Achtzehnter Brief.

[164] London, den 7. Sept. 1827.


Theure Freundin!


Ich bin zwar, wie Du weißt, nicht stark in Erinnerungen von Anniversaires etc., weiß aber diesmal doch, daß morgen derjenige Tag wiederkehrt, an dem ich meine arme Julie in B ... allein zurücklassen mußte! Ein Jahr rollte seitdem über die Welt, und wir Insekten kriechen noch in dem alten Gleise – wir haben uns aber auch noch eben so lieb, und das ist die Hauptsache! Endlich werden wir doch durch den großen Haufen glücklich hindurchkommen, durch den wir uns jetzt so mühsam arbeiten müssen, und dann vielleicht frisches Gras mit schönen Blümchen erreichen, auf denen eben der Morgenthau seine Diamanten abgesetzt hat, und bunte Sonnenstrahlen sich in dem feuchten Crystall blitzend umhertummeln. Soyez tranquille, nous doublerons encore un jour le cap de bonne espérance![165]

Ich habe Dir die letzten Tage nichts über mein Thun und Treiben geschrieben, weil es sich blos darauf reducirte, daß ich täglich mit B .... arbeitete und schrieb, mit L ...... im Travellers Club aß, und endlich allein zu Bett ging. Gestern war jedoch bei unserm Diné noch ein anderer Deutscher, Graf .... zugegen, der Pferde zu kaufen hierher gekommen ist. Er scheint reich und ist jung genug, um es lange zu genießen; übrigens das ächte Bild eines gutartigen Landjunkers, gewiß eine höchst glückliche Art Menschen. Wünschte wohl, ich wäre ein solcher!

Dein Gutachten über den Park betreffend, bemerke ich, daß die Ausdehnung desselben, besonders mit gehöriger Arrondirung verbunden, nie groß genug seyn kann. Windsor-Park ist der einzige, der mich hier, als ein Ganzes, völlig befriedigt hat, und der Grund liegt wesentlich in seiner Größe. Er idealisirt, was ich haben will. Eine anmuthige Gegend, in deren Bezirke man ohne Entbehrung leben und weben kann, jagen, reiten, fahren, ohne sich je zu enge zu fühlen, und die, ausser eben den Ausgangspforten, nirgends einen Punkt zeigt, wo man bemerkt: hier sey sie begränzt; worin aber dennoch Alles, was die Umgegend Gutes besitzt, ein feiner Sinn sich bis in die weiteste Ferne zu eigen zu machen wußte. Uebrigens hast Du recht, man muß das Kind nicht mit dem Bade verschütten, und viele Mängel und Beschränkungen des Terrains lassen sich durch klug berechnete Wege und Pflanzungen lieber verbergen, als daß[166] man unverhältnißmäßige Opfer für ihre Hinwegschaffung oder neue Acquisitionen brächte.

Meine Pferde sind heute glücklich abgesegelt, wie wohl sich der schöne Hyperion wie wahnsinnig dabei anstellte, und den Kasten, in den er gesperrt war, nebst den eisernen Schienen, den Halftern und Riemen, alles wie Glas zersprengte. Er wäre bei einem Haar ins Meer gefallen, und wird unterwegs wahrscheinlich noch manche Noth machen, obschon wir ihn wie ein wildes Thier gebunden haben. Man kann es übrigens den armen Geschöpfen nicht verdenken, daß ihnen angst wird, wenn der große Krahn sie wie ein Riesenarm ergreift und im weiten Bogen in der Luft vom Quai über's Wasser in das Schiff versetzt. Manche leiden es indeß mit der größten Ruhe, denn auch unter den Pferden giebt es Stoiker.

Es hielte mich nun eigentlich nichts mehr in London auf, aber Lady R ... ist hier, und allein, und so anziehend! Einer solchen Freundin aus dem Wege zu gehen, wäre Unrecht, um so mehr, da ich nicht daran denke, in sie verliebt zu seyn. Aber ist nicht auch die wirkliche, bloße Freundschaft einer schönen Frau etwas sehr Süßes? Ich habe gefunden, daß sich viele Männer alle Verhältnisse verderben, weil sie sich im nähern Verkehr mit Weibern immer sogleich verbunden glauben, die Verliebten spielen, und dadurch die Frau, mit der sie zu thun haben, von Hause aus sur le qui vive setzen, und die allmähliche rücksichtslose Vertraulichkeit und Unbefangenheit verhindern,[167] auf welchem Boden am besten später alles aufblüht, was man hinsäen will. Ich begnüge mich daher sehr gern ganz allein mit einer zärtlichen Freundschaft, besonders wenn ich sie, so wie hier, im Blicke sanfter, schmachtender, blauer Augen lesen kann, ein purpurrother Perlenmund sie ausspricht, und eine sammtne Hand vom schönsten Ebenmaß sie durch ihren warmen Druck bekräftigt. Zu diesem Portrait brauchst Du nur noch den Unschulds-Ausdruck einer Taube, langes, dunkelbraun gelocktes Haar, eine schlanke mittlere Taille, und den schönsten englischen Teint hinzuzufügen – so hast Du Lady R ... vor Dir, ganz wie sie leibt und lebt.


Duncaster, den 16ten.


Ich hätte bald von London datirt, so schnell habe ich die 180 Meilen bis hier in 20 Stunden zurückgelegt, und dennoch Zeit genug übrig behalten, um zwei berühmte Schlösser und Parks aus Elisabeths Zeit, wenn auch nur flüchtig, zu besehen.

Das eine, Hatfield, welches ihr selbst zugehörte, und was sie oft bewohnte, ist weniger prachtvoll, als das zweite, Burleighhouse, welches ihr berühmter Minister Cecil sich erbaute. Hatfield ist von Ziegeln aufgeführt, nur die Fenstereinfassungen, Mauerkanten und Créneaux von Sandstein. Die Verhältnisse sind gut und großartig. Park und Gärten bieten[168] nichts Interessantes dar, als sehr hohe Eichenalleen, die angeblich von der Königin selbst gepflanzt seyn sollen.

Burleighhouse konnte ich nur von Aussen sehen, da die alte Castellanin, obgleich die Herrschaft abwesend war, durch nichts sich bewegen ließ, den Sonntag durch Herumführen eines Fremden zu entheiligen, was ich um so mehr bedauerte, da sich hier eine sehr bedeutende Gemäldesammlung befindet. Im Hof des Schlosses, der mit vergoldeten Eisengittern eingefaßt ist, bewunderte ich einen ungeheuren Kastanienbaum, dessen Aeste sich so weit ausdehnten, daß man unter ihnen Platz genug gehabt hätte, ein Pferd zuzureiten. Der alterthümliche Park ist ebenfalls voll der schönsten Bäume, das Wasser aber auch hier, wie in Hatfield, nur stehend und sumpfig. Der Pallast selbst ist in einem verwirrten Styl aus Quadern aufgeführt, unten gothisch, oben mit Feueressen, die corinthische Säulen-Capitäle darstellen. Der große Staatsmann muß einen corrupten Kunstgeschmack gehabt haben.


Den 17ten.


Duncasters Pferderennen sind die besuchtesten in England, und der hiesige Rennplatz auch allen andern im Lande für Schmuck, Zweckmäßigkeit und leichter Uebersicht vorzuziehen. Die Ansicht des Wettrennens[169] giebt mehr Vergnügen und auch ein weniger kurzes Schauspiel, da man von den hohen thurmartigen, höchst eleganten Stands den ganzen Lauf von Anfang bis zu Ende deutlich überblickt. Die Pferde rennen in der Runde, und derselbe Punkt dient zum Auslauf und Ziel. Die Menge des Volks, schöner Frauen und fashionabler Gesellschaft war außerordentlich. Alle benachbarte große Edelleute kamen in Galla hergefahren, was mich sehr interessirte, weil ich dadurch eine Art des hier üblichen Staates auf dem Lande kennen lernte, welcher von dem in der Stadt sehr verschieden ist. Die Equipage des Herzogs von Devonshire war die ausgezeichnetste, und als Notiz für M ... beschreibe ich Dir den Zug. Die Gesellschaft des Herzogs saß in einem viersitzigen Glaswagen mit 6 Pferden bespannt, die Geschirre und Bockdecke nur mittelreich und der Kutscher in Interimslivree, blonder Perrücke und Stiefeln. 12 Reiter escortirten den Wagen, nämlich 4 Reitknechte, welche verschiedenfarbige Reitpferde mit leichten Satteln und Zäumen ritten, 4 Outriders auf Kutschpferden, denen gleich, die den Wagen zogen, mit Geschirrzäumen und Postillon-Sätteln, endlich 4 Bedienten in Morgenjacken, ledernen Beinkleidern und Stolpenstiefeln, mit gestickten Schabracken und Pistolenhalftern, auf beiden das Wappen des Herzogs in Messing. Die Ordnung des Zugs war folgende. Vorn zwei Reitknechte, dann zwei Outriders, hierauf der Wagen mit seinen schönen sechs Pferden, die der Kutscher vom Bock fuhr, auf dem vordern[170] Sattelpferde ein Postillon. Links von diesem ritt ein Bediente, ein anderer etwas weiter zurück rechts, hinter dem Wagen wieder 2 Outriders, dann 2 Reitknechte, und am Schluß die letzten zwei Bedienten. Der kleine Vorreiter war allein in vollständiger Staatslivree, gelb, blau, schwarz und silber, nebst gepuderter Perrücke, etwas theatralisch gekleidet, mit dem bunt gestickten Wappen auf dem linken Arm.

Das heute statt findende St. Leger-Rennen mag Manchem eine schlaflose Nacht kosten, denn es sind ungeheure Summen verloren worden, da eine kleine Stute, der man so wenig zutraute, daß die Wetten gegen sie 15 gegen 1 standen, unter allen 26 Pferden, welche eingeschrieben waren, die erste blieb. Ein Bekannter von mir gewann 9000 L. St., und hätte im Fall des Verlustes kaum so viel hundert verloren. Ein Anderer soll fast um sein ganzes Vermögen gekommen seyn, und zwar, wie man allgemein sagt, durch die Betrügerei des Besitzers eines Hauptpferdes, auf das er selbst öffentlich sehr hoch, im Geheim aber noch weit höher dagegen gewettet habe, und es dann absichtlich verlieren lassen.

Gleich nach dem Rennen, das mit seinem Trouble und Tausenden von Equipagen mir ein höchst auffallendes Bild englischen Reichthums zurückließ, fuhr ich weiter nach Norden, einem bis jetzt mir noch unbekanntem Ziele zu, und kam um 1 Uhr in der Nacht hier in York, der zweiten Hauptstadt Englands, an. Die ganze Tour über las ich bei meiner Laterne im[171] Wagen in der Frau von Maintenon Briefen an die Princesse des Ursins, ein Buch, das mich sehr unterhielt. Viele Stellen sind für die Schilderung jener Zeit und Sitten höchst merkwürdig. Uebrigens versteht die Incognito-Königin natürlich das Hofleben aus dem Grunde, und erinnert in ihrem Benehmen oft auffallend an einen Deiner guten Freunde, besonders in der Art, wie sie stets Unwissenheit alles dessen, was vorgeht, affektirt, und mit Geringschätzung von ihrem eignen Einfluß spricht. Dabei zeigt sie aber auch viel Milde und Klugheit, und so ungemeinen Anstand in Allem, daß man sie lieber gewinnen muß, als die Geschichte sie uns eigentlich schildert. Es ist zwar immer schlimm, ein altes Weib regieren zu lassen, es mag nun einen Jupon oder Hosen anhaben, aber zu jener Zeit ging es doch noch eher wie heutzutage, denn im Ganzen waren die Leute doch offenbar damals, weit mehr wie jetzt, naive große Kinder, und führten sogar den Krieg auf diese Weise, ja selbst den lieben Gott sahen sie nur wie einen höher potenzirten Ludwig den Vierzehnten an, und, wie ächte Höflinge, verließen sie in articulo mortis augenblicklich den irdischen König, keine Notiz weiter von ihm nehmend, um sich von nun bis zum Ende nur reuig dem, als zu entfernt bis jetzt vernachlässigten, mächtigeren Herrscher allein zu weihen. Man kann auch in den alten Memoiren sehr wohl bemerken, daß diejenigen, welche bei Hofe immer gut oder leidlich durchzukommen wußten, gleichfalls mit mehr Vertrauen auf ihr savoir faire im[172] Himmel sterben, diejenigen aber, welche sich zu der Zeit in völliger Ungnade befanden, einen weit schwerern Tod und größere Gewissensbisse erleiden mußten. Man kann sich eine solche Zeit, einen solchen Hof und solches Leben gewiß nicht mehr recht treu vorstellen, aber grade für unsern Stand mag es allerdings nicht so übel gewesen seyn. Ich machte viele Betrachtungen über diesen ewigen Wechsel in der Welt, und rief zuletzt, angeweht vom unsichtbaren Geisterhauch, der fortwährend durch das All strömt, liebender Sehnsucht Gruß dem herrlich funkelnden Abendsterne zu, der seit Aeonen Jahren sich all dieß Treiben mit so vieler Toleranz und ungetrübter Ruhe ansieht.


Den 19ten.


Es giebt wirklich einige Talente in mir, um die es Schade ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Alles das geht nun verloren, (denn sich selbst dient man immer schlecht) grade wie etwas noch viel Besseres, z.B. ein wunderherrlich schöner Baum in Amerikas Wildnissen sich vergebens jedes neue Frühjahr mit dem prächtigsten Laube, mit den süßduftendsten Blüthen schmückt, ohne daß je auch nur eine arme Menschenseele ihre Augen und ihr Gemüth daran ergötzen[173] mag. Eine solche Existenz nennen wir Menschen nun unnütz! Welcher aimable Egoismus – dessen ungerechte Verdammung ich auch mit leiden muß, denn meine erwähnten schönen Tugenden bleiben ebenfalls unnütz, und meine ganze Person wäre es vielleicht, wenn ich nicht glücklicherweise wenigstens meinen Leuten, nebst verschiedenen Gastwirthen und Posthaltern, indem ich sie täglich bezahle, noch immer von reellem Nutzen, und Dir, gute Julie (je m'en flatte au moins) aus andern Gründen gar unentbehrlich wäre.

Also ganz um nichts und wieder nichts lebe ich nicht auf der Welt, und da ich auf der andern Seite Niemanden schade, gleichsam Einnahme ohne Ausgabe, so stellt sich meine Rechnung noch immer leidlich genug.

Diesen ganzen Tag bin ich in der Stadt umher gewandert. Ich begann mit dem Dome, der rücksichtlich des Reichthums seiner Zierrathen, wie auch seiner Größe, mit dem Mailänder einige Aehnlichkeit hat. Der Erbauer, d.h. der ihn zu bauen anfing, war Erzbischof Scope, eine Shakspear'sche Person, den Heinrich IV. 1405 als Rebell köpfen ließ. Er liegt in der Kirche begraben, und im Kapitelhause daneben ist noch ein Tisch mit einem ihm früher zugehörigen, also vierhundert Jahre alten Teppich bedeckt, auf dem sein Wappen vielfach eingewürkt ist. Der Teppich ist immer noch in leidlichen Umständen. Die Fenster im Dome sind größtentheils von altem, buntem Glase (eine große Seltenheit in England),[174] nur hie und da durch Neues ersetzt. Die Steinarbeit überall vortrefflich, auf das Feinste und Niedlichste wie geschnitztes Holz gearbeitet, alle Arten von Blättern, Thieren, Engeln und Potentaten darstellend. Von den zwei Hauptfenstern an den beiden Enden der Kirche ist das Eine nicht weniger als fünf und siebenzig Fuß hoch und zwei und dreißig Fuß breit. Das entgegengesetzte stellt in seinen seltsamen Steinverzweigungen die Adern des menschlichen Herzens dar, und giebt mit dem blutrothen Glase einen wunderbaren Anblick. Ein andres großes Seitenfenster ist dadurch merkwürdig, daß das Glas in Nachahmung von Stickerei und Nadelarbeit gemalt ist, so daß es nur einer feinen bunten Tapete gleicht, ohne irgend ein andres Bild zu enthalten. Im Chor steht ein alter Stuhl, auf dem mehrere Könige Englands gekrönt worden sind. Ich setzte mich neugierig auch darauf, und fand ihn für einen Steinstuhl sehr bequem. Noch angenehmer mag es sich allerdings darauf sitzen, wenn man im Begriff ist, die königliche Krone zu empfangen.

Neben der Kirche ist eine sehr hübsche, gothisch verzierte Bibliothek, deren Einrichtung mir sehr zweckmäßig schien. Die Schränke und Fächer sind numerirt, die ersten mit römischen Zahlen, die zweiten mit Buchstaben. Jedes Buch hat drei Nummern aufgeklebt, oben die des Schranks, dann des Fachs und unten seine eigne Zahl, so daß man es im Augenblick finden kann. Die Nummern verstellen auch die Bücher gar nicht, da es Papierchen in Form goldner[175] Sonnen sind, in deren Mitte der Buchstabe oder die Nummer steht. In der Ecke des Saals ist eine äußerst leichte und bequeme Wendeltreppe angebracht, um zur Gallerie zu gelangen, die etwas über der Mitte der Schränke umherläuft.

Ueber allen Büchern (ein excellentes Mittel, um sie vor dem Staube zu bewahren) sind leichte Pappdeckel mit umgeschlagenen Enden an dem Repositorio befestigt, die beim Herausnehmen der Bücher nur ein wenig aufgehoben zu werden brauchen. Sie sind mit violettem Papier überzogen, und liegen nur ganz lose auf.


Der Buchstaben-Catalog ist folgendermaßen eingerichtet:


pagina 20

FormatBuchstabe C.Edition.Schrank.Fach.Nummer.

8.Cosmus etc.Verona 1591.II.7189–192.

4.CavendishLondon 1802.I.552–55.

Folio.CollyLondon 1760.XI.31080–1082.

12.CorneilleParis 1820.X.6920–930.


Dieß wird genügen, ihn Dir deutlich zu machen, und da ich aus Erfahrung weiß, welch' schwieriges Geschäft das Ordnen einer Bibliothek ist, und wie viel verschiedene Manieren es dafür gibt, so habe ich diese, als sehr passend für eine kleinere Büchersammlung, aufzeichnen wollen.[176]

Eine andere gute Einrichtung besteht in der Aufstellung von Bücherbehältnissen, um das einzelne Herumliegen derjenigen Bücher zu verhindern, die in öfterem oder gewöhnlichem Gebrauch sind. Sie haben die Form einer doppelten Schaufel, mit einem Unterschied in der Mitte, und emporstehenden Seitenrändern. Auf beiden Seiten werden die Bücher hineingestellt. Die gothischen Fenster sind hier zwar modern, aber denen in der Kirche sehr gut nachgeahmt. Auch die Art, wie sie in Blei gefaßt, sehr gefällig, mit sich fortwährend durchschneidenden Cirkeln. Der Kamin war mit sammt der Einfassung ebenfalls in der Form eines gothischen Fensters gehalten, eine originelle Idee aus alter Zeit. Von den seltnen Büchern und Manuscripten, die hier aufbewahrt werden, konnte ich nichts zu sehen bekommen, da der Bibliothekar abwesend war. In einem Winkel fand ich jedoch eine sehr curieuse Abbildung der großen Prozession bei des Herzogs von Marlbouroughs Begräbniß. Es ist fast unglaublich, wie sich seitdem die Trachten und Gebräuche schon so vollständig verändert haben. Der steinalte Küster, welcher mich herumführte, wollte sich noch als Knabe erinnern, dergleichen Soldaten mit langen Haarbeuteln gesehen zu haben.

Eine Viertelstunde vom Dom liegen auf einem Hügel, angränzend der Stadt, die romantischen, mit Bäumen reich überwachsenen und mit Epheu bedeckten Ruinen der Abtei von St. Mary. Man hat die nicht lobenswerthe Absicht, auf demselben Hügel,[177] dicht daneben, ein öffentliches Gebäude aufzurichten, und ist eben jetzt beschäftigt, den Grund dazu zu graben, wobei man auf die schönsten verschütteten Ueberreste der alten Abtei gestoßen ist, die kunstreiche Arbeit noch so wohl erhalten, als wenn sie erst gestern fertig geworden wäre. Ich sah mehrere herrliche Capitäle noch in der Erde, und in einem Hause daneben vorzügliche Basreliefs, die man während der Arbeit dahin gebracht hatte. Wir passirten hierauf den Fluß (die Ouse) in einem Kahn, und setzten unsere Promenade auf der Höhe der alten Stadtmauer fort, ein pittoresker, aber fast unzugänglicher Weg. Die umliegende Gegend ist äußerst frisch und grün, und die vielen gothischen Thürme und Kirchen geben ihr viel Abwechslung und bieten herrliche Prospekte dar. Nach einer Viertelstunde Wegs erreichten wir das sogenannte Micklethor, von dem der alte Barbecan (Seitenwerk) so eben abgerissen worden ist, welches aber im Uebrigen noch seine ursprüngliche Form ganz beibehalten hat. Die bunten und vergoldeten Wappen von York und England glänzten ritterlich darüber in der Sonne. Auf einem nahen Felde hat man vor fünfzehn Jahren ein römisches Grab entdeckt, und der Hausbesitzer, der es gefunden hat, zeigt es jetzt Fremden für Geld in seinem Keller. Das Gewölbe, von römischen Ziegeln, ist so frisch wie möglich, und das Gerippe im Steinsarge darunter, welches die Zeit dunkelbraun gefärbt, ist nach Aussage der Anatomen eine junge Frau, und was nach zweitausend Jahren viel sagen will, sie hat noch einige [178] beaux restes – nämlich herrliche Zähne, und dazu einen der schönsten cranologischen Schädel. Ich untersuchte ihre Organe sorgfältig, und fand die wünschenswerthesten Eigenschaften, ja in solchem Maße, daß ich es sehr bedauerte, sie zweitausend Jahre zu spät kennen gelernt zu haben, sonst hätte ich sie geheirathet. Einen besser organisirten Schädel finde ich gewiß nie. Reich scheint sie indessen nicht gewesen zu seyn, denn es haben sich nur zwei Glas-Flacons in ihrem steinernen Sarge gefunden – an sich jedoch höchst merkwürdige Gegenstände, deren Gleichen man, so vollkommen erhalten und unserm Glase so ähnlich, so viel ich weiß, außer Pompeji noch nirgends angetroffen. Das Glas unterscheidet sich von unserm nur durch einen silberartigen Schein, und hat, was am meisten auffällt, nirgends eine Marke, die anzeigt, daß es geblasen sey, welche Marke man bei allen unsern ungeschliffenen Gläsern nicht verbergen kann. Die Direktion des Londoner Museums hat dem Besitzer schon große Summen für diese Gläser geboten. Er findet es aber vortheilhafter, für einen Thaler unseres Geldes die Merkwürdigkeit Fremden zu zeigen.

Nachdem wir zum Micklethor zurückgekehrt waren, ging es nun noch mühsamer auf der zerbröckelten Stadtmauer weiter, bis wir nach halbstündigem Klettern eine schöne Ruine, Cliffords Thurm genannt, erreichten. Dieser alte feste Thurm spielt eine Rolle in der englischen Geschichte. Einmal unter andern wurden tausend Juden, bis auf Einen[179] darin verbrannt, die heut zu Tage Rothschild wohl gerettet haben würde. Zuletzt flog Cliffords Tower als Pulverthurm vor hundert Jahren in die Luft, und ist seitdem dem Saturn, der alten fressenden Zeit, gänzlich verfallen. Doch die Zeit reißt ein, baut aber auch auf, daher stürzten die Trümmer zwar zusammen, aber Epheu umschloß sie wieder wie dichter Haarwuchs, in dem Tausende von Sperlingen nisten, und in der Mitte des hohen Thurmes ist sogar ein stolzer Nußbaum emporgewachsen, dessen Krone bereits viele Fuß über die dachlosen Mauern hervorragt. Der Hügel, auf dem die Ruine steht, soll von den Römern aufgefahren worden seyn, und ein Mann, der kürzlich um Schätze zu suchen einen Schacht durcharbeitete, fand den ganzen Fuß des Berges fast ganz aus Menschen- und Pferde-Knochen bestehend. So ist die Erde, überall ein großes Grab und eine große Wiege!

Von Ruinen und Todten begab ich mich zu den lebendig Todten, die zu den Füßen des Thurmes schmachten; den armen Gefangenen in den Grafschaftsgefängnissen. Aeußerlich scheint ihre Wohnung zwar ein Palast. Innerlich sieht es aber anders aus, und die armen Teufel dauerten mich herzlich, die in zwar reinlichen aber doch schauerlichen und naßkalten Zellen hier den ganzen Winter hindurch, bis Monat März, blos Verdachts wegen, sitzen müssen, mit der angenehmen Perspektive, dann vielleicht gehangen zu werden. Keine Entschädigung erwartet sie, wenn sie frei gesprochen werden sollten! Im Hofe, wo die[180] Schuldner herumgehen dürfen, weideten zugleich in ihrer Gesellschaft zwei Jagdpferde, eine Hirschkuh und ein Esel. In allen Räumen und Zellen, die ich besuchte, fand ich Ordnung und Reinlichkeit gleich lobenswerth. Die merkwürdigste Eigenthümlichkeit dieser Gefängnisse aber ist eine Art Diebes-Garderobe, mit wahrer Eleganz, wie eine Theater-Garderobe aufgestellt. Ein stark mit Wein überladener Gefangenwärter stammelte folgende Erklärungen her:

»Hier sehen Sie die Perrücke des berühmten Granby, die ihn so verstellte, daß er zehn Jahre lang nicht attrapirt werden konnte. Wurde hier gehangen 1786. Hier der Zaunpfahl, mit dem Georg Nayler vor zwei Jahren auf dem Wege nach Duncaster erschlagen wurde. Delinquent wurde letztes Frühjahr hier gehangen. – Der Knockdown (Schlagnieder) von Steffens, womit er sechs Leute auf einmal umgebracht. Wurde vor zwei Jahren ebenfalls hier gehangen. – Die ungeheuren eisernen Schienen, mit denen Kirkpatrick allein festgehalten werden konnte. Siebenmal entwischte er vorher aus den festesten Gefängnissen. Aber diese Schienen, die ich ihm selber noch angelegt, die waren ihm doch ein bischen zu gewichtig. (Es waren complette eiserne Balken, die ein Pferd kaum hätte fortschleppen können.) Er trug sie nicht lange, denn zwei Monate darauf wurde er, gerade am ersten Mai, an einem herrlichen Tage, gen Himmel expedirt. – Hier die Maschine, mit der Cork falsche Guineen gestempelt. War ein sehr anständiger Gentleman. Gehangen 1810.« – Bitte, unterbrach[181] ich ihn hier, was für eine Waffe war dieser riesengroße hölzerne Schlegel? – »O, schmunzelte der alte Kerl schwankend, die ist unschuldig, he he, das ist nur mein Zuckerschlegel, wenn ich Nigus mache, he he, den habe ich mir hier nur so parat gestellt.« Die Garderobe befand sich auch immediat neben seiner Wohnstube, und schien eine Liebhabersammlung, die seinem eigenen Eifer allein ihr Entstehen verdankte. Wie verschieden sind doch die Steckenpferde der Menschen! Ich fürchte, Du bist bereits müde von der langen Promenade, liebe Julie, mußt mir aber doch noch ein wenig weiter folgen, ja aus der Tiefe geht es sogar wieder mühsam bis zur höchsten Höhe hinauf. Ich wünschte nämlich das ganze Amphitheater meiner bisherigen Tour nebst dem prächtigen Münster, auf einen Blick zu übersehen, und wählte mir dazu einen gothischen Thurm von den schönsten Proportionen aus. Er ist von oben bis unten von kunstreicher durchbrochener Arbeit, und hinter dem transparenten Gewebe hatte ich mit meinem Operngucker schon von fern Leitern bis oben hinauf entdeckt, die mich sehr reizten, sie zu besteigen. Nach einem derben Marsch, auf dem wir ein altes Stadtthor berührten, das Adelsthor genannt, welches seit fünfzig Jahren vermauert war, und nun wieder geöffnet worden ist, um zur Passage für den neuen Viehmarkt zu dienen, der sehr elegant und zweckmäßig mit drei Reihen Bogen für Schaafe, Rindvieh und Pferden versehen ist, gelangten wir endlich zu besagtem Thurme, eine Zierde der ältesten Kirche in York. Es[182] machte einige Mühe, den Küster zu finden, einen schwarzen Mann, der mehr einem schmutzigen Köhler, als einem geistlichen Offizianten ähnlich sah, sich aber dabei doch voller guten Willens zeigte. Ich frug, ob man auf die mit herrlichen Galerien gezierte Spitze des Thurmes gelangen könne? Das weiß ich nicht, war die Antwort, denn ich bin selbst nie oben gewesen, obgleich ich schon zehn Jahre Küster bin. Es sind blos alte Leitern da, und oben fehlt ein Stück daran, es wird also wohl nicht gehen. Dies befeuerte meinen abenteuerlichen Tik, und ich eilte ohne Zögern thurmaufwärts auf der schlechtesten, dunkelsten, engsten und verwittertsten Wendeltreppe, die man sich denken kann. In Kurzem erreichten wir die Leitern. Wir bestiegen sie ohne Aufenthalt, und kamen auf die erste Plattform. Hier aber bedankte sich schon Küster und Lohnbedienter weiter zu klettern. Eine hohe und allerdings sehr schwankende Leiter mit vielen fehlenden Sprossen führte zur Spitze, wo oben, ungefähr sechs Fuß weit, die Sprossen ganz fehlten, bis zu einem viereckigen Loch, durch welches man auf das platte Dach hinaus gelangte. Ich mochte nun nicht mehr unverrichteter Sache zurückgehen, kletterte fort, war bald oben, erreichte mit den Händen den Rand der obern Oeffnung, und schwang mich, mit einiger Mühe, glücklich hinauf. Die Aussicht war in der That prächtig, und ganz nach Wunsch erreichte ich besonders meinen Hauptzweck, den unten so sehr von Häusern encombrirten Dom nun völlig frei, in aller seiner colossalen Majestät gleich einem[183] Kriegsschiff unter Kähnen vor mir zu sehen. Der Wind sauste aber fürchterlich in der Höhe, und alles war hier so sehr im Absterben begriffen, daß die steinernen Spitzen der Candelabres in den Ecken der Gallerie, wie diese selbst bereits zum Theil eingestürzt waren, die noch stehenden aber sich wie Schiefer abblätterten, auch die Eisen, welche sie zusammenhielten, so locker und verrostet waren, daß im Winde die ganze Plateforme zu schwanken schien. Nach und nach wurde mir in dem fortwährenden Sturme unheimlich zu Muthe. Ich begann also den Rückzug, fand aber das Herunterkommen weit schwerer als das Hinaufklimmen, wie es immer bei solchen Gelegenheiten der Fall ist. Nur muß man sich den entmuthigenden Gedanken keinen Augenblick überlassen, das beste und einzige Mittel, wenn man, wie die Engländer sagen »nervous« zu werden anfängt. Indem ich mich also rückwärts nach der Leiter gewendet, fest an die Balken anklammerte, ließ ich mich in die Tiefe unter mir hinab und suchte, an den Armen hängend und meine Beine wie Fühlhörner ausstreckend, emsig die oberste Stufe – sehr froh als ich endlich festen Fuß faßte. Unten angekommen erschien ich eben so schwarz als der Küster.

Unterdessen war es Zeit zum Abend-Gottesdienst im Dom geworden, wo die größte Orgel Englands und eine ausgewählte Musik, mir in dem herrlichen Lokal einen schönen Ausruhepunkt verhieß. Ich eilte schnell dahin, und verträumte bald eine süße halbe Stunde unter der Töne Gewalt und[184] Zartheit, denn als Tyrann der Musik, wie Heinze sie nennt, rollte die Orgel dröhnend durch die unermeßlichen Hallen, und sanft wie Frühlingshauch beruhigten wieder die Stimmen lieblicher Kinder das aufgeschreckte Gemüth.

Halb schon in der Dämmerung besuchte ich nachher noch die goldne Stadthalle, das Rathhaus, wo der Lord Mayor (nur London und York haben Lord Mayors) dreimal die Woche Gericht hält, und auch die dreimonatlichen Assisen statt finden. Es ist ein altes und schönes gothisches Gebäude. Daneben sind, neu aufgeführt, zwei Säle für die obern und untern Advokaten. In dem der obern sind in modernem bunten Glas die Wappen aller Lord Mayors in den Fenstern angebracht, denn jeder Handwerksmann hat hier ein Wappen. Gewöhnlich sieht man auch schon aus dem Inhalt desselben, weß Geistes Kind der Besitzer ist; der Kaufmann hat ein Schiff, der Holzhändler einen Balken, der Schuster einen Leisten etc. Die Devisen dazu fand ich aber zu vornehm gewählt. Am besten hätten sie für die drei angeführten ohne Zweifel gepaßt, für die ersten das Lieblingslied der Berliner Straßenjugend: »O fliege mein Schifflein, o fliege!« beim Zweiten: »Sieh nicht den Splitter in des Fremden Auge, indem Du den Balken in Deinem eignen übersiehst.« Beim Dritten endlich: »Schuster bleib bei deinem Leisten!« Das letzte aber wäre freilich zu schwierig für einen Lord Mayor![185]

Ich habe nun das gehörige Gleichgewicht hergestellt, d.h. meine Hände sind eben so müde vom Schreiben, als meine Beine vom Gehen. Es ist Zeit, dem Magen auch einige Arbeit zu gönnen. Wäre ich Walter Scott, so gäbe ich Dir den Küchenzettel, so aber wage ich es nicht, statt dessen lieber noch ein Wort über die Nachtisch-Lektüre, zu der mir wiederum die berühmte Maintenon gedient.

Es rührte mich, wie die arme Frau das traurige Einerlei, die bittere Géne ihrer Lage so treu schildert, und sich so oft und herzlich, mit unverkennbarer Wahrheit, nach dem Abtreten von diesem Theater sehnt, das wie sie sagt, schlimmer wie jedes andere, von Morgen bis Abend dauert! Unter aller Pracht und Macht scheint ihr doch der Tod das Wünschenswertheste, und man kann sich nach so unendlich langer Leere, nach dem Aufopfern aller Eigenthümlichkeit so viele, viele Jahre hindurch, die tödtliche Ermüdung des Geistes wohl denken, die nach Erlösung schmachtet. Der religieuse Wahn, dem sie sich hingegeben, ist auch daraus erklärlicher, und lag überdem in der Zeit, die in dieser Hinsicht völlig kindisch war. Hätte ein Geist wie Frau von Maintenon später gelebt, so würden Molinisten und Jansenisten ihr kaum ein Lächeln der Verachtung abgewonnen haben, in der ihrigen war es anders. Sie bleibt in ihrer Art eine große Frau, wie Ludwig der XIV. ein großer König, in einer kleinen Zeit, die eben, weil sie klein war, die kleinen Dinge, Hof, Gesellschaft etc., weit vollkommner ausbildete[186] als die unsrige, und daher dem dichterischen Gemüth, das überall das Vollkommene, es sey klein oder groß, mit Vergnügen gewahr wird, ein immer neu anziehendes Bild darstellt.


Den 20sten.


Ich hielt heute früh die Nachlese, und besah noch die uralte Kirche All Saints, wo ich, leider in sehr schlechter Erhaltung, vortreffliche bunte Gläser antraf, besonders eine Jungfrau mit dem Christus-Kinde von einer Schönheit, und Lieblichkeit des Ausdruckes, deren Raphael sich nicht zu schämen hätte. Ferner St. Mary's alte Kirche, die ein seltsames Thor hat, auf dem eine Menge Hieroglyphen und die Zeichen des Zodiaks in Stein zierlich ausgehauen sind. Da ich den Erzbischof von York in London hatte kennen lernen, so schrieb ich ihm gestern ein Billet, und bat ihn um die Erlaubniß, seine Villa, wo er jetzt residirt, und ihm selbst meinen Besuch zu machen. Er hat mir sehr artig geantwortet, und mich gebeten, einige Tage bei ihm zu bleiben. Da ich dazu keine Lust habe, so nahm ich blos ein Diné auf heute an, und fuhr um 5 Uhr hinaus.

Ich fand einen vortrefflich gehaltnen, üppig fruchtbaren pleasure ground und ein stattliches altes gothisches Gebäude in einem ganz besondern Style, der mir sehr wohl gefiel. Es war nicht sehr groß,[187] aber äußerst elegant, und an den 4 Enden des platten Daches standen 4 colossale Adler mit ausgebreiteten Flügeln. Statt der schweren Créneaux, die nur auf ungeheuren Massen sich gut ausnehmen, lief eine durchbrochene Steinbroderie, als Galerie rund um das Dach, die sehr künstlich, leicht und reich zugleich aussah. Daß das Innere wie alles Uebrige prächtig war, kannst Du Dir bei einem Manne denken, der 40000 L. St. geistliche Revenüen hat. Der alte Erzbischof, noch ein sehr rüstiger Mann, führte mich überall herum, und unter andern auch in seinen Küchengärten und Treibhäusern, die ausgezeichnet schön sind; besonders die Küchengärten, welche überall mit Blumen geschmückt waren, und in denen alle Arten von Gemüsen und Früchten in höchster Fülle wuchsen. Dabei waren sie so reinlich, wie das eleganteste Zimmer gehalten, eine Sache, die unsre Gärtner durchaus nicht begreifen wollen; eben so die Treibhäuser. Keine Spur hier von Unordnung und Schmutz, von herumliegenden Brettern und Utensilien, Dünger an den Wegen u.s.w. An den verschiedenen Mauern sah man auf beiden Seiten die auserlesensten Fruchtbäume in symmetrischen Linien gezogen, unter andern viele Johannisbeerstämme, die durch Wegnahme aller kleinen Aeste einen solchen Wachsthum erlangt hatten, daß sie wohl 12 Fuß hoch an der Mauer in die Höhe gingen, und über und über mit Trauben behangen waren, welche kleinen Weinbeeren an Größe glichen. In den Treibhäusern, wo herrliche Ananas und Grenadillas (eine[188] westindische Frucht in Form einer kleinen Melone und von Geschmack der Granate ähnlich), üppig wuchsen, war an jedem Fenster eine verschiedene Weinsorte gezogen. Alles hing voller Früchte. Die Bäume an den Mauern im Freyen, deren ich vorhin erwähnte, waren mit Netzen verhangen, und werden später mit Matten zugedeckt, so daß man bis Ende Januar reife Früchte davon pflücken kann. So war auch noch jetzt eine Stelle im Garten voll reifer Erdbeeren von einer besondern Sorte, und der Erzbischof versicherte, er erhalte diese ebenfalls bis im Januar im Freien. Als ein neues Gemüse von besonders gutem Geschmack zeigte er mir normännische Kresse, die auf dem Schnee abgeschnitten wird.

Die Menge der noch blühenden Blumen, welche überall die Gänge und Gemüsebeete umgaben, war auffallend. Ich weiß zwar, daß das Klima die Gärtner hier sehr begünstigt, demohngeachtet müssen sie vor den unsrigen noch andere Vortheile in der Behandlung der Blumen voraus haben.

Im pleasure ground fand ich Lerchenbäume, die nicht nur riesenmäßig groß waren, sondern auch so dunkel im Laub wie Fichten, und ihre herabhängenden Aeste wohl 20 Fuß weit umher auf dem Rasen ausbreiteten. Wie ich hier zum erstenmale hörte, hält man es für die Nadelhölzer sehr heilsam, wenn ihre Aeste die feuchte Erde berühren können, weil sie durch diese ungemein viel Nahrung einsaugen sollen.[189]

Ein ächt Erzbischöfliches Diné beschloß den angenehmen Abend. Dabei fiel mir das Verhältniß der vornehmen englischen Geistlichen zu ihren Weibern wieder recht sonderbar auf. Ich sagte Dir, glaub' ich, schon, daß diese weder den Titel noch Namen ihrer Männer tragen, sondern, wie bloße Freundinnen, blos den ihrigen behalten. Die hiesige Dame des Hauses war indeß eine Lady in her own right von angesehener Familie und dabei eine sehr artige Frau. Sie hat 10 Söhne und 3 Töchter. Von den letzten befand sich nur eine zugegen, ohngefähr 20 Jahre alt, die ein bei Weibern seltnes Unglück gehabt hat, nämlich ein Bein zu verlieren, das man ihr nach einem Falle vom Pferde abnehmen mußte. Die Kleidung versteckt aber bei einer Frau diesen Mangel weit besser als bei einem Manne, und ich bemerkte nicht einmal einen gehinderten Gang an ihr, ehe ich davon unterrichtet war.


Scarborough den 21sten.


Ich vergaß gestern einer drolligen Geschichte zu erwähnen, die bei Tische erzählt wurde, und gewiß das stärkste Beispiel von Distraktion aufstellt, welches Du, den sich köpfenden Irländer abgerechnet, noch gehört haben wirst. Lord Seaford erzählte von seinem Onkel dem alten Grafen von Warwick, der schon früher wegen seiner Zerstreutheit berühmt war, daß er einst in einem wichtigen Geschäft von Warwick[190] Castle Abends nach London reiste, dieses dort den andern Tag zu seiner Zufriedenheit beendigte und in der Nacht wieder zurückfuhr. Als er in Warwick ankam, fiel er in Ohnmacht. Alles erschrak und frug den Kammerdiener, ob sein Herr schon in London krank gewesen sey. Nein, sagte dieser, er ist ganz wohl, aber ich glaube, Gott verzeih mir, er hat, seit er weg ist, vergessen – zu essen. Dies war auch wirklich der Fall, und ein Teller Suppe, den man sofort Seiner Herrlichkeit applizirte, brachte schnell Alles wieder in die gewohnte Ordnung.

Ich schreibe Dir aus einem Seebade, das sehr romantisch seyn soll. Ich selbst weiß zwar nichts davon, denn es war stockfinster als ich ankam. Morgen früh habe ich dagegen alle Hoffnung auf die schönste Aus sicht, da ich im 4ten Stock logire, weil das ganze Haus schon besetzt ist.

Während der Reise hierher besah ich das Schloß Howard, dem Lord Carlisle gehörig. Es ist dieß einer der englischen shewplaces, (Schau- und Paradeplätze) gefällt mir aber nicht im Geringsten. Schloß Howard stammt von Sir Vanburgh her, demselben Baumeister, aus Ludwig XIVten Zeit, der in dem gleichen schlechten französischen Geschmack Blenheim gebaut hat. Dieses imponirt jedoch durch seine Masse, dagegen Schloß Howard weder imponirt noch anmuthig erscheint. Dabei hat der ganze Park etwas höchst Trauriges, Steifes und Desolates. Auf einem Berge steht ein großer Tempel, das Erbbegräbniß der[191] Familie. Die Särge sind in Zellen rund herum vertheilt, die meisten noch leer, so daß das Ganze inwendig wie ein Bienenstock aussieht, nur freilich stiller! Im Schloß befinden sich schöne Gemälde und Antiken. Unter den ersten sind besonders die sogenannten 3 Marieen von Annibal Carrache berühmt. Es stellt dieses Gemälde den todten Christus dar, hinter welchem seine Mutter Marie in Ohnmacht gesunken ist. Die Großmutter Marie eilt klagend herbei, und Marie Magdalene stürzt sich verzweifelnd über den Leichnam. Die Abstufung zwischen dem wirklichen Tode, der bloßen Ohnmacht, dem matten Schmerz des Alters, und der lebendigen Verzweiflung der Jugend ist bewunderungswürdig wahr dargestellt. Jedes Glied an Christus Körper erscheint wahrhaft todt; man sieht, diese Form hat für immer ausgedient, bewegungslos, kalt und starr. Alles dagegen ist Bewegung und Leben an der schönen Magdalene, bis auf die Haare selbst, möchte ich sagen, alles Lebenskraft und Fülle, aufgeregt im bittersten Jammer. Gegenüber hängt Annibals Bild von ihm selbst gemalt. Es zeigt sehr auffallende Züge, und sieht einem verwegnen Highwayman ähnlicher als einem Künstler. Dich liebe Julie würde eine Sammlung Handzeichnungen aus der Zeit Franz des I., die sämmtlichen Herren und Damen seines Hofes, in 50–60 Portraits, am meisten angezogen haben. Es waren gemalte Memoires. Unter den Antiken amüsirte mich eine der Capitol-Gänse von Bronze, die man mit aufgehobenen Flügeln und aufgesperrten[192] Schnabel schnattern zu hören glaubt. Ein vortrefflich erhaltenes Bild Heinrich VIII. von Holbein ist der Erwähnung werth, sonst fiel mir eben nichts besonders auf. Der bekannte heilige Johannes von Domenechino befindet sich auch hier, angeblich als Original. Wenn ich nicht irre, ist das ächte jedoch in Deutschland. Der Park, in großen Massen steif gepflanzt, ist besonders reich an Thorwegen. Ich kam durch 7, sage Sieben, ehe ich das Schloß erreichte. Ueber eine schmutzige Wasserlache, ohnfern dem Schloß, führt eine große Steinbrücke mit fünf oder sechs Bogen, über die Brücke jedoch kein Weg! Sie dient blos als Prospekt, und damit man dies recht genau gewahr werde, ist auch nicht ein Strauch daneben, oder davor gepflanzt. Es scheint, daß die ganze Anlage völlig so geblieben ist, als sie vor 120 Jahren gestiftet wurde, mit allen ihren Alleen, Quinconcen etc. Obelisken und Pyramiden sind wie Pilze darin aufgewachsen, denn jede Aussicht bietet dergleichen als harten Endpunkt. Die eine Pyramide ist indessen wenigstens nützlich, denn sie ist zugleich ein Gasthof.


Den 22sten.


Wenn die Leute in England so oft an Erkältungen und Schwindsucht sterben, so liegt es noch mehr an ihren Gewohnheiten als an dem Clima. Spaziergänge auf dem nassen Rasen sind die beliebtesten,[193] und in jedem öffentlichen Zimmer sind beständig mehrere Fenster offen, so daß man es vor Zug kaum aushalten kann. Auch wenn sie zugemacht sind, pfeift der Wind doch hindurch, denn selten sind sie dicht und nie doppelt. Das Clima selbst ist aber auch, so gut es die Vegetation unterstützt, für Menschen abscheulich. Heute ritt ich bei dem schönsten Wetter und klarstem Himmel, auf einem Miethgaul, um 9 Uhr früh aus, und war noch keine Stunde fort, als mich schon der schrecklichste Platzregen überfiel, und durch und durch badete. Endlich erreichte ich ein Dorf, wo ich, in der Verzweiflung, nirgends einen Thorweg zum Unterreiten zu finden, vom Pferde absprang, und in eine Stube zu ebner Erde eindrang, deren Thür offen stand, und wo zwei uralte Weiber etwas am Kamine brauten. In England wird alles Häusliche so heilig gehalten, daß ein Mensch, der in eine fremde Stube tritt, ohne sorgfältig vorher sich annoncirt und um Erlaubniß gebeten zu haben, stets Schrecken und Unwillen erregt. Auch ich wurde daher, ohngeachtet die Ursache meines Eindringens deutlich genug von meinem Hut und Kleidernrann, nicht zum besten von den alten Damen empfangen, deren Rang höchstens dem einer Schusters- oder Tischlers-Frau gleich seyn mochte; nichts aber malt das Entsetzen und den ohnmächtigen Zorn meiner Wirthinnen malgré elles, als, kaum daß ich beim Feuer angelangt war, der Miethgaul, dessen Klugheit Nestor Ehre gemacht haben würde, sich ebenfalls durch die Thüre drängte, und ehe man[194] ihm wehren konnte, höchst ruhig und anständig beim Kamine stand, um mit einer schalkhaft dummen Miene seine triefenden Ohren am Feuer zu trocknen. Die beiden alten Hexen wollten vergehen vor Wuth, ich vor Lachen. Mit Gewalt sollte ich nun das Thier wieder herausbringen – mir aber that der arme Gefährte zu leid, selbst wagten sie nicht Hand an ihn zu legen, und unter Schelten und Schmähen, was ich, so gut ich konnte, durch süße Worte und einen Schilling zu besänftigen suchte, blieben wir so, halb bittend, halb gewaltsam, beide glücklich in der Stube, bis wir ein wenig trockener geworden waren, und die Bouraske aufgehört hatte. Das Trockenwerden half indeß nicht viel, denn beim Eintritt in das romantische Forge-Valley fingen Sturm und Regen von neuem zu toben an. Ich ergab mich in mein Schicksal, obgleich ohne alle Schutzmittel, und tröstete mich mit den Schönheiten der Umgebung, ein enges hohes, mit üppigem Wald bewachsenes Thal, in dem ein reißender Waldbach sich schäumend seinen Weg bahnte. An dem Bache hin führte eine bequeme Straße. Ich bemerkte unterwegs eine einfache und hübsche Art, einen Quell zu fassen, blos durch zwei große gesprengte Steine mit einem noch größern quer darüber gelegt, unter welcher Pforte das Wasser sprudelnd hervorströmte.

Um einer Verkältung wo möglich zu begegnen, nahm ich bei meiner Zuhausekunft ein warmes Seebad, und begab mich dann auf den Sand, d.h.[195] auf die Stelle, wo das Meer bei der Ebbe zurücktritt, eine sehr eigenthümliche Promenade. Reitpferde und Wagen stehen darauf in Menge zum Miethen bereit, und man kann mehrere Meilen, hart am Saum der Wellen, auf einem Boden zart wie Sammt dahinreiten. Das alte Schloß von Scarborough auf der einen Seite, und eine prächtige eiserne Brücke, die zwei Berge verbindet, auf der andern, erhöhen das Pittoreske des Anblicks. Ich ritt nachher bei der Abendsonne Schein auch noch auf das Schloß hinauf, von dem die Aussicht prächtig ist, und das eine imposante Ruine bildet. Hier wurde Gaveston, der Günstling Eduard II., vom Grafen Warwick, dessen Grab ich Dir auf meiner ersten Landtour beschrieb, gefangen, und schnell zur Hinrichtung nach seinem Schlosse abgeführt.

Auf dem höchsten Punkte der Ruine steht ein eisernes Behältniß, wie ein Kiehnkorb construirt, das zu Signalen dient. Es wird eine große Tonne Theer hineingesetzt und angezündet. Sie brennt dann in hohen, lodernden Flammen die ganze Nacht. Das Schloß steht auf einem weit in die See hervortretenden Felsen, der circa 150–200 Fuß senkrecht aus der See emporsteigt, und oben neben dem Schloß auf seiner Oberfläche noch eine schöne Wiese bildet.


[196] Den 23sten.


Meine heutige Excursion führte mich an der Seeküste hin nach Filey, wo eine berühmte Felsenbrücke von der Natur selbst in das Meer hineingebaut worden ist. Derselbe Miethgaul, eine Stute ihres Geschlechts, den ich gestern ritt, zog mich heute in einem ziemlich gut conditionirten Gig. Das Meer war schön blau und voller Segel. In Filey, einem Fischerdorf, nahm ich einen Führer, und eilte auf dem festen Meersande der Brücke zu. Wir kamen bei vielen seltsam gestalteten Felsen vorüber, hie und da lag auf einer Spitze ein Fisch in der Sonne, der bei der Ebbe sitzen geblieben, und dort lebendig geröstet worden war; manche Hohlungen in Stein fand ich mit einer Unzahl kleiner Muscheln angefüllt, die von weitem Thonkugeln glichen. Die Brücke selbst ist eigentlich nur ein breites Felsenriff, welches eine halbe Virtelstunde in das Meer hinausgeht. Seltsam sind die einzelnen Blöcke in phantastischen Figuren durcheinander geworfen, und man muß sich sehr in Acht nehmen, nicht von ihren schlüpfrigen Kanten hinabzugleiten. Die Fluth kam bereits heran, und deckte schon einen Theil des Riffs. Nachdem ich alles hinlänglich betrachtet, kletterte ich an den Uferfelsen ziemlich beschwerlich hinan, um den Rückweg oben zu nehmen, wo ein angenehmer Wiesenweg mich bald zum nahen Gasthof brachte, in dem mein Fuhrwerk mich erwartete.


[197] Flamboroughhead den 24sten Abends.


Entfernungen werden hier ganz anders calculirt als bei uns. Meine ehrwürdige Matrone brachte mich heute, fünf deutsche Meilen weit, bequem in zwei Stunden hierher. Kaum angekommen, miethete ich ein anderes Pferd, um den noch 11/2 deutsche Meile weiter entfernten Leuchtthurm und die Felsenhöhlen zu erreichen, welche Flamboroughhead merkwürdig machen. Es war das schönste Wetter geworden, und dabei sehr windig, so daß ich diesmal wenigstens gewiß hoffte, ungenäßt zu bleiben, – ich irrte mich aber sehr, denn kaum bei den Meerfelsen angelangt, bekam ich nicht nur den obligaten Platzregen, sondern diesmal noch eine Zugabe, nämlich ein derbes Gewitter. Dies war jedoch eine angenehme Veränderung, denn Donner und Blitz nahmen sich auf der Spitze der Kalkfelsen, senkrecht über dem schäumenden Meer, vortrefflich aus. Der Douanier, welcher mich begleitete (es ist eine Station dieser Leute hier neben dem Leuchtthurm), brachte mir, den nur ein leichter Frack schützte, zwar sehr gefällig einen Regenschirm, der Sturm erlaubte aber nicht, auf dem gefährlichen und schlüpfrigen Wege über den Abgrund sich desselben zu bedienen. Das Meer hat die Kalkfelsen hier so unter- und ausgewaschen, daß viele thurmartige Pfeiler ganz einzeln im Wasser stehen, welche in ihrer blendenden Weiße, durch den schwarzen Himmel noch greller gemacht, riesenhaften Seegespenstern gliechen, in weite Leichentücher gehüllt.[198] Außerdem gibt es eine große Menge Höhlen von verschiedener Größe, zu denen man während der Ebbe trocknen Fußes gelangen kann. Jetzt war indeß grade hohe Fluth, und ich mußte ein Fischerboot benützen, was glücklicherweise sich dort eben aufhielt, um zu der größten der Höhlen zu fahren. Der frischen Luft wegen ruderte ich den ganzen Weg tapfer mit, und fand diese Bewegung, die ich heute zum erstenmal versuchte, so angenehm, daß ich sie künftig so oft als möglich wiederholen will. Die See ging so hoch, daß ich an Gefahr glaubte, und dem Fischer dies äußerte. Er antwortete ganz poetisch: »O Herr! glaubt Ihr, daß mir das Leben nicht eben so süß ist als Euch, weil ich nur ein armer Fischer bin? Bis an die Höhle ist keine Gefahr, aber hinein dürfen wir heute nicht.« Ich warf also nur einige Blicke in den ungeheuern Thorweg, wo der Meeresschaum unter dem Heulen der Wellen, wie Rauch emporwirbelnd, umherspritzte. Da mich der Fischer versicherte, daß man sich vom Seewasser nie erkälte, so tauchte ich meine nassen Glieder nochmals in die grüne Salzfluth, und bestieg dann mein Roß, um dem Leuchtthurm zuzureiten. Dieser war mir um so interessanter, da ich nur einen sehr unvollkommenen Begriff von der Construktion dieser Thürme hatte. Er hat oben einen Aufsatz von Glas wie ein Treibhaus, in dessen Mitte an einer eisernen Stange 21 Lampen im Cirkel umher befestigt sind, die sich durch eine Art Uhrwerk immerwährend langsam drehen. Alle diese Lampen sind mit großen, inwendig stark[199] mit Silber plattirten, stets mit höchster Reinlichkeit geputzten Reflectoren versehen, und sieben davon haben außerdem eine Scheibe rothes Glas vor sich, welches in Newcastle gemacht wird, und dem alten Rubinglas fast ganz gleich kömmt. Dies hat den Zweck, das Licht des Leuchtthurms so zu wechseln, daß es in der Ferne bald roth bald weiß erscheint, und dadurch, von den Schiffen aus, von jedem andern Licht ohne Mühe unterschieden wird. Die Lampen werden mit Oel gespeist, das so rein wie Wein ist, und von dem ein ganzer Keller voll Fässer stets im Vorrath bleibt. Eben so ist der ganze Apparat doppelt vorhanden, um bei einem Zufall das Beschädigte auf der Stelle ersetzen zu können. Die Lampen bilden zwei Kreise übereinander, unten 12, oben 9.

Ich bemerkte einen Tisch zum Putzen der Lampen, der mir sehr zweckmäßig schien, um das Springen der Gläser zu verhindern. Die obere Platte ist von Eisenblech, mit mehreren Nischen und Löchern neben einander, um die Gläser hineinzustellen. Auf einer Platte darunter steht ein Kohlfeuer. Diese Vorrichtung darunter hat den doppelten Nutzen, einmal daß die Gläser gleich in eine sichere Lage kommen, zweitens daß sie nicht leicht springen, da fortwährend das Blech in gelinder Wärme erhalten wird.

Eine Gelegenheit, die ich hier finde, diesen Brief sicher nach London an die Gesandtschaft zu spediren,[200] erlaubt mir meinen Reisebericht zu theilen. Ich schließe daher für diesmal, immer mit der Bedingung, wie Sheherazade morgen wieder anzufangen. Also sans adieu.

Dein L.

Quelle:
[Hermann von Pückler Muskau]: Briefe eines Verstorbenen. Dritter und Vierter Theil: Ein fragmentarisches Tagebuch aus Deutschland, Holland und England geschrieben in den Jahren 1826, 1827 und 1828, Band 4, Stuttgart 1831, S. 164-201.
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