Siebenundsechzigste Erzählung.

[414] Von der großen und ausdauernden Liebe einer Frau in fremdem Lande.


Roberval unternahm einstmals, auf Befehl seines Herrn und Königs zum Führer des Schiffes bestimmt, eine Seereise nach Canada, woselbst man, falls das Klima es erlaubte, bleiben und Städte und Schlösser bauen wollte, was er, wie Jedermann weiß, aufs Beste begann. Um das Christenthum im Lande zu verbreiten, nahm er alle Arten Handwerker mit sich, unter welchen einer so verderbt war, daß er seinen Herrn verrieth und in Gefahr brachte, von den Eingeborenen gefangen zu werden. Aber Gott wollte, daß sein Vorhaben entdeckt wurde und dem Capitain Roberval nicht schaden konnte; dieser ließ den boshaften Verräther ergreifen und wollte ihn strafen, wie er es verdiente; das wäre auch geschehen, wenn seine Frau, die ihm über die Gefahren des Meeres gefolgt war, nicht erklärt hätte, ihn auch im Tode nicht verlassen zu wollen. Sie bat mit Thränen den Capitain und seine Gefährten so lange um Gnade, bis ihr theils aus Mitleid, theils um der Dienste, welche sie ihnen geleistet hatte, ihre Bitte gewährt wurde, die darin bestand, daß sie und ihr Mann auf einer kleinen Insel mitten im Meer, wo nur wilde Thiere hausten, ausgesetzt und mit allem Nöthigen versehen wurden. Die armen Leute hatten, als sie[414] ganz allein in der Gesellschaft dieser wilden und grausamen Thiere waren, keine andere Zuflucht als Gott, der immer die feste Hoffnung dieser armen Frau geblieben war; diese, deren ganzer Trost Er war, nahm als Schutz, Nahrung und Tröstung das Neue Testament mit sich, in welchem sie unaufhörlich las. Mit ihrem Mann vereint versuchte sie, eine kleine Wohnung zurechtzumachen; als Löwen und andere Thiere herankamen, um sie zu verschlingen, vertheidigte sich der Mann mit seiner Armbrust und die Frau mit Steinen so gut, daß sie nicht nur von diesen Thieren und den Vögeln nicht gefressen wurden, sondern oftmals selbst welche erlegten und verzehrten. So lebten sie einige Zeit, da sie kein Brot hatten, von diesem Fleisch und Kräutern des Landes; der Mann konnte jedoch auf die Dauer diese Nahrung nicht vertragen, er bekam in Folge des Genusses des dortigen Wassers die Wassersucht und starb bald darauf; er hatte nichts als die Dienste und Trostworte seiner Frau, welche ihm als Arzt und Beichtvater diente, so daß er frohen Muthes aus dieser Wüste in die himmlische Heimath einging. Die arme alleingelassene Frau begrub ihn, so tief sie konnte, unter der Erde; indeß witterten die wilden Thiere den Leichnam und wollten ihn fressen; aber die arme Frau vertheidigte von ihrer Hütte aus die Ueberreste ihres Mannes mit der Armbrust gegen ein solches Schicksal. Indem sie so betreffs ihres Leibes ein bestialisches und betreffs ihres Geistes ein engelhaftes Leben führte, verbrachte sie die Zeit mit Lesen, Betrachtungen, Gebeten und Andachten, so daß ihr Geist froh und zufrieden in ihrem abgemagerten und halbtodten Körper blieb.

Aber der, welcher niemals die Seinen in der Noth verläßt und seine Macht beweist, wenn sie verzweifeln, wollte nicht, daß die Tugend, welche er in diese Frau gelegt hatte, den Menschen unbekannt blieb, sondern daß man sie zu seinem Ruhme erkennen sollte, und so fügte er es, daß nach einiger Zeit eines der Schiffe jenes Heeres bei dieser Insel vorüberkam; die Leute auf demselben sahen eine Frau, welche sie an die Beiden erinnerte, die sie ausgesetzt hatten, und sie beschlossen nachzusehen, was Gott aus Ihnen gemacht hatte. Als die arme Frau das Schiff sich nähern sah, ging sie bis an den Meeresstrand; dort fanden sie sie bei[415] ihrer Ankunft, und nachdem sie Gott gelobt hatte, fühlte sie die Männer in ihr ärmliches Häuschen und zeigte ihnen, wovon sie während dieses elenden Aufenthaltes gelebt hatte; dies wäre ihnen unglaublich erschienen, wenn sie nicht gewußt hätten, daß Gott eben so gut die Macht hat, in einer Wüste seine Diener zu ernähren, als bei dem größten Bankett der Welt.

Als sie den Einwohnern von der Treue und Beständigkeit dieser Frau erzählten, wurde sie mit großen Ehren von allen Damen aufgenommen, und diese führten ihr gern ihre Töchter zu, damit sie von ihr schreiben und lesen lernten. Mit diesem ehrbaren Handwerk fristete sie reichlich ihr Leben und hatte keinen anderen Wunsch, als jeden zur Liebe und zum Vertrauen zu unserem Heiland zu ermahnen, indem sie als Beispiel die große Barmherzigkeit, welche er gegen sie geübt hatte, anführte.

»Nun, meine Damen,« fuhr Simontault fort, »könnt Ihr doch nicht mehr sagen, daß ich nicht die Tugend lobe, welche Gott in Euch gelegt hat, und die sich um so größer zeigt, als der Gegenstand selbst niedrig ist.« »Wir sind nicht ungehalten«, sagte Oisille, »daß Ihr die Gnade unseres Heilands in uns lobt; denn um die Wahrheit zu sagen, kommt alle Tugend von ihm. Aber wir müssen auch unseren Gegnern gerecht werden und eingestehen, daß Männer eben so gut zu Gottes Werken fähig sind als Frauen, denn beide thun nichts, als pflanzen, und erst Gott giebt das Wachsthum.« »Wenn Ihr die Schrift gut gelesen hättet«, sagte Saffredant, »so wüßtet Ihr, daß der Apostel Paulus sagt: ›Apollonius hat gepflanzt und er hat begossen;‹ aber er spricht nicht davon, daß die Frauen mit Hand an Gottes Werk gelegt haben.« »Ihr möchtet«, sagte Parlamente, »dem Beispiel der bösen Männer folgen, die einen Satz aus der Schrift für sich anführen und von den anderen gegen sie schweigen. Wenn Ihr den Apostel Paulus bis zu Ende leset, so werdet Ihr finden, daß er sich den Damen empfiehlt, welche so viel mit ihm im Evangelium gearbeitet haben.« »Wie dem auch sei,« meinte Longarine, »diese Frau ist des größten Lobes würdig, ebenso für die Liebe zu ihrem Mann, um dessenwillen sie ihr Leben gewagt hat, als auch für den Glauben an Gott, der, wie wir gesehen haben, sie nicht verlassen hat.« »Ich[416] glaube«, sagte Emarsuitte, »was das Erstere betrifft, so ist hier keine Frau, die nicht dasselbe für ihren Gatten thun möchte.« »Ich glaube«, sagte Parlamente, »es giebt Ehemänner, die so dumm und wild sind, daß die, welche mit ihnen gelebt haben, es nachher nicht schlimmer finden, mit wilden Thieren zu leben.« Emarsuitte konnte sich nicht enthalten zu sagen, als habe ihr diese Rede gegolten: »Wenn die Thiere nicht beißen, ist ihre Gesellschaft noch angenehmer als die der Männer, die wüthend und unverträglich sind. Aber ich bleibe bei meiner vorigen Rede und sage, wenn mein Mann in solcher Gefahr wäre, würde auch ich ihn im Tode nicht verlassen.« »Seht Euch vor«, sprach Nomerfide, »ihn zu sehr zu lieben, damit zu viel Liebe nicht ihn und Euch täusche; es giebt für alles eine Mittelstraße, und wenn man sich nicht recht versteht, verwandelt sich Liebe oft in Haß.« »Ich glaube«, sagte Simontault, »Ihr habt die Rede nicht gehalten, ohne ein Beispiel bereit zu haben, sie zu bestätigen. Darum, wenn Ihr eines wißt, ertheile ich Euch das Wort.« »Nun denn«, sagte Nomerfide, »so werde ich es Euch meiner Gewohnheit nach kurz und fröhlich erzählen.«

Quelle:
Der Heptameron. Erzählungen der Königin von Navarra. Leipzig [o.J.], S. 414-417.
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