Sechste Erzählung.

[44] Schlauheit einer Frau, die ihren Liebhaber entwischen läßt, als ihr Mann, der auf einem Auge blind ist sie überraschen will.


Der letzte Herzog von Alençon hatte einen Kammerdiener, der ein Auge verloren hatte und mit einer um vieles jüngeren Frau verheirathet war. Sein Herr und seine Herrin schätzten ihn wie irgend einen aus ihrem Hofhalt und hatten ihn gern um sich, weshalb er nicht so oft, als er wohl gewollt hätte, zu seiner Frau gehen konnte. So kam es, daß diese die eheliche Treue brach und sich in ein Verhältniß mit einem jungen Edelmann einließ, welches am Ende so stadtbekannt wurde, daß Gerüchte davon auch ihrem Mann zu Ohren kamen. Er wollte es aber nicht glauben, weil seine Frau ihm viele Zeichen der Zuneigung und Treue gegeben hatte. Immerhin nahm er sich eines Tages vor, sie auf die Probe zu stellen und wenn möglich sich an dem, der ihn zum Stadtgespräch machte, zu rächen; er gab also vor auf zwei bis drei Tage verreisen zu müssen. Kaum war er fort, als seine Frau ihren Liebhaber holen ließ, der aber noch keine halbe Stunde bei ihr war, als ihr Mann wieder in das Haus zurückkehrte und heftig an die Stubenthür klopfte. Sie erkannte ihn sofort und sagte es ihrem Geliebten, der lieber am Ende der Welt gewesen wäre und sie und die Liebe verwünschte, die ihn in solche Gefahr brachte. Sie sagte ihm aber, er solle nur ohne Sorge sein, sie würde schon ein Mittel finden, ihn ohne Schaden herauszulassen, vor Allem solle er sich nur so schnell als möglich ankleiden.

Unterdeß klopfte ihr Mann immer weiter an die Thür und rief laut den Namen seiner Frau; sie that aber, als wenn sie ihn nicht erkannte und sagte laut zu ihrem Diener: »Was stehst Du nicht auf und bringst die Leute, die solchen Lärm vor der Thür machen, zur Ruhe? Ist denn das eine Zeit, um in das Haus ehrbarer Leute zu kommen? Wenn mein Mann da wäre, würde er Euch schon fortbringen«. Als ihr Mann ihre Stimme hörte, rief er ihr laut durch die Thür zu: »Oeffne mir doch, willst Du denn, daß ich bis zum Morgen hier stehen soll?« Als sie nun sah,[45] daß ihr Liebhaber mit dem Anziehen fertig war, sagte sie zu ihrem Mann: »O, mein lieber Mann, was bin ich froh, daß Du zurück bist, eben habe ich einen so schönen Traum gehabt, der mich ganz glücklich machte, weil es mir war, als sähest Du wieder mit beiden Augen.« Während dieser Worte umarmte sie ihn und küßte ihn, nahm seinen Kopf zwischen ihre Hände, hielt ihm das gesunde Auge zu und fragte: »Siehst Du nicht wirklich besser als bisher?« Er sah garnichts, und unterdeß entschlüpfte ihr Geliebter; er wußte aber nichtsdestoweniger, woran er war, und sagte zu seiner Frau: »Ich werde mich wohl hüten, Euch weiter aufzupassen, denn ich wollte Euch fangen und bin nun selbst das Opfer Eurer durchtriebenen Schlauheit geworden. Gott möge Euch auf den guten Weg zurückführen, denn es liegt außer der Macht eines Mannes, einer liederlichen Frau Schranken zu setzen, er müßte sie denn gleich umbringen. Da aber meine gute Behandlung Euch nicht vor der Sünde bewahrt hat, so möge Euch wenigstens die Verachtung, die ich von jetzt ab nur für Euch haben kann, eine Strafe sein.« Mit diesen Worten ging er fort und ließ seine Frau bestürzt zurück, und nur durch Verwandte und Freunde wurde nach vielen Entschuldigungen und Thränen wieder eine Versöhnung herbeigeführt. Nachdem er so geredet, fuhr Simontault fort:

»Hier sehen Sie also, wie fein eine Frau es anzulegen versteht, wenn es sich darum handelt, einer Gefahr zu entrinnen. Und wenn sie so schnell ein Mittel findet, ein Vergehen zu verbergen, so sollte ich doch meinen, daß ihr das noch leichter und schneller gelingen müßte, wenn es gilt, ein Uebel zu vermeiden oder etwas Gutes zu thun. Wenigstens habe ich immer gehört, daß das Gefühl für das Gute das stärkere sei.« Hircan wandte sich zu ihr: »Sprecht soviel von Schlauheit, als Ihr wollt, ich bin der Meinung, wenn Euch gleiches passiren sollte, Ihr würdet schwerlich gleich ein Aushülfsmittel zur Hand haben.« Sie erwiderte: »Dann könnt Ihr mich schon gleich für die dümmste Frau der Welt ausgeben.« »Das habe ich nicht sagen wollen«, sagte Hircan, »aber ich glaube, Ihr würdet eher über einen Lärm sehr bestürzt sein, als daran denken, ihn nicht laut werden zu lassen.« »Ihr glaubt eben, ein jeder macht es so wie Ihr und ertödtet einen Lärm nur mit einem[46] noch größeren«, unterbrach ihn hier Nomerfide; »aber am Ende läuft die Gesellschaft Gefahr, daß sie unter solchem Schein und Trug zu Schaden kommt, wie ein Haus leicht zusammenstürzt, wenn sein Unterbau zu sehr belastet wird. Aber wenn Ihr glaubt, daß die Schlauheit der Männer, von der nach meiner Meinung allerdings ein jeder von Euch einen beträchtlichen Theil besitzt, größer ist, als die der Frauen, so gebe ich Euch das Wort, um uns davon ein Stückchen zu erzählen. Wollt Ihr Euch selbst schildern, so glaube ich gern, daß wir etwas Schönes zu hören bekommen werden.« Hircan sagte: »Ich bin nicht hier, um mich selbst schlechter zu machen, als ich bin, das thun schon andere mehr als mir lieb ist.« Bei diesen Worten blickte er zu seiner Frau hinüber, welche zu ihm sagte: »Scheue Dich nicht um meinetwillen, ohne Umschweife zu reden, denn es ist mir schon lieber, wenn Du von Deinen Streichen erzählst, als daß Du sie etwa in meiner Gegenwart machst, obgleich keiner meine Liebe zu Dir herabmindern kann.« Hircan antwortete: »Ich beklage mich auch garnicht wegen der vielen falschen Ansichten, die Du über mich gehabt hast. Da wir einer den andern genau kennen, ist das nur eine Veranlassung mehr, in Frieden mit einander weiter zu leben. Immerhin bin ich nicht so sehr auf den Kopf gefallen, eine Geschichte von mir selbst zu erzählen, die Dir vielleicht doch Kummer machen könnte. Ich will Euch vielmehr von einem Manne erzählen, den ich sehr gut gekannt habe.«

Quelle:
Der Heptameron. Erzählungen der Königin von Navarra. Leipzig [o.J.], S. 44-47.
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