Sechsunddreißigste Erzählung.

[269] Ein Präsident von Grenoble wird von der schlechten Führung seiner Frau unterrichtet und schafft Ordnung, indem er nichts unter die Leute kommen läßt, sich aber doch an der Treulosen rächt.


In Grenoble war ein Präsident, dessen Namen ich nicht nennen will, der aber nicht Franzose war. Er hatte eine schöne Dame zur Frau, und sie lebten beide in Frieden. Als aber seine Frau bemerkte, daß er recht alt wurde, verliebte sie sich in einen schönen und zuvorkommenden Sekretair ihres Mannes. Wenn des Morgens ihr Mann aufs Gericht ging, so begab sich der junge Mann in das Zimmer der Frau und nahm dort dessen Platz ein. Ein alter Diener des Präsidenten, der schon 30 Jahre in seinen Diensten stand, bemerkte das, und da er seinem Herrn sehr ergeben war, stand er nicht an, es ihm zu hinterbringen. Der Präsident, der ein sehr verständiger Mann war, wollte es nicht so ohne weiteres glauben, sagte vielmehr, er wollte nur das gute Einvernehmen zwischen ihm und seiner Frau zerstören; sei es so, wie er sage, so könne er es ihm ja beweisen; könne er das nicht, so werde er nur annehmen, daß er diese Lüge erfunden habe, um die Freundschaft zwischen ihnen zu zerstören. Der Diener betheuerte, er werde ihn schon die ganze Sache mit eigenen Augen erblicken lassen. Eines Morgens, als kaum der Präsident aufs Gericht gegangen und der junge Mann in das Zimmer seiner Herrin eingetreten war, schickte der Diener einen seiner Collegen dem Herrn nach mit der Aufforderung, zurückzukommen, und hielt sich selbst immer an der Zimmerthür, um aufzupassen, daß der Sekretair nicht entschlüpfe. Sobald der Präsident bemerkte, daß sein Diener ihm ein Zeichen machte, stellte er sich unwohl, verließ die Sitzung und eilte nach Haus, wo er seinen alten Diener[269] an der Thür seines Zimmers fand, der ihm versicherte, der junge Mann sei drinnen und wäre eben erst hineingegangen. Der Herr sagte ihm: »Gehe nicht von dieser Thür fort, Du weißt, sie ist der einzige Eingang zum Zimmer, und zu dem dahinter liegenden Cabinet habe ich nur allein den Schlüssel.« Der Präsident trat nun in das Zimmer und fand seine Frau und den jungen Mann zusammen im Bett. Letzterer warf sich ihm zu Füßen und bat um Gnade; seine Frau begann laut zu schluchzen. Der Präsident sagte nun: »Was Ihr gethan habt, möget Ihr selbst beurtheilen; ich will aber nicht, daß mein Haus entehrt und meine Töchter bloßgestellt werden, deshalb verbiete ich Euch zu schreien; und nun paßt auf, was ich thun werde. Ihr aber, Nikolaus (so hieß der Sekretair), versteckt Euch zuvor in meinem Cabinet und gebt keinen Laut von Euch.« Darauf öffnete er die Thür und rief seinen alten Diener, zu dem er sagte: »Hast Du mir nicht zugeschworen, daß Du mir meinen Sekretär mit meiner Frau zusammen zeigen würdest? Auf Deine Versicherung hin bin ich hierher gekommen, um meine Frau zu tödten. Ich habe nichts gefunden, obwohl ich das ganze Zimmer abgesucht habe; sieh selbst nach.« Nach diesen Worten ließ er den Diener unter den Betten und in allen Ecken nachsehen. Als dieser nun nichts fand, war er erstaunt und sagte seinem Herrn: »Der Teufel muß ihn fortgeschleppt haben, denn ich habe ihn hier hereinkommen sehen, und herausgegangen ist er nicht wieder; ich sehe aber wohl, daß er nicht hier ist.« Der Edelmann sagte nun: »Es gereicht Dir zum Unglück, Zwietracht zwischen meiner Frau und mir säen zu wollen. Ich entlasse Dich aus meinen Diensten, den Lohn für Deine Dienste wirst Du empfangen und noch darüber. Aber mache Dich schnell fort und hüte Dich, Dich innerhalb 24 Stunden noch hier in der Stadt blicken zu lassen.« Der Präsident gab ihm den Lohn für fünf bis sechs weitere Jahre, und da er wußte, daß er treu war, wollte er ihm auch später noch Gutes anthun. Nachdem der Alte unter Thränen fortgegangen war, ließ der Präsident den jungen Mann aus dem Cabinet heraus, und nachdem er ihm und seiner Frau gesagt hatte, was er von ihrem schändlichen Betruge halte, verbot er ihnen, sich niemandem gegenüber etwas anmerken zu lassen, und befahl seiner Frau, sich kostbarer als[270] gewöhnlich zu kleiden und sich bei allen Gesellschaften und Festen einzufinden. Dem Sekretär sagte er noch, daß er ebenfalls mehr als bisher den Vergnügungen nachgehen solle; sobald er ihm aber sagen würde: Packe Dich! solle er sich hüten, länger als drei Stunden noch in der Stadt zu bleiben. Hierauf ging er wieder nach dem Gerichtsgebäude, als wäre nichts geschehen. Vierzehn Tage lang bewirthete er ganz gegen seine Gewohnheit seine Freunde und Nachbarn aufs Glänzendste und nach dem Essen hatte er immer Musik kommen und zum Tanze aufspielen lassen. Als er eines Tages sah, daß seine Frau nicht mittanzte, befahl er dem jungen Mann, sie zum Tanz zu führen, der diesem Befehl sehr bereitwillig und voller Freude nachkam, da er meinte, der Präsident habe seine Ehrverletzung vergessen. Als der Tanz zu Ende war, that der Edelmann, als habe er ihm irgend eine Anordnung zu geben, und sagte ihm ins Ohr: »Geh fort und kehre niemals wieder.« Der Sekretär war sehr betrübt, seine Dame verlassen zu müssen, aber doch auch sehr froh, mit dem Leben davon gekommen zu sein. Nachdem nun der Präsident allen Verwandten und Freunden und sonstigen Bekannten eine vermeintliche große Liebe zu seiner Frau an den Tag gelegt hatte, ging er eines Tages im schönen Monat Mai in seinen Garten und pflückte dort ein Kräutlein, nach dessen Genuß seine Frau nicht 24 Stunden mehr lebte. Er betrauerte sie so laut, daß niemandem der Verdacht kam, daß er den Tod verursacht hatte. Auf diese Weise rächte er sich an seinem Feinde und rettete die Ehre seines Hauses.

Hiermit schloß Emarsuitte ihre Erzählung und fuhr dann fort: »Ich will hiermit gewiß nicht die Gewissenhaftigkeit des Präsidenten loben, sondern nur die Leichtfertigkeit einer Frau und die große Geduld und Klugheit eines Mannes darthun. Auch bitte ich Euch, meine Damen, zürnt nicht auf die Wahrheit, die oft ebenso gegen Euch, wie gegen die Männer spricht, denn die Frauen haben an den Lastern ebenso ihren Antheil, wie an den Tugenden.« Parlamente sagte: »Wenn alle diejenigen, die ihre Diener geliebt haben, gezwungen würden, solches Giftkraut zu essen, so kenne ich manche, die ihren Garten nicht so lieben würden, wie sie thun, die vielmehr alle Kräuter herausreißen würden, um dem aus dem Wege zu[271] gehen, welches die Ehre der Nachkommenschaft mit dem Tode der thörichten Mutter rächte.« Hircan errieth, weshalb sie das sagte, und erwiderte zornig: »Eine achtbare Frau sollte niemals eine andere nach dem beurtheilen, was sie selbst nicht thun würde.« Parlamente antwortete: »Etwas zu wissen, ist keine Verurtheilung und keine Dummheit; jedenfalls erhielt jene arme Frau eine Strafe, die manche andere verdienen. Ich glaube auch, daß der Mann in seiner Rache mit wunderbarer Klugheit und Weisheit verfuhr.« »Aber auch mit großer Tücke«, sagte Longarine, »und einer wohlüberdachten grausamen Rache, welche wohl zeigte, daß er weder Gott noch sein Gewissen vor Augen hatte.« »Und was hätte er nach Eurer Meinung machen sollen«, warf Hircan ein, »um sich für die ärgste Beleidigung, welche eine Frau einem Mann anthun kann, zu rächen?« »Ich hätte gewünscht«, antwortete jene, »daß er sie im Zorn umgebracht hätte, denn die Rechtsgelehrten sagen, daß dieses Vergehen entschuldbar sei, weil der Mensch eine im Affect begangene That nicht in seiner Macht hat, weshalb er auch begnadigt worden wäre.« »Ja, ganz richtig«, sagte Guebron, »aber seine Töchter und sein Geschlecht hätten immer diese Schande gehabt.« »Er hätte sie überhaupt nicht tödten sollen«, sagte Longarine, »denn wäre sein erster Zorn verflogen gewesen, so würde sie mit ihm ganz anständig weiter gelebt haben, und niemals hätte die Welt etwas erfahren.« Saffredant fragte: »Glaubt Ihr, er würde sich leicht besänftigt haben, weil er seinen Zorn so zu verbergen verstand? Ich meine, den Tag, an dem er seiner Frau den Salat machte, war er noch gerade so erzürnt wie am ersten, denn der erste Zorn der Menschen dauert immer an, bis sie ihre Erregung durch eine That gestillt haben. Auch freut es mich, zu hören, daß die Gelehrten solche Vergehen für entschuldbar halten, denn ich bin ganz ihrer Meinung.« »Man muß sehr auf seine Worte Acht haben«, sagte Parlamente, »wenn man zu so gefährlichen Menschen, wie Ihr einer seid, sprecht. Was ich habe sagen wollen, bezieht sich nur auf Fälle, wo die augenblickliche Leidenschaft so überaus stark ist, daß sie die Sinne vollständig einnimmt und für vernünftige Ueberlegung keinen Raum läßt.« »Ich halte mich auch nur an Eure Worte«, erwiderte Saffredant, »und will also nur sagen,[272] daß ein sehr verliebter Mann eher auf Verzeihung rechnen kann, als ein anderer, welcher sündigt, ohne es zu sein; denn wenn die Liebe ihn vollkommen gefesselt hält, so hört er nicht leicht auf die Vernunft. Und wenn wir die Wahrheit sagen wollen, so haben wir Alle schon einmal diese rasende Wuth verspürt, welche garnichts danach fragt, ob ihr einmal verziehen werden wird. Besonders auch, da eine wahre Liebe nur eine Vorstufe ist, um zur vollkommenen Liebe zu Gott zu gelangen, zu der keiner leicht emporsteigt der nicht die Leiter der Sorge, der Angst und des Mißgeschicks dieser sichtbaren Welt emporgeklommen ist, und der seinen Nächsten nicht liebt und ihm nicht eben so viel Gutes wie sich selbst wünscht, denn darin zeigt sich die Vollkommenheit. Wie auch der Apostel Johannes sagt: Wie wollt Ihr Gott lieben, den Ihr nicht sehen könnt, wenn Ihr nur das liebt, was Eure Augen sehen?« Oisille sagte: »Es giebt keinen besseren Abschnitt der Heiligen Schrift, aus dem ihr citiren könntet. Aber hütet Euch, es wie das Amselnetz zu machen, welches alles gute Fleisch in Gift verwandelt. Auch mache ich Euch darauf aufmerksam, daß es gefährlich ist, die Heilige Schrift ohne zwingenden Grund heranzuziehen.« »Was nennt Ihr die Wahrheit ohne zwingenden Grund zu sagen?« fragte Saffredant. »Wollt Ihr damit sagen, daß, wenn man zu Euch Ungläubigen spricht und Gott zu Hülfe ruft, man seinen Namen mit Unrecht anruft? Liegt eine Sünde hierein, so trifft Euch allein die Schuld, denn Eure Ungläubigkeit zwingt uns, alle Betheuerungen, auf die wir nur verfallen können, hervorzusuchen, und auch dann wird es uns noch schwer, Eure Herzen von Eis zu rühren.« Longarine sagte: »Das beweist nur, daß Ihr Alle lügt; denn wenn die Wahrheit in Euren Worten läge, so würde sie, die Mächtige, uns schon zum Glauben bringen. Aber es ist viel eher Gefahr, daß Eva's Töchter der Schlange glauben.« »Ich verstehe wohl, was Ihr meint«, sagte Saffredant; »die Frauen sind den Männern unerreichbar; deshalb will ich still sein, um zu erfahren, wem Emarsuitte das Wort geben wird.« »Ich gebe es Dagoucin«, sagte diese, »denn ich nehme an, er wird nicht gegen die Damen reden.« Dagoucin antwortete: »Möge es Gott gefallen, daß sie mir so wohl geneigt wären, wie ich ihnen bin. Damit Ihr seht, daß ich[273] immer nur darauf ausgegangen bin, die Tugendhaften zu ehren, indem ich ihre guten Werke aufsuche, will ich Euch davon etwas erzählen. Ich will nicht in Abrede stellen, meine Damen, daß die Geduld des Edelmannes von Pampeluna und des Präsidenten von Grenoble eine große war, aber die Rache war nicht geringer. Und wenn man einen tugendhaften Mann lobt, muß man nicht eine einzelne Tugend so besonders hervorheben und mit ihr eine große Untugend verdecken wollen. So ist nur der wahrhaft lobenswerth, der aus Liebe zur Tugend allein eine tugendhafte That beging, wie ich Euch an der Geduld und Tugend einer jungen Dame zu zeigen gedenke, welche in ihrer guten That nur die Ehre Gottes und die Rettung ihres Mannes suchte.«

Quelle:
Der Heptameron. Erzählungen der Königin von Navarra. Leipzig [o.J.], S. 269-274.
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