Zweite Erzählung.

[23] Bedauerlicher und ehrenvoller Tod der Frau eines der Maulthiertreiber der Königin von Navarra, welche ein Diener ihres Mannes in dessen Abwesenheit mißbrauchen will.


In Amboise lebte ein Maulthiertreiber in Diensten der Schwester des Königs Franz I., der Königin von Navarra, welche in Blois mit einem Sohne niedergekommen war. Zu dieser hatte sich der Maulthiertreiber aufgemacht, um sich seinen Dienstlohn zu holen, während seine Frau in Amboise in ihrer Wohnung jenseits der Brücke zurückblieb. Lauge schon liebte letztere ein Knecht ihres Mannes so heftig, daß er eines Tages nicht mehr an sich halten konnte, ihr von seiner Liebe zu sprechen. Sie war aber eine vollkommen ehrbare Frau und wies ihn kurz ab, bedrohte ihn auch damit, ihn von ihrem Mann bestrafen und wegjagen zu lassen. Seitdem hatte er sie nicht mehr mit seinen Reden belästigt, ließ sich auch nichts mehr anmerken; vielmehr bewahrte er die Gluth seiner Liebe in seinem Herzen, bis sein Herr weggereist und seine Herrin eines Tages zur Messe nach der Schloßkirche Saint-Florentin, die sehr weit von ihrer Wohnung ablag, gegangen war. Wie er nun so allein zu Hause saß, kam ihm der Gedanke, daß er durch Gewalt erreichen könnte, was weder Bitten noch Ergebenheit ihn hatten erlangen lassen, und er brach aus der Wand zwischen dem Zimmer seiner Herrin und dem seinigen eine Bohle heraus.

Da nun auf der einen Seite der Wand der Bettvorhang vom Bett seiner Herrin und seines Herrn war, auf der anderen ebenfalls ein Vorhang von einem Bett der Dienerschaft, so blieb das Loch, das er gemacht hatte, unsichtbar, und seine Arglist wurde nicht bewerkt, bis seine Herrin mit einem kleinen zwölfjährigen Mädchen zu Bett gegangen war. Sobald die arme Frau im ersten Schlummer lag, drang er durch die Oeffnung in ihr Zimmer und legte sich im Hemde, ein blankes Schwert in den Händen, in ihr Bett. Kaum aber spürte sie ihn neben sich, als sie aus dem Bett sprang und ihm alle Vorstellungen machte, wie sie nur eine anständige Frau machen kann. Seine Liebe war aber nur eine rein thierische, er hätte eher die Sprache der Maulesel verstanden, als vernünftige[24] Gründe, und er zeigte sich thierischer als die Thiere, die sein gewöhnlicher Umgang waren; denn als er sah, daß sie immer um einen Tisch herumlief, so daß er sie nicht packen konnte, und sie auch so stark war, daß sie sich zweimal schon von ihm losgemacht hatte, gab er die Hoffnung auf, sie lebendig in seinen Besitz zu bringen, und versetzte ihr einen tiefen Hieb über die Hüften, damit der Schmerz fertig bringe, was Furcht und Gewalt nicht vermocht hatten.

Aber vergeblich; denn wie ein tüchtiger Kämpfer, wenn er erst sein Blut fließen sieht, nur noch hitziger losschlägt, um sich zu rächen und Ehre zu erwerben, so verdoppelte sich auch die Kraft ihres keuschen Herzens, und sie fuhr fort, im Zimmer umherzulaufen und den Händen ihres Angreifers zu entwischen, wobei sie ihm unausgesetzt Vorstellungen machte, um ihn zur Einsicht seines sündhaften Verlangens zu bringen. Aber er war so voller Begierde, daß gute Rathschläge nichts mehr bei ihm verschlugen; er versetzte ihr noch einige Degenhiebe, denen sie durch Herumlaufen zu entgehen suchte, so lange ihre Füße sie noch trugen. Als sie aber in Folge des starken Blutverlustes den Tod herannahen fühlte, erhob sie die Augen zum Himmel, faltete ihre Hände und empfahl Gott ihre Seele, indem sie ihm ihre Kraft und Tugend und Ausdauer und Keuschheit nannte und ihn anflehte, das Blut, das sie in Befolgung seiner Gesetze vergossen habe, im Namen seines göttlichen Sohnes, durch dessen Blut alle Sünden vor seinem göttlichen Zorn getilgt und gesühnt seien, gnädig anzunehmen. Dann mit den Worten: »Herr, nimm meine Seele zu dir, die durch deine Güte unbefleckt geblieben ist« fiel sie mit dem Gesicht zur Erde nieder, wo der Schamlose noch weiter auf sie einschlug. Nachdem sie ganz still geworden war, und er seine frevelhafte Begierde befriedigt hatte, floh er eiligst und konnte trotz aller Nachforschungen nicht ausfindig gemacht werden.

Das junge Mädchen, das mit der Frau zusammen in deren Bett gelegen hatte, war in ihrer Furcht unter das Bett gekrochen. Als sie nun sah, daß der Mann das Zimmer verlassen hatte, lief sie zu ihrer Herrin hin, und da diese sich nicht mehr bewegte, rief sie zum Fenster hinaus die Nachbarsleute zu Hülfe. Alle, die sie[25] gern hatten und sie mehr als eine andere Frau der Stadt achteten, kamen unverzüglich herzu und brachten Aerzte mit sich. Diese constatirten 25 tödtliche Wunden an ihrem Körper, und alle ihre Bemühungen, ihr das Leben zu erhalten, blieben ohne Erfolg. Immerhin lebte sie noch eine Stunde, ohne sprechen zu können, versuchte aber mit den Augen und Händen sich noch verständlich zu machen. Von einem Priester um ihr Glaubensbekenntniß befragt, antwortete sie mit so klaren Zeichen, wie sie die Sprache nicht hätte besser geben können, daß ihre Zuversicht in Jesu Christo sei, den sie auf seinem himmlischen Thron zu sehen hoffe. Dann hauchte sie mit freudigem Blicke und mit zum Himmel gewandten Augen ihre Seele aus.

Als sie nun eingesargt und ihre Leiche in Erwartung der Leidtragenden an der Thür niedergestellt worden war, kehrte ihr armer Mann zurück und sah früher die Leiche seiner Frau vor der Thür, als er die Nachricht von ihrem Tode erhalten hatte. Als er gar die näheren Umstände erfahren hatte, verdoppelte sich seine Trauer, und er versank in so großen Kummer, daß es ihm beinahe selbst das Leben kostete. Die Leiche dieser Märtyrerin der Keuschheit wurde in der Kirche Saint-Florentin beigesetzt; keine einzige der ehrbaren Frauen der Stadt verfehlte, sie zu begleiten und ihr die letzte Ehre zu erweisen, und alle schätzten sich glücklich, zu einer Stadt zu gehören, in der eine so tugendhafte Frau gelebt hatte. Als die Leichtfertigen die Ehre sahen, die man dieser Frau erwies, gingen sie in sich und änderten ihren Lebenswandel.

Hiermit endigte Oisille ihre Erzählung und fuhr dann fort:

»Hier, meine Damen, haben Sie eine wahre Geschichte, die uns wohl veranlassen kann, jene schöne Tugend der Keuschheit uns zu bewahren. Müßten wir, die wir von vornehmer Geburt sind, nicht vor Scham sterben, wenn wir in unserm Herzen eine Versuchung verspüren, der zu entfliehen eine arme Frau nicht anstand, in einen so grausamen Tod zu gehen? Ja, wie manche hält sich wohl für eine ehrbare Frau, der es nicht eingefallen ist, bis zum letzten Blutstropfen zu widerstehen, wie jene es that. Deshalb demüthigen wir uns; denn Gott schenkt den Menschen seine Gnade nicht nach ihrer Geburt oder ihrem Reichtum, sondern nach ihrem wohlgefälligen[26] Leven; er nimmt nicht jedermann, sondern er sucht sich aus, wen er für berufen hält, denn wen er einmal erwählt hat, den ehrt er mit seiner Gnade und krönt ihn mit seinem Ruhm. Und oft wählt er sich Niedriggeborene aus, um diejenigen zu beschämen, die die Welt für hochstehend und achtbar hält, wie er selbst sagt: ›Setzen wir unsern Stolz nicht in unsere Vorzüge, sondern darin, wie wir im Buche des Lebens angeschrieben sind.‹«

In der ganzen Gesellschaft war nicht eine einzige Dame, die nicht Thränen des Mitleids um den heldenmüthigen Tod dieser armen Frau in den Augen gehabt hätte. Eine jede nahm sich vor, sich, wenn gleiches Schicksal ihr begegnen sollte, zu bemühen, dem Beispiel jener zu folgen. Als nun Frau Oisille sah, daß unter den Lobeserhebungen der armen Todten die Zeit verstrich, sagte sie zu Saffredant: »Wenn Ihr nicht etwas erzählt, was die Gesellschaft zum Lachen bringt, wird mir keine unter uns den Fehlgriff verzeihen, sie zu Thränen gerührt zu haben. Deshalb gebe ich Euch das Wort.« Saffredant hätte wohl gewünscht, etwas Gutes zu erzählen was der Gesellschaft gefallen möchte, besonders einer der anwesenden Damen; er sagte aber, man thäte Unrecht, ihn zu wählen, da viel Aeltere und Erfahrenere zugegen wären, die man zuerst erzählen lassen müsse. Da aber das Loos einmal auf ihn gefallen sei, wolle er nur beginnen, denn je mehr vor ihm bessere Erzählungen machen würden, um so schlechter würde die seine befunden werden.

Quelle:
Der Heptameron. Erzählungen der Königin von Navarra. Leipzig [o.J.], S. 23-27.
Lizenz:
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