Vierundsechzigste Erzählung.

[404] Ein Edelmann, dessen Heirathsantrag von seiner Angebeteten verschmäht wird, wird Mönch; zur Buße geht nun auch seine Freundin ins Kloster.


In der Stadt Valencia lebte ein Edelmann, welcher fünf oder sechs Jahre lang eine Dame in so vollkommener Art geliebt hatte, daß die Ehre und das Gewissen von Beiden unverletzt geblieben war; er hatte die Absicht, sie zur Frau zu nehmen, was höchst verständig war, denn er war schön, reich und aus gutem Hause; auch hatte er ihr nicht seine Dienste gewidmet, ohne sie zuvor zu fragen, welches ihre Meinung sei, und diese bestand darin, daß sie in die Heirath willigen würde, wenn ihre Freunde damit einverstanden wären. Diese, welche sich zu dem Zweck versammelt hatten, fanden die Heirath sehr vernünftig, vorausgesetzt, daß das Fräulein damit einverstanden sei. Nun aber machte sie, die entweder gedachte, einen Besseren zu finden, oder die Liebe verbergen wollte, welche sie ihm zuvor entgegengebracht hatte, Schwierigkeiten, so daß sich die versammelte Gesellschaft auflöste, indem sie bedauerten, daß sie die Sache nicht zu einem guten Ende führen konnten, da[404] sie die Partie nach jeder Richtung hin sehr passend fanden. Besonders zornig aber war der arme Edelmann, der sein Leid geduldig ertragen hätte, wenn er hätte denken können, daß nicht sie, sondern die Verwandten schuld daran seien; da er aber die Wahrheit wußte, deren Kenntniß ihm mehr weh that, als der Tob, zog er sich, ohne mit seiner Geliebten oder sonst jemand zu reden, auf sein Schloß zurück. Nachdem er dort seine Angelegenheiten geordnet hatte, ging er an einen einsamen Ort, wo er sich bemühte, diese Liebe zu vergessen und sich ganz und gar zu der unseres Herrn Jesus Christus zu bekehren, zu dem er unvergleichlich viel mehr Grund zur Anhänglichkeit hatte. Während dieser Zeit erhielt er keinerlei Nachricht von seiner Dame noch von ihren Verwandten. So entschloß er sich denn, da er das glücklichste Leben, welches er erhoffen konnte, verfehlt hatte, das strengste und ruhigste zu erwählen und zu führen; mit diesen traurigen Gedanken, welche der Verzweiflung nahe kamen, wurde er Mönch in einem Franziskanerkloster, unweit von den Besitzungen einiger seiner Verwandten. Als diese seine Verzweiflung sahen, versuchten sie nach Kräften seinen Beschluß zu verhindern; aber er hatte ihn so fest in seinem Herzen gefaßt, daß es kein Mittel gab, ihn davon abzubringen.

Da sie aber wußten, wo das Uebel herrührte, wollten sie ein Mittel dagegen finden und gingen zu der, welche die Ursache dieser plötzlichen Frömmigkeit war; diese, sehr erstaunt und betrübt über dieses Begebniß, hatte gedacht, daß ihre zeitweilige Weigerung nur dazu dienen sollte, seine Treue zu erproben, und nicht, ihn für immer zu verlieren, und da sie jetzt diese Gefahr erkannte, schickte sie ihm einen Brief, welcher ungefähr also lautete:


»Da jede Liebe, wenn sie nicht erwiesen

Als fest und treu, noch keine Liebe ist,

Hab' ich durch eine Prüfung finden wollen,

Was mir zu finden wünschenswerth erschien:

Ein Gatte war's, von solcher Lieb' erfüllt,

Daß keine Zeit ihn jemals ändern konnte.

Um dieses Grundes willen hab' ich selber

Gebeten die Verwandten, daß sie doch[405]

Noch ein, zwei Jahre nur verschieben möchten

Das große Spiel, das bis zum Tode dauert. –

Ich hab' als Gatten Euch nicht abgewiesen,

Noch hab' ich jemals solches Wort gesagt,

Denn niemals hab' ich außer Euch geliebt

Und einen andern Mann zum Herrn gewollt.

Welch' Unglück, Freund, hat man mir nun berichtet,

Daß wortlos Du ins Kloster bist gegangen!

Nun kann vor Leid ich länger nicht mehr schweigen.

Ich muß Dir sagen, was kein Mädchen sagt,

Ich muß nun um Dich werben, da Du warbest,

Und muß nun werben den, der mich erwählt.

Du bist, o Freund, das Leben meines Lebens,

Und wenn ich Dich verlier', winkt mir der Tod.

Ach, wende mir Dein Antlitz wieder zu,

Verlaß den Weg, den jetzt Du eingeschlagen,

Laß fahren Trübsal hin und graue Zeit,

Komm, hole Dir aus meinen eignen Händen

Das Glück, nach dem Du oftmals Dich gesehnt,

Und das die Zeit Dir nicht entrissen hat

Für Dich allein hab' ich mich aufbewahret

Und ohne Dich kann ich nicht leben mehr.

Kehr' wieder, glaube Deiner Freundin Worten

Und laß uns durch der heil'gen Ehe Band

Vergang'ne frohe Zeiten neu durchleben.

O, glaube mir, hör' nicht auf alles Trübe,

Was Dir im Sinne liegt; ich habe nimmer

Dich noch mit Wort noch böser That beleidigt,

Nur prüfen wollt' ich Dich und dann Dir geben,

Was Du als höchsten Preis von mir begehrt.

Nun hab' genug der Probe ich gesehen,

Du bliebest fest, geduldig und mir treu,

Und Deine Lieb' hat sich so groß bewiesen,

Daß ich nun Dein zu sein ganz willens bin.

Komm, eil' zu mir und nimm, was längst Dein eigen,

Und gieb als Austausch mir Dich selbst zurück.«
[406]

Diese Epistel wurde ihm von einem ihrer Freunde mit allen möglichen Überredungskünsten zugestellt und von dem Franziskaner-Edelmann mit einer so traurigen Miene, begleitet von Seufzern und Thränen, aufgenommen, daß es fast schien, als wollte er den armen Brief ertränken oder verbrennen; er gab dem Boten keine andere Antwort darauf, als, daß ihm das Opfer seiner großen Leidenschaft so sehr heruntergebracht habe, daß er weder Lust zum Leben noch Furcht vor dem Tode mehr habe; darum bäte er die, welche schuld daran sei, da sie ihn nicht erhört hätte, als ihn noch die Leidenschaft seines großen Wunsches beseelte, daß sie ihn nun nicht mehr quälen solle, da er befreit davon sei; sie möge sich mit dem vergangenen Leid begnügen, wogegen er kein besseres Mittel wüßte, als ein so herbes Leben zu erwählen, daß die beständige Buße ihn seine Schmerzen vergessen mache, und das Fasten und Geißeln seinen Körper so schwäche, daß ihm der Gedanke an den Tod ein hoher Trost sei; er bäte sie vor allem, ihm keine Nachrichten von sich zu schicken, denn die Erinnerung an ihren Namen allein sei ihm schon eine unerträgliche Qual.

Der Edelmann kehrte mit dieser traurigen Antwort zurück und überbrachte sie ihr, die sie mit unaussprechlichem Bedauern vernahm. Aber die Liebe, welche den Muth erst an der äußersten Grenze sinken läßt, gab ihr ein, wenn sie ihn sehen könnte, würde ihr Anblick und ihre Rede mehr Macht über ihn haben, als die geschriebenen Worte. Darum ging sie mit ihrem Vater und ihren nächsten Verwandten in das Kloster, wo er sich aufhielt, nachdem sie sich vorher mit ihren schönsten Kleidern geschmückt hatte; sie vertraute darauf, daß, wenn er sie nur ansehen und sprechen hören wolle, das Feuer, welches so lange in ihrem Herzen gelodert hatte, unmöglich ganz erlöschen, sondern wieder neu aufflammen müsse. Als sie also zur Vesperzeit in das Kloster kam, ließ sie ihn in eine Kapelle der Abtei rufen; da er nicht wußte, wer ihn erwartete, ging er zu dem schärfsten Kampfe, den er jemals bestanden hatte. Als sie ihn nun so bleich und mager sah, daß sie ihn kaum erkannte, und dennoch ebenso schön wie vorher, zwang sie die Liebe, die Arme auszustrecken, als wollte sie ihn umarmen. Aber das Erbarmen, ihn in einem solchen Zustande zu sehen, faßte ihr so ans[407] Herz, daß sie ohnmächtig hinfiel. Der arme Mönch der nicht von christlich brüderlicher Liebe entblößt war, hob sie auf und führte sie zu einem Sitz in der Kapelle. Er, der nicht minder hülfsbedürftig war, that, als bemerke er ihre Liebe nicht, indem er sein Herz in der Liebe zu seinem Gott stärkte, um der Versuchung, welche er vor sich sah, zu widerstehen, so daß es seiner Miene nach schien, als wüßte er nicht, wer er vor sich sähe. Als sie von ihrer Schwäche zu sich kam, erhob sie ihre Augen, die so schön und flehend waren, daß sie einen Felsen erweicht hätten, zu ihm und fing an, ihm alles zu sagen, wovon sie glaubte, daß es ihn von dem Ort, wo er war, fortbewegen könnte; schließlich aber fühlte der arme Mönch, daß sein Herz sich von dem Strom ihrer Thränen erweichte, und er sah Amor, diesen sicheren Schützen, um dessentwillen er so lange gelitten hatte, seinen goldenen Pfeil bereiten, um ihm eine neue und tödtliche Wunde beizubringen, und so flüchtete er vor Amor und seiner Freundin, als bliebe ihm nichts anderes übrig als die Flucht.

Als er sich in seiner Zelle eingeschlossen hatte, wollte er sie doch nicht ohne einen Beschluß gehen lassen und schrieb ihr einige spanische Worte, welche mir so sehr gefallen haben, daß ich sie nicht übersetzen will, um ihnen nicht ihre Grazie zu nehmen; diese schickte er ihr durch einen kleinen Novizen, der sie noch in der Kapelle fand, so voller Verzweiflung, daß, wenn es ihr erlaubt gewesen wäre, Franziskanernonne zu werden, sie dort geblieben wäre. Da sie aber die Schrift sah, welche lautete: Volvete dond veniste, anima mi, que en las tristes vidas es la mia, sah sie ein, daß ihr nun jede Hoffnung genommen sei, und sie entschloß sich, seinem und ihrer Freunde Rath zu folgen; so ging sie nach Haus zurück und führte dort ein Leben, welches eben so traurig, wie das ihres Freundes im Kloster herbe war.

»Sie sehen, meine Damen, welche Rache der Edelmann an seiner grausamen Freundin nahm, welche, um ihn zu erproben, ihn zur Verzweiflung trieb, so daß, als sie es dann wollte, sie ihn nicht mehr zurückgewinnen konnte.« »Mir thut es leid«, sagte Nomerfide, »daß er nicht seine Kutte verlassen und sie geheirathet hat, denn ich glaube, das wäre eine vollkommene Ehe geworden.« »Nun[408] wahrlich«, sagte Simontault, »mir erscheint er sehr weise; denn wer sich eine Ehe wohl überlegt, wird sie nicht weniger trübselig finden als ein herbes Klosterleben; er, der vom Fasten und Entbehren so schwach geworden war, fürchtete jedenfalls, eine solche Last zu übernehmen, die bis an sein Lebensende gedauert hätte.« »Mir scheint es«, sagte Hircan, »daß sie Unrecht that, einem so schwachen Menschen eine Heirath vorzuschlagen, denn das ist schon für den stärksten Mann zu viel Last; aber wenn sie ihm Freundschaft allein ohne weitere Verpflichtungen angetragen hätte, so hätte er jedes Band zerrissen, jeden Knoten gelöst; da sie aber, um ihn dem Fegefeuer zu entreißen, ihm eine Hölle bot, sage ich, daß er sehr Recht that, es abzulehnen.« »Auf mein Wort!« rief Emarsuitte, »es giebt Viele, die besser zu thun glauben, als die anderen, und schlimmer thun oder doch das Gegentheil von dem, was sie wollten.« »Wirklich«, sagte Guebron, »Ihr erinnert mich, obgleich es nicht hierher paßt, an Eine, die das Gegentheil von dem that, was sie thun wollte, woraus ein großer Tumult in der Kirche St. Johannis in Lyon entstand.« »Ich bitte Euch«, sagte Parlamente, »nehmt meine Stelle und erzählt uns das.« »Meine Erzählung«, sagte Guebron, »wird weder so lang noch so traurig sein, als die von Parlamente.«

Quelle:
Der Heptameron. Erzählungen der Königin von Navarra. Leipzig [o.J.], S. 404-409.
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