Siebenundfünfzigste Erzählung.

[372] Lächerliche Geschichte von einem englischen Lord, welcher einen Damenhandschuh als Zierde auf seinem Kleide trug.


Der König Ludwig XI. schickte einst den Herrn von Montmorenci als Gesandten nach England; derselbe wurde dort so gut aufgenommen, der König und alle die anderen Fürsten liebten und achteten ihn so sehr, daß sie ihm selbst ihre eigenen Angelegenheiten mittheilten und um seinen Rath baten. Eines Tages, bei Gelegenheit eines Banketts, welches der König ihm gab, saß neben ihm ein Lord aus großem Hause, welcher auf seinem Wams einen kleinen Handschuh befestigt hatte, der wie ein Damenhandschuh aussah, mit goldenen Hefteln verziert und auf den Fingernähten mit Diamanten, Rubinen, Smaragden und Perlen besät war, so daß dieser Handschuh einen großen Geldwerth hatte. Der Herr von Montmorenci[372] sah ihn so oft an, daß der Lord bemerkte, er habe Lust, ihn zu fragen, warum der Handschuh so geschmückt sei; da er meinte, daß die Geschichte ihm nur zum Lobe gereichen würde, fing er an zu erzählen: »Ich sehe wohl, daß Ihr Euch wundert, warum ich einen geringen Handschuh so köstlich herausgeputzt habe; ich will Euch aber gern den Grund davon erzählen, denn ich halte Euch so hoch und denke, Ihr wißt so genau, welche Leidenschaft die Liebe ist, daß Ihr mich gerechterweise loben werdet, wenn ich recht gehandelt habe, und wenn nicht, meine Thorheit verzeihen werdet, da Ihr wißt, daß die Liebe selbst über die ehrbarsten Herzen Macht hat. Ihr müßt wissen, ich habe eine Dame mein ganzes Leben lang geliebt und werde sie bis zu meinem Tode lieben; da nun mein Herz kühner war, sich an solche Stelle zu wenden, als mein Mund, davon zu sprechen, wagte ich sieben Jahre lang nicht, sie es merken zu lassen, weil ich fürchtete, daß ich, wenn sie es inne würde, die Mittel verlieren könnte, sie häufig zu besuchen, und davor scheute ich mich mehr als vor dem Tode. Eines Tages aber, als ich sie auf einer Wiese lange betrachtet hatte, befiel mich ein so heftiges Herzklopfen, daß ich Haltung und Farbe verlor, was sie sehr wohl bemerkte; als sie mich fragte, was mir wäre, sagte ich ihr, daß ich ein unerträgliches Herzweh hätte, und sie, welche glaubte, es sei eine andere Krankheit als die Liebe, zeigte sich mitleidig deswegen, so daß ich sie bat, ihre Hand auf mein Herz zu legen, um zu fühlen, wie es schlug, was sie auch mehr aus Barmherzigkeit als aus anderer Freundlichkeit that; während sie nun ihre behandschuhte Hand auf meinem Herzen hielt, fing dieses so heftig zu schlagen und zu stürmen an, daß sie fühlte, ich hätte die Wahrheit gesprochen; zugleich preßte ich ihre Hand gegen meine Brust und sagte zu ihr: ›Ach, edle Frau, empfanget denn das Herz, welches mir die Brust zersprengen möchte, um sich in die Hand derjenigen zu legen, von welcher ich Gnade, Leben und Barmherzigkeit erhoffe; mein Herz zwingt mich, Euch jetzt die Liebe zu erklären, welche ich so lange verborgen getragen habe, denn wir sind Untergebene dieser mächtigen Göttin.‹ Als sie diese meine Rede hörte, erschien sie ihr sehr seltsam, und sie wollte ihre Hand zurückziehen, doch hielt ich sie so fest, daß der Handschuh an der Stelle ihrer grausamen Hand verblieb.[373] Da ich nun niemals seitdem eine größere Vertraulichkeit von ihr genoß, habe ich diesen Handschuh als das geeignetste Pflaster auf meinem Herzen befestigt und ihn mit den schönsten Ringen, welche ich besaß, geschmückt, obwohl der wahre Reichthum in dem Handschuh selbst liegt, den ich um das Königreich England nicht hergeben möchte, denn ich habe auf der Welt kein höheres Gut, als ihn auf meiner Brust zu fühlen.«

Der Herr von Montmorenci, welcher die Hand einer Dame ihrem Handschuh vorzog, lobte ihn sehr wegen dieser großen Ehrbarkeit, indem er sagte, er sei der wahrste Liebende, den er jemals gesehen habe, da er von so Geringem so viel Aufsehens mache, obgleich er bei seiner großen Liebe wahrscheinlich gestorben wäre, wenn er mehr als den Handschuh erlangt hätte. Der Andere gab das zu und argwöhnte nicht, daß der Herr von Montmorenci sich über ihn lustig machte.

»Wenn alle Männer so ehrbar wie dieser wären«, fuhr Parlamente fort, »so könnten sich die Damen wohl darauf verlassen, wenn es sie nicht mehr als einen Handschuh kostet.« »Ich habe den Herrn von Montmorenci, von dem Ihr sprecht, so gut gekannt«, sagte Guebron, »daß ich sicher bin, er für seinen Theil hätte nicht in solcher Bangigkeit weitergelebt, und wenn er sich mit so wenig begnügt hätte, so würde er nicht so viel Glück in der Liebe gehabt haben, wie es der Fall war; denn das alte Lied sagt:


›Von einem furchtsamen Verliebten

Läßt Gutes sich nicht sagen.‹«


»Bedenkt doch«, sprach Saffredant, »daß diese arme Dame gar eilig ihre Hand zurückzog, als sie das Herz so heftig schlagen fühlte, denn sie glaubte gewiß, er würde sterben. Man sagt, die Frauen hassen nichts so sehr, als einen Todten anzufassen.« »Wenn Ihr die Hospitäler so viel besucht hättet, wie die Wirthshäuser«, sagte Emarsuitte, »würdet Ihr nicht so sprechen, denn dort würdet Ihr Frauen sehen, welche Todte begraben, denen sich oftmals selbst die kühnsten Männer nicht nähern mögen.« »Es ist wahr«, sagte Simontault, »daß es Niemand giebt, der nicht als Buße das Gegentheil von dem thut, was vorher sein Vergnügen war; zum[374] Beispiel fand man ein Fräulein aus gutem Hause, um für das Vergnügen zu büßen, welches sie darin gefunden hatte, Jemand, den sie liebte, zu küssen, eines Morges um vier Uhr die Leiche eines Edelmanns küssend, welcher den Tag vorher getödtet worden war, und den sie nicht weniger geliebt hatte, als den anderen; jedermann ersah daraus sofort, daß dies nur die Buße für vergangene Freuden war.« »Da sieht man«, rief Oisille, »wie alle guten Werke der Frauen von den Männern schlecht ausgelegt werden! Ich bin der Meinung, daß man Todte und Lebendige nur so küssen soll, wie es Gott wünscht.« »Was mich betrifft«, sagte Hircan, »so mache ich mir nichts daraus, die Frauen, mit Ausnahme der meinigen, zu küssen, und unterwerfe mich allen Gesetzen, die man darüber geben möge; aber mir thun die jungen Leute leid, denen Ihr diese kleine Freude nehmen und den Befehl des Apostels St. Paulus zu nichte machen wollt, welcher will, daß man ›in osculo sancto‹ küßt.« »Wenn der Apostel Paulus ein Mann wie Ihr gewesen wäre«, sagte Nomerfide, »so hätten wir den Beweis verlangt, daß es der heilige Geist Gottes sei, der aus ihm spräche.« »Schließlich würdet Ihr eher an der Heiligen Schrift zweifeln«, sagte Guebron, »als eine von Euren kleinen Ceremonien aufgeben.« »Das möge Gott verhüten«, sprach Oisille, »daß wir an der Heiligen Schrift zweifeln, weil wir Euren Lügen nicht glauben wollen; jede von uns weiß sehr wohl, was sie glauben soll, nämlich niemals Gottes Wort anzuzweifeln, sondern dem der Menschen zu mißtrauen, die sich von der Wahrheit abwenden.« »Ich glaube dennoch«, sagte Simontault, »daß es mehr Männer giebt, die von ihren Frauen betrogen werden, als Frauen, die von ihren Männern hintergangen werden; denn die geringe Liebe, welche sie für uns fühlen, hindert sie, die Wahrheit zu glauben, während die große Liebe, welche wir für sie empfinden, uns an ihre Lügen glauben läßt, so daß wir betrogen werden, ehe wir noch geargwöhnt haben, es sein zu können.« »Mir scheint«, versetzte Parlamente, »daß Ihr die Klagen irgend eines Dummen gehört habt, der von einer Thörin betrogen wurde, denn Eure Rede ist so wenig glaubhaft, daß sie eines Beispiels zur Erhärtung bedarf; wenn Ihr daher eines wißt, so gebe ich Euch das Wort, um es zu erzählen, denn ich finde[375] nicht daß wir Euren bloßen Worten zu glauben brauchen; wenn Ihr Schlechtes von uns sagt, werden unsere Erzählungen nicht darunter leiden, denn wir wissen, was wir davon zu halten haben.« »Da ich die Gelegenheit dazu habe«, sagte Simontault, »so will ich Euch die folgende Geschichte erzählen.«

Quelle:
Der Heptameron. Erzählungen der Königin von Navarra. Leipzig [o.J.], S. 372-376.
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