Fünfundsechzigste Erzählung.

[409] Von der Einfalt einer alten Frau, welche in der Kirche Saint-Jean von Lyon eine Kerze opfern will und sie auf der Stirn eines Soldaten, der auf einem Grabmal schläft, anheftet.


In der Kirche St. Johannis in Lyon befand sich eine sehr dunkle Kapelle und in dieser ein steinernes Grabmal, hochgestellten Personen errichtet, welches aufs trefflichste der lebendigen Natur nachgebildet war; rings um das Grab ruhten mehrere Männerfiguren in Waffen. Ein Soldat, der sich eines Tages im Sommer,[409] als es sehr heiß war, in der Kirche erging, bekam Luft, ein wenig zu schlafen; als er diese dunkle, kühle Kapelle sah, ging er hinein, um sich wie die steinernen Männer an dem Grabmal zum Schlaf niederzulegen. Nun geschah es, daß eine gute, sehr fromme Alte gerade ankam, als er am festesten schlief. Nachdem sie ihre Gebete gesagt hatte, nahm sie die Kerze, welche sie in der Hand trug, und wollte sie auf dem Grabmal befestigen, und da ihr am nächsten jener eingeschlafene Mann lag, wollte sie sie ihm auf die Stirn stecken, da sie dachte, er sei aus Stein; aber das Wachs wollte an diesem Stein nicht haften. Die gute Frau, welche dachte, das käme von der Kälte des Bildwerks her, hielt ihm die Flamme an die Stirn, damit die Kerze fest daran hafte; aber das Bildniß, welches nicht fühllos war, fing an zu schreien. Darauf bekam die Frau Furcht, und als habe sie den Verstand verloren, fing auch sie an zu schreien: ›Ein Wunder! ein Wunder!‹ so daß alle, die in der Kirche waren, herbeiliefen, die einen, um die Glocken zu läuten, die anderen, um das Wunder zu schauen. Und die gute Frau führte sie zu dem Bildwerk, das sich gerührt hatte, was mehrere sehr zum Lachen brachte; einige Priester indessen waren nicht zufrieden damit, denn sie hatten beschlossen, dieses Grabmal im Werth steigen zu lassen und Geld daraus zu schlagen.

»Seht Euch also vor, meine Damen«, fuhr Guebron fort, »was für Heiligen Ihr Eure Kerzen gebt.« »Das ist was Rechtes«, sagte Hircan, »was sie auch immer thun, die Frauen müssen es schlecht machen.« »Ist es etwas Schlechtes«, fragte Nomerfide, »Kerzen auf die Grabmäler zu tragen?« »Gewiß«, sagte Hircan, »wenn man dabei die Stirnen der Männer ansteckt; denn man kann nichts Gutes gut nennen, wenn es schlecht gemacht wird; bedenkt doch, daß die arme Frau Gott ein schönes Geschenk mit einer kleinen Kerze zu machen vermeinte!« »Gott«, erwiderte Oisille, »erwägt nicht den Werth des Geschenks, sondern das Herz, welches es darbringt; vielleicht hatte diese arme Frau mehr Liebe zu Gott als die, welche ihre große Fackeln darbringen, denn, wie das Evangelium sagt, sie gab aus ihrer Nothdurft.« »Dennoch glaube ich nicht«, sagte Saffredant, »daß Gott, welcher die höchste Weisheit ist, die Dummheit der Frauen angenehm finde; denn wenn[410] ihm auch die Einfalt gefällt, so sehe ich doch aus der Schrift, daß er die Thörichten verachtet; und wenn er befiehlt, sanft wie die Tauben zu sein, so will er nicht minder, daß man klug sei wie die Schlangen.« »Was mich anbetrifft«, sagte Oisille, »so halte ich die nicht für thöricht, die kommt und Gott ihr Licht oder ihre Kerze als inbrünstige Buße bringt, und knieend, die Fackel in der Hand, vor ihren höchsten Herrn tritt, um ihn, indem sie ihre Sünde bekennt, in fester Hoffnung um Gnade und Heil anzuflehen.« »Wollte Gott«, sagte Dagoucin, »daß Jeder so dächte wie Ihr; aber ich glaube, daß die armen Dummen nicht in diesem Geiste handeln.« Oisille antwortete ihm: »Die, welche am wenigsten davon zu reden wissen, haben oft viel mehr Gefühl für die Liebe und den Willen Gottes, darum soll man nur über sich selbst aburtheilen.« Emarsuitte antwortete ihr lachend: »Es ist nichts Besonderes, einem schlafenden Landsknecht Furcht eingejagt zu haben, denn eben so geringe Frauen wie diese haben schon großen Fürsten Angst gemacht, ohne ihnen die Stirne in Brand zu setzen.« »Ich bin überzeugt«, sagte Dagoucin, »daß Ihr hiervon eine Geschichte wißt, die Ihr erzählen wollt; darum, wenn es Euch gefällt, gebe ich Euch das Wort.« »Die Erzählung wird nicht lang sein«, sagte Emarsuitte; »wenn es mir aber gelingt, Euch alles so zu berichten, wie es sich ereignete, so werdet Ihr sicher nicht weinen.«

Quelle:
Der Heptameron. Erzählungen der Königin von Navarra. Leipzig [o.J.], S. 409-411.
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