1.

[159] Ich hatte keine Thaten, nur Gebete,

Ich war nur groß im Dulden und Ertragen,

Ich wußt' es nur: ich durfte nicht verzagen,

Gott war mit uns, zu dem ich brünstig flehte.


Da kam ein Tag, an dem sein Odem wehte,

Der Freiheit Himmelsstunde ließ er schlagen,

Daß wir einander Herz am Herzen lagen

Und Jubelseufzer waren unsre Rede.


O süße Wonne! seliges Genießen

Nach treuem Harren, Dulden und Entbehren –

Welch Triumphieren, daß wir nie uns ließen!


Wie könnten wir den Freudenthränen wehren,

Die Aug' in Aug' beseligt niederfließen

Und so die Macht, die uns beschützt, verehren?

Quelle:
Louise Otto: Mein Lebensgang. Leipzig 1893, S. 159.
Lizenz:
Kategorien: