6.

[17] Clorinde, wilt du mich verlassen?

Halt an und eile nicht so sehr;

Dein Lieben ist ein halbes Hassen,

Hat wenig Glut, Rauch desto mehr.


Getreue Liebe kan nicht wancken,

Sie liegt zu Ancker jederzeit,

Hat ihre Sinnen und Gedancken

Gegründet auff Bestendigkeit.


Was wilt du dich umb etwas grämen

Das nichts ist als ein blosser Wahn,

Und du mir nicht kanst wieder nemen

Ich gleichfals dir nicht geben kan.


Kein Mensch ist nur ihm selbst gebohren,

Was du bist, weiß ich, daß ich bin;

Was fort ist, wird nicht mehr verlohren,

Darumb gedencke, hin sey hin.


Komm her und laß dich ferner lieben

Weil deine Jugend Schönheit hat;

Bleib, bistu ein mal schon geblieben,

Die Flucht ist jetzt doch gar zu spat.

Quelle:
Martin Opitz: Weltliche und geistliche Dichtung, Berlin und Stuttgart [1889], S. 17-18.
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