11. Der 137. Psalm


Auff die Weise deß 96.

[183] Singet ein neues Lied dem Herren.


An Babylons begrünten Flüssen

Da wolten wir der Ruh geniessen

Und frey von stetem Kummer seyn;

Bald kam uns Sion aber ein,

Daß wir die Thränenquellen liessen.


Wir musten nur die Harffen meiden

Und henckten sie den zarten Weiden

An ihrer Aeste bleiche Zier,

Die gleichsamb mit uns und als wir

Auch schienen Traurigkeit zu leiden.


Noch sagten die, so uns gefangen,

Durch die wir im Rauch auffgegangen,

Wol auff, singt einen Freudenthon,

Laßt von der werthen Burg Sion,

Die schönen Freyer-Lieder prangen.


Ach sprachen wir, wer kan sich zwingen,

Was frölichs jetzt herfür zu bringen?

Der Herr zwar herschet für und für,

Doch wer will in der Frembde hier

Wie recht und gut ist, ihn besingen?


Diß kan ich dir von Hertzen sagen,

Jerusalem, wann dein Behagen

Auß meinen Sinnen wird getrant,

So müsse diese meine Hand

Die Harffen ewig nicht mehr schlagen.


Die Zunge klebe mir am Rachen

Wann nicht mein Hertze stets wird wachen,

Jerusalem, in treuer Gunst,

Wann mir nicht deine Liebesbrunst

Wird süsser seyn, dann alle Sachen.


Du wollest, Herr, es ja gedencken,

Den Kindern Edom es nicht schencken,

Daß sie Jerusalem zerstört;

Fort, fort, hat man ihr Wort gehört,

Man muß sie auff den Grund versencken.


O Babylon, frech von Geberden,

Du auch solt kehren noch die Erden!

Wol, wol, durch welchen dir fortan

Das Uebel, so du uns gethan

Gar reichlich soll belohnet werden!


Wol, wol dem, der sich wird befleissen

Dir deine Kinder weg zu reissen

Von deiner Brust mit grimmer Hand;

Der sie wird schlagen an die Wand,

Und an die rauen Felsen schmeissen.

Quelle:
Martin Opitz: Weltliche und geistliche Dichtung, Berlin und Stuttgart [1889], S. 183.
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