19. Klagelied bey dem Creutze unsers Erlösers

[199] Ihr armen Sterblichen, habt ihr, wann ihr gesehen

Die Sonne liechte seyn, die starcken Winde wehen,

Des Monde Glantz auffgehn, die Sternen bey der Nacht,

Und leuchten aus der Lufft, auch je bey euch gedacht,

Da einer über uns das grosse Rund verwalte,

Der Himmel, Erd' und See bey ihrem Thun erhalte,

Der durch sein Regiment und Scepter für und für

Behersche dieses Reich, denselben seht nun hier.

Seht euren Schöpffer an, den Gott von allen Zeiten,

Den König der Natur, seht seine weisse Seiten

So jämmerlich durchbort, das Haupt, das güldne Haar,

Die Hände, welchen vor das Meer gehorsam war

Und Eolus darzu, den Leib, die zarten Füsse.

Ein jeder mache sich zu uns her und vergiesse

Die Zehren, wie auch er vor uns vergossen hat,

Als Blut ihm vor den Schweiß aus seiner Stirne trat

Und diese gantze Welt, ja, das noch mehr zu sagen,

Die Sünden allesampt ihm auff den Halse lagen

Und druckten ihn für uns. Ach Schand, ach Laster, ach,

Der Bau des Himmels knackt, die Wolcken geben nach,

Lufft, Feuer Erd' und Meer die scheinen auch zu leiden,

Und liegen gantz verwirrt, die Sonne selbst muß scheiden

Und kan das Leid nicht sehn. Du wilde Nation,

Ihr teufflisches Geschlecht, ist das nun dessen Lohn,

Der aus Egypten dich, o Israel, geführet

Durch Wüsten, da kein Mann vor jemahls war gespüret,

Da nie kein Mensch gewohnt, der dir in deiner Noth

Die Felsen quellen ließ, und gab dir Himmels-Brodt.

Das Antlitz, das ihr nicht auff Horeb köndtet schauen,

Für dem die Cherubin zu stehen nicht getrauen,

Das speyet ihr nun an. Jehova, den ihr nicht

Auch sonst nur nennen dürfft, die Warheit und das Liecht,

Der Löw auß Juda her wird jetzt von euch vernichtet,

Gehönet, außgelacht und schäntlich hingerichtet.

O du verdamptes Volck, sol das dein Gott nicht seyn,

Der so viel Wunder that, macht auß dem Wasser Wein,

Ließ in dem Munde schon das Brodt erst grösser werden,

Aß viertzig Tage nicht, gieng wie auff platter Erden

Auff Wässern überhin, hieß Blinde wieder sehn,

Trieb böse Geister aus und was sonst mehr geschehn,

Das nicht bey Menschen steht; jetzt kommen sie mit Hauffen,

Das heilig Osterlamb zu schlachten, zugelauffen,[200]

Von Tyrus, von Sidon, von Idumea her,

Vom feisten Syrien, und wo das faule Meer

Nichts untersincken lest, wo Soduma verbrunnen,

Dem sie zu gleichen sind, wo Libanus der Sonnen

Fast in dem Wege steht, daß ja die Tyranney

Nicht deine, Solyma, so gar alleine sey,

Kein Mensch beschützet ihn, es ist nun gantz vergessen

Die Güte seiner Hand; er gab den Leuten essen,

Jetzt klagt er über Durst; die Stummen kamen hin

Und giengen redend weg, nun schreyen sie auff ihn

Und fördern seinen Todt; er hieß die Lahmen gehen,

Die lauffen nun für ihm; hieß Todten aufferstehen,

Jetzt tödten sie ihn selbst. Ach, ach, das schöne Haar,

Das Haupt, das edle Haupt, das vor gezieret war

Wormit? Mit Golde? Nein, mit des Gestirnes Krone,

Mit Strahlen voller Glantz, der Leib wird nun zu Hohne,

Den eine Jungfrau trug. Der Bart, die starcke Brust,

Für des Alcides schwach, sind Eiter, Koth und Wust.

Und wir sind doch verstockt? Was haben wir vor Sinnen,

Daß solche höchste Noth sie noch nicht kan gewinnen?

Welch Tiger ist so grimm? Wie, wan der grosse Held,

In dieses Mittel sich nicht hette dargestelt;

So kräfftig war die Gunst den Menschen zu erhalten,

Der jetzund sein Gemüth' hergegen lässt erkalten,

Schlägt alles in den Wind. Auff, auff doch und erwacht,

Thut weg von euch den Schlaff, der all zu sicher macht,

Ey, legt die Faulheit hin. Es wird doch nicht begehret,

Daß ihr ein sterblichs Ding zum Opffer ihm gewehret,

Stecht gar kein Lamb nicht ab, schlagt keine Ochsen nicht,

Kein Weyrauch darf hier seyn, kein eingeweyhtes Liecht;

Gott siht im Finstern auch. Er fraget nach dem Hertzen,

Er fordert einig nur die Sinn, der Reu und Schmertzen

Vor seine Laster trägt, er wil gebeten seyn

Mit eyffriger Begier, nur diß gefelt allein

In seinen Augen wol. Diß sind die rechten Gaben,

Das Zeichen wahrer Treu, diß wil er einig haben.

Wie neigt er doch das Häupt so sehnlich zu uns her?

Wie freundlich zeigt er doch die Seiten, so der Sper

Uns gantz eröffnet hat? Wie weiset er die Hände,

So uns durchnagelt sind, wie rufft er vor dem Ende,

Wie mit den Kindern dann ein Vater sich bespricht,

Wenn ihm nun Atropos die matten Augen bricht

Und reisst den Faden ab; wie strecket er die Armen

Nach seinen Söhnen auß? Kan da auch sein Erbarmen[201]

Nicht lassen, da sich sein kein Mensch erbarmen wil,

Da ihn das Leben lässt? Hat doch die Gunst kein Ziel,

In die er uns gefasst. Wir aber haben Ohren

Und hören gleichwol nicht, wir sind verstockte Thoren

Und dencken gantz nicht nach was künfftig folgen sol,

Wann eben dieser Fürst den anvertrauten Zoll

Des Lebens fordern wird und Rechnung mit uns machen,

Wann dieser schöne Bau wird in die Flamme krachen

Und über Hauffen gehn. Da wird nicht einer seyn,

Von denen, die verdammt, der in die Glut hinein

Wird können auffrecht sehn. Sie müssen alle gehen

Wo Stix, der schwartze Fluß, pflegt unbewegt zu stehen

Und wo Cocytus laufft; da wird zu spates Leid

Und Neu erst bey euch seyn, da wird die rechte Zeit

Nicht mehr zurücke gehn; ihr werdet gerne wollen,

Daß Felsen und Gebirg euch überfallen sollen!

Umbsonst, gewiß umbsonst; so seht nun, weil ihr lebt

Und das Vermögen ist, daß ihr nur einig strebt

Zu bessern euern Sinn, zu dencken an die Stelle

Der Seelen, die Gott liebt, da nichts ist von der Helle,

Da Freuden übrig sind; so wird sich Christus auch

Erweisen brüderlich, wie sonsten sein Gebrauch

Gewesen von Beginn, wird selber in euch wohnen

Und nach viel Müh' und Angst euch zieren mit den Kronen

Der alten Ewigkeit und wird euch lassen gehn,

Wo das Gestirne sol zu euern Füssen stehn.

Quelle:
Martin Opitz: Weltliche und geistliche Dichtung, Berlin und Stuttgart [1889], S. 199-202.
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