10. Der 104. Psalm


Auff eine eigene Weise

[179] Erwache, meine Seel, und sage Lob dem Herren,

O Gott, wie bist du doch so rühmlich für und für!

Dein grosser Schein bestralt den Weltkreiß weit und ferren,

Dein Schmuck, in dem du gehst, ist nichts als Schmuck und Zier.


Dein Kleid ist reiniglich und sauber zubereitet,

Ist auff den Glantz gemacht und liechter Schönheit voll:

Du hast das blaue Tuch deß Himmels außgebreitet

Dir zur Tapezerey, als wie ein König soll.


Die Decke, welche dir diß hohe Hauß muß tragen

Und du hast auffgewölbt, ist unerschöpfftes Meer;

Das Wasser ist dein Hoff, die Wolcken sind dein Wagen,

Die Winde flügelst du und jagst sie für dir her.


Die Winde flügelst du und schickst sie allzusammen

Wie treue Boten auß, dein Herold ist die Lufft,

Der Donner höret dich, der Sturm und schnelle Flammen

Erzeigen ihren Dienst, wann deine Stimme rufft.
[179]

Du hast deß Himmels Fuß, die grosse Last der Erden,

Dein weises Meisterwerck, in starcken Grund gelegt,

Den Bau ihm lassen selbst zur Gegenwage werden,

So daß er weder sinckt, noch auff die Seite schlegt.


Du hattest ihm vorhin zum Mantel umbgegeben

Die bodenlose See, ihr Schaum gieng überher;

Die Felsen, so ihr Haupt dermassen hoch erheben,

Die stunden zugedeckt und waren lauter Meer,


Jedoch so bald dir nur geliebet hat zu wincken,

Hat auch die wilde Flut ihr einen Weg gesucht.

Auff deiner Stimme Plitz fieng alles an zu sincken,

Die Wellen worden scheu und eilten in die Flucht.


Die Berge mengten sich der Lufft mit ihren Spitzen

Und ragten stoltz herfür, das Feld ward abgesenckt,

Die Klippen mußten stehn, die tieffen Thäler sitzen,

Da wo du jeglichem hast seinen Ort geschenckt.


Du hast der breiten See den Gräntzestein gezeiget,

So daß ihr küner Lauff nun seine Schwelle weiß

Und nicht mehr unbepfält an frembdes Ufer steiget.

Und nicht mehr überfällt den müden Erdenkreiß.


Die flachen Gründe sind der Brunnen kühle Stelle,

Worein sie hat gepflantzt dein unerschöpffter Sinn;

Hier sucht ihr freyen Gang die Flut der reichen Quelle,

Hier rauscht der Flüsse Strom an rauen Bergen hin.


Diß hast du für die Thier' auch also haben wollen,

Damit kein Mangel sey auff ihrer grünen Bahn

Und sie den heissen Durst genüglich stillen sollen,

So daß deß Wildes Heer sich frölich letzen kan.


Hier hört man umb den Strand auff hohen Aesten singen

Die schöngemahlte Schar der weiten Himmelslufft,

Hier hört man sie mit Lust die Tageweise schwingen,

Das Thal und Feld und Wald und Ufer widerrufft.


Du machst die Berge naß, schickst angenehmen Regen

Auß deinen Wolcken her mit einer milten Hand;

Die Lufft muß schwanger sein, gebehren deinen Segen,

Dein süsser Perlentau befeuchten alles Land.


Du lässest für das Vieh entspriessen feiste Weide,

Du giebst ihm weiches Graß und schaffest Futter ein;

Das Volck der Sterblichen hat Kräuter und Getreidt,

Damit es beydes satt und auch gesund kan sein.
[180]

Der Menschen Hertz und Blut wird durch das Blut der Erden

Den Wein, den Sorgentrost, zur Fröligkeit gebracht,

Sein Antlitz kann von Oel erquickt und schöner werden,

Die Glieder von der Krafft deß Brodes starck gemacht.


Daß so viel Bäume sich durch Thal und Berg erhöhen

Und wachsen ungeprosst und haben vollen Safft,

Daß auff dem Libanon die festen Cedern stehen,

Das wolgeschmackte Holtz, diß hast du auch geschafft.


Hier pflegt in stiller Ruh der Sperling auff zu rüsten,

Sucht für sein leichtes Nest ihm einen kleinen Raum;

Hier sieht man hoch empor den stoltzen Reiger nisten,

Fast umb ein dickes See, auff einem Tannebaum.


Die zarte Hindinn kennt, daß Berge für sie dienen,

Die Gemse schwinget sich auff Klippen in die Lufft;

Die samenreiche Zucht der flüchtigen Caninen

Hat ihren Auffenthalt in wilder Felsen Klufft.


Damit das Jahr von uns kan eingetheilet werden,

So muß deß Mondens Nadt jetzt leer, jetzt trächtig stehn

Es weiß deß Tages Zier, die Hertze dieser Erden,

Die Sonne, welche Zeit sie soll zu Bette gehn.


Du heissest alles Land durch Finsterniß verbleichen

Und giebst den Wolcken umb das braune Kleid der Nacht;

Dann hört man wie die Thier' auß ihren Löchern weichen

Und wie das scheue Wild sich durch die Püsche macht.


Der Wälder Furcht und Krafft, die jungen Löwen, wissen

Wo Raub zu suchen sey in ihrer Hungersnoth,

Dieweil sie einig dich, nur einig dich, begrüssen

Und brüllen auff zu dir, du auch der Thiere Gott!


Wann dann der Sonnen Gunst mit einem güldnen Blicke

Den Erdenkreiß erweckt von seiner langen Ruh,

Da nemen sie den Weg in voller Schar zurücke

Und läufft ein jegliches auff seine Höle zu.


Dann legt der Mensch sich an, verbringt auff seinem Grunde

Und Ackern den Beruff, worzu er ist bestimmt

Und wird der Erden Artzt, biß daß die Abendstunde

Die Arbeit und den Tag zugleiche von ihm nimpt.


O Herr, wie wunderbar und groß sind deine Wercke!

Wer ist es, der sie kennt und alle nennen soll?

Du, du hast diß gethan durch deine weisse Stärcke:

Das gantze weite Rundt ist deiner Güte voll.
[181]

Was dann die See betrifft, wer will ergründen können

Das Vieh der reichen Flur und kalte Schuppenheer?

Dann die Gestalt an ihm ist nimmer außzusinnen,

Die Anzahl nur allein so groß nicht als sein Meer.


Hier laufft das kühne Schiff dir Wette mit dem Winde,

Und eilt geflügelt fort durch seine nasse Bahn,

Hier hast du eingesetzt den Walfisch in die Gründe,

Damit er lustig sein und frölich schertzen kan.


Es schaut und wartet, Herr, mit gläubigem Verlangen

Diß was hier schwebt und lebt auff deine Gütigkeit;

Er dient dir sehnlich auff und hoffet zu empfangen

Die Speise, die du schaffst zu rechter Essenszeit.


Sie kommen allesampt und heissen ihnen geben,

Und kriegen Unterhalt, daß keines Mangel hat;

Sie kommen allesampt und du erquickst ihr Leben;

Thust du die Hand nur auff, so sind sie gäntzlich satt.


Woferren aber du verbirgest dein Gesichte

Und ihnen ihren Geist erzürnet wilt entziehn,

So zittern sie für Angst, so werden sie zu nichte

Und sind ein leichter Staub und Asche wie vorhin.


Wird nachmals über sie dein Athem außgelassen,

So lebt was jetzund schon vom Leben nicht mehr weiß

Und kann ihm neue Lufft und frische Kräfften fassen,

Ja du verjüngest auch den gantzen Erdenkreiß.


Deß Herren werthes Lob soll ewig bey uns wallen,

Wir wollen allezeit erheben seine Krafft;

Der Herr der Herren hat ein grosses Wolgefallen,

Hat seines Hertzens Lust an Wercken, die er schafft.


Wann er die Erde nur ergrimmet an will blicken,

So zittert und erbebt die gantze schwere Last;

Die Felsen geben Dampff, der starcken Berge Rücken

Die rauchen, wann er sie mit einem Finger fast.


Ich will auß aller Krafft deß Herren Ruhm erheben,

Will preisen meinen Gott mein gantzes Leben lang,

Will, also weit er mir auff Erden Frist wird geben,

Erhöhen seine Macht durch meinen Lobgesang.


Hergegen dieses sey er auch von mir gebetten,

Er lasse meine Stimm' auß Gnaden zu sich ein

Und gebe, daß sie kan in sein Gesichte treten,

So wird mein gantzer Sinn zum Singen freudig sein.
[182]

Der Sünder böse Schar muß außgerottet werden,

Muß sehn, nach dem sie ringt, den wolverdienten Todt;

Das gottverhaßte Volck muß nicht mehr sein auff Erden:

Du wache, meine Seel', und lobe deinen Gott.

Quelle:
Martin Opitz: Weltliche und geistliche Dichtung, Berlin und Stuttgart [1889], S. 179-183.
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