessin Medina Coeli zur Frau versprochen, sowohl weil er selbst diese Vereinigung der beiden Häuser wünschte, als auch weil er der Gräfin Arande sehr zugethan war; die Hochzeit sollte nun im königlichen Schlosse in Madrid stattfinden.

Zu dieser Hochzeit kam Amadour, und er betrieb dann eifrig die seine mit Aventurade, von der er mehr geliebt wurde, als er sie liebte, weil ihm diese Ehe nur als Deckmantel und Mittel dienen sollte, um dort sein zu können, wohin ihn sein Herz unaufhörlich zog. Nachdem er verheirathet war, wurde er stehender Gast im Hause der Gräfin[66] Arande, und die beiden Frauen besprachen Alles in seiner Gegenwart, als wäre er selbst eine Frau. Trotz seiner zweiundzwanzig Jahre trat er so gemessen auf, daß die Gräfin ihm alle ihre Angelegenheiten unterbreitete und ihrem Sohn und ihrer Tochter befahl, auf seine Rathschläge zu hören. Auch in dieser vertrauten Stellung blieb er so zurückhaltend, daß selbst die, die er liebte, nichts von seiner Zuneigung merkte. Aber aus Liebe zu Amadours Frau, der sie herzlich zugethan war, verheimlichte sie auch vor ihm keinen ihrer Gedanken; es kam nun sogar so weit, daß sie ihm ihre Liebe für den Sohn des Infanten mittheilte, und er, der ihr Vertrauen ganz gewinnen wollte, sprach ihr unaufhörlich davon. Er fragte garnichts danach, worüber er mit ihr sprach, wenn er nur überhaupt mit ihr zusammen sein konnte. Nach seiner Hochzeit verweilte er nur einen Monat auf dem Lande, dann mußte er wieder in den Krieg, und zwei Jahre blieb er außer Landes, ohne seine Frau zu sehen, die während dieser Zeit in dem Hause blieb, in dem sie erzogen worden war. Amadour schrieb häufig an seine Frau; aber den größten Theil jedes Briefes nahmen Empfehlungen an Florinde ein, welche dieselben erwiderte; oft schrieb sie einige Zeilen unter Aventuradens Briefe, was ihren Mann nur zu um so häufigerem Schreiben veranlaßte. Trotz alle dem ahnte Florinde nichts und liebte ihn nur wie einen Bruder. Einige Male kam auch Amadour auf kurze Zeit nach Haus gereist, so daß er in den zwei Jahren Florinden alles in allem zwei Monate sah; aber trotz der Entfernung und der langen Abwesenheit wuchs seine Liebe nur.

Als er einmal wieder zu Besuch zu seiner Frau gekommen war, fand er die Gräfin fern vom Hofe, denn der König von Spanien war nach Andalusien gegangen und hatte den jungen Grafen von Arande, der schon die Waffen trug, mit sich genommen. Die Gräfin hatte sich in eines ihrer Landhäuser an der Grenze von Aragon und Navarra zurückgezogen und war sehr erfreut, als sie die Ankunft Amadours vernahm, der beinahe drei Jahre abwesend gewesen war. Florinde hielt ihn wegen ihrer Freundschaft für seine Frau und ihn werth, ohne von seinen Absichten etwas zu errathen; und da ihr Herz unter keiner Leidenschaft litt, sie vielmehr eine gewisse Zufriedenheit in Amadours Nähe empfand, that[67] sie sich auch keinen Zwang ihm gegenüber an; an anderes dachte sie aber nicht. Amadour war in großer Verlegenheit, um den scharfen Augen derjenigen zu entgehen, die sich auf die Blicke der Verliebten verstehen; denn wenn Florinde ganz unbefangen mit ihm sprach, flammte das verhaltene Feuer in seinem Herzen so auf, daß er nicht verhindern konnte, daß helle Röthe sein Gesicht überzog und seine Augen glänzten und leuchteten. Damit also Niemand aus ihrem häufigen Beisammensein irgend welchen Verdacht schöpfen könnte, begann er einer schönen Dame, namens Pauline, die für die schönste Frau ihrer Zeit gehalten wurde und deren Reiz nur wenige Männer nicht erlegen waren, den Hof zu machen. Diese Pauline hatte gehört, wie viele Liebschaften Amadour in Barcelona und Perpignan gehabt hatte und daß er von den schönsten Damen des Landes, insbesondere auch von einer Gräfin Palamos, die alle andern noch weit übertraf, geliebt worden war. Deshalb sagte sie ihm eines Tages, sie bemitleide ihn, daß er nach so vielen schönen Frauen, die er besessen, eine so häßliche geheirathet habe. Amadour deutete diese Worte richtig dahin, daß sie nicht abgeneigt sei, ihn zu trösten; er sagte ihr deshalb tausend Liebenswürdigkeiten und rechnete, durch diese erheuchelte Zuneigung seine wahre zu verdecken. Sie war aber in Liebessachen nicht unerfahren und gab sich mit Worten nicht zufrieden; sie fühlte auch ganz wohl, daß die Liebe zu ihr durchaus nicht sein Herz ausfüllte, und es kam ihr die Vermuthung, daß sie ihm nur als Deckmantel einer anderen Leidenschaft diente. Von nun an verwandte sie ihre Augen nicht von ihm. Er verstellte sich so gut, daß sie zur Gewißheit nicht kam; aber ihr Verdacht blieb, und das machte Amadour besorgt. Hierzu kam, daß Florinde, die von alledem nichts wußte, oft in Paulinens Gegenwart ganz vertraulich mit ihm sprach, wo er dann jedesmal die größte Mühe hatte, daß seine Blicke ihn nicht verriethen. Um nun möglichen unangenehmen Folgen vorzubeugen, sagte er eines Tages zu Florinde, als sie beide in einer Fensternische zusammen standen: »Ich bitte, rathet mir, was ist besser, zu reden oder zu sterben?« Florinde antwortete unbefangen: »Ich rathe allen meinen Freunden, ohne Scheu zu sprechen; Worte können immer wieder gut gemacht werden, das Leben aber, wenn einmal hingegeben, läßt sich nicht wiedererlangen.«[68]

»Wollt Ihr mir also versprechen«, sagte Amadour, »nicht nur nicht betrübt über das, was ich Euch sagen werde, zu sein, sondern auch mich zu Ende reden zu lassen, auch wenn Euch meine Worte erschrecken?« Sie antwortete: »Sprecht aus, was Ihr zu sagen habt, aber wenn Ihr mich erschreckt, welcher andere soll mich dann wieder beruhigen können?«

Er begann nun folgendermaßen: »Ich habe Euch aus zwei Gründen nichts von der großen Liebe, die ich für Euch hege, sagen wollen, einmal, weil meine Absicht dahin ging, durch dauernde Ergebenheit sie Euch selbst wahrnehmen zu lassen, und zweitens, weil ich mir wohl denken konnte, daß Ihr es für eine große Ueberhebung meinerseits halten würdet, daß ich, ein einfacher Edelmann, so hoch greife. Wisset aber nun, daß ich seit Eurer frühesten Jugend Euch so ergeben bin, daß ich unausgesetzt nur nach dem Einen gestrebt habe, mir Eure Zuneigung zu gewinnen. Nur deshalb habe ich das Mädchen geheirathet, das Eure beste Freundin ist, und seitdem ich Eure Liebe für den Sohn des Infanten kenne, habe ich mich bemüht, mit ihm befreundet zu werden; kurz, was Euch nur gefallen möchte, habe ich mir angelegen sein lassen. Alles, was ich die letzten fünf Jahre gethan habe, diente nur dazu, in Eurer Nähe zu leben. Mißverstehet mich nicht, ich gehöre nicht zu den Männern, die hierdurch etwa einen Lohn, der nicht in den engsten Grenzen des Anstands bliebe, gewinnen wollen. Was ich erbitte, ist nur das Eine, mir eine freundliche Herrin zu sein, mich nicht von Euch zu stoßen, mich weiter als Euren Vertrauten zu betrachten und sicher zu sein, daß, wenn Eure Ehre oder irgend etwas, das Euch berührt, den Einsatz des Lebens eines Edelmannes erfordert, ich Euch das meine von ganzem Herzen widme. Wenn Ihr mich aber zurückweiset, so werde ich mein Schwert fortwerfen und einem tugendhaften Leben entsagen, das mir zu nichts nütze gewesen ist. Deshalb flehe ich Euch an, erhöret meine Bitte, gegen die auch Eure Ehre und Euer Gewissen nichts einzuwenden vermögen.«

Als die junge Dame diese unerwarteten Worte vernommen, erblaßte sie und senkte die Augen. Dann antwortete sie ihm zurückhaltend und gemessen: »Wenn Ihr nichts anderes verlangt, als[69] was Ihr bereits habt, weshalb denn diese lange Rede? Ich fürchte so sehr, daß unter Euren ernsten Worten irgend ein Hintergedanke sich versteckt und Ihr die Unwissenheit meiner Jugend täuschen wollt, daß ich in großer Verlegenheit bin, was ich Euch antworten soll. Denn wollte ich die Freundschaft, die Ihr mir anbietet, zurückweisen, so thäte ich das Gegentheil von dem, was ich bisher gethan habe, denn bis heute habe ich Keinem so vertraut als gerade Euch. Auch mein Gewissen und meine Ehre können nichts gegen Eure Bitte einwenden, und auch meine Liebe zum Sohn des Infanten steht ihr nicht entgegen; denn letztere soll zu einer Ehe führen, die Ihr selbst für Euch ausschließt. Ich wüßte also nichts, was mich hindern könnte, Euch die gewünschte Gewährung Eurer Bitte zu geben; es sei denn eine gewisse Furcht in meinem Herzen, weil ich mich vergeblich frage, wo denn die Veranlassung lag, so zu mir zu sprechen, wie Ihr thatet; denn ich wiederhole, wenn Ihr nichts anderes verlangt, als was Ihr schon habt, weshalb sprachet Ihr überhaupt?«

Amadour beeilte sich zu antworten: »Ihr sprecht zurückhaltend, aber mit dem Vertrauen, welches Ihr in mich setzt, erweist Ihr mir schon so viel Ehre, daß ich unwürdig wäre, wenn ich mich nicht mit einem solchen Gut zufrieden geben wollte. Was mich heute veranlaßte, zu Euch zu reden, ist Pauline, welche wohl fühlt, daß ich sie nicht lieben kann, und die deshalb Verdacht geschöpft hat und allenthalben mir auflauert. Wenn Ihr in ihrer Gegenwart vertraulich mit mir sprecht, befürchte ich so sehr mich zu verrathen und ihr dadurch Gewißheit zu verschaffen, daß ich nun in die schiefe Lage gekommen bin, die ich selbst vermeiden wollte. Stände mir Eure Ehre nicht am höchsten, so würde ich auch noch nicht gesprochen haben, denn ich bin ganz glücklich in der Freundschaft und dem Vertrauen, das Ihr mir schenkt, und bitte um nichts mehr, als daß es so bleiben möge.«

Florinde war über diese Erklärung sehr erfreut; es begann sich in ihrem Herzen ein neues und ihr ganz unbekanntes Gefühl zu regen. Sie sah seine verständigen Gründe ein und sagte ihm, daß ihre Tugend für sie einstehe und ihm seine Bitte gewähre. Wer einmal geliebt hat, kann sich vorstellen, wie erfreut Amadour[70] war. Florinde befolgte aber seinen Rath viel mehr, als er selbst gewollt hatte; sie war scheu geworden und begann nicht nur in Paulinens Gegenwart, sondern auch sonst ihrer Gewohnheit entgegen ihn zu vermeiden. In dieser absichtlichen Fernhaltung fing sie an über Amadours und Paulinens Verkehr nachzudenken, und sie fand diese so schön, daß sie nur annehmen konnte, daß er sie liebte. Um ihrer Traurigkeit Herr zu werden, war sie viel mit Aventurade zusammen, die aber auch ihrerseits eifersüchtig auf Amadour und Pauline war und sich häufig bei Florinde beklagte, und dann von dieser wie von Einer, die unter dem gleichen Kummer leidet, getröstet wurde.

Amadour bemerkte bald Florindens verändertes Benehmen; er sagte sich auch, daß sie sich nicht nur auf seinen Rath hin von ihm entferne, sondern daß noch ein anderer Grund vorliegen müsse. Eines Tages traf er sie, als er vom Nachmittagsgottesdienst aus einem Kloster zurückkam, und fragte sie: »Wie sonderbar stellt Ihr Euch jetzt mir gegenüber?« »Nur so, wie Ihr es selbst wünscht«, antwortete Florinde. Plötzlich kam ihm eine Vermuthung, und um zu sehen, ob er sich nicht täusche, fuhr er fort: »Ich habe jetzt durch meine häufige Abwesenheit Pauline allen Verdacht, Euch betreffend, genommen.« Sie antwortete: »O, Ihr könnt ja nichts besseres für Euch und für mich thun, und wenn Ihr auch hierin Vergnügen findet, thut Ihr doch andererseits damit ein gutes Werk.« Amadour schien es nach diesen Worten, als meine sie, er verkehre gern mit Pauline, und es brachte ihn so zur Verzweiflung, daß er zornig antwortete: »Das heißt mich quälen; nichts hat mir je größere Mühe und Widerwärtigkeit verursacht, als mir den Zwang anzuthun, gegen jene ungeliebte Person freundlich zu sein. Und da Ihr nun, was ich nur in Eurem Interesse that, mißdeutet, werde ich überhaupt nicht mehr mit ihr sprechen, mag daraus entstehen, was nur will. Ich hoffe auch, daß mich mein General bald wieder in den Krieg ruft; dort werde ich dann so lange bleiben, bis Ihr einsehet, daß, von Euch abgesehen, mich hier nichts zurückhält.«

Mit diesen Worten verließ er sie, ohne ihre Antwort abzuwarten; mißmuthig und traurig blieb sie zurück. Langsam wandelte sich ihr freundschaftliches Gefühl in Liebe, sie sah ihr Unrecht ein[71] und schrieb ihm und bat ihn zurückzukehren. Er that es nach einigen Tagen, nachdem sein Zorn vorüber war.

Als nun dieser ihre aufkeimende Liebe verdunkelnde Verdacht beseitigt war und die beiden Liebenden mehr denn je Gefallen an ihrem Zusammensein empfanden, kam die Nachricht, daß der König von Spanien seine ganze Armee nach Saulce schicke. Amadour, gewohnt von Allen der erste zu sein, konnte nicht umhin auch jetzt mitzuziehen. Sein Kummer war aber größer, als er vermuthet hatte; einmal gab er den ihm lieben Verkehr auf und dann befürchtete er auch, sie bei seiner Rückkehr verändert vorzufinden. Florinde war nun fünfzehn Jahre alt und wurde viel von Prinzen und Edelleuten umworben. Er sagte sich, daß, wenn sie während seiner Abwesenheit sich verheirathen sollte, es nur noch eine Möglichkeit gebe, sie immer wieder zu sehen, nämlich, wenn die Gräfin Arande ihr seine eigene Frau als Ehrendame beigebe. Er führte diese Angelegenheit mit Hülfe seiner Freunde auch so gut, daß die Gräfin und Florinde ihm versprachen, seine Frau mitzunehmen, wohin sich auch letztere verheirathen möchte. Auch für den Fall, daß sich Florinde nach Portugal verheirathen sollte, wovon viel die Rede war, sollte Aventurade ihr folgen. Mit dieser Versicherung reiste Amadour ab und ließ seine Frau bei der Gräfin. Als sich nun Florinde nach der Abreise ihres Freundes allein sah, widmete sie ihre Zeit nur wohlgefälligen Werken und hoffte dadurch den Ruf einer selbstlosen Frau zu erwerben und eines solchen ergebenen Freundes würdig befunden zu werden.

Als Amadour nach Barcelona kam, wurde er wie früher von den Damen sehr gefeiert. Sie fanden ihn aber alle sehr verändert und waren erstaunt, daß die Ehe einen solchen Einfluß auf ihn ausüben hatte können, denn es schien ihm weh zu thun, wenn er an die frühere Zeit und ihre Vergnügungen dachte. Als er nach Saulce gekommen war, nahm er sofort an dem grausamen und blutigen Krieg zwischen den beiden Königen thätigsten Antheil; wollte ich von diesem Krieg erzählen oder von seinen Thaten, so müßte ich ein ganzes Buch schreiben. Ich will also nur kurz erwähnen, daß er mehr Ruhm als irgend ein anderer seiner Kriegskameraden erlangte. Der Herzog von Nagières, der mit zweitausend seiner Leute nach[72] Perpignan gekommen war, bat Amadour, sein Feldhauptmann zu sein, und er schlug sich mit diesen Leuten so gut, daß in allen Scharmützeln nur immer der eine Ruf »die Nagièrer, die Nagièrer« ertönte.

Nun begab es sich, daß der König von Tunis, der schon lange mit den Spaniern in Hader lag, von dem Kriege der beiden Könige von Frankreich und Spanien an der Grenze von Perpignan und Narbonne hörte und sich überlegte, daß er zu keiner besseren Zeit dem Könige von Spanien Schaden zufügen könne. Er schickte deshalb eine große Menge Schiffe aus, um an der schlecht bewachten spanischen Küste zu plündern. Als man in Barcelona die Schiffe vorbeikommen sah, schickte man Boten an den König nach Saulce, und dieser sandte unverzüglich den Herzog von Nagières nach Palamos. Als die Leute auf den Schiffen erfuhren, daß dieser Ort eine große Besatzung habe, fuhren sie an ihm vorüber; des Nachts aber kehrten sie zurück, und es landeten so viel Truppen, daß der Herzog von Nagières von ihnen überrumpelt und gefangen genommen wurde. Amadour hingegen war auf seinem Posten und als er den Lärm der Kämpfenden hörte, sammelte er so viel Leute um sich, als er in der Eile zusammenraffen konnte, und vertheidigte sich so gut, daß längere Zeit auch die Uebermacht des Feindes ihm nichts anhaben konnte. Als ihm aber hinterbracht worden war, daß der Herzog von Nagières gefangen und die Türken entschlossen seien, Palamos und die Burg, in der er sich hielt, dem Feuer preiszugeben, zog er es vor, sich lieber zu übergeben, als die Ursache des Unterganges seiner Leute zu sein, hoffte im Stillen auch, sich loszukaufen und dann Florinde wiedersehen zu können. Er übergab sich also dem Feldherrn des Königs von Tunis, namens Derlin, der ihn zu seinem Herrn brachte, wo er mit Ehren empfangen, aber auch wohl behütet wurde, denn sie dachten nichts anderes als den Achilles von ganz Spanien in ihren Händen zu haben. So blieb Amadour beinahe zwei Jahre am Hofe des Königs von Tunis. Als die Nachricht von diesem Treffen in Spanien bekannt wurde, verfielen die Verwandten des Herzogs von Nagières in große Trauer; wem aber die Ehre des Landes mehr am Herzen lag, der bedauerte vielmehr den Verlust Amadours. Die Nachricht kam auch ins Schloß der[73] Gräfin Arande, wo gerade damals Aventurade schwer krank lag. Die Gräfin, welche schon lange etwas von der Zuneigung Amadours zu ihrer Tochter ahnte und nur deshalb bisher nicht eingeschritten war, weil sie seine Ehrlichkeit kannte, rief Florinde zu sich in ihr Zimmer und theilte ihr die Trauerkunde mit. Florinde verstand es aber, sich zu beherrschen, sagte, es sei das ein großer Verlust für ihr Haus, und daß ihr vor Allem seine arme Frau leid thue, um so mehr, als sie gerade jetzt krank sei. Als sie ihre Mutter heftig weinen sah, ließ sie, um sich nicht durch ein Uebermaß erheuchelter Ruhe zu verrathen, auch einige Thränen fallen. Seit diesem Tage berührte die Gräfin oft jenes Thema, konnte aber keinen kleinsten Zug, der ihr einen Anhalt hätte bieten können, an ihrer Tochter wahrnehmen. Sobald Amadour nach Tunis gekommen war, beeilte er sich, Nachricht an seine Freunde zu geben und auch einen sicheren Boten an Florinde zu senden, daß er gesund sei und sie wiederzusehen gedenke. Das war ihre einzige Hoffnung in ihrem Schmerz. Auch konnte sie es möglich machen, ihm zu schreiben, und sie that dies so reichlich, daß es Amadour an brieflichem Trost wenigstens nicht mangelte. Um diese Zeit wurde die Gräfin Arande nach Saragossa gebeten, wo der König angekommen war. Dort fand sich auch der junge Herzog von Cardonne ein, der den König und die Königin so für sich zu interessiren verstand, daß diese die Gräfin baten, in die Heirath zwischen ihm und ihrer Tochter zu willigen. Die Gräfin, die ihm gern gefällig sein wollte, that es auch, da sie zudem auch der Meinung war, ihre im übrigen auch noch so junge Tochter werde keinen anderen Wunsch als den ihren haben.

Nachdem alles abgemacht war, sagte sie ihrer Tochter, daß sie für sie die ihr am passendsten erscheinende Wahl getroffen habe. Florinde sah ein, daß dieser abgemachten Sache gegenüber alles Reden unnütz sei, sagte deshalb zu ihrer Mutter, Gott möge alles zum Besten wenden, und da sie die Gräfin so ganz anders in ihrem Benehmen gegen sich selbst als früher fand, folgte sie und beklagte sich nicht. Aber wie kein Unglück allein kommt, erhielt sie plötzlich die Nachricht, daß der Sohn des Infanten auf den Tod krank sei. Sie ließ ihren Kummer weder vor ihrer Mutter noch vor einem anderen sehen, bezwang sich vielmehr, bis eines Tages der zurückgehaltene[74] Schmerz und die körperliche Aufregung ihr einen Blutsturz zuzogen, so daß ihr Leben in Gefahr kam. Um all diesen Widerwärtigkeiten mit einem Schlage ein Ende zu machen, verheirathete sie sich mit dem, den sie allerdings lieber todt als lebendig gesehen hätte. Nach ihrer Hochzeit reiste Florinde mit ihrem Mann nach Cardonne und nahm Aventurade mit sich, der sie oft über die Strenge ihrer Mutter und über ihren Kummer, den Sohn des Infanten verloren zu haben, ihr Herz ausschüttete. Ueber Amadour sprach sie aber nur, um sie selbst zu trösten. Im übrigen beschloß sie, nur Gott und ihre Ehre vor Augen zu haben und ihr geheimes Leid so gut zu verbergen, daß auch kein einziger gewahr werde, wie sehr ihr Mann ihr mißfiel.

So führte Florinde lange Zeit ein Leben, welches nicht besser als gar keines war. Sie gab davon auch ihrem getreuen Amadour Kunde, welcher, da er ihr edles Herz und ihre Liebe zum Sohn des Infanten kannte, nicht anders annahm, als daß sie bald sterben würde, und sie wie eine Todte betrauerte. Diese Nachrichten steigerten nur seinen Schmerz; er hätte gern ihr ganzes Leben lang ihr Freund bleiben wollen; auch hätte er gewünscht, daß sie einen Gatten nach ihrem Wunsch gefunden hätte, so sehr verstummte sein eigener Schmerz neben dem ihrigen. Als er nun durch einen Freund am Hofe des Königs von Tunis erfuhr, daß dieser entschlossen sei, ihn wie jeden andern gefangenen Feind zu tödten, es sei denn, daß er seinen Glauben abschwöre – in letzterem Falle wünschte er sehr, ihn in seine Dienste zu nehmen – einigte er sich mit seinem Herrn dahin, daß dieser ihn gegen sein Ehrenwort vorläufig entließ und seine vollständige Befreiung an die Zahlung eines Lösegeldes knüpfte, welches er so hoch bemessen hatte, daß er allerdings nicht annahm, ein Mann von Amadours Mitteln würde es zahlen können. So, ohne erst den König zu befragen, entließ ihn sein Herr auf Ehrenwort. Sowie er an den Hof des Königs von Spanien gekommen war, machte er sich sofort daran, bei seinen Freunden sich das Lösegeld zu verschaffen und reiste sogleich nach Barcelona, wohin der junge Herzog von Cardonne, dessen Mutter und Florinde gegangen war. Sobald Aventurade die Nachricht von der Ankunft ihres Mannes erhalten hatte, machte sie hiervon Florinde[75] Mittheilung, die vor Freude außer sich gerieth. Da sie aber befürchtete, daß sie beim Wiedersehen erröthen würde und Leute, die ihn nicht kannten, hieraus ein abfälliges Urtheil ziehen könnten, hielt sie sich an einem Fenster auf, wo sie ihn schon von Weitem kommen sehen konnte, und als sie ihn bemerkte, ging sie ihm auf einer dunklen Treppe entgegen, wo Niemand sehen konnte, ob sie die Farbe wechselte. Dann umarmte sie ihn herzlich, führte ihn in ein Zimmer und von da zu ihrer Schwiegermutter, die ihn noch niemals gesehen hatte. Aber schon nach zwei Tagen war er in ihrem Hause eben so beliebt, wie in dem der Gräfin Arande.

Von den vielen Gesprächen Amadours und Florindens und den Erzählungen des ersteren, wie schlecht es ihm in der Zeit der Trennung gegangen sei, will ich nichts berichten. Florinde vergoß manche Thräne, sowohl weil sie ohne Neigung verheirathet war, als auch über das Leid desjenigen, der sie so sehr liebte und den sie garnicht mehr wieder zu sehen gehofft hatte. Sie nahm sich deshalb vor, ihren Trost in ihrer Neigung und ihrem Vertrauen zu Amadour zu suchen. Immerhin sagte sie ihm nichts davon; er errieth es aber und versäumte keine Gelegenheit, ihr seine große Liebe zu zeigen. Als sie beinahe auf dem Punkte war, ihn nicht mehr nur als ihren treu ergebenen Diener, sondern als besten, liebenswerthen Freund anzunehmen, ereignete sich etwas ganz Unerwartetes. Der König ließ plötzlich in einer wichtigen Sache Amadour zu sich rufen; als Aventurade diese Kunde vernahm, erschrak sie so sehr darüber, daß sie ohnmächtig wurde und so unglücklich stürzte, daß sie nicht wieder ins Leben zurückgerufen werden konnte. Florinde verlor durch diesen Todesfall ihren letzten Trost und bedauerte sie, als hätte sie mit ihr ihren letzten Verwandten und Freund verloren. Noch schlechter aber ging es Amadour; einmal verlor er die beste Frau und andererseits mit ihr auch die Möglichkeit, Florinde immer sehen zu können. Er verfiel selbst in eine schwere Krankheit, daß er nicht anders glaubte, als auch sterben zu müssen.

Die alte Herzogin von Cardonne besuchte ihn häufig und suchte ihm mit Trostgründen über den Tod seiner Frau hinweg zu helfen; aber vergeblich. Der Verlust seiner Frau quälte ihn, und[76] seine Liebe konnte diese Qual nur vergrößern. Als nun seine Frau begraben war und er nicht mehr bleiben konnte, da sein Herr ihn zurück verlangte, überkam ihn so große Verzweiflung, daß er beinahe den Verstand verlor. Florinde suchte ihn zu trösten und war doch selbst am meisten des Trostes bedürftig. Einen ganzen Nachmittag saß sie bei ihm und sprach ihm Muth zu, indem sie ihm versicherte, sie würde schon Mittel und Wege finden, daß sie sich öfter sehen könnten, als er dächte. Er war zwar so schwach, daß er sich kaum auf seinem Lager rühren konnte, sollte aber doch den andern Morgen das Schloß verlassen. Er bat sie deshalb, am Abend, nachdem alle anderen fortgegangen waren, noch einmal zu ihm zu kommen, was sie auch ohne zu bedenken, wie weit verzweifelte Liebe einen Menschen bringen kann, versprach. Ihm schien alle Hoffnung, sie je wieder zu sehen, verloren; er dachte an seine lange, treue Ergebenheit, für die er nie einen anderen Lohn erhalten hatte, als Ihr gehört habt, und in seiner so lange Zeit niedergehaltenen Liebessehnsucht und seiner Verzweiflung entschloß er sich, alles aufs Spiel zu setzen, sie ganz zu verlieren oder sie ganz zu gewinnen und in einer kurzen Stunde das Glück zu genießen, das er verdient zu haben glaubte. Er ließ sein Bett mit dichten Vorhängen umgeben, so daß ihn die Leute, die ihn besuchten, nicht sehen konnten, und er klagte ihnen gegenüber noch mehr als bisher, so daß alle im Hause nicht anders dachten, als daß er den nächsten Tag nicht mehr überleben würde. Nachdem alle Besucher ihn verlassen hatten, ging Florinde auf Bitten ihres Mannes noch zu ihm. Sie kam mit dem Vorhaben, zu seinem Trost ihm ihre Liebe einzugestehen und ihm zu sagen, daß, soweit ihre Ehre es erlaube, sie ihm ergeben sein wolle. Sie setzte sich auf einen Stuhl am Kopfende des Bettes und vereinigte ihre Thränen mit den seinen. Als Amadour sie so voll Trauer und Mitleid sah, dachte er, daß ihm diese Stimmung leichter zu seinem Zwecke verhelfen könne, und erhob sich auf seinem Bett, welches Florinde, die ihn noch für zu schwach dazu hielt, verhindern wollte. Er ließ sich auf die Kniee nieder, und indem er rief: »Muß ich Euch auf ewig verlieren?« ließ er sich in ihre Arme fallen, wie ein Mensch, den seine Kräfte verlassen. Die arme Florinde hielt ihn lange aufrecht und that alles Mögliche, um ihn[77] zu trösten; aber die Medicin, welche sie ihm gab, um seinen Schmerz zu mildern, machte ihn gar zu stark; denn ohne zu sprechen, und indem er that, als stürbe er, suchte er zu erlangen, was Frauenehre verbietet.

Als Florinde seine böse Absicht merkte, wollte sie, angesichts der ehrenhaften Reden, die er stets geführt hatte, kaum daran glauben und fragte ihn, was er wolle. Aber Amadour, der ihre Antwort fürchtete, wohl wissend, daß es eine keusche und ehrbare sein würde, verfolgte ohne zu sprechen mit allen Kräften sein Vorhaben. Florinde glaubte in ihrem Erstaunen eher, daß er den Verstand verloren habe, als daß er sie entehren wollte. Sie rief also laut nach einem Edelmann, welcher, wie sie wußte, im Nebenzimmer war, worauf Amadour, aufs äußerste verzweifelt, sich so heftig auf sein Bett zurückwarf, daß der hinzukommende Edelmann dachte, er sei verschieden. Florinde, welche sich von ihrem Sitz erhoben hatte, schickte ihn schnell nach etwas gutem Essig, worauf der Edelmann hinausging. »Amadour«, sagte Florinde, »welche Tollheit ist Euch in den Kopf gestiegen? Was habt Ihr gedacht und was thun wollen?« Amadour, dem vor Liebe alle Vernunft abhanden gekommen war, antwortete: »Verdienen meine langjährigen Dienste eine solche Grausamkeit zum Lohn?« »Und wo bleibt die Ehre«, sagte Florinde, »welche Ihr mir so oft gepredigt habt?« »Ach«, sprach Amadour, »man kann Eure Ehre nicht inniger lieben als ich; denn als Ihr Euch verheirathen solltet, habe ich mein Herz so wohl bezwungen, daß Ihr nichts von meinen Wünschen erfuhrt; jetzt, da Ihr vermählt seid und Eure Ehre gedeckt ist, welches Unrecht thue ich, wenn ich fordere, was mein ist? Denn kraft meiner Liebe habe ich Euch gewonnen. Der, welchem zuerst Euer Herz gehört hat, trachtete so wenig nach Eurem Leib, daß er es verdient hat, beides zu verlieren. Der, welchem Euer Leib gehört, ist Eures Herzens nicht würdig, und also gehört ihm eigentlich auch Euer Leib nicht. Ich aber, edle Frau, habe fünf oder sechs Jahre lang so viel um Euch gelitten, daß Ihr wissen müßt, daß mir allein Euer Herz und Leib gehören, um derentwillen ich mich selbst vergessen habe. Wenn ich vor meiner Abreise den Lohn von Euch erhielte, den meine große Liebe verdient, so würde ich stark genug sein, die[78] Qual dieser langen Abwesenheit zu ertragen. Wenn Ihr ihn mir aber verweigert, werdet Ihr bald hören, daß Eure Strenge mich in einen unglücklichen und grausamen Tod gejagt hat.«

Florinde war eben so erstaunt als betrübt, solche Anträge von dem zu erhalten, den sie dessen nie für fähig erachtet hätte, und Antwortete ihm weinend: »Ach, Amadour, sind das die tugendhaften Absichten, welche Ihr während meiner Jugendzeit hattet? Ist das die Ehre des Gewissens, welche Ihr mir so oft empfohlen habt, nie zu vergessen? Habt Ihr die guten Beispiele vergessen, welche Ihr mir von den tugendhaften Damen erzähltet, die der tollen Liebe widerstanden, und die Verachtung, welche Ihr gegen galante Frauen an den Tag legtet? Ich kann nicht glauben, Amadour, daß Ihr Euch so weit ändern könnt, Gott, Euer Gewissen und meine Ehre zu vergessen. Aber wenn es so ist, so lobe ich die himmlische Vorsehung, welche mich verhindert hat, mich ins Unglück zu stürzen, da mir Euer wahres Herz enthüllt wurde. Ich sage Euch das mit dem größten Schmerz; aber wenn ich hergekommen wäre, um Euch ewige Freundschaft zu schwören, so kenne ich doch mein Herz, das jetzt gebrochen ist; mein Leid, so enttäuscht worden zu sein, ist so groß, daß ich mein Leben über kurz oder lang dafür lassen werde. Und damit lebt wohl auf ewig!« Der Schmerz Amadours bei diesen Worten ist nicht zu beschreiben und nachzufühlen, außer von denen, die Aehnliches erlebt haben. Und da er sah, daß sie nach diesem grausamen Beschluß fortgehen wollte, hielt er sie fest, wohl wissend, daß, wenn er ihr nicht ihre schlechte Meinung über ihn nähme, er sie für immer verlieren würde.

Darauf sprach er mit verstellter Miene zu ihr: »Edle Dame, ich habe in meinem ganzen Leben gesucht, eine Frau über Alles zu lieben, die dessen würdig war; und da ich so wenige gefunden habe, habe ich prüfen wollen, ob Ihr durch Eure Tugend würdig wärt, eben so geachtet als geliebt zu werden. Dies weiß ich nun sicher und ich lobe Gott dafür, der mein Herz dahin lenkte, so viel Vollkommenheit zu lieben; Euch aber bitte ich, verzeiht mir mein thörichtes und kühnes Unternehmen, da Ihr seht, daß das Ende zu Eurer Ehre und meiner Zufriedenheit ausschlägt.« Florinde, welche jetzt die Schlechtigkeit der Männer durch ihn eben so gut kennen gelernt hatte, wie es ihr früher schwer wurde, daran zu glauben[79] sagte ihm: »Wollte Gott, Ihr sagtet die Wahrheit! Aber ich bin seit meiner Verheirathung nicht mehr so unwissend, nicht zu sehen, daß Euch nur Blindheit und Leidenschaft handeln ließen, denn wenn ich schwach gewesen wäre, hättet Ihr Euren Zweck erreicht. Die, welche nur um der Tugend willen in Versuchung führen wollen, werden nimmermehr den Weg einschlagen, welchen Ihr wähltet. Aber genug davon; wenn ich einiges Gute von Euch gehalten habe, so weiß ich jetzt doch die ganze Wahrheit, und diese befreit mich von Euch.«

Damit ging Florinde hinaus und weinte die ganze Nacht hindurch; sie fühlte so großen Schmerz über diese Veränderung, daß ihr Herz Mühe hatte, die Anfälle von Reue, welche die Liebe ihr eingab, zu unterdrücken; denn obgleich ihr Verstand beschloß, ihn durchaus nicht mehr zu lieben, wollte sich ihr Herz, welches uns nicht unterthan ist, dem nicht fügen. Sie liebte ihn also nach wie vor, da sie wußte, daß die Liebe an diesem Vergehen schuld war, und beschloß nur, um auch der Ehre zu genügen, es niemals merken zu lassen.

Am Morgen reiste er ab, und nachdem er seine Angelegenheiten bei der Königin geordnet hatte, zog er in den Krieg. Er war so traurig und so ganz und gar verändert, daß die Damen, Offiziere und alle, welche früher mit ihm umgegangen waren, ihn kaum wiedererkannten, und ging nur noch in schwarz gekleidet, einen Stoff dazu wählend, der bedeutend gröber war, als es nöthig gewesen wäre, um die Trauer um seine Frau zu tragen, mit welcher er die in seinem Herzen verdeckte. So verbrachte Amadour drei oder vier Jahre, ohne an den Hof zurückzukehren.

Die Gräfin von Arande, welche gehört hatte, daß Florinde so verändert sei, daß es mitleiderregend wäre, ließ sie holen, hoffend, daß sie zu ihr kommen würde; aber es geschah das Gegentheil; als Florinde hörte, daß Amadour ihrer Mutter ihre Freundschaft vertraut habe, und daß ihre so weise und tugendhafte Mutter sich darauf verließ, daß Amadour nichts weiter als eben diese Freundschaft gesucht habe, gerieth sie in nicht geringe Verlegenheit. Da er aber so weit fort war, ließ sie sich nichts merken und schrieb ihm sogar, wenn die Gräfin es befahl; aber es waren[80] Briefe, denen man es wohl ansah, daß sie weniger aus gutem Willen als aus Gehorsam geschrieben waren; so verdroß es ihn nur, sie zu lesen, anstatt daß er sich wie früher darüber freute. Nach zwei oder drei Jahren, nachdem er so viel schöne Thaten vollbracht hatte, daß man sie auf alles Papier von Spanien nicht hinschreiben könnte, faßte er einen großen Plan, nicht um Florindens Herz zu gewinnen, welches er für verloren hielt, sondern um seine Feindin, zu der sie sich gemacht hatte, zu besiegen. Er schlug alle Rathschläge der Vernunft und selbst die Furcht vor dem Tode zurück, dem er sich aussetzte. Nachdem er diesen Beschluß gefaßt hatte, wirkte er es aus, daß der Gouverneur ihn abschickte, um mit dem Könige über mehrere Anschläge zu sprechen, die sie auf Leucate bei Narbonne machen wollten. Er wagte es, erst der Gräfin von Arande von seinem Vorhaben mitzutheilen, ehe er es dem Könige sagte, und, um ihren Rath einzuholen, reiste er geradewegs nach der Grafschaft Arande; er wußte, daß Florinde dort war, und schickte heimlich einen seiner Freunde zur Gräfin, um ihr seine Ankunft mitzutheilen, sie zugleich bittend, es geheim zu halten und ihm in der Nacht eine Unterredung zu gewähren, von der Niemand etwas erführe. Die Gräfin, welche sehr erfreut über sein Kommen war, sagte es Florinde und schickte sie zum Ankleiden in das Zimmer ihres Mannes, damit sie fertig sei, wenn sie es ihr melden lassen würde, und sie Niemand mehr stören könne. Florinde, welche noch nicht von ihrer ersten Furcht genesen war, ließ ihre Mutter nichts merken und ging beten, indem sie sich Gott empfahl und ihn bat, ihr Herz vor jeder bösen Zärtlichkeit zu bewahren; sie dachte daran, daß Amadour so oft ihre Schönheit, welche trotz ihrer langen Krankheit nicht vermindert war, gelobt hatte; und da sie diese lieber vernichten wollte, als durch sie ein so gottloses Feuer anzuschüren, nahm sie einen Stein, welchen sie in der Kapelle fand, und schlug sich damit dermaßen ins Gesicht, daß ihr Augen, Nase und Mund davon ganz mißgestaltet wurden. Und damit Niemand den Verdacht schöpfte, daß sie es selbst gethan habe, ließ sie sich, als die Gräfin nach ihr schickte, beim Verlassen der Kapelle mit dem Gesicht auf einen großen Stein fallen, indem sie laut dabei schrie; die Gräfin kam und fand sie in diesem erbarmungswürdigen Zustande;[81] sogleich wurde sie verbunden und bepflastert. Darauf führte sie die Gräfin hinein und bat sie, in ihrem Kabinet Amadour zu unterhalten, bis sie sich ihrer Gesellschaft entledigt habe. Dies that Florinde, da sie dachte, es würden noch Andere bei ihm sein; aber nachdem sie sich mit ihm allein fand und die Thür hinter ihr geschlossen war, wurde sie eben so betrübt als Amadour zufrieden, denn er gedachte nun durch Liebe oder Gewalt zu gewinnen, wonach er sich so sehr gesehnt hatte. Nachdem er zuvor ein wenig mit ihr gesprochen hatte und sie auf demselben Standpunkte fand, wie da er sie verlassen hatte, sie auch bis zum Tode ihre Meinung nicht wechseln würde, sagte er, außer sich vor Verzweiflung: »Bei Gott, Florinde, die Früchte meiner Bemühungen sollen mir nicht durch Anstandsbedenken verloren gehen! Und da mir die Liebe, Geduld und demüthiges Bitten nichts geholfen haben, werde ich meine Kraft nicht sparen, um endlich den Preis zu erlangen, ohne welchen ich sie ganz verlieren würde.«

Als Florinde sein Antlitz und seine Augen so verändert sah, seine schöne Haut roth wie Feuer, seinen sanften freundlichen Blick so schrecklich und wüthend, daß ein gieriges Feuer in seinem Herzen und Gesicht zu brennen schien, und als er in dieser Wuth ihre beiden schwachen zarten Hände mit einer seiner starken ergriff, als sie ferner sah, daß all ihr Wider streben vergeblich und ihre Hände und Füße so gefangen waren, daß sie sich weder vertheidigen noch fliehen konnte, wußte sie keinen Ausweg mehr außer den einen, in ihm noch eine Wurzel der früheren Liebe zu suchen, der zu Ehren er seine Grausamkeit aufgeben würde. Sie sprach also zu ihm: »Amadour, wenn Ihr jetzt mein Feind seid, bitte ich Euch um der Liebe willen, welche früher in Eurem Herzen wohnte, hört mich an, ehe Ihr mich martert.« Als sie sah, daß er ihr zuhörte, fuhr sie fort: »Ach, Amadour, was treibt Euch, nach etwas zu trachten, wovon ihr keine Befriedigung haben werdet, und das mir zur größten Qual, die ich erdenken kann, wird? Ihr habt meinen Willen so gut zu der Zeit gekannt, als ich jung und schön war, (und damit hätte ich Eure Leidenschaft entschuldigen können) daß ich nicht begreife, wie Ihr jetzt, wo ich soviel älter und häßlicher bin, das Herz haben könnt, mich quälen zu wollen; wenn noch irgend ein[82] Rest von Liebe in Euch lebt, so muß das Mitleid Eure Wuth überwiegen. Und an dieses Mitleid und Eure Ehre, welche ich so gut kenne, wende ich mich jetzt und bitte um Gnade, damit ich Eurem Rath gemäß in Frieden und Ehren weiter leben kann, wie ich entschlossen bin, es zu thun.«

Amadour unterbrach sie und sagte: »Wenn ich sterben muß, so werde ich wenigstens meine beständige Qual los sein; aber die Entstellung Eures Gesichts, die ihr Euch gewiß absichtlich zugefügt habt, wird mich nicht hindern, meinen Willen durchzusetzen; und wenn ich von Euch nichts weiter erlangen könnte als Euer Skelett, so will ich das wenigstens haben.« Und da Florinde sah, daß Bitten, Gründe und Thränen ihr nichts nützten, und daß er seine bösen Wünsche, welchen sie niemals willfahren und denen sie immer widerstrebt hatte, mit Grausamkeit verfolgte, griff sie zu dem Mittel, welches sie wie den Tod fürchtete, und schrie mit einer zugleich traurigen und jammernden Stimme so laut sie konnte nach ihrer Mutter. Als diese ihre Tochter in dieser Weise rufen hörte, erfaßte sie große Angst und sie lief so schnell sie konnte nach dem Zimmer hin. Amadour, welcher nicht so bereit zum Sterben war, als er gesagt hatte, ließ seine Beute so früh fahren, daß die Dame bei ihrem Eintritt ihn an der Thür und Florinde ziemlich weit von ihm entfernt vorfand. Die Gräfin fragte: »Amadour, was giebt es? Sagt mir die Wahrheit.« Worauf er, der niemals um eine Ausrede verlegen war, mit bleichem und starren Gesicht antwortete: »Ach, edle Frau, in welchem Zustande befindet sich Frau Florinde? Ich war noch nie so erstaunt wie jetzt; denn wie ich Euch sagte, glaubte ich ihre Freundschaft zu besitzen, aber ich sehe wohl, daß dem nicht mehr so ist. Als ich das bemerkte, glaubte ich zu träumen, so daß ich um ihre Hand bat, um sie der Landessitte gemäß zu küssen, was sie mir ebenfalls abgeschlagen hat. Es ist wahr, edle Dame, daß ich ein Unrecht begangen habe, und ich bitte um Verzeihung dafür; ich habe ihre Hand mit Gewalt ergriffen und geküßt, aber keine andere Gunst verlangt; sie aber, die, wie ich glaube, meinen Tod beschlossen hat, rief Euch herzu, wie Ihr gehört habt; warum, weiß ich nicht, es sei denn, daß sie fürchtete, ich trachte nach anderem als es der Fall war. Wie es auch immer sei, ich werde stets derselbe[83] gegen sie und Euch bleiben, der ich war, und bitte Euch, erhaltet mit Eure Gunst, da ich ohne mein Verschulden die ihre verloren habe.«

Die Gräfin, welche ihm theils glaubte, theils nicht, ging zu ihrer Tochter und fragte diese, warum sie so laut nach ihr gerufen habe. Florinde antwortete, daß sie Furcht gehabt habe, und obgleich sie die Gräfin bis aufs Genaueste ausfragte, erhielt sie dennoch keine andere Antwort; denn nachdem sie ihrem Feinde entronnen war, hielt sie ihn für bestraft genug dadurch, daß ihm sein Vorhaben vereitelt war. Nachdem die Gräfin noch lange mit Amadour gesprochen hatte, ließ sie ihn noch in ihrer Gegenwart zu Florinde reden, um zu sehen, welche Miene er dabei machen würde; er hielt ihr keine große Rede, dankte ihr nur, daß sie ihrer Mutter die Wahrheit nicht gestanden habe, und bat sie, da er den Platz in ihrem Herzen verloren habe, diesen wenigstens keinem Anderen einzuräumen. Und sie antwortete: »Was das Erste anbetrifft, so wisset, daß, wenn ich ein anderes Vertheidigungsmittel gehabt hätte als meine Stimme, ich gewiß nicht meine Mutter gerufen hätte.« Damit ging sie hinaus. Die Mutter konnte aus ihren Mienen nichts lesen und war von diesem Tage an der Meinung, daß ihre Tochter Amadour nicht mehr leiden möge und unvernünftiger Weise alles das haßte, was sie selbst liebte; von da ab war sie so entzweit mit ihr, daß sie sieben Jahre lang nicht mehr von ihr sprach oder doch nur im Zorn, blos wegen Amadour. Während dieser Zeit blieb Florinde, die früher so ungern bei ihrem Gatten geblieben war, stets an seiner Seite, um der Strenge ihrer Mutter zu entfliehen. Aber da ihr alles das nichts half, beschloß sie, Amadour zu täuschen, und indem sie für einige Tage ihr abweisendes Wesen ablegte, rieth sie ihm, Freundschaft mit einer Frau zu schließen, zu der sie von ihrer Liebe gesprochen haben wollte.

Diese Dame hielt sich bei der Königin von Spanien auf und hieß Lorette; sehr erfreut, einen solchen Ritter gefunden zu haben, rühmte sie sich dessen so, daß man allenthalben davon sprach. Selbst die Gräfin von Arande hörte es bei Hofe und ließ von da ab nach, Florinde wie bisher zu quälen. Florinde hörte eines Tages, daß der Hauptmann, Lorette's Gatte, so eifersüchtig geworden sei, daß er beschlossen habe, Amadour auf die eine oder die[84] andere Art zu tödten. Florinde, die trotz ihrer Verstellung Amadour noch wohlwollte, benachrichtigte ihn sogleich davon. Aber er, der wieder in seine alten Pfade zurückfiel, antwortete ihr, wenn sie ihn alle Tage drei Stunden unterhalten wolle, würde er nie mehr ein Wort mit Lorette reden; darein wollte sie aber nicht willigen. »Nun«, sprach Amadour, »da Ihr mich nicht leben lassen wollt, warum wollet Ihr mich hindern zu sterben? Denn wenn ich lebe, quält Ihr mich mehr, als ein Martertod es könnte. Aber wie mich auch der Tod fliehen möge, ich werde ihn so lange suchen, bis ich ihn finde, denn dann erst werde ich Ruhe haben.« Während dieses Gespräches kam die Nachricht, daß der König von Granada einen großen Krieg gegen den König von Spanien beginne, so daß der König seinen Sohn, den Kronprinzen, und mit ihm den Connetable von Castilien und den Herzog von Alba, zwei alte und weise Herren, ausschickte. Der Herzog von Cardonne und der Graf von Arande wollten nicht zurückbleiben und baten den König, ihnen ebenfalls eine Stelle in der Armee zu geben; dies that er ihren Häusern angemessen und gab ihnen zur Führung Amadour, welcher während des Krieges so wunderbare Thaten vollbrachte, daß ihn sowohl Verzweiflung als Kühnheit dazu getrieben zu haben schien. Und, um zum Schluß meiner Erzählung zu kommen, sage ich Euch, daß er seinen Muth mit dem Tode bezahlen mußte; denn als einmal die Mauren sich in einen Kampf eingelassen hatten und dann scheinbar vor dem christlichen Heere flüchteten, setzten die Spanier ihnen nach; aber der alte Connetable und der Herzog von Alba, welche die List des Feindes durchschauten, hielten den Kronprinzen gegen seinen Willen davon ab, den Fluß zu überschreiten. Dieses thaten jedoch gegen das Verbot der Herzog von Cardonne und der Graf von Arande. Als die Mauren nun sahen, daß sie nur von Wenigen verfolgt wurden, drehten sie um, schlugen den Herzog von Cardonne mit einem Säbelhieb nieder und verwundeten den Grafen von Arande so schwer, daß man ihn für todt auf dem Platze ließ.

Amadour gerieth über diese Niederlage in eine solche Wuth, daß er das Gedränge durchbrach, die Körper dieser beiden aufnehmen und in das prinzliche Lager tragen ließ, wo sie von den Prinzen wie Brüder betrauert wurden. Als man aber ihre Wunden untersuchte,[85] fand man den Grafen von Arande noch lebend und man schickte ihn in einer Sänfte nach Haus, wo er lange krank lag. Von der anderen Seite langte in Cardonne die Leiche des jungen Herzogs an. Amadour fand sich, nachdem er die beiden Körper gerettet hatte, völlig umringt von Mauren; er aber wollte sich ebensowenig besiegen lassen, wie er hatte seine Freundin besiegen können, und weder seine Treue gegen Gott noch gegen sie aufgeben; denn er wußte, daß, wenn er vor den König von Granada geführt würde, er entweder eines grausamen Todes sterben oder seinen christlichen Glauben aufgeben müsse. So entschloß er sich denn, weder den Ruhm seines Todes, noch den seiner Freiheit seinen Feinden zu gönnen, und indem er seinen Degen senkte, empfahl er Leib und Seele Gott und stach ihn sich so durch die Brust, daß er todt niedersank.

So starb der arme Amadour, so bedauert, wie seine Tugenden es verdienten. Die Nachricht davon durchlief ganz Spanien; Florinde, welche in Barcelona, wo ihr Mann hatte beerdigt werden wollen, war, ging, nachdem sie allen Ehren der Bestattung beigewohnt hatte, und ohne ihrer Mutter und Schwiegermutter etwas davon zu sagen, als Nonne in ein Kloster; dort nahm sie den zum Gatten und Freund, der sie von einer so heftigen Liebe, wie die Amadours, und von der Qual des Zusammenlebens mit ihrem Gatten befreit hatte. So wandte sie ihr Herz so gänzlich Gott zu, daß sie nach einem langen Klosterleben so freudig starb, als fände sie in Gott ihren Gatten wieder.

Hiermit endete Parlamente ihre Erzählung und fuhr fort: »Ich weiß wohl, meine Damen, daß diese lange Geschichte Manchem zu ausgedehnt erscheinen könnte; wenn ich aber zur Zufriedenheit desjenigen hätte erzählen wollen, von dem ich sie gehört habe, so wäre sie noch viel länger geworden. Ich bitte Euch, edle Damen, nehmt Euch ein Beispiel an Florindens Tugend, aber seid nicht so grausam wie sie und glaubt nicht so viel Gutes von den Männern, daß die Erfahrung von dem Gegentheil ihnen einen bitteren Tod und Euch ein trauriges Leben eintrage.« Nachdem Alle Parlamente lange und aufmerksam zugehört hatten, wandte sie sich noch an Hircan mit den Worten: »Scheint es Euch nicht, daß diese Frau bis zum Aeußersten getrieben[86] war und dennoch tapfer widerstanden hat?« »Nein,« sagte Hircan »denn eine Frau kann keinen geringeren Widerstand leisten als den, zu schreien; wenn sie an einem Ort gewesen wäre, wo man sie nicht gehört hätte, weiß ich nicht, was sie gethan haben würde; und wenn Amadour verliebter als furchtsam gewesen wäre, hätte er um so geringer Ursache willen sein Vorhaben nicht aufgegeben. Und um dieses Beispiels willen werde ich doch meine Meinung nicht aufgeben, daß noch nie ein Mann, der wahrhaft liebte oder geliebt war, verfehlte, guten Erfolg zu haben, wenn er seinen Zweck verfolgte, wie es sich gehört. Aber doch lobe ich Amadour, daß er einen Theil seiner Pflicht erfüllte.«

»Welcher Pflicht?« fragte Oisille. »Nennt Ihr das eine Pflichterfüllung, wenn ein Ritter mit Gewalt die Dame bezwingen will, der er Ehrfurcht und Gehorsam schuldet?« Saffredant antwortete darauf: »Wenn unsere Herrinnen im Saale und den Gemächern sitzen, gleich unseren Richtern, so knieen wir vor ihnen; und wenn wir sie zart zum Tanze führen und ihnen so fleißig dienen, daß wir all ihren Wünschen zuvorkommen, scheinen wir so ängstlich zu sein, sie zu beleidigen, und so eifrig, ihnen zu dienen, daß die, welche uns sehen, Mitleid mit uns haben und uns oftmals für dumm und thöricht halten; oder wir gelten für überspannt und stumpfsinnig, und man rühmt unsere Damen, welche so kühn blicken und so ehrbar reden, daß sie von denen, die nur die Außenseite sehen, gefürchtet, geliebt und geachtet werden. Wenn wir aber allein sind, wo die Liebe allein unsere Mienen richtet, wissen wir sehr wohl, daß sie Frauen und wir Männer sind, und zu solcher Stunde wandelt sich das Wort Herrin in Freundin und Diener in Freund. Hiervon sagt das Sprüchwort:


Bist stets Du treu und dienst Du recht,

So wirst zum Herren Du vom Knecht.


Sie haben so viel Ehre, wie die Männer geben oder nehmen können; und wenn sie sehen, was wir ruhig erdulden, sollten unsere Leiden belohnt werden, so lange es die Ehre nicht verletzt.« »Ihr sprecht nicht vom wahren Glück«, sagte Longarine, »welches die Zufriedenheit der Welt ist; denn wenn alle Welt mich für tugendhaft hielte, und ich allein wüßte, daß es nicht wahr wäre, würde ihr[87] Lob nur meine Scham vermehren und mich verwirren. Und wiederum, wenn sie mich tadelten, und ich fühle mich unschuldig, so würde sich mir der Tadel zur Zufriedenheit wenden, denn Jeder ist nur sein eigener Richter.« »Was Ihr auch alle sagen mögt«, sprach Guebron, »es scheint mir, daß Amadour ein höchst ehrenwerther und braver Ritter war, und, wenn auch die Namen nur untergeschobene sind, glaube ich ihn doch zu kennen; da ihn aber Parlamente nicht nennen wollte, werde ich es auch nicht thun. Aber glaubt mir, wenn's der ist, an den ich denke, so war sein Herz niemals leer von Muth, Liebe und Kühnheit.« Oisille sagte hierauf: »Mir scheint, dieser Tag ist recht fröhlich vergangen; wenn wir es mit den übrigen ebenso machen, werden wir uns die Zeit mit hübschen Erzählungen kürzen. Schaut den Stand der Sonne an und hört die Glocke des Klosters, die uns schon lange zur Vesper ruft, wovon ich Euch nichts gesagt habe, denn die Begierde, das Ende dieser Geschichte zu hören, war größer, als die, die Messe anzuhören.« Darauf erhoben sich Alle, und als sie in der Abtei ankamen, fanden sie, daß die Mönche sie seit einer guten Stunde erwartet hatten. Nachdem sie die Messe gehört hatten, gingen sie zum Abendbrot und sprachen den ganzen Abend von den Erzählungen, die sie gehört hatten, zugleich eifrig in ihrem Gedächtniß nachforschend, um den folgenden Tag eben so angenehm wie den ersten zu gestalten. Nachdem sie dann noch mannigfaltige Spiele auf den Wiesen gespielt hatten, gingen sie schlafen, auf diese Art höchst fröhlich und zufrieden ihren ersten Tag beschließend.

Quelle:
Der Heptameron. Erzählungen der Königin von Navarra. Leipzig [o.J.], S. 62-88.
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