Achtundfünfzigste Erzählung.

[376] Eine Hofdame rächt sich auf gefällige Weise an einem Liebhaber wegen seiner Liebesverhältnisse mit anderen Damen.


Am Hofe Franz I. lebte eine sehr geistvolle Dame, welche durch ihre Anmuth, Ehrbarkeit und Freundlichkeit das Herz mehrerer Ritter gewonnen hatte. Sie vertrieb sich mit ihnen, indem sie dieselben in allen Ehren an sich fesselte, ihre Zeit so gut, daß sie garnicht wußten, woran sie sich halten sollten, denn die Siegesgewissen wurden Verzweifelte, und die Verzweifelnden wurden siegesgewiß. Während sie mit der Mehrzahl nur spielte, konnte sie sich doch nicht der Liebe zu einem erwehren, den sie ihren Vetter nannte, ein Mann, der ein weitergehendes Verhältniß verdeckte. Da aber alles vergänglich ist, verwandelte sich ihre Freundschaft oft in Zorn, dann traten wieder Versöhnungen ein, so daß der ganze Hof schließlich davon wußte. Eines Tages trat die Dame ihm freundlicher entgegen, als sie bisher je gethan hatte, sei es, um zu zeigen, daß sie sonst keine Neigung zu irgend wem verspürte, sei es, um demjenigen, dessen Liebe sie reich vergolten hatte, einen Kummer zu bereiten. Er, den es weder in Kriegs- noch in Liebeshändeln an Muth fehlte, bedrängte sie lebhaft, ihm zu gewähren, wonach er so lange verlangt hatte. Sie that, als könne sie es vor Mitleid nicht mehr aushalten, und gewährte ihm seine Bitte. Sie sagte ihm, er möchte zu diesem Zweck in ihr Zimmer kommen, welches ein Dachzimmer war, wo, wie sie wisse, Niemand sei; sobald er sie weggehen sehe, solle er ihr nachkommen, denn er würde sie gewiß allein finden,[376] da sie ihm sehr zugethan sei. Der Edelmann glaubte ihr und war so zufrieden, daß er mit den anderen Damen zu scherzen begann, während er auf ihr Fortgehen wartete, um hinterdrein zu gehen. Sie aber, die die Weiberklugheit in großem Maße besaß, ging zu zwei Prinzessinnen, mit denen sie sehr vertraut war, und sagte zu ihnen: »Wenn Ihr wollt, will ich Euch den schönsten Zeitvertreib geben, den Ihr je gesehen habt.« Da sie nicht nach Traurigem verlangten, baten sie sie, ihnen das Nähere zu sagen. »Es handelt sich um den Ritter X., den Ihr als einen sehr achtbaren und kühnen Mann kennt. Ihr wißt, wie oft er mir schlimme Streiche gespielt hat und gerade, wenn ich ihn am meisten liebte, andere liebte, worüber ich viel mehr Kummer hatte, als ich je gezeigt habe. Jetzt hat mir Gott das Mittel eingegeben, mich zu rächen. Ich gehe jetzt in mein Zimmer, welches über diesem ist. Wenn Ihr aufpaßt, werdet Ihr ihn hinter mir herkommen sehen, und wenn er die Gallerien passirt haben wird, so stellt Euch Beide, bitte, ans Fenster und helft mir ›Räuber, Räu ber‹ rufen; Ihr werdet seinen Zorn sehen, und er wird sich recht gut dabei ausnehmen, und wenn er mir nicht ganz laut Beleidigungen ins Gesicht schleudert, wird er sie jedenfalls bei sich denken.« Sie lachten laut über diesen Plan, denn am ganzen Hofe gab es keinen Edelmann, der mit den Damen so im Krieg lag, wie er, und er war von allen so geliebt und geschätzt, daß keiner gern die Gefahr, sich über ihn lustig zu machen, auf sich genommen hätte. Es schien deshalb den beiden Damen, daß sie einen Antheil an dem Erfolg, welchen eine über diesen Edelmann davonzutragen hoffte, haben würden. Sobald sie also diejenige, welche dieses Unternehmen angezettelt hatte, fortgehen sahen, sahen sie auf die Haltung des Edelmannes. Der ging von einem Fleck zum andern, und als er zur Thür hinaus war, gingen die Damen in die Gallerie, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Er, nichts ahnend, nahm seinen Mantel fest um die Schultern, um sein Gesicht zu verbergen, und ging die Treppe zum Hof hinab und dann wieder hinauf. Da er aber auf jemand traf, den er nicht zum Zeugen haben wollte, ging er wieder hinunter und stieg von einer andern Seite wieder hinauf. Alles das sahen die Damen, während er nichts von ihnen sah. Als er nun an die Treppe kam,[377] die zum Zimmer seiner Dame führte, traten die beiden Damm ans Fenster und erblickten oben die Dame, die sofort aus vollem Halse »Räuber, Räuber!« zu rufen begann, worauf die beiden Damen so laut einfielen, daß man es im ganzen Schloß vernehmen konnte. Ihr könnt Euch ausmalen, in welchem Zorn der Edelmann in seine Wohnung zurückeilte, nicht so wohl verkleidet, daß die, die um den Plan wußten, ihn nicht erkannt hätten. Sie haben es ihm noch oft vorgeworfen, auch die, welche ihm diesen Streich spielte, indem sie sagte, daß sie sich gut an ihm gerächt hätte. Aber er verstand so gut zu antworten und sich zu vertheidigen, daß er sie glauben machen wollte, er habe ihre Absicht wohl geahnt, und daß er seiner Dame nur deshalb gesagt habe, er wolle zu ihr kommen, um ihr einen Zeitvertreib zu gewähren. Denn aus Liebe zu ihr würde er sich diese Mühe nicht mehr gegeben haben, denn von Liebe sei schon lange nichts mehr zwischen ihnen. Die Damen wollten dies aber nicht glauben, worüber heute noch Zweifel herrscht.

»Wenn es aber so war, daß er der Dame glaubte, (und das ist wahrscheinlich, denn er war klug und kühn und hatte seiner Zeit keinen ihm Gleichen oder wenigstens keinen, der ihn übertraf, wie uns sein heldenmüthiger Tod gezeigt hat), so müßt Ihr nun zugeben, daß die Liebe der tugendhaften Männer solcher Art ist, daß sie gerade, weil sie ihren Damen zu leicht glauben, oft getäuscht werden.« Emarsuitte sagte: »Ich lobe diese Dame ganz ernstlich wegen ihres Streiches, denn wenn ein Mann von einer Dame geliebt wird, und er verläßt sie wegen einer andern, so kann sie sich nicht genug an ihm rächen.« »Wenn sie ihn nämlich nicht liebt«, sagte Parlamente. »Es giebt nämlich welche, die Männer lieben, ohne sich erst ihrer Treue zu vergewissern, und wenn sie dann hören, daß sie eine andere lieben, nennen sie sie wankelmüthig. Deshalb werden die Vernünftigen nie vom Schein getäuscht. Sie halten sich nur an die und glauben nur denen, welche aufrichtig sind, um nicht den Lügnern ins Netz zu gerathen, denn der Wahrhaftige und der Lügner haben nur dieselben Worte.« Simontault sagte: »Wenn alle Eurer Meinung wären, könnten die Edelleute ihre Liebesanträge in ihre Koffer verschließen; was Ihr und Euresgleichen aber auch sagen mögt, wir werden niemals glauben, daß die Frauen nicht[378] ebenso ungläubig wie schön sind. Diese Meinung wird uns so zufrieden weiter leben lassen, als Ihr uns mit Euren Anschauungen in Kummer versetzen möchtet.« Longarine sagte: »Da ich die Dame, welche dem Edelmann diesen Streich spielte, sehr genau kenne, halte ich keine Schlauheit für unmöglich, die ihr nicht zuzutrauen wäre; denn da sie ihren Mann nicht verschont hat, dürfte sie auch ihren Liebhaber nicht schonen.« Simontault sagte: »Ihr wißt darüber, wie es scheint, noch mehr als ich, ich gebe Euch deshalb das Wort, um uns Eure Meinung zu sagen.« »Da Ihr es wünscht,« sagte Longarine, »bin ich bereit«.

Quelle:
Der Heptameron. Erzählungen der Königin von Navarra. Leipzig [o.J.], S. 376-379.
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