13.

[22] Derselbe, welcher diese Nacht

Erst hat sein Leben hingebracht,

Ist eben auch wie die gestorben,

Die längst zuvor verbliechen seyn,

Und derer Leichnam und Gebein

Vor tausend Jahren sind verdorben.


Der Mensch stirbt zeitlich oder spat,

So bald er nur gesegnet hat,

So wird er in den Sand versencket

Und legt sich zu der langen Rhu.

Wann Ohr und Auge schon ist zu,

Wer ist, der an die Welt gedencket?


Die Seele doch allein und bloß

Fleugt, wann sie wird deß Cörpers loß,

Zum Himmel, da sie her geführet.

Was diesen schnöden Leib betrifft,

Wird nichts an ihm als Stanck und Gifft,

Wie schön er vormals war, gespühret.
[22]

Es ist in ihm kein Geist mehr nicht,

Das Fleisch fellt weg, die Haut verbricht,

Ein jeglig Haar das muß verstieben;

Und, was ich achte mehr zu seyn,

Diejenige kömpt keinem ein,

Die er für allem pflag zu lieben.


Der Tod begehrt nichts umb und an;

Drumb, weil ich jetzt noch wüntschen kan,

So wil ich mir nur einig wehlen

Gesunden Leib und rechten Sinn;

Hernachmals, wann ich kalt schon bin,

Da will ich Gott den Rest befehlen.


Homerus, Sappho, Pindarus, Anacreon, Hesiodus

Und andere sind ohne Sorgen,

Man red' jetzt auff sie, was man wil;

So, sagt man nun gleich von mir viel,

Wer weiß, geschieht es übermorgen.


Wo dient das Wüntschen aber zu,

Als das ein Mensch ohn alle Rhu

Sich Tag und Nacht nur selbst verzehret?

Wer wündschet, kränckt sich jederzeit;

Wer todt ist, ist ohn alles Leid.

O, wohl dem, der nichts mehr begehret!

Quelle:
Martin Opitz: Weltliche und geistliche Dichtung, Berlin und Stuttgart [1889], S. 22-23.
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