12.

[22] Ich empfinde fast ein Grauen

Daß ich, Plato, für und für

Bin gesessen über dir;

Es ist Zeit hinauß zu schauen

Und sich bey den frischen Quellen

In dem Grünen zu ergehn,

Wo die schönen Blumen stehn

Und die Fischer Netze stellen.


Worzu dienet das Studieren

Als zu lauter Ungemach?

Unter dessen laufft die Bach

Unsers Lebens, das wir führen,

Ehe wir es inne werden,

Auff ihr letztes Ende hin,

Dann kömpt ohne Geist und Sinn

Dieses alles in die Erden.


Hola, Junger, geh' und frage

Wo der beste Trunck mag seyn,

Nimb den Krug und fülle Wein.

Alles Trauren, Leid und Klage

Wie wir Menschen täglich haben,

Eh' uns Clotho fort gerafft,

Will ich in den süssen Safft,

Den die Traube gibt, vergraben.


Kauffe gleichfals auch Melonen.

Und vergieß deß Zuckers nicht;

Schaue nur, daß nichts gebricht.

Jener mag der Heller schonen,

Der bey seinem Gold' und Schätzen

Tolle sich zu krencken pflegt

Und nicht satt zu Bette legt;

Ich wil, weil ich kan, mich letzen.


Bitte meine gute Brüder

Auff die Music und ein Glaß;

Kein Ding schickt sich, dünck mich, baß,

Als ein Trunck und gute Lieder.

Laß' ich schon nicht viel zu erben,

Ey, so hab ich edlen Wein;

Wil mit Andern lustig seyn,

Wann ich gleich allein muß sterben.

Quelle:
Martin Opitz: Weltliche und geistliche Dichtung, Berlin und Stuttgart [1889], S. 22.
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