14.

[29] Ein jeder spricht zu mir: dein Lieb ist nicht dergleichen,

Wie du sie zwar beschreibst; ich weiß es warlich nicht,

Ich bin fast nicht mehr klug; der scharffen Sinnen Liecht

Vermag gar kaum, was weiß und schwartz ist zu erreichen.


Der so im Lieben noch was weiß herauß zu streichen,

Durch Urtheil und Verstandt und kennt auch, was gebricht,

Der liebet noch nicht recht. Wo war ist, was man spricht,

So hat der, welcher liebt, der Sinnen gar kein Zeichen
[29]

Und ist ein lauter Kind. Wer Schönheit wehlen kan

Und redet recht darvon, der ist ein weiser Mann.

Ich weiß nicht, wie ich doch die Fantasie gelose,


Und was die süsse Sucht noch endlich auß mir macht;

Mein Wissen ist dahin, der Tag der ist mir Nacht

Und eine Distelblüt' ist eine schöne Rose.

Quelle:
Martin Opitz: Weltliche und geistliche Dichtung, Berlin und Stuttgart [1889], S. 29-30.
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