V. Ein Blick hinter die Coulissen

[76] »Ich will Euch sagen was in's Ohr:

Die Hungersnoth ist vor dem Thor,

Die Leute klagen nicht, sie jodeln und scherzen,

Und das ist schlimm! Ich kenne die Menschenherzen.

Wollt ihr, daß noch zu dieser Noth

Ein Glaubenskrieg mit überreizten Nerven

In stille Hütten mag den Pechkranz werfen?«

K. Beck.


Schreiben des Pater Xaver an den Pater Valentinus.


»Gesegnet sei der heilige Loyola! Er läßt die Seinen niemals sinken und die Seinen niemals ihn.

Verleugnen müssen wir ihn zuweilen – aber dafür straft er uns nicht – das vergilt er uns tausendfach.

Du in Deiner glücklichen Einsamkeit, welche Dir gestattet, in friedlicher Stille den Pflichten unsers heiligen Ordens zu leben, Deinen frommen Wandel mit einen freudigen Gehorsam fortzusetzen, der keine Selbstverleugnung von Dir fordert, da Alles, was er Dir auferlegt, als natürlich von Dir übernommen werden[76] kann – wirst Dir kaum einen Begriff machen können von all den künstlichen Mitteln und mühevollen Combinationen, zu welchen unser Orden oft greifen muß, um sich seine Weltherrschaft nicht entreißen zu lassen. Du in einem glücklichen, gesegneten Lande lebend, das wir als unsere Heimath betrachten dürfen und in dem Alles still, gläubig, fromm und friedlich zugeht, wirst Dir auch davon keinen Begriff machen können, wie unser Leben in einem Lande ist, in dem das verderbliche Licht der Aufklärung täglich größere Fortschritte macht, in einem Lande, in dem der größere Theil der Einwohner aus Ketzern besteht!

Hier war der Spruch unsers Heiligen schon eingetroffen: sie hatten uns verjagt wie Wölfe, aber wir hatten uns verjüngt wie Adler.

Schon wagten wir es wieder die Länder siegesbewußt in unsere Klauen zu fassen, schattend unsere weitreichenden Flügel über die Völker auszubreiten, daß es Nacht ward bei ihnen – schon dachten wir, es sei die Zeit gekommen, daß wir zugreifen könnten, uns unserer Beute zu versichern, sie zu zerfleischen, ihr das Herz zu entreißen, das doch ein Mal unwillig und aufrührerisch gegen uns schlagen könnte.

Aber wir hatten uns getäuscht, schrecklich getäuscht!

Wir erlebten nur einen kurzen Triumpf und dann eine um so schmerzlichere Niederlage.[77]

Die Franzosen hatten ein entsetzliches Buch gegen uns geschrieben – das in das verführerische Gewand eines Romans gekleidet, berechnet war, unsern heiligen Namen auf's Neue vor aller Welt zu brandmarken. Das war schon entsetzlich! Und auf den Namen Eugen Sue ward der tausendstimmige, einhellige Fluch unsrer ganzen Brüderschaft für alle Zeiten geworfen! – Ach, ein Fluch, der leider ohnmächtig abgeprallt ist, denn er hat uns vorher verflucht und alle Welt mit ihm.

Vor den Büchern der Deutschen fürchteten wir uns nicht, obwohl sie wie eine große Schneelawine über uns hereinbrachen! – Es begann damit förmlich in Deutschland ein ganz besonderer Zweig der Literatur zu grünen und zu blühen, den man höhnisch geradezu »Jesuitenliteratur« nannte – als ob unser heiliger Orden selbst solche gotteslästerliche Bücher verfaßt hätte, oder als ob sie recht für ihn allein bestimmt gewesen wären!

Nun, wir dachten die deutschen Bücher sind ja immer so ziemlich unschädlich gemacht – wir fürchten diese guten Deutschen nicht, die theils aus Schwärmerei, theils aus Speculation der Buchhändler so viel abscheuliche Bücher zur Welt bringen! Wir ließen sie schreiben und phantasieren.

Aber wer hätte das diesem Büchervolke zugetraut? Die Franzosen hatten nur ein Buch gegen uns gehabt – die Deutschen hatten diesmal gar eine That.[78]

Es war entsetzlich – an allen Ecken und Enden brannte es plötzlich lichterloh. – –

Das wenigstens weißt Du – die Kunde von diesem plötzlichen Unheil ist auch bis in Deine glückliche Abgeschiedenheit gedrungen, wiewohl das schöne Land, in dem Du lebst, von ihren traurigen Folgen unberührt geblieben ist. Ich wiederhole Dir nicht erst das allgemein Bekannte.

Wär' es ein Ketzer gewesen, der sich so gegen uns empört hätte! Man ist ihr Zetergeschrei schon gewohnt, es macht keinen Eindruck auf das Herz der heiligen Mutterkirche!

Aber es war ein Priester unsers Glaubens, ein Priester von Rom geweiht, ein Kind und Diener unsrer Kirche, der das Herz der Mutter und Herrin mit dem weitreichenden Speer seines Wortes traf.

Das war's.

Das Kind entlief der Amme und sagte, es sei mündig.

Wie dies Alles geschah, sahen wir nur eine Aussicht, die uns reizte und lockte – es gab Gährung in den Gemüthern – der Bruder fing schon an wider den Bruder zu murren – das Volk blickte mit ängstlicher Spannung zu seinen Fürsten. –

Das war das Einzige, was wir bei all' dem, was geschehen war, mit Jubel sahen.

Vielleicht – riefen wir – vielleicht kann das zu Etwas führen.[79]

Bürgerkrieg! Religionskrieg! Worte, vor denen die andern Menschen schaudern – unsern Ohren haben sie immer wie Musik geklungen! Ja, das war immer unser Element; wenn es jetzt über die Lande hereinbräche, so würden wir uns dabei wohl befinden und bei der allgemeinen Verwirrung wieder im Trüben fischen können – vielleicht in blutiger Weise beides: Seelen und Geld.

Die Hauptsache ist, auf alle Dinge gefaßt zu sein.

Betrachtet man die Gegenwart mit klarem, ruhigem Blick, so kann man sich eigentlich keine Aussicht auf einen Bürgerkrieg und Religionskrieg machen – die Civilisation und die Begriffe der Menschenwürde sind dazu zu weit vorgeschritten. Man liebt den Frieden. Man glaubt an die friedliche Entwicklung aller Dinge. Auch sogar diejenigen Regierungen, welche dem Zeitgeist nur die allergeringsten Concessionen machen, suchen wenigstens immer den Schein zu bewahren, als wären sie dem Fortschritt hold – und überall geht es so, wenn auch ziemlich unmerklich, gleich dem Wachsthum der Eiche allmählich vorwärts. An diese friedliche Erfüllung ihrer Wünsche, einer Entfaltung segensreicher Zustände gleichsam von innen heraus glauben die meisten politischen Parteien in Deutschland – und von ihrem Standpunkt aus die Sache besehen, muß man es mit glauben – und so sind, wie gesagt, gar keine[80] Aussichten zu blutigen Kriegesscenen im deutschen Lande, wie man sie früher erlebt hat.

So scheint für uns denn die Zeit gekommen, wo wir auch in unsrer Macht uns bedroht sehen, wo diese zu wanken scheint, wie die ganze alte Zeit selbst, auf welche wir sie gründen.

So müssen wir uns denn neue Stützen suchen für unsre Macht, da die alten morsch werden und zu zerfallen drohen, trotz all' unsrer Bemühungen ihnen eine ewige Dauer zu sichern.

Wir wollen zusehen, wie weit wir mit unserm alten Systeme noch kommen – mit dem Systeme, wonach wir durch Krummstäbe, Kronen, Thronen und Scepter die Welt regierten.

Aber daneben wollen wir noch ein neues System verfolgen, das wir sofort in Bereitschaft haben, wenn das alte uns keine guten Dienste mehr thun will. Diesem Systeme gemäß wollen wir es mit dem Volke halten.

Jenes alte System gründet sich auf die alte Zeit – unser neues System wird sich auf die neue Zeit gründen. Wenn dann der Tag käme, wo die Freunde des Fortschrittes und Lichtes in Deutschland meinten, gesiegt zu haben, und nun jubelnd die alte Zeit zu Grabe trügen, so würden wir doch der allgemeinen Vernichtung entgangen sein – wir würden unerkannt der Siegesfahne[81] der neuen Zeit folgen – wir würden unerkannt hinter dem Sarge der alten Zeit hergehen – und nicht etwa als Leidtragende, sondern als lachende Erben.

Und wenn man uns jetzt vertreiben will als Wölfe, so werden wir uns dennoch wieder einschleichen wie Lämmer und verjüngt wiederkommen wie Adler.

Es war von jeher eine unsrer bewährtesten Ordensregeln: divide et impera.

Halten wir daran fest.

Es könnte doch sein, daß die neue Zeit, von welcher jetzt die Radicalen nur so viel in fieberhafter Aufregung träumen und schwärmen, einst doch vielleicht von diesen Radicalen heraufgeführt und zur Wirklichkeit werden könnte.

Nun denn, wohlan! Wir wollen gemeinschaftliche Sache mit diesen Radicalen machen!

Ich sehe meine Brüder erschrocken zurückfahren. – Gemeinschaftliche Sache mit dieser Partei, welche mit ihrer verwegnen Leuchte all' unser Thun der Welt gezeigt hat, durch deren Bestrebungen es so hell geworden ist, daß wir – wenn dieses Licht noch heller und strahlender brennt, kaum noch einen dunklen Schlupfwinkel finden werden, in den wir uns verkriechen können und aus dem wir uns doch niemals wieder werden heraus wagen dürfen, um in unserm eignen Interesse zu wirken?

Ihr Kurzsichtigen, ihr Kleinmüthigen![82]

Wißt Ihr denn nicht, daß man aus einer Leuchte eine Brandfackel machen kann, die mit rother, unheimlicher Gluth Alles niederbrennt und verwüstet? Und solche zerstörende Gluth, wobei es viel schwarzen Rauch, graue Wolken und erstickenden Dunst giebt – ist denn nicht sie auch gerade unser Element?

So wollen wir es machen mit dem Lichte der Aufklärung der Radicalen und sie sollen, ohne daß sie selbst es bemerken, uns noch dazu vortrefflich in die Hände arbeiten.

Also: divide et impera!

Reform!‹ ist jetzt das allgemeine Loosungswort des Tages geworden. Alle, die dem Fortschritte huldigen, verlangen Reform – darin sind die Parteien einig – aber höchst uneinig sind sie über die Begriffe, welche sich mit diesem allgemeinen Ausdruck verbinden lassen.«

Die Liberalen wollen Volksvertretung, den sogenannten constitutionellen Fortschritt – sie wollen neben einer Reform des Staates auch eine Reform der Kirche.

Die Radicalen wollen Volksherrschaft – Glaubensfreiheit – nach der Kirche fragen sie weiter nicht.

Die Sozialen wollen Reform der Gesellschaft – und die Eifrigsten unter ihnen nicht erst Reform, sondern Aufhebung des Staates und der Kirche – allgemeine Gleichheit.[83]

Das sind die Communisten.

Mit den Communisten müssen wir es halten.

In den Communisten müssen wir unsere Helfershelfer suchen, die unsere Sache am Besten fördern helfen – es giebt keine andere Partei, von welcher wir gleiche für uns segensreiche Dienste erwarten könnten. Gelingt ihr Werk, so ist auch das unsere gelungen – so ist die Zeit nicht fern, da wir uns abermals verjüngen werden wie Adler. Gerade unter diesen Menschen, welche als unsre fürchterlichsten Gegner erscheinen, indem sie die heilige Kirche selbst, in der ja bisher all' unser Heil und der Grund unserer Herrschaft und Macht ruhte, nicht erst bekämpfen – sondern auf eine gotteslästerliche, abscheuliche Weise geradezu negiren und deshalb aufheben wollen – gerade unter diesen werden wir unsere Erretter suchen und finden – man denke an das alte Wort: daß die Extreme sich berühren.

Diese Communisten gehen damit um, die Ordnung der bestehenden Dinge umzukehren. Nun! Vielleicht ist auch für uns die Zeit gekommen, wo wir dies wünschen müssen – wo es mit all unsrer Kraft ein vergebliches Bemühen ist, den Rossen der Zeit, die wir so lange glücklich zurückhielten, noch länger in die Zügel zu fallen und ihren Lauf und den Fortschritt aufzuhalten. Trotz unseres unermüdlichen Widerstandes sind sie dennoch unmerklich vorwärts gegangen und haben uns selbst mit nahe bis an[84] einen Abgrund gezogen. Nun denn! Man muß sich in Alles zu schicken wissen. Wollen die Rosse nicht wieder zurück, wollen sie nicht sich wieder einfangen lassen, um noch länger still zu stehen –: so hetzen wir sie selbst nur um desto schneller vorwärts, daß sie wilde Sprünge machen, Alles zerschlagen und zerstampfen und, das rechte Ziel verfehlend, endlich todtmüde niederstürzen – dann sind wir wieder schnell und dienstfertig bei der Hand, die gestürzten Rosse aufzurichten und zu ewigem Stillstand wieder zurückzuführen in den alten Stall.

Um nun auf das Nähere und auf Thatsachen überzugehen: der Communismus predigt das Himmelreich auf Erden. Und mit dieser Predigt wendet er sich an alle Diejenigen, welchen freilich bis jetzt die Erde nichts weniger sein kann als ein Himmel! An die Armen, Niedriggeborenen, Unerzogenen, Entsittlichten wendet man sich zuvörderst mit dieser neuen Lehre – mit einem Wort an die niedrigsten Classen, an die untersten Schichten der Gesellschaft, deren Hefe: die Proletarier, den Pöbel. Also an die Mehrzahl der Menschen – an den großen Haufen. Und an den Orten, wo sich dieser in der tiefsten Erniedrigung, Verwahrlosung, Rohheit und Unwissenheit befindet, wird es am leichtesten sein, ihn zu alle den Dingen aufzureizen, welche endlich – wenn auch auf langen Umwegen – zu uns führen.[85]

Wir haben bisher unsere Herrschaft doch meist auf die Macht und den Glanz der Hochgestellten gebaut – jetzt müssen wir sie neu gründen, auf das Elend, auf den Schlamm der in Gemeinheit und Erniedrigung Versunkenen. Einzelne passende Werkzeuge für unsere Zwecke mußten wir uns immer unter ihnen wählen – aber jetzt gilt es mehr, jetzt gilt es nicht bloß Einzelne passend zu verwenden, jetzt gilt es, sich der Menschen zu bemächtigen, durch die Massen zu wirken.

Es ist keine Frage: die Massen leiden –

Alles Unglück macht die Menschen zu Verbrechen fähig, von denen sie im Glück sich nimmer Etwas träumen ließen – der Hunger aber vollends macht die Menschen zu reißenden Thieren.

Trachten wir also uns allen Reformen zu widersetzen – gleichviel, ob sie von weisen Regierungen oder von schwärmerischen Oppositionsparteien ausgehen – welche sich damit beschäftigen, den Nothstand der armen Arbeiter zu lindern und durch Volkserziehung und eben so milde als weise Gesetze auf eine allmähliche Hebung der untern Classen hinzuwirken. Führen wir in der Stille Krieg mit diesen Regierungen, mit dieser Opposition und halten wir es nur mit einer Partei – mit den Communisten. Aber diese dürfen nicht ahnen, daß wir ihre Freunde sind, so wenig als jene, daß wir ihre Feinde. Es gilt, sich jetzt[86] mehr als jemals in undurchdringliches Dunkel zu hüllen.

So groß als die Communisten sie schildern wollen, ist die allgemeine Noth nicht – besonders sind die Massen noch gar nicht zum Bewußtsein ihres Elendes gekommen. Wir müssen also streben, sowohl sie dahin zu bringen, als auch die allgemeine Noth der Armen und Arbeitenden selbst noch in der Wirklichkeit zu vergrößern.

Der Communismus predigt das Himmelreich auf Erden. Er will es in seinem Wahnsinn dadurch verwirklichen, daß er Staat und Kirche als von ihm unmenschlich und unnatürlich genannte Einrichtungen aufhebt, daß er Politik, Religion, Volkssitte, Vaterlandsliebe – alle diese Dinge, für welche Jahrtausende lang die Menschen aller Zonen und Zeiten lebten und starben – als Trugschlüsse verwirrter Menschengeister erklärt, aus denen endlich die ganze zu Verstande gekommene Menschheit wieder heraus müsse, wenn sie nicht länger ein sinnloses Treiben fortsetzen und darüber zu Grunde gehen wolle. Der Communismus will das Himmelreich auf Erden verwirklichen, indem er ferner Gütergemeinschaft verlangt, Aufhebung des Capitals, Abschaffung des Geldes, jenes wesenlosen Dinges, welches nach ihrer Meinung als ein entseeltes Gespenst, das vergebens nach seinem Leibe jagt, (denn es hat eigentlich Beides: Seele und Körper – und doch auch[87] wieder Beides nicht!) und die Menschen von einander trennt, indem es ihre Verbindung vermitteln will. So sollen künftig diese verbrüderten Menschen (was, nebenbei gesagt, unendlich langweilig sein muß!) zusammen wohnen in schönen bequemen Palästen, wo Niemand mehr zu hungern und zu frieren braucht, sondern für Alle das Haus geheizt und der Tisch gedeckt ist. Ihr ganzes Leben soll Genuß sein, Genuß der freien Liebe und aller andern sinnlichen Freuden, und dafür soll ein Jeder nur täglich zwei Stunden arbeiten – und diese Arbeit ihm selbst ein Genuß sein.

Das ist das Ideal der Communisten.

Trachten wir danach, dieses Ideal verwirklichen zu helfen, oder lassen wir vielmehr sie mit ihrem redlichen Willen und ihrem verblendeten Verstand danach streben – denn sobald sie terra rasa gemacht haben für die ganze Menschheit, sobald sie die Millionen friedlich eingepfercht haben in die großen Ställe, in welchen sie ausruhen und sich nähren können von der gleichen Weide zu gleichem Theil – alsbald werden sie auch des Hirten wieder bedürfen, die Heerde in Ordnung zu halten.

Damit diese Gleichheit in Arbeit und Genuß niemals gestört werde, wird eine so organisirte Gesellschaft einer Beaufsichtigung, einer Bewachung bedürfen, wie sie bisher ohne Beispiel gewesen in der ganzen Welt – denn die[88] ganze Weltgeschichte weiß nichts Aehnliches! – Und dann werden wir an unserm Platz sein.

Wir werden dann diese Aufsichtsführungen uns zu verschaffen wissen – und dann wird die Zeit unsrer glänzendsten Herrschaft kommen.

Lange Jahrhunderte hindurch haben wir die menschliche Gesellschaft über uns zu täuschen gewußt – so wird es uns auch nicht an Mitteln fehlen, diese neue Gesellschaft zu täuschen. Wir werden das Regiment über sie in unsere Hände bringen, ohne daß sie ahnt, in welchen Händen es ist.

Und wenn sie gleich auf einige Zeit unsere Kirche abgeschafft haben, so werden wir sie doch in Kurzem wieder herrlich aufbauen.

Denn das bezeugt die Geschichte und alle Erfahrung: es wohnt tief in jeder Menschenbrust ein religiöses Bedürfniß. Ein Bedürfniß, für sich selbst ein höheres Wesen zu fühlen und zugleich ein verwandtes Höchstes über sich anzuerkennen.

Dieses Bedürfniß wird auch in dieser Gesellschaft wieder erwachen, denn der Mensch von heute ist immer noch gleich dem Menschen von Jahrtausenden und bei aller Fähigkeit zu Vervollkommnung ist doch die Menschennatur an sich keiner Veränderung fähig.

Wenn nun dieses religiöse Bedürfniß wieder erwachen, sich zur Geltung bringen und seine alten Rechte fordern[89] wird – um so ungestümer und brünstiger als man sie ihm ganz nehmen wollte und genommen hatte – und hier berühren die Extreme sich wieder – dann werden wir unsere Masken und Mäntel von uns werfen können! Dann werden wir wieder vor der sehnsüchtigen Menge erscheinen und werden wieder zu ihr reden: Sehet da die Herrlichkeit des Herrn, seiner Diener und seiner Kirche – wir sind bei Euch gewesen allezeit, auch da Ihr es nicht ahntet und werden bei Euch bleiben bis an der Welt Ende! – Und wir werden erzählen, wie man den jetzigen Zustand der Dinge uns allein verdanke und es wird leicht sein, ihnen weiß zu machen: Jesus sei der erste Communist gewesen – denn wir haben uns ja niemals gescheut, diesen heiligen Namen zu manchen frevelhaft scheinenden Dingen zu gebrauchen, welche aber eben durch seinen Namen geheiligt wurden – und wir werden uns als seine treuesten Diener bekennen und sagen, es sei gleich, ob wir nun Jesuiten oder Communisten hießen. Wir thätten ja schon seit Jahrhunderten Gütergleichheit gehabt und gleiche Arbeit in unsrer Gemeinschaft, damals habe die Welt, die böse Welt, die ja eben damals in so großer Unordnung befangen gewesen, uns dafür oft verfolgt – wir wären längst die Märtyrer für den Communismus gewesen – nun aber mit seiner Verwirklichung habe unser System gesiegt. Und man wird uns glauben und zujauchzen,[90] man wird sich wieder betrügen lassen, wie vordem, und mit Freuden das Regiment unsern geweihten Haiden übergeben.

Dann werden wir unser Ziel erreicht haben! Vieler Selbstverleugnung wird es bis dahin bedürfen – aber sie wird uns herrlich vergolten werden und der heilige Loyola wird seine treuen Diener nicht verlassen.

Wir werden siegen in diesem Zeichen.

Jetzt gilt es also, auf dieses große Ziel hinzuwirken.

Ueber den Blick in diese große Zukunft dürfen wir das Nächste nicht übersehen.

Wir müssen die Parteien wider einander aufstacheln.

Wir müssen den Communismus überall in der Stille ausbreiten helfen – und wo er noch gar nicht da ist, da müssen wir den Teufel an die Wand malen, damit er komme. Dies ist eine Maxime, eben so schön und bewährt, als es das Sprichwort selbst ist.

Um zu zeigen, wie man dies machen muß und wie nützlich für unsern Zweck dies Verfahren ist, will ich unter Hunderten nur ein kleines Beispiel aus einem deutschen Staate anführen, in dem wir jenes Verfahren kürzlich mit viel Glück in Anwendung brachten.

Wir wußten gleichzeitig durch anonyme Briefe, welche wir ganz und gar nur mit Stellen aus communistischen Büchern von den entschiedensten Verfechtern dieser Doctrinen ausfüllten – damit man sie um so weniger für ein[91] Werk unsers frommen und rechtgläubigen Ordens halte – Eisenbahnarbeiter und Fabrikarbeiter aufzuhetzen, ihnen communistische Lehren beizubringen, ihr eignes Elend vorzuhalten und sie wider die bestehenden Verhältnisse aufzureizen. Die Eisenbahnarbeiter waren für unsere Lehren ziemlich zugänglich, es waren Ausländer unter ihnen, denen diese Dinge bereits nichts Neues waren – und welche, wenn sie auch an der Möglichkeit ihrer Ausführung zweifelten, doch die Inländischen mit aufreizen halfen – und so kam es, daß sie jüngst aufstanden, ihre Arbeiten einstellten und einen höhern Lohn verlangten.

Mittlerweile hatten wir unter den Arbeitern der nahen Fabrik eines Herrn Felchner auf einen der jüngern Arbeiter unser Augenmerk geworfen. Dieser, Franz Thalheim, besitzt, eine ungewöhnliche Intelligenz für seinen Stand bei einem schwärmerischen aufopfrungsfähigen Herzen. Er hatte einige keine Schriften geschrieben, welche, allerdings weit entfernt von communistischen Tendenzen, doch die Rechte des armen Volkes vertreten und sein Elend zur Sprache bringen. Wir glaubten, es sei leicht, aus ihm einen Verbreiter des Communismus zu machen, wie wir ihn nur wünschen konnten. Leider scheint es, daß wir gerade in ihm uns verrechnet haben – er hat ein zu strenges Rechtsgefühl, um einer Auflehnung gegen das gesetzlich Bestehende fähig zu sein, um Etwas auf anderen[92] als gesetzlichen Wegen erringen zu wollen, auch hat er zu Viel gesunden und unverblendeten Menschenverstand, um von einem im Augenblick noch unpraktischen System sonderlich Notiz zu nehmen. Auf ihn also – das haben wir erkannt – werden wir schwerlich zählen dürfen – desto leichter ging durch ihn einer seiner vertrautesten Kameraden in die Falle.

Jetzt haben wir in dieser Fabrik Alles in die beste Gährung gebracht und zwar durch die verschiedenartigsten Mittel.

Zuerst wußten wir – auf unserm gewöhnlichen Wege – einigen Regierungsbeamten zuzuflüstern, daß in jener Fabrik – als sich noch nicht das geringste Verdächtige dort zeigte – gefährliche Verbindungen bestünden und daß dort sich von einem Menschen, der sich auf derartige Sachen verstände, ein staatsgefährliches Complott entdecken ließe. Begierig, diese Entdeckung zu machen, setzte sofort der geheime Polizeirath Schuhmacher alle seine geheimen Maschinerien in Bewegung, um durch Entdeckung dieser gefahrdrohenden Zustände sich Ansprüche auf den Dank seiner Regierung zu erwerben. Er scheute kein Mittel, um zu seinem Ziele zu gelangen. Vortrefflich arbeitete er uns in die Hände. Einer seiner Helfershelfer mußte – worüber wir besonders frohlocken – den Fabrikherrn selbst warnen und zu größerer Beaufsichtigung seiner Leute auffordern. Dies geschah – und nun werden wir es[93] bald erleben, daß diese Strenge und Vorsicht bewerkstelligt, was unserm Zureden und Vorspiegeln allein nicht gelungen wäre: – die Fabrikarbeiter werden sich empören, und wenn sie gleich damit Nichts thun, als blind in ihr Unglück rennen – so ist es doch von da an eine beglaubigte Wahrheit: der Communismus spukt in Deutschland und greift schon zu praktischen Mitteln – und dadurch ist für uns schon Viel erreicht: wir können von da an den Communismus als Popanz brauchen! – Als Popanz zuerst für die Regierenden, damit sie hinter freien Regungen überhaupt gleich Communismus vermuthen – und deßhalb sich um so weniger zu Zugeständnissen verleiten lassen; – für die Besitzenden, damit sie gegen die armen und arbeitenden Classen desto härter verfahren und durch Druck und Härte sie um so eher dem Communismus in die Arme führen, damit die Schwergedrückten endlich gar dem blinden Glauben der Verzweifelten sich hingeben: es gebe für sie kein anders Heil und keine Bestimmung, als Blut und Leben einzusetzen für die Verwirklichung des Communismus; – endlich auch als Schreckbild für die Liberalen, damit sie, weil sie nun nach zwei Seiten hin zu kämpfen haben, um so leichter ermüden, und damit sie, um nicht auch als Communisten verschrieen zu werden, vorsichtiger und zurückhaltender werden in Tadeln und Fordern.[94]

Damit ist schon Viel gewonnen.

Zugleich sind auch in den Verdächtigungsnetzen des Polizeirath Schuhmacher, zwei Liberale mit gefangen worden: Graf Jaromir von Szariny und Gustav Thalheim, zwei Schriftsteller für uns von der gefährlichsten Sorte. Man wird sie der Regierung als Theilnehmer an communistischen Comploten bezeichnen, da sie mit den aufsässigen Fabrikarbeitern in Berührung gekommen sind – man wird sich entweder ihrer bemächtigen, oder doch wenigstens ihre Schriften verbieten – obgleich diese radical und Nichts weniger als communistisch sind – oder sie des Landes verweisen, ihnen ihre literarische Thätigkeit erschweren, und so werden wir mit guter Manier zwei unsrer gefährlichsten Gegner los – indem sie entweder ganz unschädlich gemacht oder vielleicht aus Rache und Erbitterung das werden, für was man sie bisher nur hielt und als was sie nun einmal verdammt und gebrandmarkt sind: Communisten. So ist es zugleich mit gelungen, der schlechten Presse die Schuld an den Arbeiteraufständen mit zuzuschreiben – auch davon werden die guten Folgen nicht ausbleiben.

So müssen uns alle Dinge zum Besten dienen.

Das ist immer unsere Ordensregel gewesen.

Und so habe ich denn in der Kürze versucht, mein frommer Bruder, Dir anzudeuten, welche schwierige Stellung[95] wir hier haben – wie wir aber trotzdem nicht verzagen, sondern bereits auf eine neue Aera uns vorbereiten – damit auf alle Fälle unser heiliger Orden selbst dann nicht untergeht, wenn man alle bestehende Ordnung der Dinge umkehrt.

Gesegnet sei der heilige Loyola, der die Seinen schützt!

Grüsse alle unsere Brüder.

Pater Xaver[96]

Quelle:
Louise Otto: Schloß und Fabrik. Band 1–3, Band 3, Leipzig 1846, S. 76-97.
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