Vortrag,

gehalten im demokratischen Frauen-Verein zu Oederan, im Januar 1849

(Fortsetzung.)

Wie es nun Jesus, indem er das Evangelium der allgemeinen Menschenliebe, der Freiheit und Gleichheit verkündete, vorzugsweise mit den Armen und von ihren übermütigen, hochgestellten Mitbürgern Verachteten hielt, so daß jene ihm nachredeten: »er isset mit Sündern und Zöllnern«, so nahm er auch der Frauen sich an und verschmähte es nicht, sie zu belehren und sie auf den rechten Weg zu führen, wie er die Männer führte, denn er war ja eben gekommen, die ganze Menschheit zu erlösen. Ihr kennt das schöne Freundschaftsbündnis, welches Jesus mit den Schwestern in Bethanien verband, Maria und Martha. Erinnern wir uns der herrlichen Szene, in welcher er bei ihnen weilte, Maria zu seinen Füßen saß, seine göttlichen Lehren zu vernehmen, indes Martha ihn mit sorgfältiger Bewirtung am besten zu ehren meinte. Martha machte der Schwester Vorwürfe, daß sie sich nicht auch diese Mühen mache. Jesus aber antwortete: »Maria hat das bessere Teil erwählt – das soll nicht von ihr genommen werden.« An dies Wort unsres Meisters halten wir uns: das soll nicht von ihr genommen werden! Damit ist es ausgesprochen für alle Zeit und festgestellt als ein christlicher Grundsatz: die Frau soll nach dem Höheren streben, ihre Seele den Lehren erhabener Menschen öffnen und ihren Geist nähren mit geistiger Speise – das ist ihr besseres Teil, das nicht von ihr genommen werden soll! – Mit diesen Worten, meine Schwestern, lasset uns all den Marthas antworten, die wir in unsern Kreisen treffen und die uns mit Vorwürfen überhäufen, weil wir neben unsern besondern weiblichen Pflichten auch noch höhern Bestrebungen huldigen, die sie nicht wollen gelten lassen, diese höheren Bestrebungen sind eben das bessere Teil, von dem unser Meister gesagt hat: das soll nicht von ihr genommen werden. Wissen wir aber, daß wir in seinem Geiste handeln, was können uns dann die Urteile der Welt kümmern? – Aber nicht nur diese beiden Freundinnen sind es, denen wir im Leben Jesu begegnen. Der verachteten Samariterin erteilt er am Brunnen, ihre Fragen beantwortend, die erhabensten Lehren, von Maria Magdalena läßt er das Haar sich salben und verweist es dem Judas, der sie roh davon zurückhalten will, selbst für die Sünderin hat er noch das rettende Wort gegen ihre Verfolger: »wer von euch ohne Sünden ist, der werfe den ersten Stein auf sie!« Überall, wo er lehrt und wohltut, sehen wir in Verehrung und Demut die Frauen ihm nachfolgen, sie stehen bei dem Gekreuzigten, und er nimmt noch von seiner Mutter rührend Abschied, sie schmückten sein Grab und der Auferstandene zeigt sich ihnen zuerst. Wie kann man nun sich christlich nennen und doch die Frauen aus der Stellung drängen wollen, die Christus selbst ihnen angewiesen? Die Frauen, indem sie Jesus nachfolgten und ihm dienten, dienten sie der Sache der Freiheit – der allgemeinen Menschenliebe, denn Jesus war deren erster Held und Verkündiger – nun denn: so bewähren wir es auch in diesem Sinne, daß wir echte Christinnen sind! –[106]

Stellen wir uns nun aber vom Boden des Christentums auf den des Vaterlandes! – Bei keinem Volk der alten Welt, nicht einmal bei den Griechen und Römern, nahmen die Frauen eine so würdige Stellung ein wie bei unsern deutschen Vorfahren, den alten Germanen. Diese alten Germanen waren ein rohes Volk, das die deutschen Wälder bewohnte und das die überfeinerten Römer nicht anders als ein Volk von Barbaren nannte. Aber diese barbarisch gescholtnen Germanen waren ein freies, tapferes Volk, das sich selbst seine Gesetze gab und sie auf die heiligen Rechte begründete, die in jedes Menschen Brust geschrieben sind. Darum war die Frau die Gefährtin des Mannes, sie versorgte sein Hauswesen, sie erzog seine Kinder, aber sie nahm auch teil an allem, was ihn betraf, sie war seine vertrauteste Freundin. Die Germanen waren ein kriegführendes Volk, und die Frauen zogen mit ihren Männern in die Schlacht, nicht um mitzukämpfen, aber um ratend und liebend ihnen beizustehen, die Verwundeten zu pflegen, bei den Begräbnissen der Toten die Klage-Lieder und nach gewonnener Schlacht die Siegeslieder zu singen, ja mitten im Kampf durch ihre kriegerischen Gesänge die Kämpfer zu begeistern. Zwar war es bei den Germanen Brauch, daß sie das Mädchen, das sie zur Gattin wollten, gewaltsam raubten und in ihr Haus führten – aber dieser Brauch war eben darauf gegründet, daß ein germanisches Mädchen nur einem kühnen, tapfern Gatten sich gern ergab, daß sie nie die Gefährtin eines Feiglings, sondern nur die eines mutigen Helden sein wollte. Auch geweihte Priesterinnen und Seherinnen waren die germanischen Frauen. – [...]

So war es in der alten Zeit – nun stieg das Mittelalter herauf, mit dem allmählich das reine Christentum zur römisch-katholischen Kirche verfälscht und aus der Religion der Liebe und Freiheit eine Religion der Furcht und Knechtschaft gemacht ward. Die Verehrung der Heiligen und der Jungfrau Maria ward eingeführt, und die Klöster stiegen empor. Da hinein flüchteten sich neben unglücklichen und verirrten auch diejenigen Frauen, die ein höheres Streben in sich trugen und dafür im äußern Leben keine Befriedigung fanden. Die Frauen, wenigstens die hochgestellten und schönen, wurden in dieser ritterlichen Zeit des Minnedienstes vielleicht mehr geehrt, als in jeder andern. Jeder Ritter wählte eine Dame, deren Farben er in der Schlacht trug, die er in Liedern besang, in deren Namen er kämpfte. In den Turnieren, den Festspielen der Ritter waren es die Frauen, unter deren Augen sie sich tummelten, und welche ihnen die Ehrenzeichen reichten – allein diese Verehrung, die sich nur auf Jugend und Schönheit beschränkte, hatte doch keinen wahren Wert, und indem sie die Frauen scheinbar erhöhte, erniedrigte sie eigentlich dieselben. Auch herrschten diese zarten Sitten eben nur bei den höhern Ständen, sie galten nur der Dame, nicht der Frau. Die Frauen der andern Stände lebten in Abhängigkeit und Stumpfheit dahin. Beten und arbeiten war ihr Los. Die höhere Bildung hatte sich in die Klöster geflüchtet, aber es war eine tote Gelehrsamkeit, die wohl die Frauen befähigte, Äbtissinnen ihrer Klöster, Vorsteherinnen ihres Ordens zu werden, übrigens aber ohne jeden Gewinn für's Allgemeine blieb. Diejenigen Nonnen, welche als barmherzige Schwestern durch das Land zogen, Kranke pflegten, besonders in Zeiten der Pest, bewährten noch am schönsten die Aufopferungsfähigkeit der Frauen für die Menschheit. Wohl gab es einzelne Fürstinnen und Burg-Frauen, deren Namen uns die Geschichte aufbewahrt hat, die unter ihrem Geschlecht glänzend hervorragten und ihren Einfluß geltend machten in der deutschen Geschichte – aber ihr Beispiel hat für die Gegenwart seine Kraft verloren. Denn jetzt wird[107] und darf die Geschichte nicht mehr von den Höfen, gleichviel ob von Fürsten oder Fürstinnen, gemacht werden – sondern dazu ist eben das mündiggewordene, das ganze Volk berufen, die Frauen wie die Männer aller Stände! Wenn aber im finstern Mittelalter ein Mädchen oder eine Frau aus den untern Ständen sich in irgend etwas hervortat, sei es, daß sie durch ihre Schönheit oder ihre Tugend einem vornehmen Ritter Liebe einflößte, dem man sie als armes Mädchen oder Bauern-Dirne nicht für ebenbürtig hielt, sei es, daß sie in irgendeiner Natur-Wissenschaft Kenntnisse hatte oder für eine hohe Idee sich begeisterte: so ward sie der Zauberei bezichtigt und ihr als Hexe der Prozeß gemacht. Unsre alten Urahnen, die Germanen, nannten in ehrfurchtsvoller Scheu diese begeisterten Frauen Seherinnen. Das abergläubische Mittelalter aber, in dem die Pfaffen alles, was nicht ihren selbstsüchtigen Zwecken diente, als Teufelswerk darstellten, machten diese Frauen zu Hexen. Oft waren diese sogenannten Hexen wirkliche Somnambulen – und da der niedrige Standpunkt der damaligen Wissenschaft diese Krankheit nicht zu erklären wußte, so war es beinahe natürlich, daß man die davon Ergriffenen mit furchtsamen Augen betrachtete und sich ihrer zu entledigen suchte. Oft geschah es auch, daß damit, wie heutigen Tages mit den Somnambulen, Mißbrauch getrieben ward, teils daß Frauen sich selbst als Zauberinnen ausgaben um Gewinn davon zu ziehen, teils daß sie irregeleitet und von andern als Werkzeuge geheimer Pläne benutzt wurden. So wurden die unschuldigsten und oft die besten Frauen im Mittelalter als Hexen verbrannt.

Das gräßlichste Schauspiel dieser Art bietet Frankreich. Frankreich war von den Engländern bis über die Hälfte unterjocht, ein englischer Prinz, ein Kind, zum König von Frankreich gekrönt, und der rechtmäßige König vertrieben worden. In allen Schlachten siegten die Engländer, und Frankreich seufzte unter dem unerträglichsten Druck übermütiger Eroberer. Der Schmerz, der durch das ganze Volk ging um das Vaterland, fand auch im Herzen eines armen Hirten-Mädchens, Johanna d'Arc, das tiefste Echo. Sie konnte es nicht ertragen, ihr Vaterland in solcher Schmach zu sehen. Heimlich verließ sie ihr stilles Dorf und eilte in das französische Lager, gerade als die Franzosen mit den Engländern im Gefecht waren. Die Franzosen wollten eben fliehen, als Johanna d'Arc sich an ihre Spitze stellte und sie wieder gegen den Feind führte. Der Anblick dieses kühnen Mädchens begeisterte die französischen Krieger so, daß sie mit neuem Mut sich in den Kampf warfen, die Engländer aber glaubten an Zauberei und flohen. Von da an weilte Johanna bei dem Heer, das nun siegesmutig an sie wie einen rettenden Engel glaubte, so zogen sie von Sieg zu Sieg, und das Vaterland ward von der Fremdherrschaft erlöst. Was aber war das Los dieses Helden-Mädchens: Johanna d'Arc, die Jungfrau von Orleans, fiel in die Hände der Engländer, und die Franzosen ließen es geschehen, daß ihre Retterin – als Hexe verbrannt ward.

Das also war das Los einer Jungfrau, die ihr Vaterland geliebt und errettet hatte! Meine Schwestern, können wir uns nun wohl darüber beklagen, wenn man auch in uns das, was unser Edelstes ist, die Begeisterung für Vaterland und Freiheit, zu schmähen sucht, wenn uns die Mitwelt darum verkennt und verketzert? Aber die Nachwelt richtet gerecht. Johanna d'Arc steht als ein leuchtendes Vorbild da für alle Frauen, und unser edelster deutscher Dichter, Schiller, hat durch seine begeisterte Dichtung: Die Jungfrau von Orleans, die Unsterbliche auch für uns Deutsche noch herrlich verklärt. –

(Fortsetzung folgt.)[108]

Quelle:
»Dem Reich der Freiheit werb’ ich Bürgerinnen«. Die Frauen-Zeitung von Louise Otto. Frankfurt a.M. 1980, S. 102-103,106-109.
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