VIII. In der Schweiz

[139] »Horch wie die Reuß im Sturze in's Thal jetzt nieder klingt,

Und wie ein Gemsenjäger von Fels zu Felsen springt;

Sieh, wie der Vollmond drüben aufglüht so roth wie Blut

Und lauf dem Gotthard mälig erlischt die Opfergluth.«

Anastasius Grün.


An demselben Abend, wo die Zwei die wichtige, für Beide nur zu schnell abgebrochene Unterredung geführt hatten, arbeitete Schuhmacher noch bis tief in die Nacht für das Wohl des Vaterlandes. Er ging noch ein Mal all' diese mühsamen und erzwungenen Zusammenstellungen und Beziehungen durch, in welche er hungernde Fabrikarbeiter mit einem ernsten, unglücklichen Privatgelehrten, der zwei vornehme junge Leute auf Reisen begleitete, mit einem schwärmenden Dichter, dem seine erste Liebe gelogen hatte und der eben jetzt willen- und ahnungslos eine neue strahlendheiße[139] Flamme in seinem Herzen aufglühen und von ihr sich leiten ließ, so glücklich gebracht hatte. Auf dieselbe geschickte Art hatte nun Schuhmacher auch die ganze schlechte Presse und Tagesliteratur mit der Noth geistig und körperlich verkümmernder Kinder in eine harmonische Einheit gebracht und nun war er damit beschäftigt, in dieses aus so verschiedenen Elementen geordnete Ganze auch die widersetzlichen Eisenbahnarbeiter in passender Weise einzureichen.

Während seine an mühsamen Combinationen und geschickten Erfindungen so schöpferische Seele über diesem Chaos ineinander geworfener Umstände finster brütend lag, stand einer von Denen, in dessen Inneres er so gern einen Spionenblick geworfen hätte, weit von ihm entfernt und sah dem Alpenglühen zu. Und hätte Schuhmacher doch zu dieser Stunde in die klare hohe Seele dieses Edlen blicken können – er würde dadurch beschämt vielleicht die eigne Erbärmlichkeit gefühlt oder doch vielleicht einmal an die argwohnvergiftete Brust geschlagen haben und von sich selbst beschämt worden sein. –

Gustav Thalheim, der Aelteste der drei Brüder, weilte in der Schweiz.

Die Beiden jungen Leute, welche er begleitete, Karl von Waldow und Eduin von Golzenau, hatten sich auf's Liebendste an ihn angeschlossen. Karl war ihm sogleich[140] mit heitrer Freundlichkeit entgegen gekommen. Er war das, was man einen »guten Jungen« zu nennen pflegt. Er schloß sich leicht und schnell an Jedermann an und pflegte allen augenblicklichen Eindrücken zu folgen. Er war leichtsinnig, aber mit dem besten Herzen von der Welt. Sein Gemüth war ungleich hervorstechender, als sein Geist. Immer gefällig, munter, aufgeregt ließ er, wenn er vielleicht auch nicht zu Uebereilungen zu verführen war, sich doch eben so leicht zum Guten leiten – und so war es für ihn ein Glück, bei guten Anlagen aber Mangel an Grundsätzen und jeder Art von Tiefe und Charakterfestigkeit der ernst-freundlichen Leitung eines Menschen wie Thalheim anvertraut worden zu sein, der er sich dann auch mit kindlicher Hingabe überließ.

Anders war es mit Eduin. Er hatte anfangs eine Vorurtheil gegen den aufgedrungenen Mentor, denn er glaubte mit achtzehn Jahren vollkommen mündig zu sein, um seinen Weg durch die Welt allein und selbstständig zurücklegen zu können. – Ein tiefer Ernst, ein hochfliegender und weitstrebender Geist waren die Grundtypen seines über seine Jahre hinaus entwickelten Wesens. Meist verschlossen, in sich gekehrt, ja abstoßend, war er nicht der Mann, der Anfangs auf Jemanden einen angenehmen Eindruck hätte machen können. Dabei war er wortkarg und hölzern, so jedoch, daß man nicht wußte, ob diese Eigenschaften Folgen[141] eines eitlen Dünkels oder knabenhafter Schüchternheit waren. Thalheim war Menschenkenner genug, um bald zu finden, wie ungleich mehr es lohne, nach der Liebe und dem Vertrauen dieses schwerzugänglichen Herzens zu streben, als nach dem Karls, daß sich jedem freundlich Entgegenkommenden sogleich fröhlich öffnete und sonder Rückhalt anschloß. Lange Zeit sah er sich von Eduin nur mit kalter Höflichkeit behandelt. Ein an sich unbedeutender Vorfall hatte aber Alles geändert. Die drei Reisenden hatten einst einen Ausflug zu Pferd gemacht. Die Dunkelheit hatte sie übereilt, als sie auf dem Rückweg waren, es brach eine Gewitternacht herein mit kaum aufhörendem Blitzen und Wetterleuchten. Davor scheute Karls Pferd, warf den Reiter ab und entfloh. Thalheim war um den Verwundeten beschäftigt. Eduin suchte das Pferd wieder zu fangen und bracht' es triumphirend zurück. Nachher sagte Thalheim: »Mir wär' es das schönste Geschäft, im Stillen Wunden zu verbinden und Balsam aufzulegen – für Sie taugt es besser, in's Weite zu jagen und widerspenstigen Trotz zu besiegen – so will ich die Jugend – einst war ich auch so.«

»Und es wird Zeit, daß ich anders werde?« antwortete Eduin kalt und höhnisch fragend.

»Nein – es wird höchstens Zeit, daß Sie Anderes als ein Roß bezwingen lernen – denn das Wort ist so[142] wahr als alt: Wem Viel gegeben, von dem wird Viel gefordert werden –« versetzte Thalheim.

»Meinen Sie – daß ich lernen soll, mir selbst die Zügel überzuwerfen? – O, der Mühe hat mich ja mein Vater überhoben,« sagte Eduin gereizt, »er hat mir ja die Zügel selbst umgelegt und dann zur Leitung in geübte Hände gegeben.«

Thalheim nahm seine Hand und sah ihn fest an, indem er ruhig sagte: »Sie wollen mich beleidigen – Womit hab' ich das verdient? Wenn ich noch ein Jüngling wäre, würde ich mich in Ihre Arme werfen und sagen: Wir denken gleich in Allem – lass' uns Brüder sein! Vor funfzehn Jahren würd' ich dies gekonnt haben – aber ich weiß es wohl: das Alter muß vergebens betteln gehn um die Liebe der Jugend, weil man in jeder Falte des Angesichtes die Linie eines strengen Richtmaaßes zu sehen wähnt – und doch! – Eduin, wären wir uns früher begegnet – wir hätten uns einander ebenbürtig gefunden – nun trennt uns die Kluft der Jahre und wenn ich über sie hinweg meine Arme nach Ihnen ausbreite, so stehen Sie argwöhnisch mir gegenüber und bleiben fern –« eine große Thräne war in sein Auge getreten – da lag plötzlich Eduin zu seinen Füßen – erst jetzt verstand er die liebesstarke Seele dieses hohen Menschen.[143]

Eduin rief: »Vergeben Sie meinem Stolze – Ihre Freundschaft schien mir ein unerreichbar hohes Gut – ich sagte mir Tausend Mal, daß es Knabenthorheit sei, darum zu werben – und im gleichen Maas, als ich Sie liebte, mogt' ich nicht von Ihnen mich lenken lassen – ich wollte Ihnen gegenüber kein Kind sein, weil ich danach strebte, von Ihnen geliebt zu werden.«

Diese Stunde, als der liebgewordene Zögling endlich dieses stolze Geständniß an Thalheims Herzen ausweinte, war für diesen die schönste, welche er seit langer Zeit empfunden.

Und so hatte von da der stolze, schwärmerische Jüngling sich mit der innigsten Zärtlichkeit an Thalheims Herz gehängt, und oft forderte er in jugendlichem Aufwallen edelster Gefühle das Schicksal heraus, ihm den Augenblick zu schicken, wo er dem geliebten Freund beweisen könne, daß er bereit sei, für ihn zu leben und zu sterben und Alles zu thun und zu dulden und hinzugeben, was das Leben bieten und das Sterben erschweren könne.

Monate waren seitdem schon vergangen. Jetzt weilten die Drei in der Schweiz. Nun eben waren sie an dem Ort angekommen, wo sie die nächsten Briefe zu finden erwarten konnten. Karl und Eduin empfingen Briefe aus den väterlichen Häusern mit herzlichen Grüßen und fröhlichen Nachrichten von allseitigem Wohlergehen. Auch[144] für Thalheim lagen zwei Briefe bereit, der eine von Amalien, der andere von Bernhard, seinem Bruder. Er wunderte sich, daß ihm dieser geschrieben, denn der Briefwechsel zwischen diesen beiden Brüdern war immer unbedeutend gewesen und hatte sich nur auf einfache Notizen beschränkt, damit sie nur nicht ganz außer Verbindung kämen – aber hierher hatte er ihm ja nicht einmal seine Adresse gegeben. Weil ihm dies Schreiben so befremdlich vorkam, so öffnete er dies zuerst und warf einen hastigen Blick hinein – und wieder und wieder – und sah schärfer hin, denn vor seinen Augen flimmerte es und die Buchstaben schwankten alle unruhig auf dem Papier vor ihm hin und her – sie schienen alle zu zerfallenden, morschen, schwarzen Kreuzen zu werden, die auf einem Kirchhof schief untereinander stehen und im Mondlicht am Charfreitag, wo alle Gräber sich erschrocken aufspalten, darauf ruhelos hin und wieder wanken, sich neigen und beugen – und doch immer schwarze Kreuze bleiben, Kreuze auf einem Kirchhof – so sagten auch ihm die Buchstaben immer dasselbe, obwohl er es ihnen nicht zugeben, durchaus nicht glauben wollte – sie stellten sich doch immer wieder so vor ihm zusammen, daß er lesen mußte:

»Dein Kind ist todt – Dein einziges Kind Deine Anna!«

Er saß da in sich zusammengesunken – er wagte kaum zu athmen, am Wenigsten zu denken.[145]

Mechanisch griff er nach dem andern Brief, der von seiner Gattin kam. Das Datum, welches er trug, war ein um vier Wochen späteres. Bernhards Brief hatte wahrscheinlich schon länger als jener hier gelegen.

Er las. Nochmals fand er das Gräßliche bestätigt.

Amalie schrieb ihm:

»Unser Kind ist todt. Ich hatte lange nicht die Kraft, Dir das Entsetzliche zu schreiben – nun Du es bereits durch Bernhardt weißt, finde ich den Muth eher.«

Sie schilderte ihm herzzerreißend ihren Jammer um den Verlust ihres einzigen Kleinodes – herzzerreißend die Leiden der letzten Stunden des so frühe Engel gewordenen Kindes – dann fuhr sie fort:

»So ist auch das letzte Band gelöst, das uns noch zusammenhielt, und so ist auch dies der letzte Brief, welchen Du von mir erhältst. Betrachte mich auch als eine Gestorbene, als sei ich mit unserm Kinde zugleich begraben worden. Wollte Gott, es wäre so! Für Dich wenigstens soll es so sein. Binnen Kurzem verlasse ich meinen jetzigen Wohnort und werde Gesellschafterin bei einer vornehmen und hochgeachteten Dame – frage nicht das Weitere, spähe nicht danach, wohin wir gehen, Du sollst es nicht erfahren – auch nicht durch Deine Brüder, denn deshalb habe ich es auch ihnen verschwiegen. So lange ich noch die Mutter Deines Kindes war, so lange ertrug[146] ich es, von Deiner Güte, welche ich so oft gemißbraucht, auch den Unterhalt für mich zugleich mit dem anzunehmen, was Du mir zur Erziehung unseres Mädchens sandtest. Nun hab' ich keinen Zweck mehr im Leben, für Dich bin ich gar Nichts mehr – und da es denn einmal gelebt sein muß, so ist es nun meine Schuldigkeit, mir nun die Mittel zur Existenz selbst zu verschaffen. Ich habe dazu das passendste Mittel ergriffen, indem ich Gesellschafterin werde.«

»Ich danke Dir nochmals für alle die Güte und Langmuth, mit welcher Du mich in den Jahren unserer unglücklichen und qualvollen Ehe behandelt hast. Ich habe sie nicht verdient, wie ich ja überhaupt Dich selbst und Deinen Besitz niemals verdiente und verdienen konnte. Du warst ein höheres Wesen neben mir – Du hättest mich niemals lieben sollen – so tief habe ich unter Dir gestanden, das habe ich wohl gefühlt – und eben weil Du so hoch über mir warst, konnt' ich Dich nicht lieben – Deine Größe drückte mich nieder – und um selbst weniger diesem beschämenden, lastenden Gefühl zu erliegen, strebte ich Dich zu verkleinern.«

»Auch Du wirst es mir niemals vergeben können, daß ich die Kette ward, welche Dich in niedere Verhältnisse bannte, statt daß Du mich erheben wolltest. Wir haben uns gegenseitig das Leben erschwert, ohne daß wir es[147] gewollt haben – es ist gut, daß wir getrennt sind – so wirst Du mich vergessen und Alles, was ich Dir sein sollte und nicht sein konnte und von mir ist der Druck genommen, als eine Heuchlerin durch's Leben gehen zu müssen.«

»Ich bin allein und grenzenlos elend – aber eben weil ich allein bin, so trage ich's leichter – so kann ich eher Ruhe finden. Deine Liebe und Größe wird mir nicht mehr zur Qual, und der Gedanke an Jaromir hat für mich keinen Stachel der Liebe mehr – denn wenn ich jetzt noch an ihn denke, so geschieht es nur mit Haß und Verachtung. – Mein Kind ist todt – ich fange nun an, auch darüber ruhiger zu denken, denn es tröstet mich, daß es ein Mädchen war, und daß ein Mädchen zu keiner andern Bestimmung geboren wird, als zu der: unglücklich zu sein.«

»Lebe wohl und für immer – vergieb mir, daß ich Dir viele Jahre Deines Lebens hindurch Glück und Frieden gestohlen habe – ich kann Dir diesen Raub nicht vergüten – aber ich will ihn wenigstens nicht noch vergrößern.«

»Noch Eines: Du bist durch die Ehe zu unglücklich geworden, als daß ich glauben sollte, es triebe Dich zu einer zweiten Verbindung, Sollte es aber einst so sein, und ich schleppte mich immer noch unglücklich durch's Leben,[148] so wird wohl auch unsere gerichtliche Scheidung kein Hinderniß finden – wäre es dennoch, so will ich kein Mittel scheuen und jedes Opfer bringen, das im Stande ist, sie zu bewerkstelligen – und müßt' ich mich selbst – ehrlos nennen. Nur in diesem Falle suche meinen Aufenthalt zu erfahren – außerdem, dies Versprechen nehm ich Dir ab: frage niemals nach mir.«

Noch ein Mal brachen alle Wunden seines Herzens auf – zwar hatte er nie mehr an eine Widervereinigung mit Amalien gedacht, zwar hatte er gestrebt, die Liebe zu ihr aus seinem Herzen zu reißen, seitdem er wußte, daß sie sein innigstes Gefühl niemals wahrhaft erwidert hatte – aber noch oft war sein lang und treugehegtes Gefühl stärker gewesen, als sein männlich stolzer Wille, und oft noch hatte er jenes als Sieger gefunden. So begann jetzt in ihm ein neuer Sturm – ihm war zu Muthe wie einem Schiffbrüchigen, der das Schiff, auf dem er bisher heimisch durch die wechselnd trübe und klare Fluth des Lebens gesteuert, unter sich zerkrachen sieht und Weib und Kind und all' seine Habe von den wilden Wogen verschlungen und da und dorthin getrieben. – Alles ist untergegangen, begraben, hinweggespült – und nur obenauf schwimmt die schöne blasse Leiche eines Kindes – die gebrochenen Augen, die starren weißen Händchen nach der Stelle zu gerichtet,[149] wo in weiter Ferne der einsame Vater verlassen und verzweifelnd steht.

Bei diesem letzten Bilde weilte er am Längsten und immer wieder.

Eduin und Karl traten zu ihm und wollten ihre fröhlichen Nachrichten vom Hause für die seinen austauschen – aber als sie den Verehrten so erschüttert und wie in Verzweiflung zusammengesunken vor sich erblickten, wie sie ihn noch niemals gesehen, da traten sie ehrfurchtsvoll von ihm zurück.

Er hatte ihr Eintreten bemerkt und stand auf.

Er ergriff Beider Hände und sagte ruhig, indem eine helle Thräne aus seinen Augen fiel: »Sie können den großen Kummer, den ich heute erfahren, kaum ahnend begreifen; ich hatte ein einziges Kind – ich habe Ihnen zuweilen von meinem kleinen Mädchen gesprochen – – es ist todt.« –

Die Beiden waren zu bestürzt, als daß sie vermogt hätten, Etwas zu erwidern, sie drückten ihm nur innig die Hand und sahen zu Boden. Karl weinte, Eduin warf sich heftig an die Brust des Trauernden.

»Ich bin Ihres Mitgefühls gewiß,« sagte Thalheim nach langer Pause, »aber lassen Sie mich jetzt allein mit meinem Schmerz in die Berge gehen, ergehen Sie Sich jetzt zusammen mit heiterern Genossen – ich werde ruhiger[150] werden wenn ich in der Einsamkeit mit meinem Schmerze trauliche Zwiesprache halten kann.«

»Alles, was Sie wollen!« sagten Beide.

Und so ging Thalheim allein hinaus.

Und so stand er jetzt einsam auf einer Höhe und sah dem Alpenglühen zu, als sei seine Seele ruhig und ganz verloren in den Anblick eines großartigen Schauspiels.

In den Thälern war es schon Nacht – aber die Höhen glänzten noch leuchtend in Gold und Purpur und Himmelblau.

Wie hohe Könige, so ragten die ewigen Alpen empor; wie auf festen Thronen von weißem Marmor, Stahl und Silber – so glänzten die Gletscher; – auf Teppichen von grünem Sammet mit bunter Blumenkante gestickt – so waren die Matten und Felder – wie auf solchen Thronen saßen die großen Könige, die weiten Mäntel von schneeigem Hermelin umhangen, die das Abendroth zugleich zu schönen Purpuren färbte, goldne Strahlenkronen auf den ernsten Häuptern, von denen die silbernen Locken und Bärte ehrfurchtgebietend niederflossen. Und darüber hinweg die blaue Luft als herab sich senkenden Thronhimmel mit goldner Sternenschrift. – Aber mit einem Mal, gleichsam wie aus der Tiefe aufgestiegen, krochen schwarze Wolken schattend und unheimlich zu den Füßen dieser Throne heran, lagerten trotzig vor ihren Füßen sich nieder; wuchsen endlich[151] immer höher auf, übereinander sich zu dicken Knäueln ballend und verdichtend; wuchsen endlich herum um die Purpurmäntel mit den Kragen von Hermelin und verhüllten sie ganz wie mit grauen häßlichen Decken, und so immer höher, immer weiter, bis nur noch die goldenen Königskronen wie mit unvernichtbarer und unerreichbarer strahlender Herrlichkeit in stolzer Ruhe über sie hinwegglänzten.

Aber da begann ein Murmeln, Grollen und Rollen in den finstern Wolken – dann wurde es lauter, wilder, heftiger, endlich riß eine gelbe Blitzesschlange nach allen Seiten hinzüngelnd die dichteste Wolkenschicht auseinander, und furchtbar krachend wetterte zugleich ein dröhnender Donnerschlag wie erderschütternd vom Himmel nieder. Mit Eins brach die Blitzschlange von ihrem geheimnißvollen Lager auf und hervor – mit Eins fand der Donner seine furchtbar dröhnenden Posaunentöne, mit denen er aus der Höhe hernieder rief wie der Engel des Weltgerichts – und mit Eins sanken plötzlich die goldnen Kronen von den blassen Stirnen und silberweißen Locken der Könige. Nun begann ein tobender Kampf der Elemente, es war, als hätten alle die Waffen ergriffen, eines wider das andere, und schleuderten jetzt ihre unheilbringenden, lärmenden Geschosse.

Und Mitten in diesem Aufruhr stand Thalheim und bot seine Locken dem Sturm.[152]

Ein Gewitter in der Alpenwelt! Da mogte wohl dem, der es noch nimmer erlebt, zu Muth sein, als gehe die Welt aus ihren Fugen!

Aber nicht geringer war der Aufruhr in der Brust dieses schmerzerschütterten Menschen, der jetzt Mitten in diesem Toben stand. Er faßte zuweilen krampfhaft mit der Hand nach der Stelle seiner Brust, hinter welcher sein zuckendes Herz schlug, um zu fühlen, wie viel Schläge es wohl noch thun und zugleich aushalten könne, ehe es ganz breche und vielleicht still stehe.

Er hatte nicht darauf geachtet, wie in diesem Augenblick eine elegante Dame am Arm eines vornehm aussehenden Herrn an ihm vorübereilte.

In der nächsten Hütte suchten die Beiden Obdach vor dem Regen, der jetzt prasselnd und strömend niederfiel.

Thalheim stand noch in dem Wetter und achtete es nicht. Ein zweiter Donnerschlag rollte jetzt hinter dem ersten her, vergrub sich immer tiefer zwischen die Berge, in die Thäler, weckte immer neuen Widerhall aus allen stummen Felsen und rauschenden Wäldern – es war, als würden viel Hundert Kanonenschlünde auf ein Mal thätig und ließen dröhnende Laute hören, welche nimmer wieder enden und sich zur Ruhe finden wollten.

Da auf einmal faßte Eduin Thalheims Arm und bat: »Ach kommen Sie herab in die Hütte, hier kann Sie[153] der Blitz erschlagen – oder wenn das nicht, so durchnäßt der strömende Regen Ihre Kleider und Sie können sich erkälten.«

Thalheim sah erst erschrocken, dann aber freundlich auf den besorgten Jüngling, der, als das Wetter losbrach, die Angst ihn zu suchen getrieben durch Sturm und Regen – sie schritten miteinander den Berg herab.

Da stieß Eduins Fuß auf einen kleinen glänzenden Gegenstand, nach dem er sich bückte und ihn aufhob. Auf der schnellen Flucht vor dem Wetter betrachtete er ihn nicht näher und steckte ihn zu sich.

Auch diese Beiden suchten jetzt in der Hütte Schutz, in welche vor ihnen die Dame und der Herr getreten waren. Diese Beiden saßen im Hintergrund auf einer alten Bank, und die durch den herabsinkenden Abend und das aufsteigende Gewitter zugleich entstandene Dämmerung ließ ihre Gesichtszüge nicht weiter unterscheiden. Eine muntere Bäuerin, die Bewohnerin der Hütte, stand am Eingang derselben und rief Thalheim und Eduin gleich freundlich entgegen, doch bei ihr einzutreten, bis das Wetter vorüber sei. Die Beiden blieben an der Thüre stehen und sahen von innen dem Toben draußen zu.

Eduin zog jetzt den kleinen Gegenstand heraus, welchen er vorher gefunden hatte. Es war ein großes, goldenes Medaillon, am Rand mit Perlen besetzt. Ein leichter[154] Druck öffnete es. Es zeigte auf Elfenbein gemalt das Bild eines schönen blassen, jungen Mannes. Immer spähender, verwunderter betrachtete Eduin das Bild und rief endlich aus: »Das ist mein Vetter Jaromir, nicht nur die Aehnlichkeit täuscht mich – er ist's gewiß und wahrhaftig, da steht unten in das goldene Blättchen eingegraben sein Name.«

Thalheim starrte auf das Bild. »Er ist's!« sagte er langsam, ward noch bleicher als vorher und verstummte sogleich wieder, denn dieser Name ließ ihn auf's Neue in ein tiefes Meer schmerzlich grollender Gedanken versinken.

»Was? Sie kennen ihn auch,« rief Eduin überrascht, »und haben mir nie davon gesprochen, wenn ich Ihnen von ihm erzählte, wie er mir schon von Kind auf ein Vorbild war? Mit tiefster Innigkeit hab' ich ihn immer geliebt und seine schöne Mutter, die, als sie mit ihm in das Haus des Vaters kam, mich zu ihrem Liebling machte und mich immer auf dem Schoos wiegte, ist meine frühste und liebste Erinnerung! Wie er dann eine Zeit lang unser Schloß mied und erst wiederkam, nachdem er reich und berühmt geworden, da sagt' ich mir wohl oft: so will ich auch handeln und werden wie er! – Und er hatte mich auch recht lieb und war oft vergnügt mit mir und schickte mir immer gleich jedes seiner Lieder. Nun habe ich ihn seit ein paar Jahren nicht gesehen und plötzlich[155] muß ich hier in den Schweizer Bergen sein Bild finden. Sollte er gar selbst hier sein? Aber nein! Das eigne Bild führt man ja nicht mit sich!«

In diesem Augenblick trat die Dame, die bisher im Hintergrund gesessen, schnell vor auf Eduin zu und sagte: »Nun ich hier so unerwartet diese begeisterte Lobrede auf meinen Freund gehört, darf ich mich wohl als Eigenthümerin dieses Bildes bekennen und dem glücklichen Zufall danken, der mir zu der Wiedererlangung des verlornen Kleinodes verhilft und noch dazu durch einen Verwandten des Grafen – wenn ich recht gehört?«

Thalheim erkannte die Dame und zog sich von ihr zurück, indem er unwillkürlich leise für sich sagte: »Bella!«

Eduin aber stand wie bezaubert vor dem schönen Weibe, glühende Röthe schoß auf seine Stirn, er zitterte unwillkürlich und hielt, keines Wortes mächtig, das Bild hin. Die Schauspielerin Bella reiste von Paris durch die Schweiz zurück nach Deutschland. Jaromir's Bild begleitete sie immer, sie trug es meist an ihrem Halse, denn wie leichtsinnig sie auch zärtliche Verhältnisse knüpfen und lösen mogte – ihn zählte sie nicht mit in die Categorie ihrer gewöhnlichen Liebhaber, für ihn bewahrte sie in ihrem Herzen einen besondern Platz. Sie betrachtete ihn mit andern Augen, als die Männer, welche sie so lange zu ihren Sklaven machte, bis sie ihrer überdrüssig war;[156] sie ehrte ihn als ihren Freund, und ihr Gefühl für ihn war ein bleibendes, unveränderliches, aber einfaches Immergrün, während sie wohl für Andere stärkere Gefühle hegte, die aber eben so schnell wieder abblühten, als sie sich vorher entfaltet hatten und aufgewuchert waren. So konnte sie jetzt neben Einem ihrer Anbeter, der ihr von Frankreich gefolgt war, die lebhafteste Freude empfinden, das verlorne Bild des Deutschen Freundes wieder zu erlangen; so konnte es sie überraschend beglücken, hier plötzlich sein Lob von jugendlich begeisterten Lippen zu hören.

Sie nahm jetzt das Bild aus der zitternden Hand des jungen Mannes und sagte: »So habe also ich das Vergnügen, Deutsche Landsleute hier zu finden und diesen dankbar verpflichtet zu werden? Darf ich vielleicht um den Namen des Freundes des Grafen Szariny bitten – dem ich so viel verdanke?«

»Eduin von Golzenau!« sagte dieser schüchtern und stand da wie trunken, verloren in Bella's Anblick.

Draußen aber fuhr ein Wagen vor – es war der Bella's, der Franzose ergriff ihren Arm, um sie an diesen zu führen. Sie zog eine Karte aus einer Brieftasche, gab sie Eduin und sagte: »Ich darf jetzt nicht länger säumen, sonst verfehl ich die Eilpost, mit welcher ich weiter reisen muß[157] Vielleicht wird mir ein ander Mal Gelegenheit, Ihnen besser danken zu können.«

Sie stieg in den Wagen und fuhr davon.

Eduin war stumm geblieben – jetzt warf er sich ungestüm an Thalheims Brust und weinte laut.[158]

Quelle:
Louise Otto: Schloß und Fabrik. Band 1–3, Band 2, Leipzig 1846, S. 139-159.
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