Achtzehnte Erzählung.

[144] Eine schöne junge Dame hat ein Verhältniß mit einem jungen Ritter, zweifelt aber, ob er sie so aufrichtig liebt, wie er betheuert. Sie läßt ihn deshalb zwei Proben bestehen, bevor sie ihm ihre Ehre preisgiebt.


In einer größeren Stadt Frankreichs lebte ein Edelmann aus gutem Hause, der dort die Hochschule besuchte, da er sich das Wissen erwerben wollte, welches Ehre und Ansehen unter den Menschen giebt. Obwohl er so fleißig war, daß er trotz seiner siebzehn bis achtzehn Jahre ein wandelndes Buch schien und als Beispiel für die andern aufgestellt wurde, fand auch Gott Amor noch Zeit, nach seinen anderen Unterrichtsstunden ihm Lektionen zu ertheilen, und um von ihm gern angehört und gut aufgenommen zu werden, versteckte er sich hinter das Gesicht und die Augen der schönsten Dame des ganzen Landes, welche damals gerade wegen eines Prozesses[144] in die Stadt gekommen war. Bevor aber noch Gott Amor unternahm, den Edelmann durch die Schönheit dieser Dame sich zu unterwerfen, hatte er schon der Dame Herz getroffen, als sie die Vollkommenheiten sah, welche in diesem Ritter vereinigt waren; denn es gab keinen, der ihm an Schönheit, Anmuth, Verständigkeit und Geist gleich kam, welchen Standes er auch sein mochte. Ihr wißt, welchen schnellen Schritt dies Feuer geht, wenn es erst einmal das Herz und den Sinn an einer Ecke erfaßt hat. Ihr könnt Euch also auch vorstellen, daß Amor an zwei mit solchen Vorzügen ausgestatteten Personen nicht herantrat, ohne daß sie bald nur auf seine Stimme hörten, alles Licht ihres Lebens nur aus ihm zogen und ihr Denken, Fühlen und Wollen nur von seiner Gluth erfüllt war. Da der Ritter aber noch jung war und deshalb noch schüchtern, betrieb er seine Angelegenheit nur langsam und sehr rücksichtsvoll. Nun wäre bei ihr, die die Liebe schon ganz beherrschte, ein besonderes Drängen garnicht von Nöthen gewesen, sie hütete sich aber aus weiblicher Scham, ihm ihre Gedanken klar zu zeigen. Am Ende aber war ihr Herz, diese Festung, wo die frauliche Ehrenhaftigkeit thront, so sehr verheert, daß die Arme sich auch äußerlich mit dem aussöhnte, was in ihrem Innern schon längst kein Widerspruch mehr für sie war. Sie wollte aber seine Charakterfestigkeit und Beherrschung erproben, versprach ihm Erhörung seiner Bitten, aber unter einer schweren Bedingung, indem sie ihm versicherte, daß, wenn er dieselbe einhielte, sie ihm ganz gehören werde, anderenfalls aber er nicht das Geringste von ihr haben würde; sie wolle, daß sie einmal zusammen im Bett lägen, jeder im Hemde, und nur mit einander sprächen, ohne daß er etwas weiteres von ihr verlangte, als vielleicht noch einen Kuß. Er konnte sich kein größeres Glück vorstellen, als das, was sie ihm für die Zukunft versprach, und ging auf ihre Bedingung ein. Als der Abend gekommen war, wurde die Bedingung erfüllt; so entgegenkommend sie sich auch bewies und wie große Befriedigung er auch empfunden hätte, seinen Schwur wollte er doch nicht brechen. Und obwohl die ihm zugemuthete Qual ihm nicht geringer als das Fegefeuer erschien, so war seine Liebe doch so stark und seine Hoffnung so groß, um so mehr als er sicher sein konnte, daß seine Selbstbeherrschung nur ein dauerndes[145] Freundschaftsverhältniß zur Folge haben würde, daß er sich in Geduld faßte und aus ihrer geliebten Nähe ging, ohne irgend welchen weiteren Versuch gemacht zu haben.

Die Dame aber schien weit mehr erstaunt als zufrieden zu sein; es kam ihr die Vermuthung, daß seine Liebe doch vielleicht nicht so groß sei, als sie gedacht, oder daß er nicht so viel Schönes in ihr gefunden hatte, als er erwartete; seine ritterliche Geduld und Treue im Halten seines Schwures zog sie garnicht in Erwägung. Sie entschloß sich deshalb, bevor sie ihr Versprechen einlöste, seine Liebe noch eine Probe bestehen zu lassen. Zu diesem Zwecke bat sie ihn, einem ihrer Gesellschaftsfräulein, die jünger als sie selbst war und auch ganz schön, den Hof zu machen, damit die Leute, welche ihn so oft in ihr Haus kom men sahen, vermeinten, es geschehe um dieser und nicht um ihretwillen. Der junge Ritter, immer in der Voraussetzung, von ihr ebenso geliebt zu werden, als er sie liebte, gehorchte ihrem Befehl in allen Stücken und bezwang sich aus Liebe zu ihr, jenem Mädchen den Hof zu machen, auf welches wiederum seine Schönheit und sein Geist einen großen Eindruck machten, so daß sie seine Lügen für Wahrheit hielt und ihn bald so liebte, als würde sie ernstlich von ihm geliebt. Als nun die Herrin sah, daß diese Sache ziemlich weit gegangen war, nichtsdestoweniger aber der junge Mann nicht aufhörte, sie wegen ihres Versprechens zu drängen, gewährte sie ihm eine Zusammenkunft um ein Uhr nachts, indem sie ihm sagte, daß sie seine Liebe und seinen Gehorsam nun genugsam erprobt hätte, um ihm den Lohn seiner Ausdauer zu Theil werden zu lassen. Die Freude des treuen Geliebten könnt Ihr Euch denken; und er verfehlte selbstverständlich nicht, zur bestimmten Stunde an Ort und Stelle zu sein. Die Dame wollte aber noch einen letzten Versuch machen und sagte deshalb zu dem jungen Mädchen: »Ich kenne die Liebe eines jungen Edelmannes zu Euch und ich weiß auch, daß Ihr ihn nicht minder leidenschaftlich liebt. Ich habe solches Mitleid mit Euch, daß ich Euch die Gelegenheit geben will, einmal ganz nach Eurem Gutdünken und ungestört lange mit ihm zusammen zu sein.« Das junge Mädchen war so erfreut, daß sie aus ihrer Neigung kein Hehl mehr machte; sie sagte, sie werde schon kommen, und dem Rath und den Anordnungen ihrer Herrin folgend, entkleidete[146] sie sich und legte sich in ein Bett ganz allein in einem Zimmer, dessen Thür die Dame offen ließ, nachdem sie drinnen noch eine Kerze angesteckt hatte, damit man die Schönheit des jungen Mädchens auch recht gewahr werden konnte. Dann that sie, als ginge sie fort, versteckte sich aber so gut in der Nähe des Bettes, daß niemand sie sehen konnte.

Der arme Ritter, der sich ganz auf ihr Versprechen verlassen hatte, kam also zur verabredeten Stunde und trat so leise als möglich in das Zimmer. Dann, nachdem er die Thür verschlossen und seine Kleider und seine gefütterten Stiefel abgelegt hatte, legte er sich ins Bett, wo er die Heißersehnte zu finden gedachte. Kaum hatte er aber die Arme ausgestreckt, um die Geliebte zu umarmen, als auch schon das junge Mädchen, die ihn in sich verliebt glaubte, die ihren um seinen Hals geschlungen hatte und Liebesworte mit so freudestrahlendem Gesicht ihm ins Ohr flüsterte, daß selbst ein Einsiedler seine Vaterunser vergessen hätte. Als er aber ihr Gesicht sah und ihre Stimme hörte und erkannte, daß es nicht diejenige war, für welche er schon soviel geduldet hatte, war er wie mit kaltem Wasser begossen und stand ebenso schnell auf, als er sich vorher beeilt hatte, sich zu ihr zu legen. Dann trat er zu ihr heran und gleich sehr auf Herrin und Dienerin zornig sagte er zu ihr: »Eure Thorheit und die Eurer Herrin, welche Euch ganz hinterlistigerweise hierher gebracht hat, können meinen Sinn nicht verändern; bemüht Euch aber, eine anständige Frau zu bleiben, jedenfalls werdet Ihr durch mich diesen Ehrentitel nicht verlieren.« Dann verließ er ganz aufgebracht das Zimmer und kehrte lange nicht mehr in das Haus seiner Angebeteten zurück.

Die Liebe aber ist niemals aller Hoffnung bar, und er beruhigte sich damit, daß ihm, je mehr sich in all diesen Prüfungen seine Liebe groß und beständig erwiesen habe, nur um so längerer und glückbringender Genuß bevorstehe. Auch die Dame, die die ganze Unterhaltung mit angehört hatte, war über seine Ausdauer so erstaunt und von seiner Beständigkeit so angenehm berührt, daß sie sehr danach verlangte, ihn wiederzusehen und ihn wegen aller ihm bereiteten bösen Stunden um Verzeihung zu bitten. Als sie ihn das erste Mal wiedersah, erwies sie sich so freundlich gegen[147] ihn, daß er nicht nur alle seine Mühen vergaß, sondern sie pries, weil sie ihm zu einer beglückenden, intimen Freundschaft verholfen hätte, deren Genuß er von Stund' an, ohne daß jemals eine Verstimmung das Verhältniß trübte, in weitgehendstem Maße hatte.

Mit diesen Worten beendete Hircan seine Erzählung und fuhr dann fort: »Nun nennt mir eine Frau, meine Damen, welche so fest und beständig gewesen und in ihrer Liebe so ehrlich zu Werke gegangen ist, wie dieser Mann. Wer ähnliche Versuchung erfahren, muß die des heiligen Antonius im Vergleich hierzu unbedeutend finden. Denn wer gegenüber fraulicher Schönheit und Liebe, besonders wenn sonst Gelegenheit und Ort günstig sind, zurückhaltend und kalt bleibt, gegen dessen Tugend können allerdings alle Teufel nicht an.« »Schade«, meinte Oisille, »daß er nicht mit einer gleich tugendhaften Frau zu thun hatte, es wäre die vollkommenste und ehrbarste Liebe gewesen, von der ich je gehört habe.« Guebron fragte: »Welche von den beiden Prüfungen haltet Ihr für die schwerste?« Parlamente erwiderte: »Mir scheint, die letzte, denn Verdruß ist eine ärgere Versuchung als irgend etwas sonst.« Longarine war der Meinung, daß die erste es sei, denn in diesem Falle habe er außer dem heimlichen Verlangen auch noch die Liebe niederhalten müssen, um sein Versprechen zu halten. Simontault nahm das Wort und sagte: »Ihr könnt darüber garnicht mitreden, das können wir nur beurtheilen, und deshalb müßt Ihr unsere Meinung hören. Was mich nun anbetrifft, so halte ich ihn im ersten Fall für verrückt und im zweiten für dumm. Ich glaube nämlich, indem er das Versprechen hielt, verursachte er seiner Dame nur ebensoviel Mühe, als er selbst hatte. Sie ließ ihn nur schwören, um sich als eine ganz besonders ehrbare Frau hinzustellen, im übrigen aber dachte sie garnicht anders, als daß eine starke Liebe sich weder an Befehle und Schwüre noch an sonst etwas in der Welt kehrt. Sie wollte aber ihre Schwäche mit Tugend umkleiden und sich nur mit heroischen Thaten gewinnen lassen. Das zweite Mal war er einfach dumm, nicht die zu nehmen, die ihn liebte, und besser war als jene, die ihr Versprechen nicht hielt, und noch dazu konnte ihm der Verdruß hier eine genügende Entschädigung sein.« Dagoucin tadelte diese Ansicht und sagte, er wäre entgegengesetzter Meinung, indem[148] der Ritter sich im ersten Fall tapfer und beständig und im zweiten als ein aufrichtiger und vollkommener Freund gezeigt habe. Saffredant unterbrach ihn hier mit den Worten: »Was wißt Ihr davon, ob er nicht vielleicht zu denen gehörte, die zurückhaltend scheinen, weil kein Saft und Kraft mehr in ihnen ist? Wenn Hircan seinen Lobpreisungen hätte die Krone aufsetzen wollen, so hätte er uns noch erzählen müssen, wie er sich erwies, als er nun das Gewünschte erlangt hatte, dann hätten wir erst richtig beurtheilen können, ob er aus Selbstbeherrschung oder aus Impotenz so kühl blieb.« »Nun«, erwiderte Hircan, »Ihr könnt ganz getrost sein; wenn Ihr den Wunsch geäußert hättet, würde ich Euch das ebensowohl wie das Uebrige erzählt haben; ich aber, der ich seine Person und seine körperliche Gesundheit kannte, meine, daß es nur kraftvolle Beherrschung seiner Sinne und nicht etwa kühles oder schläfriges Blut war.« »Nun, wenn er so war«, sagte Simontault, »so mußte er einfach sein Versprechen nicht halten; denn wenn sie darüber auch zornig geworden wäre, sie wäre schon leicht wieder zu beruhigen gewesen.« »Aber in jener Viertelstunde wollte sie es doch nicht«, sagte Emarsuitte. »Nun, was denn?« erwiderte Saffredant, »war er nicht etwa kräftig genug, sie zu überwältigen, noch dazu, da sie ihm den Kampfplatz doch eingeräumt hatte?« »Heilige Jungfrau Maria«, sagte Nomerfide, »Ihr seid kurz angebunden! Ist das die Art, die Geneigtheit einer Frau zu erwerben, an deren Ehrbarkeit man glaubt?« »Mir scheint«, sagte Saffredant, »daß man einer Frau, von der man überhaupt etwas wünscht, die größte Ehre erweist, wenn man es mit Gewalt nimmt. Die letzte, kleinste Zofe möchte sich lange bitten lassen, andere möchte man mit Geschenken überhäufen, bevor sie zu haben sind; noch andere sind so dumm, daß alle Klugheit nichts bei ihnen verschlägt, und gegen solche muß man nicht erst auf Mittel und Wege sinnen. Hat man aber mit einer Frau zu thun, die zu klug ist, als daß man sie täuschen könnte, und zu ehrbar, als daß sie sich mit süßen Worten und Geschenken fangen ließe, ist es dann vernünftig, noch auf irgend ein anständiges Mittel zu rechnen, um sie willig zu machen? Und wenn Ihr hört, daß ein Mann eine Frau mit Gewalt genommen hat, so seid nur überzeugt, daß besagte Frau ihm alle[149] Hoffnung auf ein anderes Mittel genommen hat, und unterschätzt nicht den Mann, der sein Leben in die Schanze geschlagen hat, um seine Liebe zu befriedigen.« Guebron lachte und sagte: »Ich habe schon manchen Platz belagern und mit Gewalt nehmen sehen, dessen Beschirmer weder durch Geld zu kapern noch mit Drohungen einzuschüchtern war, und wenn eine Festung erst zu parlamentiren beginnt, ist sie schon halb erobert.« »Es scheint allerdings,« nahm Emarsuitte das Wort, »daß so ziemlich alle Liebe auf der Welt auf solche tadelnswerthe Wünsche hinaus läuft; immerhin giebt es aber auch Leute, die geliebt und in allen Ehren ausgehalten haben, ohne daß ihr Ziel ein verwerfliches war.« »Wenn Ihr hierüber etwas zu berichten wißt, so gebe ich Euch das Wort zur nächsten Erzählung«, sagte Hircan. »Jawohl, ich weiß eine solche Geschichte«, sagte Emarsuitte, »und will sie Euch gern mittheilen.«

Quelle:
Der Heptameron. Erzählungen der Königin von Navarra. Leipzig [o.J.], S. 144-150.
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