Siebenzehnte Erzählung.

[140] Von der Großmuth König Franz I. gegenüber einem deutschen Grafen, der ihm nach dem Leben trachtet.


In der Stadt Dijon, im Herzogthum Burgund, trat in den Dienst des Königs Franz ein deutscher Graf, namens Wilhelm aus dem Hause der sächsischen Fürsten, welches mit dem von Savoyen so liirt war, wie kein anderes vor Zeiten. Der Graf, welcher so schön und kühn war, daß er nicht seinesgleichen in Deutschland hatte, wurde von dem Könige so gut empfangen, daß er ihn nicht nur in seine Dienste, sondern sogar in seine persönliche Nähe nahm. Da war aber ein alter Ritter und treuer Diener des Königs, der Gouverneur von Burgund, Herr von La Trimouille, welcher immer in Sorge und Angst über das Wohl und Wehe seines Herrn wachte und Spione in der Nähe des Feindes hielt, um zu wissen, was er vorhatte; auf diese Art blieb ihm fast nichts verborgen. Unter anderem wurde ihm von einem Freunde geschrieben, daß der Graf Wilhelm eine Summe Geld und das Versprechen auf noch mehr erhalten habe, wenn er auf irgend eine Weise den Tod des Königs herbeiführen könne.

La Trimouille theilte dies sogleich dem Könige und dessen Mutter Luise von Savoyen mit, welche ganz ihre Verwandtschaft mit den Deutschen vergaß und ihren Sohn anflehte, den Grafen fortzujagen. Der wollte aber nichts davon hören und hielt den braven und edelmüthigen Ritter einer solchen Schandthat nicht für fähig. Nach einiger Zeit kam wieder eine Nachricht, welche die erste bestätigte, worauf der Gouverneur, welcher seinen Herrn über Alles liebte, diesen um die Erlaubniß bat, den Deutschen fortschicken zu dürfen; der König forderte jedoch dringend, daß er sich nichts merken lassen solle, denn er wollte mit anderen Mitteln selbst hinter die Wahrheit kommen.

Eines Tages ging er zur Jagd, bewaffnet mit dem besten seiner Degen, und befahl dem Grafen Wilhelm, ihm dicht an der Seite zu bleiben; aber nachdem sie einige Zeit den Hirsch gejagt hatten und der König sah, daß alle Leute hinter ihm zurückgeblieben waren, ausgenommen der Graf, wendete er sich von den Wegen[141] waldeinwärts. Als er sich nun mit ihm allein im Dickicht sah, zog er seinen Degen und sprach zum Grafen: »Scheint es Euch, daß dieser Degen schön und gut sei?« Der Graf betrachtete ihn und sagte dann, daß er noch niemals einen besseren gesehen habe. »Da habt Ihr Recht«, sprach der König, »ich glaube auch, wenn ein Edelmann beschlossen hätte, mich zu tödten, und wenn er an meine Stärke und meinen Muth, vereint mit der Güte dieses Degens denkt, wird er sich gründlich besinnen, ehe er mich überfällt. Dennoch aber würde ich ihn für sehr verächtlich halten, wenn er sich so allein und ohne Zeugen mit mir befände und dennoch nicht wagte, sein Vorhaben auszuführen.« Mit erstaunter Miene antwortete Graf Wilhelm: »Herr, groß wäre die Schlechtigkeit einer solchen Absicht, aber nicht minder groß die Narrheit, sie unter solchen Umständen durchführen zu wollen.« Der König begann zu lachen; er steckte den Degen in die Scheide, und da er die Jagd in der Nähe vorbeiziehen hörte, spornte er sein Pferd an und gesellte sich zu den anderen. Dort angelangt sprach er zu niemand von dieser Angelegenheit und wußte bei sich, daß, wenn Graf Wilhelm auch einer der stärksten und behendesten Ritter war, sein Muth doch nicht zu einer so schweren Aufgabe ausreichte.

Aber Graf Wilhelm, welcher fürchtete, entlarvt und des bösen Vorhabens verdächtig zu sein, begab sich am nächsten Morgen zu Robertet, dem Finanz-Sekretär des Königs, und sagte ihm, daß er mit den Wohlthaten und dem Gehalt, welches der König ihm gebe, nicht auskommen könne, und daß sie nur die Hälfte seiner Bedürfnisse deckten; wenn der König ihm nun nicht das Doppelte geben könne, so sei er gezwungen, den Hof zu verlassen. Er bat Robertet, ihm so bald als möglich des Königs Antwort zu überbringen. Dieser war sehr eifrig, den Auftrag sofort auszuführen; denn er wußte auch von den Warnungen des Gouverneurs. Sobald der König erwacht war, trug er ihm das Anliegen des Grafen in Gegenwart des Herrn von La Trimouille und des Admirals Bonnivet, welche beide nichts von dem Streiche des Königs wußten, vor. Der Herrscher sprach darauf zu ihnen: »Ihr wolltet den Grafen Wilhelm verjagen, nun seht Ihr, daß er ganz von selbst geht. Sagt ihm, wenn er nicht zufrieden mit dem Sold ist, den[142] er bei seinem Antritt annahm, und mit welchem mehrere Herren aus guten Häusern zufrieden waren, so möge er wo anders sein Glück versuchen; ich werde ihn nicht halten und wünsche ihm, daß er anderswo eine Stelle findet, wo er nach seinem Verdienst leben kann.«

Robertet überbrachte diese Botschaft eben so eilig dem Grafen, wie er die seine übernommen hatte. Der Graf beschloß also, da er beurlaubt sei, zu gehen; und als zwänge ihn die Furcht dazu, wartete er nicht mehr die nächsten vierundzwanzig Stunden ab, sondern nahm Abschied vom Könige, als dieser zu Tisch gehen wollte, indem er dabei das größte Bedauern heuchelte, ihn verlassen zu müssen. Auch bei der Mutter des Königs verabschiedete er sich, und diese entließ ihn mit ebensoviel Vergnügen, als sie ihn seiner Zeit als Verwandten und Freund empfangen hatte. So reiste er in seine Heimath zurück. Als der König dann das Erstaunen seiner Mutter und der Höflinge über diese plötzliche Abreise sah, erzählte er ihnen von dem Schreck, welchen er dem Grafen eingejagt, und fügte hinzu, daß er selbst, falls er unschuldig an dem war, wessen man ihn beschuldigte, doch genug Furcht bekommen hätte, so daß er von einem Herrn schied, dessen Kräfte er noch nicht ermessen hatte.

»Was mich betrifft, meine Damen«, sagte Oisille, »so kann ich mir nur denken, daß der König sich nur deshalb einem so gefürchteten Ritter allein gegenüberstellte, um einmal ferne von den Orten und der Gesellschaft, wo die Könige keinen Untergebenen finden, der sie zum Kampfe fordern möchte, sich dem gleich zu stellen, den er für seinen Feind hielt, und so zu seiner eigenen Befriedigung den Muth und die Verwegenheit seines Herzens zu erproben.« »Jedenfalls hatte er Recht«, sagte Parlamente, »denn alle Lobsprüche der Welt können ein tapferes Herz nicht so befriedigen, wie die eigene Erfahrung und das eigene Kennen der Tugenden, welche ihm Gott verliehen hat.« »Schon längst«, fuhr Guebron fort, »haben uns die Dichter und andere mehr gesagt, daß, wenn man den Tempel des Ruhms erreichen wolle, man erst den der Tugend durchschreiten müsse. Und ich, der ich die beiden besprochenen Personen kenne, ich weiß, daß der König in Wahrheit einer[143] der kühnsten Männer des Königreichs ist.« »Auf Ehre«, rief Hircan, »zur Zeit, als der Graf Wilhelm nach Frankreich kam, hätte ich seinen Degen mehr gefürchtet, als den der tapfersten Herren Italiens, welche am Hofe waren.« »Ihr wisset wohl«, sprach Emarsuitte, »daß unsere Lobsprüche ihn immer noch nicht nach Verdienst würdigen können, und daß der Tag eher zu Ende gehen würde, als wir jeder mit dem fertig wären, was wir in der Hinsicht zu sagen hätten. Darum, edle Frauen, gebt Eure Stimme Einem, der noch weiter Gutes von den Männern berichte, wenn er kann.« Oisille wandte sich zu Hircan: »Mich will bedanken, Ihr seid so gewohnt, Schlechtes von den Frauen zu sagen, daß es Euch lieb sein wird, etwas zum Lobe eines Mannes zu erzählen. Ich ertheile Euch also das Wort.« »Das soll mir leicht werden«, sprach Hircan, »denn vor nicht langer Zeit wurde mir eine Geschichte zum Lobe eines Edelmannes, dessen Liebe und Beständigkeit und Festigkeit aller Ehren werth sind, erzählt, die ich Euch nicht vorenthalten will.«

Quelle:
Der Heptameron. Erzählungen der Königin von Navarra. Leipzig [o.J.], S. 140-144.
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