Siebenter Tag.

[389] Frau Oisille verfehlte nicht, am andern Morgen ihnen die heilsame Predigt zu halten, die sie aus der Lektüre der Begebenheiten und tugendhaften Thaten der glorreichen Ritter und Apostel Jesu Christi, wie der Apostel Lukas sie geschildert hat, entnahm, indem sie sagte, daß diese Erzählungen genügend sein müßten, jene Zeit zurückzuwünschen und das Mißgeschick der jetzigen zu beklagen. Nachdem sie den Anfang dieses würdigen Buches ausreichend durchgenommen und erklärt hatte, bat sie sie, in die Kirche zu gehen, im Einklang mit der Predigt über die Apostel, und Gott um seine Gnade anzuflehen, welche niemals denjenigen versagt wird, welche gläubig nach ihr verlangen. Ein jeder fand diese Meinung sehr gut, und sie kamen in die Kirche, gerade als man die Messe begann, was ihnen so gelegen zu kommen schien, daß sie in großer Andacht den Gottesdienst mit anhörten. Später bei Tisch sprachen sie noch des weiteren über das glückliche Leben der Apostel und empfanden dabei ein so großes Vergnügen, daß sie ihr eigentliches Vorhaben fast vergaßen. Nomerfide, die jüngste von ihnen, merkte es zuerst und[390] sagte: »Frau Oisille hat uns so in Frömmigkeit eingesponnen, daß wir die gewohnte Stunde, um uns zur Vorbereitung unserer Erzählungen zurückzuziehen, versäumt haben.« Diese Worte veranlaßten alle, sich schleunigst zu erheben, und nachdem sie nur kurze Zeit auf ihren Zimmern gewesen waren, fanden sie sich, wie am Tage vorher, zusammen. Nachdem sie sich alle bequem niedergelassen hatten, sagte Frau Oisille zu Saffredant: »Wenn ich auch sicher bin, daß Ihr nichts zum Vortheil der Frauen sagen werdet, muß ich Euch doch bitten, uns die Geschichte zu erzählen, welche Ihr uns gestern Abend versprochen habt.« Saffredant erwiderte: »Ich will mich dagegen verwahren, Madame, den schlechten Ruf der Spötter mir zu erwerben, indem ich die Wahrheit sage, oder die Gunst tugendhafter Damen zu verlieren, indem ich erzähle, was thörichte thun; denn ich habe die Erfahrung gemacht, daß dies das sicherste Mittel ist, ihrer Achtung beraubt zu werden, und wäre mir das mit ihrer Gunst ebenso ergangen, so würde ich zur Stunde nicht mehr am Leben sein.« Bei diesen Worten wandte er die Augen von derjenigen, welche die Ursache seines Glücks und Unglücks war, ab; während er aber Emarsuitte ansah, brachte er sie ebenso zum Erröthen, als wenn sie es gewesen wäre, auf die diese Bemerkung sich bezog; nichtsdestoweniger wurde sie sehr wohl von derjenigen verstanden, für die sie bestimmt war. Frau Oisille versicherte ihn nun, daß er freimüthig die Wahrheit sagen könnte, auch auf Unkosten derjenigen, gegen welche sie gerichtet sei. Saffredant begann nun folgendermaßen:

Quelle:
Der Heptameron. Erzählungen der Königin von Navarra. Leipzig [o.J.], S. 389-391.
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