I. Die Forcierten oder Gemachten

[201] Wir sagen keineswegs, daß Eitelkeit ein speziell weiblicher Fehler sei. Die Männer sind in dieser Beziehung gerade nicht berechtigt, den Frauen Vorwürfe zu machen, aber leugnen können wir nicht, daß diese ihre Eitelkeit oft in viel äußerlichere Dinge setzen als die Männer und sie auf die kleinlichste Weise zu befriedigen suchen. So gefallen sich die forcierten Demokratinnen darin, die Sitten der Männer nachzuahmen. Sie sind es, welche in den Frauen-Clubs Biertrinken, Gläserklirren und Rauchen einführen möchten, die parlamentarische Ordnung durch Zwischenreden und Opponieren nur um Opposition willen vernichten und überall das letzte Wort haben müssen. Sie müssen ihrer Ansicht nach überall mit dabei sein – weniger um zu hören oder zu nützen, als vielmehr damit man sage: Fräulein N.N. usw. fehlte niemals. Vor allen Dingen liegt ihnen daran, bekannt zu werden und Aufsehen zu erregen. Sie sind nicht kokett oder frivol, sie drängen sich zwar an die Männer, aber sie sehen in diesen viel lieber ihre Duzbrüder als ihre Liebhaber, sie sind mit einem Wort »burschikos«. Es ist bei vielen nur eine Begriffsverwirrung; sie legen die Losung der Demokratie: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit falsch aus – sie meinen, die Freiheit sei auch zugleich ein Freisein von allen zarteren Formen der Schicklichkeit, des Anstandes, der feineren Sitte, die Gleichheit[201] hebe auch den Geschlechtsunterschied auf, daß die Frauen eben auch allen Gewohnheiten der Männer huldigen müßten, und die Brüderlichkeit sei vor allen Dingen durch eine Art Studenten-Konvent zwischen allen Demokraten und Demokratinnen einzuführen. Den meisten Frauen, auch den ungebildeten, sind eben solche Anschauungen nicht natürlich, daher forcieren sie sich zu denselben, und was als Naivetät vielleicht zu entschuldigen wäre, erreicht eben als Gemachtheit den höchsten Grad des Widerwärtigen.

Auch in ihrer Kleidung forcieren sich diese Frauen, oft zeichnen sie sich durch die Nachlässigkeit derselben aus, oder sie wählen Schnitte, die ihnen von weitem das Ansehen von Männer-Gestalten geben, oder auffallende Farben, die gleich als eine Demonstration gelten können.

Doch dies alles sind nur Äußerlichkeiten – und diejenigen, die nun mit ihnen prunkend sich selbst Demokratinnen nennen, verdienten eigentlich diesen Namen gar nicht, und wenn sie nicht selbst sich dazu zählten, würden wir auch nicht nötig gefunden haben, ihrer hier zu gedenken – so geschah es nur, sie zurückzuweisen – aber ein Teil von ihnen forciert sich auch innerlich – und handelt dann eben so forciert.

Die Wirksamkeit solcher forcierten Frauen, z.B. bei den Wahlen oder da, wo es gilt, den Reaktionären die Spitze zu bieten oder übermütige Söldner ein wenig zu demütigen, ist in der Tat gar nicht unbedeutend, obwohl die Heftigkeit, mit der sie bei allen Dingen verfahren, der guten Sache oft ebensoviel schadet als nutzt. Denn viele dieser forcierten haben gute demokratische Grundsätze, denen sie auch jedes Opfer zu bringen bereit sind – aber sie vorcieren sich eben über diese Grundsätze hinaus, indem sie alles auf die Spitze treiben, und wie sie gelegentlich im Schelten und Schimpfen sich Luft machen, so bedarf es nur einer Veranlassung, um aus der Forcierten eine Fanatikerin zu machen – eine jener Furien, von denen der Dichter singt:


»Da werden Weiber zu Hyänen,

Und treiben mit Entsetzen Scherz.«


Die Forcierte ist mit tätig beim Barrikaden-Bau, um auch mit dabei zu sein – nicht aus reiner Begeisterung des Augenblicks, die alles vergißt, sondern aus Eitelkeit, die alles bedenkt, sie gefällt sich mit der Axt in der Hand, und sie muß mit auf der Straße sein, weil ihr nur mitten im Getümmel am wohlsten. Sie hat auch schon immer einen Dolch bei sich getragen und sich oft im Schießen geübt; sie eilt mit in den Kampf, und wir müßten ihren persönlichen Mut ehren, wenn er mehr wäre, als die Folge geflissentlicher Überreizung. – Und wenn nun einst die wirkliche Revolution käme? Zweifeln wir nicht daran: die Forcierten forcierten sich immer weiter, und jene Erscheinungen der ersten französischen Revolution, jene Frauen, die mit kaltem Blute mordeten, die sich selbst zu Priesterinnen des Hasses und der Rache machten, können sich auch in Deutschland gar leicht wiederholen – wenn die Stunde gekommen ist. –

Und welche Frauen sehen wir vorzugsweise die Rolle der Forcierten spielen? Die Gattinnen mancher Demokraten, die in ihrem Kreis, gleichviel ob ein engerer oder weiterer, bekannte Persönlichkeiten, zuweilen Führer sind. Die Gattinnen wollen nicht hinter den Bestrebungen ihrer Männer zurückbleiben, sie sind stolz auf den Namen ihres Mannes, sie wollen auch würdig sein, ihn selbst zu führen. Dies an sich natürliche und löbliche Streben macht eben aus denjenigen Frauen »forcierte«, die erst durch ihre Männer Demokratinnen geworden[202] sind und so in einen neuen Kreis von Anschauungen sowohl als von Personen und Verhältnissen treten, sich in demselben nicht zurecht zu finden wissen und doch sich selbst darin zur Geltung bringen möchten. Die Halbgebildeten geraten da leicht auf den Abweg der Forcierung.

Hauptsächlich trifft man die Forcierten in den großen Städten, dort sind die Frauen, die sich hervortun möchten, am häufigsten – und zwar unter allen Ständen. Unter den sogenannten höheren forcieren sie sich freilich nicht zu Demokratinnen, sondern zu Treubündlerinnen – aber unter den mittleren und niederen haben natürlich die republikanischen Elemente die Oberhand. Wir müssen es eingestehen, daß, wenn die forcierte Demokratin des mittleren Standes – sie mag Jungfrau, Gattin oder Mutter, jung oder alt sein, sich lächerlich macht, so ist sie, aus den niedern Ständen hervorgehend, wahrhaft furchtbar. Es ist ein Unglück, das nicht die Frauen, nicht der einzelne, auch nicht die Gegenwart allein, sondern das die Gesellschaft lange Zeiten hindurch verschuldet hat: daß die Erziehung, der Unterricht der ärmeren Klassen ein so mangelhafter ist, daß Tausende in Rohheit und Unwissenheit aufwachsen. Sehen wir aber, wie die forcierte Demokratin der sogenannten gebildeten Stände schon sich darin gefällt, ihre feinere Bildung zu verleugnen und in der Abstreifung aller zarteren Formen des Umgangs – (Formen, die wahrlich nicht unnütze Ziererei und Narrheit, sondern das Bedürfnis der Humanität und edles Schicklichkeitsgefühl erfunden) ihr Gefühl für Freiheit zu betätigen sucht – so wird bei gleichen Grundsätzen das schon ohnehin rohe Weib noch roher und läßt allen Gemeinheiten absichtlich den Zügel schießen. – Man muß auch Ungebildetheit und Grobheit ertragen, wo sie eine Folge von Unwissenheit und mangelhafter Erziehung ist, man muß durch den Schmutz gehen können, wo es sein muß, ohne sich mit zu beschmutzen – aber man hat ein Recht, die Genossenschaft derer zurückzuweisen, die, statt aus dem Schlamme sich zu erheben, Gefallen finden, immer tiefer darin zu versinken.

Nicht wahr – das ist eine schonungslose Schilderung? sie wird uns viele Feindinnen unter denen machen, die sich vielleicht unsere Genossinnen nannten bis heute – wo wir diese Genossenschaft feierlichst zurückweisen. – Aber wir wollen kämpfen und siegen durch die Reinheit unserer Sache, und damit eben diese von allen erkannt werde, auch von denen, die ihr jetzt noch mißtrauen, gilt es, alle unedlen Elemente zurückzuweisen, die sich unter sie mischen. Wir sind ferne von dem Grundsatz, daß der Zweck das Mittel heilige, wir überlassen ihn unsern Gegnern.

L.O.[203]

Quelle:
»Dem Reich der Freiheit werb’ ich Bürgerinnen«. Die Frauen-Zeitung von Louise Otto. Frankfurt a.M. 1980, S. 201-204.
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