Drei und zwanzigster Brief.

[343] London, den 24. März.


Geliebte Freundin!


Zu den aristokratischesten Abendgesellschaften gehören die Concerts eines der liberalsten Mitglieder der Opposition, des Lord L.., eine Anomalie, die man hier oft findet, wo ein gewisser allgemeiner Liberalismus mit dem einseitigsten Adelstolz und Dünkel Hand in Hand geht, und der stolzeste Mann in seinem Hause, im öffentlichen Leben den Ruf des populärsten besitzt.

Recht amüsante Feste gibt auch eine Herzogin, welche es seit so Kurzem ist, daß sie von den Exclusivs noch zu den Plebejern gerechnet wird. Ein solches fand heute statt, wo zu gleicher Zeit im obern Stock ein vortreffliches Concert, im zweiten ein Ball statt fand, während im untern fortwährend gespeist wurde. Bei dem vorangehenden Diné servirten, nach dem Beispiel eines andern fashionablen Herzogs, die Bedienten[344] in weißen Glacéhandschuhen, was mir das Fest verleidete, da ich mich von dem Gedanken an Lazareth und Kr ... dabei nicht los machen konnte.

Reichhaltiger in geistiger Hinsicht war meine gestrige Mittagsmahlzeit bei'm Herzog von Sommersett, einem sehr vielseitig gebildeten Manne. Ueber Tisch erzählte der bekannte Parlamentsredner H ... seltsame Dinge. Unter andern versicherte er, kürzlich Mitglied einer Commission der Regierung gewesen zu seyn, um die Einverständnisse der Polizei mit den Verbrechern, über die man so viel geklagt, zu ergründen. Dabei sey denn herausgekommen, daß in London eine Gesellschaft, völlig wie eine Behörde organisirt, mit bureaux Clerks etc. existire, welche Diebstähle und Falschmünzerei im Großen dirigire, die Ertappten unterstütze, sowohl zu Angriff als Verteidigung mächtige Hülfe gewähre, dafür aber auch ihren bestimmten Antheil erhielte. An der Spitze stünden nicht nur mehrere angesehene Leute und Parlamentsglieder, sondern sogar ein wohlbekannter Lord und Pair im Oberhause! Die Beweise wären der Art, daß man durchaus nicht daran zweifeln könne, das Ministerium sey aber bis jetzt der Meinung, um den entsetzlichen Skandal zu vermeiden, die Sache lieber fallen zu lassen. Man sieht, daß in den freien Ländern doch auch Dinge vorgehen, von denen man sich bei uns nichts träumen läßt!

Ein Naturforscher theilte uns nachher eine Vorlesung über die Kröten mit, welche mir, jedes in seiner Sphäre, eben so seltsam als das vorhergehende[345] vorkam. Bei einem wissenschaftlichen Artikel, wie dieser, mußt Du einige freie Ausdrücke nicht zu genau nehmen. Er sagte also, daß die Kröten die wollüstigsten aller Geschöpfe seyen, wozu ihnen auch die Natur besonderen Vorschub geleistet, indem sie ihnen die Fakultät ertheilt, sich bloß durch die Vorderfüße fortzupflanzen. Fänden die männlichen Kröten zufällig keine weiblichen, so setzten sie sich in den Teichen auf Karpfen, fixirten ihre Hände auf die Augen derselben, und blieben oft so lange darauf hängen, daß die Fische davon blind würden, ein Experiment, welches der Naturkundige selbst beobachtet haben wollte, und es witzelnd »blinde Liebe« nannte.


Den 27sten.


Ich komme eben vom Lever zurück, das diesmal sehr zahlreich war. Der König mußte wegen seines Podagras sitzen, sah aber sonst sehr wohl aus. Herzog Wellington dankte für die Erhebung zur Stelle des Premierministers, indem er auf beide Kniee vor dem König niederfiel, statt daß man sonst nur eins zur Erde zu bringen pflegt. Er verdoppelte wahrscheinlich die Dankbarkeit wegen seiner doppelten Eigenschaft als erster Minister und früherer General en chef, wie ihn auch die Carrikaturen darstellen, nämlich die linke Hälfte seines Körpers als Hofmann bekleidet, die rechte als Feldmarschall, aber mit beiden Augen lachend. Da, ausser den großen Entreen, beinahe[346] Jedermann zu den Levers zugelassen wird, sowohl Herren als Damen, wenn sie nur im vorgeschriebenen Costüme erscheinen, so gibt es für den Liebhaber von Carrikaturen keine bessere Ausbeute in England, weil eben die ungewohnte Kleidung und der eben so ungewohnte königliche Glanz die nationelle Verlegenheit und Unbeholfenheit auf das Burleskeste steigern. Unsre liebenswürdigen und routinirten Hofdamen würden oft dabei ihren eigenen Augen zum erstenmal mißtrauen.

Sobald ich mich umgezogen, ritt ich im schönsten Frühlingswetter im immer einsamen Regentspark spazieren, wo hundert Mandelbäume blühen, und besah mir die dort angelegte neue Menagerie, welche ein sehr nachahmungswerthes Muster für dergleichen abgibt. Es ist nichts Ueberladenes darin, und dabei eine Reinlichkeit, die man gewiß nur in England so zu realisiren im Stande ist. Ich sah hier ein seltenes und zugleich eins der schönsten Thiere, die es gibt, die Tigerkatze, ein wahres Prachtexemplar von Eleganz unter den Quadrupeden.

Beim Marquis Thomond, einem irländischen Pair, erwartete mich darauf ein großes Diné, bei welchem ich die Bekanntschaft des allerentschiedensten Torys in England, des Herzogs von N. machte. Ich muß gestehen, er sah nicht wie ein Genie aus, und die ganze Gesellschaft war so steif englisch, daß ich mich herzlich freute, neben der Prinzessin P ... zu sitzen, deren gutmüthiges Ultra-Geplauder mir heute so angenehm vorkam, als wäre es das geistreichste gewesen.[347]

Den Abend schloß ich auf einem Ball bei'm Marschall Beresford, zu Ehren der Marquise von Luley, Schwester Don Miguels, die sich aber nicht wenig zu ennuyieren schien, da sie nur portugiesisch spricht, und daher ausser dem Wirth nicht mit Vielen reden konnte.

Der Marschall selbst ist ein interessanter, imposant aussehender Krieger, gegen den der Partheigeist sich sehr ungerecht äußert. Er ist bei sehr einnehmenden Manieren zugleich ein Mann von durchgreifendem Charakter, wie ihn manche Regierungen noch außer Portugal brauchen könnten, stark wie ein Löwe und klug wie die Schlangen. Er hält Don Miguels Recht auf die portugiesische Krone für besser begründet als das seines Bruders, und beweist in der That, daß man bei der Beurtheilung der Personen in jenem Lande einen ganz andern Maßstab als den unsrigen anlegen muß, wenn man billig seyn will. So äußerte er unter andern, die Erziehung Don Miguels sey absichtlich so vernachlässigt worden, daß er im drei und zwanzigsten Jahre noch nicht habe schreiben können, zu viel dürfe man also von einem solchen Prinzen nicht erwarten, demungeachtet sey er durch viele glänzende persönliche Eigenschaften ausgezeichnet, und den Zeitungen dürfe man nicht alles auf's Wort glauben. Dieses Letztere wenigstens darf Niemand bezweifeln.


[348] Den 7ten April.


Es erschien mir wie eine wahre Wohlthat, heute einmal sans gêne auf dem Lande zu essen, in H. Lodge, dem allerliebsten Lokal der Herzogin von St. A ... Vor dem Hause, das am Abhange eines Berges steht, blühte im hellgrünen Rasen ein prächtiger Stern von Crocus und frühen Tulpen, zierlich rund um eine Marmor-Fontaine gezogen, und über die Bäume im Thalgrunde hin dämmerte die Riesenstadt wie eine fata montana des neuen Jerusalem im Nebelflor. Das Mahl war wie immer vortrefflich, und nach Tisch ergötzte uns noch Gesang und Concert im reichsten Gewächshause voller Blumen und Früchte. Ich saß während dem Essen bei einer direkten Urenkelin Karl II., einer Verwandtin des Herzogs, denn das erste halbe Dutzend englischer Herzöge im Rang, stammen größtentheils von den Maitressen Carls II. ab, und führen deshalb das königliche Wappen mit in dem ihrigen, worauf sie sehr stolz sind.

Es ist noch recht kalt, aber Blätter und Blüthen dringen doch überall gewaltsam hervor, ein Anblick, der mich zu Hause entzücken würde, hier aber mir Herzweh verursacht, das manchmal kaum zu bezwingen ist. Demungeachtet mag ich mich nicht auf den alten, goldnen Dornensitz wieder niederlassen, und will mir lieber einen glatten und bequemen Alltagsschemel irgendwo anders in der Freiheit aussuchen.


[349] R. Park, den 9ten.


Seit gestern bin ich hier mit großer Gesellschaft bei einer sehr fashionablen Dame. Das Haus ist so geschmackvoll und reich als möglich, aber zu vornehm schon, und zu prätentiös, um wahrhaft angenehm zu seyn, wenigstens für mich. Ueberdieß ist ein gewisser L ... da, ein Patentwitzbold, von dem die sehr debonnaire Gesellschaft jedes Wort bewundern zu müßen glaubt, und nur aus Furcht vor seiner bösen Zunge ihm Anhänglichkeit heuchelt. Solche geistige Bretteurs sind mir in den Tod zuwider, besonders wenn sie, wie dieser, mit einem widrigen Aeußern nur Galle und Schärfe, ohne alle Grazie, besitzen. Sie erscheinen in der menschlichen Gesellschaft gleich giftigen Insekten, denen man aus erbärmlicher Schwäche hilft, sich mit Andrer Blut zu nähren, nur damit sie einem das eigne nicht abzapfen.

Lieblicher als die Menschen sprachen mich die todten Gegenstände an, besonders eine freundliche hier herrschende Sitte, alle Zimmer mit einer Menge Vasen und Behältern aller Art voll frischer Blumen zu parfümiren. Unter den Gemälden bewunderte ich einen Morillo, Joseph darstellend, welcher den kleinen Jesusknaben führt. In dem schönen Kinde liegt die künftige Größe und die göttliche Natur des Erlösers noch schlummernd halb verborgen, was sich besonders in dem ahnend aufblickenden Auge wundervoll ausspricht. Joseph erscheint als ein schlichter Mann in[350] der vollen Kraft des mittlern Alters, mehr Würde des Charakters als des Standes verrathend. Wild und originell ist die Landschaft, oben aus dunkeln Wolken lauschen liebreizende Engelsköpfe hervor. Dies Gemälde hat der Besitzer, wie er mir sagte, mit 2500 L. St. bezahlt.

Im Garten gefiel mir ein Gewächshaus für Palmen, so leicht und durchsichtig, fast ganz aus Glas bestehend, daß es einem Eispalaste glich. Häßlich finde ich dagegen eine sehr überhand nehmende Liebhaberei für alte verkrüppelte Baumstämme, die man so vielfach im geschornen Rasen eingräbt, und theils mit Climatis beranken läßt, theils mit verborgnen Blumentöpfen bestellt. Ganze Ruinen dieser Art werden gebildet, welches nebst manchem Andern den sinkenden guten Geschmack für Gärten in England verräth.

Für mich ist das Leben auf dem Lande hier in gewisser Hinsicht zu gesellig. Wer z.B. lesen will, geht in die Bibliothek, wo er selten allein ist, und wer Briefe zu besorgen hat, schreibt sie an einem allgemeinen großen Sekretair eben so öffentlich, worauf sie in ein durchbrochenes Kästchen gesteckt werden, das ein Bedienter jeden Morgen zur Post trägt. Daß man alles dies allein und auf seiner Stube thut, ist eben nicht üblich, befremdet daher, und wird nicht recht gern gesehen. So frühstückte auch mancher Fremde wohl lieber auf seiner Stube, wozu aber nicht zu gelangen ist, wenn man sich nicht durch Krankheit entschuldigen kann.[351]

Bei aller Freiheit und Abwesenheit von unnützen Complimenten, existirt daher doch für einen an unsere Sitten Gewöhnten hier auf die Länge ein bedeutender Zwang, den das fortwährende Sprechen in einer fremden Sprache noch mehr empfinden läßt.


London, den 12ten.


Mit einem aufziehenden Frühlingsgewitter verließ ich diesen Morgen R. Park, athmete unterwegs mit Wonne die duftige Frühlingsluft und schaute mit Entzücken auf das glänzende Grün und die schwellenden Knospen, ein Anblick, dessen man nie überdrüssig wird. Das Frühjahr entschädigt die nördlichen Gegenden für alle Unannehmlichkeiten ihrer Winter, denn dieses Aufwachen der jungen Natur ist im Süden doch mit weit geringerer Coquetterie von ihrer Seite begleitet.

Ich war zum Mittag wieder bei der Herzogin von S.A. auf ihrem Landhause versagt, wo mich eine angenehme Ueberraschung erwartete. Man placirte mich, der zu spät kam, zwischen der Wirthin und einem langen, sehr einfach aber liebevoll und freundlich aussehenden, schon bejahrten Manne, der im breiten schottischen, nichts weniger als angenehmen Dialekte sprach, und mir ausserdem wahrscheinlich gar nicht aufgefallen wäre, wenn mir nicht nach einigen Minuten bekannt geworden – daß ich neben dem berühmten[352] – Unbekannten säße. Es dauerte nicht lange, so kam mancher scharfe, trockene Witz aus seinem Munde, und mehrere höchst anspruchslos erzählte Anekdoten, die, ohne eben brillant zu erscheinen, doch immer frappirten. Seine Augen glänzten dabei, sobald er sich irgend animirte, so licht und freundlich, und es war so viel treuherzige Güte und Natürlichkeit darin ausgedrückt, daß man ihn lieb gewinnen mußte. Gegen Ende der Tafel gab er und Sir Francis Burdett wechselsweise Geisterhistorien zum Besten, halb schauerlich halb launig, welches mich encouragirte, auch Deine berühmte Schlüsselgeschichte zu erzählen, im Denouement noch ein wenig embellirt. Sie machte recht viel Glück, und es wäre spaßhaft genug, wenn Du sie im nächsten Romane des fruchtbaren Schotten wieder fändest.

Er recitirte nachher noch eine originelle alte Inschrift, die er vor Kurzem erst auf dem Kirchhofe von Melrose Abbey aufgefunden hatte. Sie lautete folgendermaßen:


The earth goes on the earth, glittering in gold,

The earth goes to the earth sooner than it would,

The earth builds on the earth castles and towers,

The earth says to the earth: All this is ours.


In der Uebersetzung ungefähr so:


Erd' geht auf Erde, glänzend in Gold,

Erd' geht zur Erde, früher denn wollt',

Erd' baut auf Erde Schlösser von Stein,

Erd' sagt zur Erde: Alles ist mein!
[353]

Wohl wahr! denn Erde waren, sind und werden wir, und der Erde allein gehören wir vielleicht an.

Ein kleines Concert beschloß den Abend, an dem auch die recht hübsche Tochter des großen Barden, eine kräftige, hochländische Schönheit, Theil nahm und Miß Steevens nichts als schottische Balladen sang. Erst tief in der Nacht erreichte ich London, mein Erinnerungsbuch mit einem äußerst ähnlichen Croquis von Sir W. Scott bereichert, welches ich der Güte meiner Wirthin verdanke. Da alle mir bekannten Kupferstiche desselben durchaus nicht ähnlich sind, so werde ich eine genaue Copie diesem Briefe beilegen.


Den 27sten.


Der Trouble dieser Tage war sehr einförmig, nur ein Diné beim spanischen Gesandten bietet mir eine angenehme Erinnerung, wo eine feurige und schöne Spanierin nach Tisch Bolero's auf eine Art sang, die einen ganz neuen Musiksinn in mir erweckte. Wenn ich darnach, und einem Fandango, urtheile, den ich einmal tanzen sah, muß die spanische Gesellschaft etwas sehr Verschiedenes von der unsrigen, und bei weitem pikanter sein.

Gestern war ich eingeladen to meet the Dukes of Clarence and Sussex, schlug es aber aus, to meet Mademoiselle H. bei unserm Freunde B ..., die ich[354] noch nicht gesehen, und der Groß und Klein hier zu Füßen liegt.

Sie ist in der That allerliebst, ein reizendes Geschöpf, und sehr verführerisch für Alle, die entweder noch neu der Welt sind, oder an nichts als ihr Vergnügen zu denken haben. Es ist nicht möglich, eine harmlosere und doch ihr Ziel besser treffende, so zu sagen angebornere Coquetterie zu sehen, so kindlich, so lieblich – et cependant le diable n'y perd rien.

Auch mir schien sie bald die schwachen Seiten abzumerken, und unterhielt mich ohne die mindeste scheinbare Absichtlichkeit, doch nur von dem, was passend und angenehm zu hören für mich seyn konnte. Die vaterländischen Töne fielen dazu aus so hübschem Munde wie Perlen und Diamanten in den Fluß der Rede hinein, und die allerschönsten blauen Augen beschienen sie, wie eine Frühlingssonne hinter leichten Wolkenschleiern.

Morgen spielt Kean Richard III., sagte sie endlich flüchtig, der Herzog v.D. hat mir seine Loge abgetreten, wollen Sie mich vielleicht dahin begleiten?

Daß eine solche Einladung jeder andern vorging, versteht sich von selbst.


Den 28sten.


Nie habe ich noch weniger von einer Vorstellung gesehen und gehört, als von der heutigen, und doch muß ich gestehen, hat mir keine kürzer geschienen.[355] Ja, ungeachtet der Gegenwart einer Gouvernante und eines Besuchs des H. Kemble im Zwischenakt, fand kaum eine Pause in unserer Unterhaltung statt, der so viele Reminiscenzen aus der Heimath immer neues Interesse gaben.

Auch dauerte meinerseits das angenehme Ercitement ohne Zweifel noch auf dem nachherigen Balle bei der fashionablen Lady Tankarville fort, denn ich fühlte mich weit weniger von der hölzernen Fete ennuyirt, als gewöhnlich. Verzeih', wenn ich Dir heute nur diese wenigen Worte schreibe, denn eben geht Helios auf, und ich zu Bette.


Den 30sten.


Alles ist hier in colossalen Verhältnissen, selbst mein Schneider, dessen Werkstatt einer Manufaktur gleicht. Man kömmt hin und fragt, umgeben von hundert Ballen Tuch und Zeug, und eben so viel Arbeitern, nach dem Schicksal eines bestellten Fracks. Ein Sekretär erscheint mit großer Förmlichkeit, und frägt verbindlich nach dem Tage der Bestellung. Sobald man ihn angegeben, werden auf einen Wink des Geschäftsmannes zwei Folianten herbeigebracht, in denen er eine kurze Zeit studiert. Mein Herr, ist endlich die Antwort, morgen um 11 Uhr 20 Minuten wird Ihr Frack so weit fertig seyn, um ihn im Ankleidezimmer anprobiren zu können. Dieser Zimmer[356] sind mehrere, mit großen Wandspiegeln und Psychés dekorirt, fortwährend mit Anprobirenden besetzt, wo der Schneider Millionär selbst zehnmal ändert, ohne je Verdrießlichkeit darüber zu äußern.

Nachdem dem Fracke sein Recht angethan worden ist, setze ich meine Promenade fort, und komme an einen Fleischerladen, wo nicht nur das rohe Fleisch die schönsten Guirlanden, Pyramiden und andere phantasiereiche Formen bildet, und zierliche Eisbehälter überall liebliche Kühle verbreiten, sondern auch noch hinter jedem Schinken ein Komödienzettel hängt, und auf den spiegelglatten Tischen die beliebtesten Zeitungen liegen.

Mit ihm wetteifert einige Häuser weiter der Händler mit Seeungeheuern, der, wie König Fisch im Mährchen, zwischen Marmor und Springbrunnen sitzt, es aber doch schwerlich so weit bringen wird als sein berühmter College Crockford, der noch bessere als gewöhnliche Fische zu angeln verstanden hat. Es ist dies ein genialer Mann, der sich von einem armen Fischer zur Geißel und zugleich zum Liebling der vornehmen und reichen Welt hinaufgeschwungen hat. Er ist ein Spieler, der Millionen gewonnen, und damit jetzt einen Spielpalast in der Art des Salons in Paris, aber mit einer asiatischen Pracht erbaut hat, die selbst die Königliche fast hinter sich läßt. Alles ist in dem jetzt wieder herrschenden Geschmack der Zeit Ludwig XIV., verziert mit allen jenen geschmacklosen Schnörkeln, Uebermaß von Vergoldung, gehäufter Mischung von Stukkatur und Malerei u.s.w. eine[357] Wendung der Mode, die sehr consequent ist, da der englische Adel wirklich immer mehr jenem aus Ludwig XIV. Zeit zu gleichen anfängt.

Crockfords Koch ist der berühmte Ude, praktisch und theoretisch der erste in Europa; Bewirthung und Bedienung in höchster Vollkommenheit, dabei un jeu d'enfer, wo schon oft 20000 L. St. und mehr in einem Abend von diesem und jenem verspielt wurden. Die Gesellschaft formirt einen Club, der Eintritt ist sehr schwer zu erlangen, und obgleich Hazardspiel criminell in England ist, sind dennoch die meisten der Minister Mitglieder, und der Premier, Herzog von Wellington, einer der Direktoren dieses Spiel-Clubs!


Den 2ten Mai.


Gestern wurde der erste Tag des Wonnemonats von der Herzogin von A. durch eine sehr angenehme ländliche Fete auf ihrer schönen Villa gefeiert.

In der Mitte des bowling green war die Maistange mit vielen Bändern und Blumen-Guirlanden aufgerichtet und bunt geschmückte Landleute im altenglischen Costüme tanzten darum her. Die Gesellschaft erging sich in Haus und Garten nach Belieben. Manche schoßen mit Bogen und Pfeilen, andere tanzten unter Zelten, oder spielten allerlei Spiele, schaukelten und drehten sich, oder munkelten im Dunkeln in dichten Boskets, bis einige Trompetenstöße um[358] 5 Uhr ein prachtvolles Frühstück verkündeten, bei dem alle Delikatessen und Kostbarkeiten, die der Luxus aufbieten kann, im reichsten Ueberfluß vorhanden waren.

Viele Diener hatte man als Gärtner in ein fancy costume gekleidet und an allen Büschen frische Blumenguirlanden aufgehangen, die einen unbeschreiblich reichen Effekt machten. Dabei war es ein so wunderbar schöner Tag, daß ich zum Erstenmal in der Ferne London ganz klar von Nebeln, und nur ein wenig durch Rauch verdüstert, gänzlich zu übersehen im Stande war.

Mit einbrechender Dunkelheit wiederholte sich der Effekt der Blumenguirlanden, nun durch bunte Lampen, zweckmäßig auf allen Bäumen vertheilt, oder im Dickigt der Büsche halb verborgen. Es war schon Mitternacht vorbei, als das Frühstück sich endete.

Alles das war sehr reizend, aber doch sind es nur todte Gegenstände, und ich gestehe, daß in meinen Augen eine kleine Rose am Busen der lieblichen H ..., die ich ihr heute früh gegeben, und im Concert in D .... house als einzigen Schmuck auf ihrem schwarzen Kleide erblickte, alle Guirlanden und Illuminationen des vorigen Tages weit überstrahlte. Das Concert endigte diesmal mit einem Ball, und auch hier glänzte die deutsche Walzerin über alle ihre Rivalinnen, immer so anspruchslos, als bemerke sie keine ihrer Eroberungen. Wahrscheinlich, nie gab es noch einen Schalk, der sich kindlicher anzustellen verstand,[359] und gewiß ist eine so liebliche Coquetterie der größte Reiz, wenn auch nicht das größte Verdienst der Frauen.


Den 3ten.


Es geht mir wie den Vögeln, die im Mai immer am liebendsten gestimmt sind, und zu verdenken ist es mir daher nicht, wenn ich in dieser Jahreszeit der flötenden Nachtigall nur mit klopfendem Herzen zuhören kann.

»Nun habe ich nur noch einen Tag«, sagte sie gestern am Sonnabend, »nach welchem ich wohl länger als einen Monat nicht mehr frei seyn werde, und der ist morgen, in jeder Hinsicht mein Tag, wo ich noch einmal meinem Wunsche nach leben kann, dann bleibe ich auf lange, lange Zeit eine arme Sclavin!«

Ich schlug ihr schüchtern vor, an diesem Tage auf dem Lande mit mir zu essen, früh dorthin zusammen zu reiten, wozu ich mein Pferd als einen Phönix von Sanftmuth rekommandirte, Abends aber, um sie nicht zu sehr zu ermüden, zurück zu fahren, was sie nach vielen Bitten endlich genehmigte.

O Natur, ländliche Freuden1, wie schön seyd[360] ihr, wie doppelt genießt man euch in solcher Gesellschaft! Wir sollten die Sternwarte in Greewnitsch besehen, es blieb aber bei den zwei blauen Sternen in der Nähe, die hunderttausendmal magnetischer funkelten, als alle Welten der Milchstraße, und ich dankte innerlich von Herzen dem lieben Gott, daß wir gar nicht nöthig haben, mit Doctor Nürnberger nach dem Sirius und Jupiter zu reisen, um in Exstase zu gerathen, und gegen die Venus am Himmel sehr gleichgültig bleiben können, wenn wir viele Stunden lang uns in dem ungestörten Anschauen einer irdischen verlieren dürfen.

Wir mußten, der bösen Welt und einer unbequemen Ankunft wegen, die Sache etwas geheim betreiben. Die Pferde waren vorausgeschickt, ich ritt auf einem Klepper nach, und H. fuhr mit der guten Gouvernante in einem Miethwagen nach dem Orte des Rendez-vous.

Der gelbe Wagen ließ lange auf sich warten, und ich ängstete mich nicht wenig, daß etwas dazwischen gekommen seyn möchte. Es war auch so, aber ehrlich hielt das liebe Mädchen ihr gegebenes Wort. Endlich sah ich den alten Kasten langsam auf uns zukommen, sprengte heran, hob die Liebliche auf ihren Zelter, und dahin flogen wir (denn sie reitet kühn wie ein Mann) in die duftende Mailuft hinaus, wie ein paar lustige Vöglein flatternd und kosend. Bis es dunkel ward, wurde geritten, umhergewandert, und dies und jenes besehen. Bei'm Schein der Lichter und Sterne zugleich aßen wir bei offnen[361] Fenstern in dem Dir schon bekannten heimlichen Stübchen über dem Fluß, und erst um 11 Uhr in der Nacht nahm uns der Wagen wieder auf zur Heimfahrt.

Wahr ist es, der Himmel schuf dieses Wesen aus ganz besonderem Stoff! Welche Mannigfaltigkeit und welche Grazie in jeder wechselnden Nüance! Scheu oder zutraulich, bös oder gut gestimmt, boudirend, hingebend, gleichgültig, sanft, spottend, gemessen oder wild – immer ergreift sie, wie Schiller sagt, die Seele mit Himmelsgewalt! Und welche Selbstbeherrschung bei der höchsten Milde, welch festes kleines Köpfchen, wenn sie will, wie viel Herzensgüte, und dabei doch wie viel kecke Schlauheit!

Sie ist geschaffen, den Männern zu gefallen, und auch alle Weiber lieben sie. Gewiß eine glückliche, eine eigenthümliche Natur.

Aber, gute Julie, es ist Zeit, daß ich ende, nicht wahr? Du möchtest zuletzt gar denken, ich sey närrisch oder verliebt, oder beides zugleich. En vérité, pour cette fois ci je n'en repondrai pas.


Den 8ten Mai.


Seit einer Woche klingen mir die Ohren von drei bis vier Concerten jeden Abend, oder jede Nacht, wie man es hier richtiger nennt, die plötzlich zur wahren Rage geworden sind, von den Höchsten und Erlesensten bis zu allen Nobodys herab. Die Damen[362] Pasta, Caradori, Sontag, Brambilla, die Herren Zuchelli, Pellegrini und Curioni singen ewig dieselben Arien und Duetts, welche die Leute dennoch nie müde zu hören werden. Oft singen sie, ohne Zweifel vom ewigen Einerlei selbst ermüdet, äußerst nachläßig, doch darauf kömmt es hier gar nicht an. Die Ohren, welche sie hören, sind selten musikalischer Natur, sondern nur von der Fashion begeistert, und die, welche in der Foule den letzten Platz inne haben, unterscheiden gewiß oft kaum, ob ein Bassist oder die Primadonna eben an der Reihe ist, gerathen aber nichts desto weniger in Entzücken. Für die Künstler ist die Sache sehr einträglich. Die Sontag z.B. erhält in jeder Gesellschaft, wo sie sich mit irgend etwas hören läßt, und oft geschieht dies in drei bis vier verschiedenen an einem Abend, wenigstens 40 L. St., zuweilen 100. Die Pasta, deren Gesang mir noch lieber, grandiöser, tragischer ist, rivalisirt mit ihr, die andern, obgleich auch verdienstlich, stehen doch nur in zweiter Linie.

Außerdem ist Mochelés, Pixis, die Gebrüder Bohrer, enfin eine Heerde von Virtuosen hier, die, wie die Mücken dem Licht, alle dem englischen Golde zufliegen, ohne sich daran zu verbrennen, sondern im Gegentheil, was die weiblichen wenigstens betrifft, rechts und links oft neue Flammen erregen, die überdies zuweilen noch mehr als das Künstlertalent einbringen.

Die Concerte beim Prinzen Leopold sind in der Regel die angenehmsten, wo auch das unerträgliche[363] Gedränge in einem großen Local mehr vermieden wird. Dieser Prinz ist weniger populär als er es verdient, weil die Engländer ihm den Ausländer nicht ganz verzeihen können.


Den 9ten.


Auf einem Spazierritt mit M ... kamen wir zufällig in einer reizenden Gegend nach Strawberryhill (Erdbeerhügel) einem von Horace Walpole gebauten Schloß, dessen er so oft in seinen Briefen erwähnt, und das man seitdem in nichts geändert und wenig bewohnt hat. Es ist der erste Versuch des Modergothischen in England, ganz im Clinquan-Geschmack jener Zeit, das Steinwerk in Holz nachgeahmt, gar Vieles – was glänzt, ohne Gold zu seyn. Doch sieht man auch mehrere gediegnere Kunstschätze und manche Curiositäten. Zu den ersteren gehört unter andern ein prächtiges mit Juwelen besetztes Gebetbuch voll Zeichnungen Raphaels und seiner Schüler, zu den letzteren der Hut des Cardinals Wolsey, ein sehr ausdrucksvolles Portrait der Madame du Deffant, der blinden und geistigen Geliebten Walpoles, und ein Bild der berühmten Lady Montague in türkischer Kleidung.

Da es in England Alles gibt, so fand ich heute sogar einen vornehmen Engländer, der in seinem Hause deutsche Sitten, deutsche Art der Bedienung,[364] und deutschen Gesellschaftston nachzuahmen sucht. Es ist der Graf S ..., der lange unser Vaterland in ziemlich bedrängten Umständen bewohnte, und mit einemmal ein ungeheures Vermögen ererbt hat. Nur die cramoisinfarbene Livree seiner Leute mit canariengelben Inexpressibles und Strümpfen war im englischen Geschmack, sonst Alles deutsch im Hause, selbst die Eßstunde näher gerückt. Die lange Dauer des Dinés war mir in hohem Grade lästig, ich saß wie auf Nadeln, da man mich an einem Orte erwartete, welcher mir dermalen theurer als Alles ist. Ohngeachtet meiner üblen Laune gewann mir doch wider Willen mein österreichischer Nachbar ein Lächeln ab, der ungeheuer trank, und als ich ihm noch mehr anbot, erwiederte: Nein, jetzt keinen Wein mehr, sonst werde ich excessiv und fange an zu stänkern. Du verstehst besser Wienerisch als ich, ich brauche Dir daher die Meinung der Phrase nicht zu erklären.


Den 16ten.


Ich habe einige Tage auf dem Lande zugebracht und Epsom's Wettrennen besucht. Die Scene war sehr belebt, alle Straßen voller flüchtig dahinrollender Equipagen, und ein großer grüner Hügel mitten in der Plaine, an dessen Saum das Wettrennen statt findet, so dicht mit tausend ausgespannten Wagen, und einem bunten Gewühl von Reitern und Fußgängern[365] bedeckt, daß mir noch nirgends ein Volksfest malerischer erschien.

Dies Bild fasse noch in den Rahmen einer recht lieblichen, wohl angebauten Landschaft, mit einem Himmel voll schwarzer Wolken, vielem Regen, und zwar sparsamen aber desto heisseren Sonnenblicken.

Seit gestern bin ich zurück, um eine Gesellschaft beim Könige nicht zu versäumen, die heute statt fand, und zu der eine Einladung als eine bonne fortune angesehen wird. Die Idee von Hof muß man gar nicht damit verbinden, aber gewiß ist es, daß nirgends das Ideal eines fashionablen Hauses je besser erreicht worden seyn mag. Jeder Comfort und jede Eleganz des Privatmannes ist auf die geschmackvollste und gediegenste Weise mit der Pracht königlicher Mittel verbunden, und der Monarch bekanntlich selbst auf keinen Titel stolzer als auf den des ersten Gentleman in seinem Reiche.


Den 30sten.


Obgleich der ewige Taumel nur wenig Zeit übrig läßt, und man, einmal hineingerathen, nicht füglich mehr herauskam, wenn man auch kein Vergnügen darin findet, so gewinne ich doch von Zeit zu Zeit freie Augenblicke zu einsamerem und bleibenderem Genuß.[366]

So sah ich neulich eine höchst interessante Sammlung vorzüglicher Gemälde, nur die Portraits merkwürdiger Individuen aus der englischen Geschichte enthaltend. Es war auffallend, wie sehr die meisten ihrem geschichtlichen Bilde in Zügen und Haltung entsprachen. Der berühmte Lord Burleigh hatte überdem eine frappante Aehnlichkeit mit dem großen Staatskanzler Preußens, obgleich ihn sein Kopfputz sehr verstellte, der einer Altenweibermütze glich. Jakob der Erste, ergötzlich treu seinem Charakter, wie auch sein Gesandter, der originelle Ritter, der in sei nen Memoiren so seltsam von sich selbst sagt, daß er überall Männern und Weibern gefallen, seine Natur aber auch keiner andern geglichen, indem ihn und alles ohne Ausnahme, was von ihm gekommen, stets eine Atmosphäre des angenehmsten, natürlichen Wohlgeruchs umduftet habe.

Ein andres Cabinet enthielt moderne Gemälde in Wasserfarben, in welcher Kunstgattung die Engländer eine besondere Fertigkeit erlangt haben. Man erstaunt über die Gluth und Tiefe der Färbung, die sie damit hervorbringen, besonders zeichneten sich einige Landschaften Schottlands aus, als ein Sonnenuntergang in den Highlands, der Claude Lorrains Wahrheit erreichte, und die einbrechende Nacht über den Loch Lomond, ein Gedicht voller Romantik.

Noch blieb mir Zeit zu einem weiten Spazierritt, auf dem ich, wie immer, nur dem Zufall mich vertrauend, einen der reizendsten Parks auffand, wie[367] sie nur Englands Clima realisiren läßt. Die Gärten mit unbeschreiblicher Blumenpracht lagen in einem engen, äußerst fruchtbaren Wiesenthale, voll hoher Bäume, in welchen drei silberklare Quellen entspringen, und in mäandrisch sich windenden Bächen nach allen Richtungen zwischen unabsehbaren Dickichten von blühenden Rhododendron und Azalien hinrauschten.

Meine Freude an dergleichen wird nur immer durch das Bedauern getrübt, daß Du sie nicht mit mir theilen kannst. Dein feiner Geschmack würde tausend neue Ideen hier schöpfen, um nachher noch lieblichere Details hervorzubringen, soweit Localität und Mittel hinreichen, theils durch geschickte Anwendung der Blumenfarben, theils durch graziöse Formen, oder durch erhöhte Beleuchtung, welche sinniges Oeffnen und Verdecken so sehr zu steigern im Stande ist.

Die angenehmen Erinnerungen dieses Morgens mußten den Rest des Tages übertragen, nämlich ein Diné bei Lady P ..., dem größten weiblichen Gourmand in London, zwei Bälle bei einheimischer und ausländischer Diplomatie, und ein Concert bei Lord Grosvenor, welches zwar in einer Gallerie vortrefflicher Gemälde statt fand, die man aber bei solcher Gelegenheit nicht mehr als jede andere Tapete genießen kann.


[368] Den 6ten Juni.


Eines der gehaltreichsten Häuser für mich ist das eines vornehmen Schotten, Grafen von W ..., dem Abkömmling in directer Linie von Macduff. In seiner Rüstkammer wird noch ein Ast, angeblich aus Birnams Wald, gezeigt, wahrscheinlich eine Reliquie von der Qualität aller andern. Wer daran glaubt, wird selig!

Die Familie ist höchst gebildet, und der schottische Sinn überhaupt dem deutschen näher verwandt als der englische. Von den liebenswürdigen Töchtern lernte ich eine neue Manier, Lieblinge aus dem Vögelgeschlecht in treuerer und dauerhafterer Copie aufzubewahren als durch Ausstopfung. Die Federn werden ausgerupft, und nebst Schnabel und Klauen in der natürlichen Form auf starkes Velinpapier oder lakirtes Holz aufgeklebt, welches ein höchst ähnliches und keinem Verderben ausgesetztes Basrelief des Thieres abgibt.

Carl X. brachte eine Zeit lang bei Lord W ... in Schottland zu, und hat ihm einen alten Haushofmeister zurückgelassen, der drollig genug gleich dem in der Pucelle: Bonneau heißt, und auch noch von jener fast ausgestorbenen Diener-Race der hommes de confiance ist, die man jetzt höchstens nur auf der Bühne antrifft. Als solcher, der im Hause nun schon 25 Jahre fungirt, darf er, gegen die englische Sitte, welche Dienern nie die geringste Annäherung anders[369] als eben durch ihren Dienst erlaubt, zuweilen ein Wort mitsprechen, und ich fand wirklich nichts unterhaltender, als die Hof- und Gesellschaftserzählungen dieses alten Franzosen, dessen Welt eigentlich mit jener Zeit abgeschlossen wurde, so wie wir sie uns heutzutage kaum mehr denken können. Daß der eigenthümliche Alte nur ein Haushofmeister ist, macht keinen Unterschied, denn er hat in seinem Leben besser beobachtet, und vielleicht mehr von der großen Welt gesehen, als gar viele Vornehme.

Als ich diesen Morgen Lady W. besuchte, hatte einer ihrer Söhne, der in Südamerika reist, eben einen großen Transport merkwürdiger Sachen geschickt, worunter sich ein lebendes Löwenäffchen befand, mit Kopf und Mähne des Königs der Thiere bei einer Taille, die kaum die Größe einer Ratte erreicht. Statt des üblen Geruchs der Affen duftet dieser im Gegentheil nach Zimmt und Moschus, und parfumirt das ganze Zimmer wie ein Räucherkerzchen, gleich dem neulich erwähnten Ritter.

Eine der vollständigsten Sammlungen Colibris boten Farben dar, wie sie nur die Sonne bei Auf- und Untergang am Himmel malt, eben so wie die reiche Schmetterlings-Sammlung mit mehrern ganz neuen Exemplaren. Unter andern Insekten sah ich hier zum erstenmal den sogenannten Stockkäfer, der den Uebergang zwischen dem Pflanzen- und Thierreiche zu machen scheint. Er ist an sechs Zoll lang und von einem blätterlosen Ulmenzweig mit kleinen[370] Nebenästen, welche durch die Füße gebildet werden, kaum zu unterscheiden. Nur der an der Spitze verborgne Kopf mit Fühlhörnern verräth ihn als ein organisches Wesen.

Ich aß bei Lady F ... zu Mittag, wo sich ein eigner Fall zutrug. Ihr Mann war früher Gouverneur auf Isle de France, und sie hatte dort von einer Negerin das angebliche Wahrsagebuch der Kaiserin Josephine gekauft, welches diese vor ihrer Einschiffung nach Frankreich besessen, und daraus ihre künftige Größe und Fall gelesen haben soll. Lady F ... producirte es beim Thee, und lud die Gesellschaft ein, nach dem vorgeschriebnen Modus Fragen an das Schicksal zu stellen. Nun höre die Antworten, welche es gab, und die in der That merkwürdig sind. Frau von Rothschild war die Erste, welche frug, ob ihre Wünsche erfüllt werden würden? Sie erhielt die Antwort: Ermüde das Schicksal nicht mit Wünschen, wer so viel erlangt hat, muß zufrieden sein. – Hierauf frug Herr Spring Rice, ein berühmter Parlamentsredner und einer der eifrigsten Verfechter der Emancipation der Catholiken (eine Sache, die hier für alle Welt jetzt vom größten Interesse, für oder wider, ist), ob morgen, wo die Frage im Oberhaus für diesmal entscheiden wird, sie durchgehen würde? – Nun muß ich hier einschalten, daß es schon bekannt ist, daß sie nicht durchgehen wird, man aber zugleich allgemein glaubt, daß sie beim nächsten Parlament den gewünschten Erfolg haben müsse. – Grade so nun lautete die lakonische Antwort des Buchs,[371] nämlich: Ihr werdet keinen Succeß haben, diesmal. – Nun zwang man eine junge Amerikanerin zu fragen, ob sie sich bald verheirathen würde, worauf die Antwort war: Nicht in diesem Welttheil. – Jetzt kam die Reihe an mich und ich frug: ob, was mein Herz grade jetzt so lebhaft berühre, zu meinem Glücke sey? Laß diese Neigung fallen, erwiederte das Zauberbuch, denn Du wirst sehen, sie ist weder wahr noch beständig.

Ob hierbei aber meine eigne oder die zu mir gemeint sey, bleibt, wie alle Orakel, dunkel.

Die Gesellschaft, welche natürlich keine Ahnung von meiner eigentlichen Meinung bei der Frage hatte, machte sich sehr lustig über die erhaltene Abfertigung, und verlangte, ich sollte noch eine thun. Ich frug also: Wird das Schicksal mir in ernsteren Plänen günstig sein? Suche, war die Antwort, und Du wirst finden, beharre und Du wirst erreichen.

Ohne zu suchen fand ich an demselben Abend noch eine sehr angenehme Bekanntschaft, indem ich der Herzogin von Meiningen, Mutter der Herzogin von Clarence, bei dieser vorgestellt ward, eine höchst liebenswürdige Dame von ächt deutschem Character, der weder ihr Alter noch ihr Rang die naive Natürlichkeit hat nehmen können, welche vielleicht das sicherste Zeichen einer reinen und schönen Seele ist. Die würdige Mutter einer so hoch verehrten Tochter, muß den Engländern, die ihrer künftigen Königin sehr anhängen, eine angenehme Erscheinung seyn, auch zeigte sich von allen Seiten das größte Empressement.[372] Schade nur, daß es bei solchen Gelegenheiten den englischen Damen, Vornehmen wie Geringen in der Regel so sehr an graziöser Tournüre und geschickten Worten fehlt, um ein hübsches Totalschauspiel zu geben. Ein Drawingroom und eine Hofpräsentation sind hier immer so lächerlich, wie das Lever eines Bürgermeisters der weiland freien Reichsstädte unsers Vaterlandes, und aller Stolz und Reichthum der Aristokratie verschwindet in dem linkischen Embarras dieser mit Diamanten und Putz nicht geschmückten, sondern nur beladenen Ladies. Im Negligé, und wenn sie ungenirt in ihrem Hause sich in gewohnter Umgebung bewegen, erscheinen junge Engländerinnen oft sehr vortheilhaft, in Parüre und großer Gesellschaft aber fast nie, weil eine unbezwingliche und aller Grazie entbehrende Tumidität selbst ihre intellectuellen Eigenschaften so vollständig paralysirt, daß eine geistreiche Unterhaltung mit ihnen gewiß eine schwere Aufgabe wird.

Ich halte sie daher auch unter allen Europäerinnen für die angenehmsten und comfortablesten Ehefrauen, so wie für die unfähigsten zu Repräsentation und Gesellschaft. Offenbar übersteigt bei diesem Urtheil das Lob den Tadel weit.


Den 16ten.


Heute wohnte ich einem interessanten Frühstück bei, welches der Tauben-Club gab. Diese Benennung[373] bedeutet keineswegs, daß die Mitglieder sanft und ohne falsch, wie die Tauben, sich zu seyn befleißigen, sondern er besteht im Gegentheil aus der wildesten Jugend Englands, und die Tauben haben nur in so fern etwas damit zu schaffen, als die Aermsten – todtgeschossen werden. Der Schauplatz war ein großer mit einer Mauer umschloßner Grasgarten. An der einen Seite befindet sich eine Reihe Zelte, in deren größtem eine gedeckte Tafel von 1–6 Uhr fortwährend frisch mit Speisen besetzt, und mit Champagner und Moselwein in Eis rastlos garnirt ward. Ohngefähr 100 Schützen nebst einigen Gästen waren gegenwärtig, und die ganze Zeit über schoß, aß und trank man abwechselnd. Die Tauben werden, immer acht an der Zahl, in einer Reihe aufgestellt. An den Kästchen, die sie beherbergen, sind Stricke befestigt, welche alle acht am Schießstand zusammenlaufen, und so eingerichtet sind, daß, wenn man an einem derselben zieht, das betreffende Kästchen aufklappt und die Taube herausfliegt. Der, welcher zuletzt geschossen hat, zieht für den nächsten Schützen, aber hinter ihm stehend, so daß jener nicht sehen kann, welchen Strick er zieht, daher auch ganz unvorbereitet und ungewiß ist, welche der acht Tauben auffliegen werde. Fällt die Taube noch innerhalb der Einzäunung nach seinem Schuß, so wird sie ihm angerechnet. Kömmt sie hinaus, so wird es als gefehlt angesehen. Jeder Schütze hat eine Doppelflinte, und darf beide Läufe gebrauchen.[374]

Die beiden berühmtesten Schützen in England sind Capitän Roos und Mr. Osbaldistone. Beide schossen eine Wette um 1000 L. St., die aber heute noch nicht entschieden wurde. Beide fehlten kein einziges Mal, und Cap. Roos Taube kam nie 12 Schritte weit, flatterte auch kaum, sondern fiel fast immer mit dem Schuß sogleich wie ein Stein zur Erde. Nie habe ich so unbegreiflich gut schießen sehen. Ein hübscher kleiner Hühnerhund des Clubs apportirte jede Taube, wie eine Maschine seinen Dienst stets ohne Fehl und ohne Uebereilung verrichtend. Zuletzt schoß die ganze Gesellschaft noch um einen goldnen Becher, 200 L. St. an Werth, den jährlichen Preis, den Capitain Roos gewann. Um 7 Uhr kam ich erst von diesem lustigen Frühstück fort, und begab mich in ein mir noch unbekanntes Theater, Sadlers Wells genannt, welches gute drei Viertel deutsche Meilen von meiner Wohnung entfernt ist. Ich war in einem Fiacre hingefahren, und als ich gegen 1 Uhr wieder zu Haus wollte, fand sich in diesem entlegenen Winkel kein Miethwagen mehr, und auch alle Häuser waren geschlossen. Dies war um so unangenehmer, da ich wirklich keine Idee davon hatte, in welchem Theile der Stadt ich mich befand.

Nachdem ich eine halbe Stunde vergeblich in den Straßen umhergeirrt war, um einen Wagen aufzutreiben, und schon mich resignirte, mit Hilfe eines Watchman (Nachtwächter) zu Fuß nach Hause zu wandern, kam noch eine Diligence gefahren, die glücklicherweise grade meinen Weg einschlug, und mit der[375] ich daher gegen 2 Uhr wieder bei den Hausgöttern anlangte. – Dieses Theater hat das Eigenthümliche, daß es unter wirkliches Wasser gesetzt werden kann, in welchem Element die Schauspieler oft Stunden lang gleich Wasserthieren umherplätschern. Uebrigens geht nichts über den Unsinn der hier aufgeführten Melodrame, und über den horriblen Gesang, von dem sie begleitet werden.


Den 20sten.


Man hat noch einen Fancyball arrangirt, der mir aber nur einen traurigen Eindruck zurückließ. Ich bemerkte einen blassen, in einen einfachen schwarzen Domino gehüllten Mann, in dessen Gesicht ein unnennbarer Zug des bittersten Seelenleidens schmerzlich anzog. Er blieb nicht lange, und als ich mich bei L. nach ihm erkundigte, gab dieser mir folgende Auskunft: Dieser beklagenswerthe Sterbliche, Obrist S ..., sagte er, würde den Helden zu einem schauerlichen Roman abgeben können. Wenn man von Jemand sagen kann, er sey unglücklich geboren, so ist er es. Sein großes Vermögen verlor er früh durch den frauduleusen Banquerott eines Freundes. Hundertmal kam ihm seitdem das Glück entgegen, aber immer nur, um ihn im entscheidenden Augenblick mit dem Verschwinden aller Hoffnung zu äffen, und fast jedesmal waren es nur die unbedeutendsten Kleinigkeiten, ein verspäteter Brief, eine leicht mögliche Verwechselung,[376] ein unheilbringendes Unwohlseyn, an denen alles scheiterte, scheinbar sogar immer seine eigne Schuld, und doch nur das Gewebe hohnlachender, tückischer Geister.

So beginnt er schon lange nichts mehr, um seine Lage zu ändern, fuhr L. fort, versucht keine Besserung seines Schicksals, im Voraus durch lange, grausame Erfahrung überzeugt, daß ihm nichts gelingen könne. Ich kenne ihn von Jugend auf. Obgleich harmlos wie ein Kind, hält ihn doch ein großer Theil der Welt für böse; obgleich einer der aufrichtigsten Menschen, für falsch und intriguant; ja, man vermeidet und scheut ihn, obgleich nie ein Herz wärmer für das Wohl Anderer schlug. Das Mädchen, das er anbetete, ward durch seine vermeinte Untreue zur Selbstmörderin, er selbst befand sich in Folge unerhörter Umstände lange in Untersuchung wegen des Mordes seines Bruders, neben dem er, sein eignes Leben für jenes Vertheidigung opfernd, blutend gefunden ward. Schon zum Strange verurtheilt, rettete ihn vom schimpflichen Tode allein des Königs Begnadigung, der erst später die Beweise seiner Unschuld folgten. Eine Frau endlich, die er in Folge eines schändlichen, lange vorbereiteten Betruges heirathete, lief mit einem andern davon, und wußte es dennoch dahin zu bringen, daß in der Welt nur ihm der größte Theil der Schuld beigemessen ward. Vor der Zeit so in jedem Selbstvertrauen geknickt, jeder Hoffnung auf das Schicksal wie auf die Menschen abgestorben, lebt er unter ihnen nur noch wie[377] ein theilnahmloser abgeschiedner Geist, ein herzzerreissendes Beispiel, daß es Wesen gibt, die, für dieses Leben wenigstens, dem Teufel schon vor der Geburt verkauft gewesen zu seyn scheinen. Denn wen der Fluch des Unglücks einmal getroffen, dem schafft er nicht nur Feinde auf jedem Schritt, sondern raubt ihm auch das Zutrauen und zuletzt das Herz der Freunde, bis endlich der Arme, überall Getretne, Gestoßne und Gemißhandelte daniedersinkend, sein wundes müdes Haupt hinlegt und stirbt, während sein letzter Seufzer noch der mitleidslosen Menge, als eine Anmassung und ein unerträglicher Mißton erscheint. Wehe den Unglücklichen! Dreimal wehe ihnen! denn für sie gibt es weder Tugenden, noch Klugheit, noch Geschick, noch Freude. – Es gibt nur ein Gutes für sie, und das ist der Tod!


Den 25ten.


Im Ganzen hat es doch etwas Angenehmes, jeden Tag über so viele Einladungen disponiren, und wo es einem nicht gefällt, sogleich eine besser convenirende Gesellschaft aufsuchen zu können. Hie und da findet sich dann doch immer etwas Neues, Pikantes oder Interessantes. So machte ich gestern beim Prinzen L ... die Bekanntschaft einer zweiten Ninon de l'Enclos. Lady A .... hält gewiß Niemand für mehr als 40, dennoch ist sie nahe an 80. Nichts an ihr erscheint gezwungen noch unnatürlich, dennoch[378] alles jugendlich, Taille, Anzug, Lebhaftigkeit des Benehmens, Grazie und Schnellkraft der Glieder, soweit dies auf einem Balle zu bemerken ist, Alles ist vollkommen jung an ihr, und im Gesicht kaum eine Runzel. Sorgen hat sie sich nie gemacht, und von Jugend auf sehr lustig gelebt, ist auch zweimal ihren Männern davon gelaufen, weßhalb sie lange England mied, und ihr großes Vermögen in Paris verzehrte. Alles zusammengenommen, eine allerliebste Frau, in ihrem Benehmen mehr Französin als Engländerin und ganz du grand monde. In der Toilettenkunst hat sie große Studien und scharfsinnige Erfindungen gemacht. So viel ich davon erlauschen konnte, werde ich gerne Dir und allen meinen schönen Freundinnen mittheilen.

Am nächsten Tage gab der Herzog von S. auf seiner Villa ein dejeuné champêtre, bei dem er es doch möglich gemacht hatte, noch etwas Neues für dergleichen Feten zu erfinden. Sein ganzes Haus war mit schönen Hautelisse und bunten chinesischen Tapeten behangen, eine Menge Meubles, Sophas, Fauteuils, Chaises longues, Spiegel etc. im Garten überall, wie in mehreren Salons und Cabinets vertheilt, und außerdem kleine Lager von Zelten, aus weiß und Rosa-Mousselin angebracht, die sich in dem Smaragdgrün des pleasure grounds herrlich ausnahmen.

Abends folgte, wie gewöhnlich, eine Illumination, größtentheils nur mit einzelnen Lampen kunstreich in den Bäumen und Büschen verborgen, gleich so[379] viel glühenden Früchten und Johanniswürmchen, die Liebenden und die Einsamen anzulocken. Aber auch diejenigen, welche Geräusch den stillen Freuden vorziehen, fanden Befriedigung. Hier tanzte in einem weiten Zelte, zu dem ein Weg von glänzend erhellten Bögen aus Rosenguirlanden führte, ein großer Theil der Gesellschaft, dort erschallte ein vortreffliches Concert, ausgeführt von den besten Virtuosen und Sängern der italiänischen Oper. Auch italiänisches Wetter begünstigte glücklicherweise vom Anfang bis zum Ende dieses Fest, welches der kleinste neckende Geist der Atmosphäre hätte vernichten können. In England war das ganze Unternehmen daher wohl ein Wagstück zu nennen, und doch findet man gerade diese Art Feten hier häufiger und schöner als irgendwo, wie der unfruchtbarste Boden oft der cultivirteste ist.

Ich habe mich nun so eingerichtet, daß ich in spätestens 4 Wochen England verlassen kann, um eine Reise von etwas längerer Dauer nach Wales, und besonders nach Irland zu machen, welches letztere nach so Vielem, was ich davon höre, weit mehr Interesse wie Schottland bei mir erregt. Doch thut es mir leid, daß Krankheit zuerst, und die Zerstreuungen der Hauptstadt nachher, mich um den Anblick jenes Landes gebracht haben. Es ist eine Vernachlässigung, die ich in mein Sündenbuch mit aufnehmen muß, das leider so viele dergleichen enthält, unter dem Artikel: Indolenz – ein abscheulicher Feind der Menschen! Gewiß hatte jener französische Marschall, der zu Ludwig XIV., für Parvenüs so ungünstigen Zeit,[380] sich dennoch vom gemeinen Soldaten bis zu der höchsten Würde seines Standes emporschwang, als er einigen Freunden, die ihn fragten, wie ihm dies möglich geworden, antwortete: »Nur dadurch, daß ich nie bis morgen aufschob, was ich heute thun konnte.« Fast in dasselbe Kapitel gehört die Unentschlossenheit, auch ein Erbfeind so vieler Menschen, die ein noch berühmterer Marschall, Souvaroff, so sehr haßte, daß er, in der Uebertreibung seines Charakters, denen sogleich seine Gunst entzog, die ihm je auf eine Frage erwiederten: »Ich weiß nicht.«

Non mi ricordo, geht schon eher an, und meinen Grundsätzen gemäß wende ich dies besonders auf alle besagten Sünden an, wenn sie einmal geschehen sind. Man muß es sich täglich wiederholen: Die Vergangenheit ist todt, nur die Zukunft lebt.

Möge sie uns, meine geliebte Julie, immer günstig erscheinen.

Dein treuer L.

1

Auf diese paßte wahrscheinlich nicht, was ich einen liebenswürdigen Prinzen, dem die Ironie nicht fremd ist, einmal so ergötzlich zu seinen Hofleuten sagen hörte: Nur mit Einem verschont mich, mit Euern ländlichen, schändlichen Vergnügungen und mit Euern häuslichen, scheuslichen Freuden!

A.d.H.

Quelle:
[Hermann von Pückler Muskau]: Briefe eines Verstorbenen. Dritter und Vierter Theil: Ein fragmentarisches Tagebuch aus Deutschland, Holland und England geschrieben in den Jahren 1826, 1827 und 1828, Band 4, Stuttgart 1831, S. 343-381.
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