Vierzehnter Auftritt


[667] Vorige. Bürgermeister. Ultra.


ULTRA erzürnt, von Seite rechts. Kein Wort weiter, ich will nichts mehr hören.

BÜRGERMEISTER ihm folgend. Mein Herr –[667]

ULTRA. Für was halten Sie mich? Mir den Antrag zu machen, ich soll Zensor werden! das ist zu stark. –

BÜRGERMEISTER. Sind Sie denn wahnsinnig, ich glaube, Sie wissen gar nicht was ein Zensor ist?

ULTRA. Das weiß ich nur zu gut. Ein Zensor ist ein menschgewordener Bleistift, oder ein bleistiftgewordener Mensch, ein fleischgewordener Strich über die Erzeugnisse des Geistes, ein Krokodil, das an den Ufern des Ideenstromes lagert, und den darin schwimmenden Literaten die Köpf abbeißt.

BÜRGERMEISTER. Welche Sprache? das ist unerhört in Krähwinkel!

ULTRA. Ich glaub's, weil's um 100 Jahr zurück seid's, und diese Sprache ist erst wenige Monate alt. In dieser neuen Sprach' sag' ich Ihnen jetzt auch was die Zensur ist. Die Zensur ist die jüngere von zwei schändlichen Schwestern, die ältere heißt Inquisition. Die Zensur ist das lebendige Geständnis der Großen, daß sie nur verdummte Sklaven treten, aber keine freien Völker regieren können. Die Zensur ist etwas, was tief unter dem Henker steht, denn derselbe Aufklärungsstrahl, der vor 60 Jahren dem Henker zur Ehrlichkeit verholfen, hat der Zensur in neuester Zeit das Brandmal der Verachtung aufgedrückt.

BÜRGERMEISTER wütend. Meine Ohren! Herr! wenn's nicht zu hoch käme, für Sie ließe ich eine Extra-Festung bauen, gegen die der Spielberg nur ein chinesisches Lusthaus wäre.

FRAU VON FRANKENFREI entrüstet zum Bürgermeister vortretend. Und so könnten Sie das freie Wort belohnen? –

BÜRGERMEISTER frappiert. Meine verehrteste, – charmanteste – Zu Sigmund. Warum hat man mir nicht gemeldet –

FRAU VON FRANKENFREI zu Ultra. Sie haben mir aus der Seele gesprochen, Sie sind mein Mann. –

ULTRA. Ich bin Ihr Mann? –

FRAU VON FRANKENFREI. Das heißt – nämlich – ich meinte –

ULTRA. Das Mißverständnis ist so schön, daß ich auf gar keine Entschuldigung dringe.[668]

BÜRGERMEISTER zu Frau von Frankenfrei. Ist es gefällig in mein Kabinett zu spazieren? –

ULTRA zu Frau von Frankenfrei. Da drin werden Anstellungen vergeben. Die verstorbene Bürgermeisterin ist tot –

BÜRGERMEISTER wütend. Mensch –

ULTRA. Hätten Sie mir einen andern Namen gegeben, so hätt' ich gesagt, selber einer, aber so –

FRAU VON FRANKENFREI zu Ultra. Hielten Sie mich für fähig –

BÜRGERMEISTER. Ich bitte –


Will sie in sein Kabinett führen.


FRAU VON FRANKENFREI. Ich bin gekommen, Ihnen zum letzten Male zu sagen, daß Ihre Umtriebe in betreff meines Vermögens –

BÜRGERMEISTER. Hier ist nicht der Ort –


Führt sie in sein Kabinett rechts ab.


ULTRA. Die Bürojünglinge sollen nicht erfahren, was sie für einen Chef haben –

BÜRGERMEISTER sich an der Türe umwendend zu Sigmund. Fertigen Sie diesem propagandistischen Ausländer einen Laufpaß aus, in zwei Stunden muß er das Weichbild von Krähwinkel im Rücken haben. Rechts ab.


Quelle:
Johann Nestroy: Werke. München 1962, S. 667-669.
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Freiheit in Krähwinkel: Posse mit Gesang in 2 Abtheilungen und 3 Akten / von J. Nestroy (German Edition)