2. Der 15. Psalm


Auff die Weise deß 24.

[168] Dem Herren der Erdkreiß zusteht.


Wer wird dann je so selig seyn,

O Herr, wer kömpt doch bey dir ein,

In deinen Zelten stäts zu wohnen?

Wem wird auff deinen Berg zu gehn,

Den heil'gen Berg, frey offen stehn?

Wer ist, den du so wirst belohnen?


Herr, dieser ist es, dessen Geist

Sich von der schnöden Erden reißt,

Recht geht und, was gerecht ist, übet,

Dem ihm zu handeln außerkiest,

Als wie es recht und erbar ist,

Und hertzlich sehr die Warheit liebet,


Der seines Nächsten Sinn nicht kränckt

Die Lügen, die er ihm erdenckt,

Ihn nicht ermordet mit der Zungen,

Sagt nicht dem Nachbar Böses nach

Und lässet ihm erdachte Schmach

Und falschen Spott unauffgetrungen,


Der loses Volck nicht ehrt und liebt,

Dem aber sein Gemüthe giebt,

So Gott hoch helt für allen Dingen,

Der nimmer ändert seinen Eyd

Und solt es ihm schon anderweit

Den höchsten Schimpff und Schaden bringen,


Der nicht Finantz und Wucher übt,

Nicht den, der ihn Geschäncke giebt,

Zu willen falsches Urtheil heget.

Wer also redet, also lebt

Und embsig nach dem Guten strebt,

Der bleibt auch stäts und unbeweget.

Quelle:
Martin Opitz: Weltliche und geistliche Dichtung, Berlin und Stuttgart [1889], S. 168.
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