Vier und dreißigster Brief.

Kenmare, den 28sten September 1828.


Geliebte Freundin!


War es also der Teufel oder nicht? fragst Du. Ma foi, je n'en sais rien. Jedenfalls hatte er in dem erwähnten Augenblick eine sehr recommendable, wenn gleich gefährliche, Gestalt erwählt, nämlich die eines hübschen Mädchens, die in ihrem dunkelbauen, vom Regen noch schwärzer gemachten, langen Mantel eingehüllt, und der rothen Mütze von Kerry auf dem Kopfe, barfuß, und vor Kälte schauernd, bei mir vorbeigehen wollte, als ich sie anhielt, und frug, warum sie hinke, und wie sie in diesem Wetter hier so allein umher irre? Ach, rief sie, in halb verständlichem Patois, auf ihren verbundenen Fuß zeigend, ich gehe blos nach dem nächsten Dorfe, habe mich verspätet, bin bei dem abscheulichen Wetter gefallen, und habe mir recht wehe gethan! Hierbei sah sie ganz schalkhast und lose aus (am Ende war doch etwas nicht ganz Geheures dabei) und zeigte so viel[1] von dem schön gerundeten, verwundeten Bein, daß meine Laune abermals wechselte, et je crois que le diable n'y perdit rien. – Wir theilten von nun an die Beschwerden des Wegs, halfen uns gegenseitig, und fanden endlich im Thal, zuerst besseres Wetter, dann ein erholendes Obdach, und endlich einen labenden Trunk frischer Milch.

Neu gestärkt wanderte ich in der Nacht weiter, und als ich in Kenmare anlangte, hatte ich die vier deutschen Meilen in etwas über sechs Stunden zurückgelegt. Aber ich war auch herzlich müde, und sobald ich in mein Schlafzimmer trat, sprach ich mit Pathos, und Wallenstein: Ich denke einen langen Schlaf zu thun!


Derrinane Abbey, den 29sten.


Dies geschah denn auch, und ich hatte Zeit dazu, denn das Wetter war so abscheulich, daß ich bis 3 Uhr Nachmittags auf besseres wartete, aber leider vergebens. Ich hatte, den Abend vorher, den zu Herrn O'Connel abgeschickten, und unbesonnener Weise, vorausbezahlten Boten, ohne Antwort und mit zerbrochenem Schlüsselbein im Gasthof wieder vorgefunden, denn da er Geld in seiner Tasche gefühlt, so hat er auch dem Whiskey nicht länger widerstehen können, in Folge dessen er mit seinem Pferde in der Nacht einen Felsen herabgestürzt war![2] Er hatte indeß doch den verständigen Einfall gehabt, einen guten Freund unterwegs weiter zu expediren, und bei meinem Erwachen fand ich daher eine sehr artige Einladung des großen Agitator's glücklich vor.

Ich habe bereits gesagt, daß ich mich erst um drei Uhr auf den Weg machte, und obgleich ich sieben Stunden lang im heftigsten Regen, mit dem Winde im Gesicht, reiten mußte, und in dieser Wüste, wo nicht einmal das Obdach eines Baumes anzutreffen ist, nach der ersten halben Stunde schon kein Faden meiner Kleidung mehr trocken war – so möchte ich doch um vieles nicht den heutigen, so beschwerlichen Tag, in meinem Lebensbuche missen.

Der Anfang war allerdings schwer. Zuerst konnte ich lange keine Pferde bekommen, denn das nach Glengarriff gebrauchte hatte sich den Fuß verstaucht. Endlich erschien ein alter schwarzer Karrengaul, der für mich bestimmt war, und ein katzenartiges Thierchen, das der Führer bestieg. Auch mit meiner Toilette war ich brouillirt. Die entwichene Gallosche war nicht wieder gefunden worden, und der Regenschirm schon auf dem Hexenberge aus seinen Fugen gewichen. Ich ersetzte den ersten durch einen großen Pantoffel des Wirths, den zweiten band ich, so gut es gehen wollte, zusammen, und ihn dann, gleich einem Schilde vorhaltend, die Tuchmütze, mit einem Stücke Wachsleinwand bedeckt, auf dem Kopfe, galoppirte ich, Don Quixotte nicht unähnlich, und obendrein[3] mit einem ächten Sancho Pansa versehen, neuen Abentheuern zu.

Schon eine Viertelmeile von der Stadt machte ein zerstörender Windstoß dem Regenschirm, einst die Zierde New Bondstreets, und der seitdem so manches Ungemach mit mir getragen, ein klagliches Ende! Alle seine Bande lösten sich, und ließen nur ein zerrissenes Stück Tafft, und ein Bündel Fischbein in meiner Hand zurück. Ich gab dem Führer die Reste, und mich fortan dem Wetter sorglos Preis, mit der besten Laune tragend, was nicht zu ändern war.

So lange wir die Bay von Kenmare cotoyirten, ritten wir so schnell als möglich, da der Weg ganz leidlich war. Bald aber wurde es schwieriger. Den Eintritt in das rauhere Gebürge bezeichnete eine hundert Fuß hohe und pittoreske Brücke »the black water's bridge« (Brücke der schwarzen Wasser) genannt. Hier war eine mit Eichen besetzte Schlucht, die letzten Bäume, die ich seitdem gesehen. Ich bemerkte, daß mein Mantelsack, den der Führer auf seinem Pferde vor sich aufgebunden hatte, ebenfalls gänzlich durchnäßt zu werden anfing, und befahl daher dem Manne, sich in einer nahgelegenen Hütte wo möglich eine Decke oder Matte zu verschaffen, um sie darüber zu breiten. Diese Unvorsichtigkeit hatte ich nachher Ursache, recht sehr zu bereuen, denn wahrscheinlich mochte auch ihn der Whiskey dort gefesselt haben, wenigstens bekam ich ihn, obgleich öfters anhaltend, um ihn zu erwarten, erst kurz vor Ende[4] der Reise wieder zu sehen, welches mich später einer großen Verlegenheit aussetzte. Der nun allmählig immer mehr sich verschlimmernde Weg führte größtentheils am Meer, das der Sturm prachtvoll durchwühlte, entlang; bald über öde Moorflächen, bald an Schluchten und tiefen Abgründen hin, oder durch weite chaotische Gefilde, wo die Felsen so phantastisch übereinander geworfen sind, daß man glauben sollte: hier sei es, wo die Giganten den Himmel gestürmt. Zuweilen erscheinen Gebilde, die gleich einem versteinten Spiel der Wolken, Menschen und Thieren ähnliche Figuren aufstellen. Als ganz besonders zierlich fiel mir, mitten in der allgemeinen Wildheit, eine Felsenwand auf, die durch ihre Fugen in vollkommen regelmäßige Quadrate, wie ein Schachbrett, abgetheilt war. Dreierlei Arten Erica, gelbe, hochrothe und violette waren in den Spalten gewachsen, und markirten die scharfen Linien auf das überraschendste.

Nur selten begegnete ich von Zeit zu Zeit einem einsamen zerlumpten Wanderer, und konnte manchmal nicht umbin, daran zu denken, wie leicht es sey, mich in dieser Gegend anzufallen und zu berauben, ohne daß ein Mensch davon Notiz nehmen würde – denn mein ganzes Reisevermögen ruht in der Brusttasche meines Rockes – wie der griechische Weise führte ich omnia mea mit mir. Doch weit entfernt von räuberischen Gedanken, grüßte das gutmüthige, arme Volk mich immer ehrerbietig, obgleich mein Aufzug nichts weniger als imponirend war, und in[5] England keinen Gentleman verrathen haben würde. Mehrmal war ich in großer Ungewißheit, welchen der halb unsichtbaren Stege ich einschlagen sollte, wählte aber glücklicherweise, mich dem Meere stets so nahe als möglich haltend, keinen ganz unrechten, wenn gleich wahrscheinlich nicht immer den nächsten. Indessen die Zeit verging – und wenn ich in langen Intervallen einem menschlichen Wesen wieder begegnete und frug: Wie weit noch zu Mr. O'Connel? so segneten sie zwar immer den Vorsatz dieses Besuchs mit: God bless Your honnour, die Meilenzahl schien sich aber eher zu vermehren als zu vermindern. Dies ward mir erst nachher begreiflich, als ich erfuhr, daß ich dennoch einen, mehrere Meilen abkürzenden, Weg verfehlt, und dadurch einen unnützen Zeitverlust erlitten hatte.

So fing es endlich an zu dunkeln, als ich einen Theil der Küste betrat, der gewiß wenig seines Gleichen hat. Fremde Reisende sind wahrscheinlich noch nie in diesen verlassenen Winkel der Erde verschlagen worden, welcher Eulen und Seemöven mehr als den Menschen angehört, von dessen furchtbarer Wildniß es aber schwer ist, einen genügenden Begriff zu geben. Gewundene, zerrissene, kohlschwarze Felsen, mit tiefen Höhlen, in welche das Meer unaufhörlich donnernd einbricht, und seinen weißen Schaum thurmhoch wieder daraus hervorsprüht, der nachher an vielen Stellen trocknet, und dann vom Winde, wie wollene compacte Flocken aussehend, bis auf die höchsten[6] Punkte des Gebürges geschleudert wird; das klägliche, gellend den Sturm durchtönende Geschrei der ängstlich umherflatternden Seevögel; das unaufhörliche Geheul und Brausen der unterminirenden Wogen, die zuweilen bis an meines Pferdes Huf jählings heranklommen und dann zischend wieder hinabsanken; die trostlose Abgeschiedenheit endlich von aller menschlichen Hülfe; dazu der rastlos fallende Regen, und die einbrechende Nacht auf ungewissem, gänzlich unbekanntem Wege – es fing mir wirklich an unheimlich zu Muthe zu werden – ganz ernstlich – nicht im halben Scherz wie am Tage vorher. Die Sucht nach dem Romantischen wird Dir diesmal wahrscheinlich eben so schlecht bekommen, als dem berühmten Ritter, dachte ich ganz bedenklich, und trieb mein müdes Pferd zu möglichster Eile. Es stolperte jeden Augenblick über die losen Steine, und mit großer Mühe brachte ich es endlich in einen schwerfälligen Trab. Meine Besorgniß vermehrte sich durch die Erinnerung an O'Connels Brief, der mir geschrieben: daß der eigentliche Zugang zu seinem Besitzthum von der Seite von Killarney her statt finde, Wagen jedoch nur zu Wasser ganz heran kommen könnten, der Weg von Kemnare aber der schwierigste sey, und ich daher ja einen sichern Führer mitnehmen möchte, um keinen Unfal! zu erleben. Auch fiel mir, wie es denn geht, wenn man einmal eine Gedankenrichtung angestrengt verfolgt, ein kürzlich gelesenes Volksmährchen von Croker ein, wo es heißt: Kein Land besser als die Küste von Iveragh,[7] »um im Meere zu ersaufen, oder, wenn man das vorziehen sollte, den Hals zu Lande zu brechen!« Noch dacht ich's .... da stutzte plötzlich mein Pferd, und drehte, scheuend, mit einem Satze um, den ich der alten Mähre kaum zugetraut hätte. – Ich befand mich in einer engen Schlucht, es war noch hell genug, mehrere Schritte ganz deutlich vor mir zu sehen, und ich konnte nicht begreifen, was die Ursache dieses panischen Schreckens meines Gaules war. Widerstrebend, und nur durch den gekauften Shileila bezwungen, ging er endlich wieder vorwärts; nach wenigen Schritten sah ich aber schon mit Staunen, daß der hier ziemlich gebahnte Weg mitten im Meer aufhörte, und beinahe glitt mir der Zügel aus der Hand, als eine schäumende Welle, vom Sturm gejagt, jetzt auf mich wie ein Ungeheuer zufuhr, und weit hinein die enge Schlucht mit ihrem weißen Geifer bespritzte. Hier war guter Rath theuer! Schroffe ungangbare Klippen starrten mich auf allen Seiten an, vor mir brauste die See ... es blieb nur der Rückweg offen. Aber war ich verirrt, wie ich vermuthen mußte, so konnte ich, selbst beim Zurückreiten, nicht darauf rechnen, meinen Führer wieder an zutreffen, und wo dann die Nacht zubringen? Außer O'Connel's unfindbarem alten Felsenschloß war auf zwanzig Meilen keine Spur eines Obdaches zu erwarten, ich fieberte jetzt schon vor Nässe und Kälte, gewiß hielt meine Natur den Bivouac einer solchen Nacht nicht aus – ich hatte in der That Ursache, bestürzt zu seyn. Was half jedoch alles Sinnen, ich[8] mußte zurück, das war klar, und zwar so schnell als möglich. Mein Pferd schien dieselben Reflexionen gemacht zu haben, denn, wie mit neuen Kräften begabt, trug es mich, fast gallopirend, davon. Aber, glaubst Du es wohl, eine schwarze Gestalt war abermals bestimmt, mir aus der Verlegenheit zu helfen. Vous direz que c'en est trop – mais ce n'est pas ma faute. Le vrai souvent n'est pas vraisemblable. Kurzum, ich sah eine schwarze Gestalt wie einen undeutlichen Schatten über den Weg gleiten, und sich hinter den Felsen verlieren. Mein Rufen, meine Bitten, meine Versprechungen blieben vergeblich, – war es ein Schmuggler, die an dieser Küste besonders ihr Wesen treiben sollen, oder ein abergläubischer Bauer, der mich ärmsten Revenant für einen Geist ansah? – jedenfalls schien er sich nicht herauswagen zu wollen, und ich verzweifelte fast schon an der gehofften Hülfe – als sein Kopf plötzlich dicht neben mir aus einer Steinspalte hervorlugte. Nun gelang es mir bald, ihn zu beruhigen; auch erklärte er mir das Räthsel des im Meere aufhörenden Weges. Dieser war nämlich nur für die Dauer der Ebbe eingerichtet – um diese Zeit, sagte er, ist die halbe Fluth schon heran, eine Viertelstunde später ist der Durchgang unmöglich, jetzt aber will ich Sie für ein gutes Trinkgeld noch hinüberzubringen versuchen, doch dürfen wir keinen Augenblick verlieren. Mit diesen Worten war er mit einem Satze hinter mir auf dem Pferde, und was es vermochte, eilten wir der, mit jedem Moment höher schwellenden[9] Fluth wieder zu. Es war mir doch ganz sonderbar zu Muthe, als wir uns jetzt in die stürmische See förmlich zu versenken schienen, und durch die weißen Wogen und Felsen, die bei dem matten Zwielicht sich gleich Gespenstern aufrichteten, uns mühsam Bahn brechen mußten. – Auch hatten wir die größte Noth mit dem Pferde; der schwarze Mann kannte aber das Terrain so genau, daß wir, obgleich bis fast unter die Arme im Salzwasser gebadet, unversehrt die gegenüberstehende Küste erreichten. Unglücklicherweise scheute sich hier noch einmal das geängstete Thier vor einer hervorstehenden Klippe, und brach beide morsche Sattelgurten mitten entzwei, so daß der Schade hier nicht mehr zu repariren war. Ich hatte, nach allen ausgestandenen Nöthen, nun noch die angenehme Perspective vor mir, die letzten sechs Meilen, auf losem Sattel balancierend, weiter reiten zu müssen. Der Schwarze hatte mich zwar für die Fortsetzung der Reise bestens instruirt, aber es ward bald so dunkel, daß man kein Merkzeichen mehr erblicken konnte. Der Weg ging, wie mir schien, durch einen weiten Moor, und war anfänglich recht eben. Nach einer halben Stunde holprigen Trabens, nach Möglichkeit die Knie zusammen schließend, um den Sattel nicht zwischen den Beinen zu verlieren, bemerkte ich, daß sich die Straße wieder rechts in das höhere Gebürge wandte, denn das Steigen ward immer steiler und anhaltender. Hier fand ich eine Frau, die bei ihren Schweinen oder Ziegen die Nacht zubrachte. Der Weg theilte sich in zwei Arme, und ich[10] frug, welchen ich einschlagen müsse, um nach Derrinane zu kommen! O! beide führen dahin, sagte sie, der linke ist aber zwei Meilen näher. Natürlich schlug ich diesen ein, überzeugte mich aber bald zu meinem Schaden, daß er nur für Ziegen gangbar sey. Ich verwünschte die alte Hexe und ihre trügerische Auskunft, vergebens mattete sich das Pferd ab, durch die Steinblöcke zu klimmen, und halb stolpernd, balb fallend warf es endlich Sattel und mich zugleich ab. Auch war es nicht möglich, den Sattel allein darauf zu erhalten, er rutschte immer von neuem herunter, und ich mußte mich zuletzt bequemen, ihn selbst auf die Schultern zu laden, und das Pferd dazu zu führen. Bis hierher hatte ich mich noch ziemlich guter Dinge erhalten, der Geist war auch jetzt noch willig, aber das Fleisch fing an schwach zu werden – der Mann am Meere hatte gesagt: sechs Meilen noch, und Sie sind da, und nachdem ich eine halbe Stunde scharf geritten, war die vorher befragte Frau dennoch wieder dabei geblieben, es sey noch sechs Meilen auf dem kürzesten Wege bis Derrinane. Ich fing an zu fürchten, daß dieses gespenstige Bergschloß gar nicht zu erreichen seyn möchte, und ein Kobold mich nur dem andern zuwerfe. Ganz muthlos setzte ich mich auf einen Stein, von Hitze und Frost gleich peinlich durchschauert, als, wie die tröstende Stimme des Engels in der Wüste, ein Ruf meines Führers erschallte, und ich bald darauf den Hufschlug seines Pferdes vernahm. Er hatte einen ganz andern Weg durch das innere Gebürge eingeschlagen, bei dem die Seepassage[11] vermieden ward, und glücklicherweise von der Frau erfahren, welche Direktion ich genommen. Im kostbaren Gefühl der nunmehrigen Sicherheit, vergaß ich alles Schmälen, belud den Rettungsengel mit meinem Sattel und nassen Mantel, übergab ihm das nackte Pferd, und setzte mich auf das seinige, zu möglichstes Eile antreibend. Wir hatten wirklich noch fünf Meilen zu reiten, und zwar, wie mir der Führer sagte, durch einen mit Abgründen eingefaßten Bergpaß – ich kann jedoch nichts weiter über den zurückgelegten Weg berichten. Die Dunkelheit war so groß, daß ich nur mit der äußersten Anstrengung, der Figur des Mannes vor mir, wie einem undeutlichen Schatten, folgen konnte. Ich merkte wohl an dem häufigen Stolpern der Pferde, daß wir uns auf unebnem Boden befanden, ich fühlte, daß es unaufhörlich steil bergauf oder hinunter ging, daß wir zwei Bergströme durch tiefe Furthen passirten – aber das war auch Alles – nur zuweilen ahnete ich mehr, als ich sah, daß eine schroffe Felswand mir zur Seite stand, oder das tiefere Schwarz unter mir verrieth, daß ein jäher Abhang nahe war – das Ganze aber vergegenwärtigte mir so lebhaft Mistriß Anna Radcliffs Romane, daß ich mich beinah für einen ihrer Helden gehalten hätte, der eben im Begriff sey, Udolpho's Geheimnisse zu entdecken. Endlich! endlich – brach heller Lichtschimmer durch das Dunkel – der Weg ward ebner, ein paar Spuren von Hecken wurden sichtbar, und in wenigen Minuten hielten wir vor einem alten Gebäude, das auf[12] dem felsigen Seeufer stand, und freundliche goldne Lichter durch die Nacht strahlte. Es schlug auf dem Thurm grade 11 Uhr, und ich gestehe es, mir ward schon bange für mein Diné, als ich nichts Lebendes, außer am obern Fenster einen Mann im Schlafrocke, erblickte. Bald indeß wurde es geräuschvoller im Haus, ein eleganter Bedienter erschien mit silbernen Leuchtern, und öffnete mir seitwärts eine Thüre, wo ich mit Verwunderung eine Gesellschaft von fünfzehn bis zwanzig Personen an einer langen Tafel, beim Wein und Dessert sitzen sah. Ein schöner großer Mann, von freundlichem Ansehen, kam mir entgegen, entschuldigte sich, daß er so spät mich nicht mehr erwartet hätte, bedauerte meine Reise in so furchtbarem Wetter, prasentirte mich vorläufig seiner Familie, die mehr als die Hälfte der Gesellschaft ausmachte, und führte mich dann in mein Schlafzimmer. Dies war der große O'Connel. – Eine kurze Toilette restaurirte mich schnell, während man unten für meine, allerdings nach solcher Tour nicht zu verschmähende, Beköstigung sorgte.

Als ich wieder in den Saal trat, fand ich noch den größten Theil der Gesellschaft versammelt. Man bewirthete mich sehr gut, und es wäre undankbar, nicht Herrn O'Connels alten Wein zu loben, der in Wahrheit vortrefflich war. Nachdem die Damen uns verlassen hatten, setzte er sich zu mir, und es konnte nicht fehlen, daß Irland der Gegenstand des Gesprächs werden mußte. Sahen Sie schon viele seiner[13] Merkwürdigkeiten? frug er; waren Sie schon im Norden, um den giants causeway (der Riesensteg) zu bewundern? – »O nein«, erwiderte ich lächelnd, »ehe ich Irlands Riesensteg besuche, wünschte ich zuerst Irlands Riesen zu sehen«, und damit trank ich ihm und seinem hohen Beginnen von Herzen ein Glas seines guten Clarets zu.

Daniel O'Connel ist wahrlich kein gemeiner Mann, wenn gleich der Mann des Volks. Seine Gewalt in Irland ist so groß, daß es in diesem Augenblick unbedingt nur von ihm abhängen würde, von einem Ende der Insel zum andern, die Fahne der Empörung aufzupflanzen, wenn er nicht viel zu scharfsichtig, viel zu sehr seiner Sache auf gefahrlosere Art sicher wäre, um einen solchen Ausgang herbeiführen zu wollen. Gewiß hat er auf eine merkwürdige Weise, im Angesicht der Regierung, und auf gesetzlichem offenkundigem Wege, geschickt den Moment und die Stimmung der Nation benutzend, sich diese Macht über dieselbe verschafft, welche ohne Armee und Waffen, dennoch der eines Königs gleicht, ja sie gewiß in vielen Dingen noch übertrifft – denn wie wäre es z.B. je Sr. M. Georg dem IV. möglich gewesen, vierzig Tausend seiner treuen Irländer drei Tage vom Whiskey-Trinken abzuhalten, wie es doch O'Connel, bei der denkwürdigen Wahl für Clare, zu bewerkstelligen gewußt hat. Der Enthusiasmus erreichte dort einen solchen Grad, daß das Volk selbst, unter sich, eine Strafe auf das Betrunkenseyn setzte. Diese[14] bestand darin, daß der Delinquent in eine seichte Stelle des Flusses geworfen, und dort zwei Stunden, mit mehrmaligem Untertauchen, festgehalten wurde.

Am andern Tage hatte ich noch mehr Gelegenheit, O'Connel zu beobachten. Im Ganzen übertraf er meine Erwartung. Sein Aeußeres ist einnehmend, und der Ausdruck von geistvoller Güte in seinem Gesicht, mit Entschlossenheit und Klugheit gepaart, äußerst gewinnend. Er hat vielleicht noch mehr Suada, als wahre großartige Beredsamkeit, und man bemerkt oft zuviel Absicht und Manier in seinen Worten, demohngeachtet muß man der Kraft seiner Argumente mit Interesse folgen, an seinem martialischen Anstand Gefallen finden, und oft über seinen Witz lachen. Gewiß ist es, daß er weit eher einem General aus Napoleons Regime, als einem Dubliner Advokaten ähnlich sieht. Diese Aehnlichkeit wird dadurch noch auffallender, daß er vortrefflich französisch spricht, denn er ist in den Jesuiter-Collegien zu Douai und St. Omer erzogen. Seine Familie ist alt, und wahrscheinlich früher sehr bedeutend im Lande gewesen. Seine Freunde behaupten sogar, er stamme von den ehemaligen Königen von Kerry ab, und beim Volke vermehrt dies ohne Zweifel sein Ansehen. Er selbst erzählte mir, nicht ganz ohne Prätention, daß einer seiner Vettern Comte O'Connel und Cordon rouge in Frankreich sey, der andere, Baron in Österreich, General und kaiserlicher Kammerherr, er aber sey der Chef der Familie. Soviel ich sehen[15] konnte, wurde er von den anwesenden Mitgliedern dieser, fast mit religieusem Enthusiasmus verehrt. Er ist jetzt ohngefähr 50 Jahre alt und sehr wohl konservirt, obgleich er eine blonde Perücke trägt. Uebrigens hat er eine ziemlich geräuschvolle Jugend durchlebt. Unter anderm machte ihn ein Duell, schon vor 10 Jahren, gewissermassen berühmt. Die Protestanten hatten gegen ihn, dessen Talente ihnen bereits gefährlich wurden, einen gewissen Desterre, einen Schläger und Bretteur von Profession aufgestellt, der durch alle Gassen Dublins mit einer Jagdpeitsche ritt, um, wie er sagte, diese einmal an des Königs von Kerry Schulter zu legen. Die natürliche Folge war eine Zusammenkunft am nächsten Morgen, wo O'Connel seine Kugel in Desterre's Herz niederlegte, während dessen Schuß ihm nur den Hut durchlöcherte. Dies war sein erster Sieg über die Orangemen, denen so viele wichtigere gefolgt sind, und noch hoffentlich folgen werden. Sein Ehrgeiz schien mir unbegränzt, und sollte er die Emancipation durchsetzen, woran ich nicht zweifle, so wird er damit seine Carriere keineswegs schließen, sondern sie wahrscheinlich dann erst recht beginnen. Uebrigens liegt auch das Uebel in Irland, und überhaupt in der ganzen Verfassung Großbritanniens, zu tief, um durch die große Emancipation der Katholiken gründlich gehoben werden zu können. Doch dies würde mich zu weit führen. Auf O'Connel zurückzukommen, muß ich noch erwähnen, daß er auch von der Natur das für ein Partheihaupt werthvolle Geschenk[16] eines herrlichen Organ's verliehen erhalten hat, verbunden mit einer guten Lunge und einer starken Constitution. Sein Verstand ist scharf und schnell, und seine Kennt nisse, auch außer seinem Fach, nicht unbedeutend. Dabei sind, wie schon gesagt, seine Formen gewinnend und populair, obgleich etwas vom Schauspieler darin bemerkbar ist, und bei einer sichtbaren großen Meinung von sich selbst, zuweilen auch ein wenig, was die Engländer »Vulgarity« nennen, mitunter läuft. Wo wäre ein Gemälde ganz ohne Schatten!

Noch ein andrer interessanter Mann, und ebenfalls ein (wiewohl mehr im Stillen wirkendes) Haupt der Katholiken, war hier gegenwärtig, derselbe Mann, den ich bei meiner Ankunft im Schlafrocke gesehen – Vater Lestrange, ein katholischer Friar, der zugleich O'Connels Beichtvater ist. Er kann als der eigentliche Stifter jener Katholik-Association angesehen werden, über die man in England soviel gespottet hat, und die dennoch, so zu sagen, bloß mit negativen Kräften, durch gewandte Thätigkeit im Verborgenen, durch allmähliche Organisirung und Bildung des Volkes zu einem bestimmten Zweck,1[17] eine unumschränkte Autorität über dasselbe erlangt hat, die fast der Hierarchie im Mittelalter gleicht, nur mit dem Unterschiede, daß diese dort für Sclaverei und Dunkel, jene hier für Freiheit und Licht benutzt wird. Es ist auch dies einer der Ausbrüche jener zweiten großen Revolution, welche bloß und allein durch intellektuelle Mittel, ohne irgend eine Beimischung von physischer Gewalt, bewerkstelligt zu werden anfängt, und deren fast einzige, aber unwiderstehliche Waffen, die Rednerbühne und die Druckerpresse sind. Lestrange ist ein Mann von philosophischem Geist, und unerschütterlicher Ruhe. Seine Formen sind die eines vollendeten Weltmanns, der in mannichfachen Geschäften Europa durchreist hat, die Menschen gründlich kennt, und bei aller Sanftmuth doch einen scharfen Zug von großer Schlauheit nicht immer ganz verbergen kann. Ich möchte ihn das Ideal eines wohlmeinenden Jesuiten nennen.

Da O'Connel beschäftigt war, machte ich früh mit dem Friar eine Promenade nach einer wüsten Insel, trocknen Fußes über den, von der Ebbe entblösten, glatten Meersand schreitend. Hier stehen die eigentlichen Ruinen der alten Abtey Derrinane, wovon O'Connels Haus nur ein Appendix ist. Sie soll[18] einst von der Familie wieder hergestellt werden, wahrscheinlich wenn gewisse Hoffnungen erst erfüllt sind.

Als wir zurückkamen, fanden wir O'Connel, wie einen Chieftain, auf der Schloß-Terrasse, von seinen Vasallen und andern Volksgruppen umringt, die sich Verhaltungsbefehle holten, oder denen er Recht sprach. Da er Jurist und Advokat ist, wird ihm dies um so leichter. – Niemand würde es aber auch wagen, gegen seine Entscheidungen zu appelliren. O'Connel und der Papst sind hier gleich infaillible. Prozesse existiren daher nicht in seinem Bereich, und dies dehnt sich nicht bloß auf seine eigenen tenants, sondern, wie ich glaube, auch auf die ganze Umgegend aus. Ich verwunderte mich nachher, sowohl O'Connel als Lestrange in religieuser Hinsicht ohne alle Bigotterie, ja mit sehr philosophischen und toleranten Ansichten zu finden, ohne deshalb aufhören zu wollen, gläubige Katholiken zu seyn! Ich wünschte, ich hätte einige jener wüthenden Imbecilles unter den englischen Protestanten, wie z.B. Herrn L..., hier herzaubern können, welche die Katholiken für so unvernünftig und bigott ausschreien, während sie selbst allein, im wahren Sinne des Worts, dem fanatischen Glauben ihrer politisch-religieusen Parthei anhängen, und im Voraus fest entschlossen sind: vor Vernunft und Menschlichkeit stets ihre langen Ohren zu verschließen.[19]

Im Lauf des Tages sollte eine Parforce-Jagd auf Hasen statt finden, (denn Hr. O'Connel hält eine kleine Meute) die in den Bergen, und an den weiten kahlen Abhängen hin, gewiß ein sehr malerisches Schauspiel abgegeben haben würde; die schlechte Witterung ließ es aber nicht dazu kommen. Mir behagte auch Ruhe, und die böchst interessante Gesellschaft, der ich gar manche lehrreiche Berichtigung verdankte, weit besser.

Kenmare, den 30sten.


Obgleich man mich, mit ächt irländischer Gastfreiheit, dringend einlud, noch eine Woche bis zu einem großen Feste, das bereitet wurde, und zu dem man noch viele Gäste erwartete, hier zu bleiben, glaubte ich doch dies nicht ganz à la lettre nehmen zu dürfen, und sehnte mich auch zu sehr nach Glengariff, um länger, als es für meinen Zweck nöthig war, hier zu verweilen. Ich empfahl mich daher an diesem Morgen der Familie, mit dem aufrichtigsten Danke für ihre freundliche Aufnahme. Herr O'Connel gab mir das Geleite, bis an die Gränze seiner Domainen, und ritt einen schönen großen Schimmel, auf dem er sich noch militarischer als in seinem Hause ausnahm. Der rauhe Weg, obgleich ganz von Vegetation entblöst, bot doch viele erhabne Aussichten dar, theils auf die Felsen landeinwärts,[20] theils auf das Meer voller Klippen und Inseln, von denen einige ganz isolirt, als hohe, spitze Berge aus dem Wasser steil empor steigen. Herr O'Connel machte mich auf eine derselben aufmerksam, und erzählte, daß er vor einigen Jahren einen Ochsen dort hinschiffen und aussetzen ließ, damit er sich auf der guten und ungestörten Weide recht fett mästen möge. Dies Thier nahm aber schon nach einigen Tagen so decidirten Besitz von der Insel, daß es wüthend ward, sobald irgend Jemand den Versuch machte, dort zu landen, und selbst die Fischer, die ihre Netze am Ufer ausstellen wollten, attakirte und verjagte. Oft sah man es, gleich Jupiter in Stiergestalt, mit erhobenem Schweif und feuersprühenden Augen, im wilden Lauf, die Runde seiner Domaine machen, rekognoscirend, ob irgend Einer sich noch zu nahen wage. Der emancipirte Ochse wurde zuletzt so unbequem und gefährlich, daß man ihn totschießen mußte. Dies schien mir eine ganz gute Satyre auf die Freiheitsliebe überhaupt, die mit erlangter Macht gewöhnlich sofort wieder in Herrschsucht ausartet, und die Ideen-Association mußte daher gerade jetzt wider Willen komische Bilder in mir erwecken.

Später kamen wir an eine merkwürdige Ruine, eins der sogenannten »dänischen Forts« an der Küste, die wohl nicht den Dänen, sondern der Vertheidigung gegen die Dänen ihren Ursprung verdanken. Sie sind über tausend Jahr alt, und die untern Mauern, obgleich ohne Mörtel zusammengefügt,[21] dennoch sehr wohl erhalten und fest. Bei einer, von einem angeschwollenen Bergstrom zertrümmerten Brücke, hielt O'Connel an, um mir das letzte Lebewohl zu sagen, und ich konnte nicht umhin, dem Kämpfer für die Rechte seiner Mitbürger zu wünschen, daß, wenn wir einst uns wieder sähen, das Zwangs-Gebäude englischer Intoleranz eben so durch ihn und seine Gehülfen zertrümmert seyn möge, als jene morschen Mauern, durch den sich Bahn brechenden Strom. So schieden wir.2

Da ich größtentheils denselben Weg wieder zurückkehrte, den ich gekommen, kann ich nicht viel Neues darüber sagen, ausgenommen daß er mich, ohngeachtet der Tag schön war, doppelt so sehr ermüdete als das erstemal – wahrscheinlich weil der Geist sich in geringerer Spannung befand. Nicht weit von Kenmare begegnete ich mehreren Transporten von Steinen, Brettern, Bohlen, Bier und Butter. Alles wurde zu Pferde fortgeschafft. Die Irländer sind sehr ingenieus in Transportmitteln. Ihre vortrefflichen Carrs, mit denen ein Pferd so bequem fünf bis sechs Personen fortbringt, habe ich Dir schon beschrieben – eben so zweckmäßig sind ihre Transportkarren[22] für Heu, Holz etc., wo auch ein Pferd dieselbe Arbeit thut, zu der bei uns drei gebraucht werden. Das Gleichgewicht, in welchem die Last, so zu sagen, balancirt wird, macht dies allein möglich. Ein Karren wird, z.B. mit langem Bauholz, so aufgeladen, daß man das Pferd kaum sehen kann, welches ganz vom Holze eingehüllt ist, dessen Stämme viele Ellen hinter dem Wagen und vor dem Pferde hinausragen. Die Vertheilung des Gewichts auf beiden Seiten ist dadurch so vollkommen hervorgebracht, daß die Stämme nur auf einem Punkte aufliegen, und daher das Pferd nur wenig im Verhältniß zu ziehen hat. Bergauf und herab hilft der Führer leicht nach, durch Heben oder Niederdrücken der Enden, welche die geringste Kraft schon in Bewegung setzt. Eben so werden fünf bis sechs schwere eichne Bohlen auf plattem Sattel über ein Pferd gelegt, das sie, wie eine Balancierstange, ohne große Beschwerde fortträgt, obgleich es unter derselben Last, in einem andern Volumen, z.B. in einer Kiste enthalten, erliegen müßte. Auch um Steine, über dem Sattel hängend, zu transportiren, haben sie eine sinnreiche Vorrichtung, gleich hölzernen Körben, die auf einer dicken Strohunterlage über des Pferdes Rücken befestigt werden.

Die frohe Laune und gutmüthige Höflichkeit der Leute, denen ich begegnete, fand ich sehr einnehmend. Kein Volk, das ich kenne, erscheint in seinen[23] untern Classen weniger egoistisch, und dabei dankbarer für das geringste freundliche Wort, dessen ein Gentleman es würdigt, ohne damit die mindeste Idee von Interesse zu verbinden. Ich wüßte daher auch wirklich kein Land, wo ich lieber ein großer Grundbesitzer seyn möchte, als hier. So wurde ich z.B. mit dem, was ich am andern Orte gethan, und dafür nur Undank geerndtet, und Hinderung aller Art gefunden – mir hier gewiß nicht nur 10 – 12,000 Untergebne auf Leib und Leben zu eigen gemacht, sondern ich würde auch, mit weit geringeren Kosten und Zeit, ein unendlich höheres Resultat gewonnen haben, da hier mit Natur und Menschen alles, überhaupt Ausführbares, zu erreichen ist. Das Volk vereinigt im Allgemeinen, bei aller seiner Rohheit, die Biederkeit und poetische Gemüthlichkeit der Deutschen, mit der Lebhaftigkeit und schnellen Conception der Franzosen, und besitzt als Zugabe, alle Natürlichkeit und Unterwürfigkeit der Italiäner. Man kann mit vollem Recht von ihm sagen, daß es seine Fehler nur andern, seine Tugenden aber allein sich selbst zu verdanken hat. Ich muß in dieser Hinsicht noch eine, an sich unbedeutende, Begebenheit erzählen, die ich früher überging, die aber als ein nationeller Zug doch der Erwähnung verdient.

Als ich vor vier Tagen von Killarney nach Kenmare fuhr, begegneten mir fortwährend Leute, die auf dem Markt im letzten Ort Vieh gekauft hatten, und es jetzt nach Hause trieben. Sie ritten gewöhnlich[24] auf, ebenfalls erst gekauften, Füllen, ohne Zügel, und da Menschen und Vieh sich einander noch fremd waren, so konnten sie ihre Thiere nur schlecht regieren. Wir wurden dadurch mehreremal gezwungen, still zu halten. Dies langweilte mich endlich, und bei der dritten oder vierten Rencontre dieser Art, rief ich den Leuten barsch zu: ich hätte nicht Zeit, ihrer Ungeschicklichkeit wegen, den halben Tag auf der Straße zuzubringen, und befahl, etwas übereilt, dem Kutscher, nur darauf los zu fahren. Sogleich machten zwei Füllen mit ihren Reitern links um, vor dem Wagen hergallopirend, und die ganze Heerde zertheilte sich scheu in die Berge. Meine Raschheit that mir jetzt leid, und ich ließ sogleich wieder anhalten. Es waren im Ganzen vier bis fünf Treiber, die ich so deroutirt hatte, alles rüstige junge Kerle, und der Streich, den ich ihnen gespielt, gewiß einer der unangenehmsten, da voraus zu sehen war, daß sie wenigstens eine halbe Stunde brauchen würden, um ihr zersprengtes Vieh wieder zu sammeln. Deutsche, Engländer oder Franzosen würden einem Reisenden, der mit einem zerlumpten Kutscher, in einem elenden Einspänner fuhr, und ihnen unbesonnen dieß bot, gewiß mit gehöriger Grobheit zugesetzt, und vielleicht gar ihn festzunehmen versucht haben, um den etwaigen Schaden zu ersetzen. Ganz anders war das Betragen dieser guten Leute, witzig und respektvoll zugleich. O murther, o murther! schrie der Eine, während das widerspenstige Füllen noch einen Versuch machte, den Berg hinan zu springen,[25] und ihn beinahe abwarf: God bless Your honour, but every Gentleman in England and Ireland get's out of the way of cattle! O for God's sake stop now, Your honour, stop! (O Mord, Mord!3) Gott segne Euer Ehren, aber jeder Gentleman in England und Irland geht doch Vieh aus dem Wege! – O um Gotteswillen, haltet an, Euer Ehren, haltet an!) Als ich nun angehalten hatte, und die armen Teufel die größte Mühe gehabt, einen Theil des am weitesten zurück gelaufnen Viehs wieder einzuholen, kamen sie nochmals an meinen Wagen, um mir mit abgezogener Mütze und »Long life to Your honour!« für meine Güte zu danken, worauf sie lustig das Einfangen, und ich meinen Weg fortsetzte. Ich mußte mir selbst gestehen, daß ihr Betragen lobenswerther war als das meine, und verbesserte es, so gut ich konnte, durch ein ansehnliches Trinkgeld.


Den 1sten Oktober früh.


Obgleich peinlich müde, konnte ich gestern Abend doch nicht einschlafen, und frug daher beim Wirth an: ob er irgend ein Buch besitze? Man brachte mir[26] eine alte englische Uebersetzung von Werther's Leiden. Du weißt wie hoch und innig ich unsern Dichterfürsten verehre, und wirst mir es daher kaum glauben wollen, wenn ich Dir sage: daß ich dieses berühmte Buch nie gelesen. – Der Grund möchte auch Vielen sehr kindisch vorkommen. Als ich es nämlich zuerst in die Hände bekam, erweckte mir die Stelle, gleich im Anfang, wo Charlotte dem Buben »die Rotznase wischt« einen solchen Eckel, daß ich nicht weiter lesen konnte, und dieser unangenehme Eindruck blieb mir immer gegenwärtig. Diesmal machte ich mich jedoch ernstlich an die Lectüre, und fand es dabei seltsam, Werther zum erstenmal, in fremder Sprache, mitten in den wüstesten Gebürgen von Irland zu lesen. Ich konnte aber auch hier, aufrichtig gestanden, den veralteten Leiden keinen rechten Geschmack mehr abgewinnen – das viele Butterbrod, die kleinstädtischen, nicht mehr üblichen Sitten und selbst die, (gleich den zu Gassenhauern herabgesunkenen schönen Mozartschen Melodien) jetzt auch Gemeinplätze gewordenen Ideen, die damals neu waren – endlich die unwillkührliche Erinnerung an Potiers köstliche – Parodie – es war mir nicht möglich, in die rechte Communionsstimmung, wie Hr. v. Frömmel sagt, hinein zu kommen. Aber so viel habe ich, Scherz bei Seite, wenigstens eingesehn, daß das Buch einst Furore machen mußte – denn es ist eine ächt deutsche Stimmung, an der Werther untergeht, und deutsche Gemüthlichkeit fing damals eben an, sich in dem zu materiell gewordnen[27] Europa Bahn zu brechen. Freilich durchschritt es Meister, und vielmehr nachher noch Faust mit ganz andern Riesenschritten! Der Werther-Periode sind wir, glaube ich, entwachsen, an dem Faust aber kaum herangekommen, und kein Zeitalter wird, so lange es Menschen gibt, ihm entwachsen können.

In der Tragödie Faust ist wie in Shakspeare des Menschen ganzes Innere abgespiegelt und in der Hauptfigur nur der Menschheit ewiges räthselhaftes Sehnen personificirt, das nach einem unbekannten Etwas rastlos ringt, welches dennoch hier nie erreicht werden kann; daher auch das Drama offenbar nie ein völlig abschließendes Ende haben könnte, wenn es auch noch durch viele Akte ausgedehnt würde. Wie aber eben der edlere Menschengeist hier eine schwindelnde Straße betritt, gleich der Brücke des Koran, so ist er auch auf ihr dem bodenlosen Falle jeden Augenblick näher, als der Thiermensch, der ruhig auf der sichern Ebne – weidet.

Ein Vetter des Herrn O'Connel, der Parforce-Jagden am See von Killarney hält, hatte mir eine solche für morgen versprochen, – ich habe aber eine wahre Antipathie, etwas schon Gesehenes wieder zu besuchen, so lange ich noch Neues vor mir habe, und eine sehr große Veränderung können Hunde und Jäger der mir bereits bekannten Scene doch nicht geben. Dagegen erwarteten mich in Glengariff liebenswerthe Menschen, und gar viel[28] Neues; – ich zog also das Letztere vor, ritt wieder über den Teufelsberg, diesmal bei Tage, und befinde mich seit einer Stunde hier, in einem niedlichen Zimmer etablirt, und alle Pracht der Bay vor meinem Fenster ausgebreitet. Ehe ich Kenmare verließ, wurde meine Eitelkeit noch auf eine empfindliche Probe gesetzt. Die irländische Naivetät der Wirthstochter hatte mich, beim jedesmaligen Zurückkommen nach ihres Vaters Gasthof, so angenehm angesprochen, daß ich mich fast allein mit ihr unterhielt, und dadurch ihre Gunst gewann. Sie hatte ihre Berge nie verlassen, und war so unbekannt mit der Welt, als es nur denkbar ist. Scherzend frug ich sie, ob sie mich wohl nach Cork begleiten wolle? Ach nein, rief sie, da würde ich mich doch fürchten, so weit mit Ihnen zu gehen! sagen Sie mir nur, wer Sie eigentlich sind? daß Sie ein Jude sind, weiß ich schon. – Was, bist Du toll, woher soll ich denn ein Jude seyn? – Nun das werden Sie doch nicht leugnen, haben Sie nicht einen langen schwarzen Bart rund ums Kinn, und fünf bis sechs goldne Ringe an den Fingern? Und waschen Sie sich nicht immer früh eine Stunde lang, und machen Ceremonieen dabei, wie ich sie doch sonst noch nie von einem Christenmenschen gesehn habe! Nicht wahr, gestehen Sie es nur, Sie sind ein Jude? – Mein Depreciren half nichts, sie blieb dabei; endlich meinte sie doch gutmüthig, wenn ich denn durchaus keiner seyn wolle, so wünsche sie mir wenigstens, to become as rich as a Jew (so reich zu werden wie ein[29] Jude, eine englische Redensart). Dies bekräftigte ich gern mit einem christlichen: Amen!


Den 2ten Oktober.


Eben komme ich von einer sechzehnmeiligen Promenade mit C...l W... zurück, nach Hungryhill, einem erhabnen Bergfelsen am Ende von Bantry Bay, merkwürdig durch seinen Wasserfall, und durch Thomas Orourte's Reise nach dem Monde, auf des Adlers Rücken, die von hier aus statt fand, und seitdem in Prosa und Versen so vielfach besungen wurde. Auch in Deutschland ist das amüsante Märchen wiederholt übersetzt worden, wo es Dir vielleicht vorgekommen seyn mag. Der Held der Geschichte ist ein fast immer betrunkener Garde-chasse des Lord B.... der noch lebt, und den mir Mr. W... beim Zuhausefahren, im Gasthofe präsentirte. Er ist jetzt sehr stolz auf seine Berühmtheit, und schien mir, als ich ihn sah, gerade wieder im Begriff, eine Mondreise anzutreten.

Für die Wasserfälle ist der viele Regen dieser Tage sehr vortheilhaft gewesen. Der Fall am Hungryhill verschwindet fast ganz in trocknem Wetter, übertrifft aber, nach heftigen Regengüssen, auf einige Stunden, den Staubbach und Terni. Hungryhill (der Hungerberg) ist gegen 2000 Fuß hoch, und eine fast[30] ganz kahle ungeheure Felsenmasse. Von der Landseite bildet er zwei steile Absätze, zwischen welchen sich, auf dem Plateau, ein See befindet, den man natürlich von unten nicht sieht, wo das Ganze nur die fortlaufende Linie zwei colossaler Terrassen darbietet. Die obere besteht aus ganz kahlem Stein, und wird in der Mitte, durch eine vertikale, wie von der Kunst tief gegrabene Rinne getrennt; die untere Terrasse, obgleich auch ohne sehr sichtbare Unebenheit, ist doch an ihrem Abhang mit Heiden und grobem Grase bedeckt, wo gewöhnlich Hunderte von Ziegen weiden.

In der erwähnten obern Rinne nun, ergießt sich, von der höchsten Spitze des Bergs, die Wassermasse herab, fällt in den, auf dem Absatz befindlichen, See, und stürzt sich dann, diesen überfüllend in vier getrennten Fällen von neuem, in so großen Bogen, auf die Thalwiese nieder, daß die Ziegen ruhig darunter fortweiden können, während die Wasserströme das Wiesenthal in der Tiefe bald auch in einen temporairen See verwandeln.

Da man unten stehend, die Trennung des obern und der unteren Fälle, nebst den zwischen liegenden See, wie schon bemerkt, nicht sehen kann, erscheint dem Auge das Ganze, nur wie ein ungeheurer Sturz, dessen Wirkung alle Beschreibung übersteigt. Obrist W. versicherte mich, bei höchstem Wasserstande die Bogen des Falles so weit abgeschleudert[31] gesehen zu haben, daß, nach seinem eignen Ausdruck, ein Regiment darunter hätte aufmarschirt stehen können, ohne benetzt zu werden, wozu der betäubende Lärm, wie er sagte, nahen Kanonendonner gut dargestellt hätte.

In einer der Schluchten nebenan fand die, in Irlands fabelhafter Geschichte merkwürdige Schlacht, zwischen dem großen O'Sullivan und O'Donnivan, statt, und man zeigt noch die Ueberreste eines uralten Arbutus-Stammes, an welchem, der Sage nach, O'Donnivan aufgehangen wurde. Geld und Kostbarkeiten sind wirklich in diesem Bezirk noch vor kurzem, tief in der Erde vergraben, aufgefunden worden.

Die Adler dieser Gebürge, welche auf ganz unzugänglichen Felsen horsten, spielen eine große Rolle in allen Mährchen des Volks. Sie sind außerordentlich groß und stark, und es ist erwiesen, daß sie zuweilen selbst Kinder rauben. Vor einiger Zeit entführte ein solches Raubthier einen dreijährigen Knaben, und deponierte ihn, weil er ihm doch wahrscheinlich zu schwer ward, fast unversehrt, wenigstens lebend, auf einem Felsenabsatz, wohin man sogleich nachkletterte, und den Knaben glücklich rettete. Der neue Ganymedes – als Corpus delicti – existirt noch im besten Wohlseyn. Ein ähnlicher Fall dieser Art trug sich erst vor wenig Monaten zu. Der Adler nahm ein ganz kleines Mädchen, vor des Vaters Augen, vom Boden auf, und verschwand mit ihm[32] in den Felsen, ohne daß man die geringste Spur von dem armen Kinde mehr hat auffinden können.


Den 3ten.


Col. W..... ist ein eben so großer Parkomane als ich, aber nicht ganz so gourmet, et sa câve s'en ressent un peu. Dagegen verschafft die Jagd, zu Lande und zu Wasser, der Tafel mehrere Delikatessen. Die Berghühner sind unter andern vortrefflich, und die Austerbank im Park liefert tellergroße, und besonders schmackhafte Geschöpfe dieser Art. Uebrigens wimmelt die Bay von Fischen und Seehunden. Ein solcher saß heut früh auf einer hervorragenden Klippe, grade meinem Fenster gegenüber, und schien mit großem Vergnügen und fast tanzender Bewegung, der Musik eines Piper zuzuhören, dessen bagpipe vom nahen Gasthof herüberschallte. Diese Thiere sollen die Musik so leidenschaftlich lieben, daß sie, bei Wasserparthien auf der Bay, den Böten der Musikanten zu 20 bis 30 folgen, und sich auch vom Jäger auf diese Weise überall hinlocken lassen. Es ist wirklich grausam, ihren Kunstsinn so zu mißbrauchen!

Leider regnete es heute den ganzen Tag, so daß ich gezwungen war, zu Haus zu bleiben. Früh wohnte ich dem täglichen Privatgottesdienst der Familie bei, deren weibliches Personal zwar etwas[33] bigott in der Form, aber, wie mir schien, doch auch ächt fromm in der That ist. Wir setzten uns Alle im Kreise bin, dann las die Mutter einen Satz aus dem englischen Prayerbook, die älteste Tochter den nächsten, und so fortdauernd vice versa, Prediger und Küster in der Kirche nachahmend. Hierauf begann die Tochter, welche etwas Verschlossenes und Schwärmerisches hat, ein besonderes, sehr langes Gebet, das wohl eine Viertelstunde dauerte, während welchem alle Anderen (ich natürlich auch) sich schamhaft gegen die Wand kehren, vor ihrem Stuhl auf die Kniee fallen, und das Gesicht in die Hände legen mußten. Die Mutter seufzte und stöhnte, der Hausherr schien ein wenig ennuyiert, die jüngste Tochter (ein allerliebstes Mädchen, die ein gutes Theil mondainer als die älteste gesinnt ist) hatte hie und da Zerstreuungen, der Sohn aber es gar für besser gehalten, sich ganz zu absentiren. Ich, bei dem jeder nach innen gerichtete Gedanke zu jeder Tageszeit ein Gebet zu Gott ist, glaubte, ohne unfromm zu seyn, hier ein wenig nach außen beobachten zu dürfen.

Nachdem die Gesellschaft wieder aufgestanden war, die Kniee abgewischt, und die Röcke heruntergezupft hatte, denn der englische Enthusiasmus vergißt sich nicht so leicht, wurde eine Geschichte aus dem Evangelio von der Mutter gelesen. Man hatte diesmal die Mahlzeit gewählt, wo 6000 Mann mit zwei Fischen und drei Broden, wenn ich nicht irre, gesättigt wurden, und noch gar viel übrig blieb.[34]

Glücklicherweise wurde uns das Mittagsessen nicht mit gleicher Sparsamkeit zugemessen, und die Gottesgaben dabei durch die heiterste Unterhaltung gewürzt. Einmal beging ich jedoch einen unwillkührlichen Verstoß. Ich sprach nämlich scherzend von dem Kometen im Jahre 32, der der Erde oder Erdbahn näher als die bisher bekannten kommen soll, und bemerkte, daß, nach Lalande's Berechnung ein Komet, der sich auf 50,000 Meilen der Erde näherte, eine solche Attraktionskraft auf sie ausüben müßte, daß er die Meeresfluthen bis über die Spitze des Chimborasso ziehen würde. Kommt der zweiunddreißiger uns so nahe, setzte ich hinzu, so ertrinken wir wenigstens alle auf einmal. – »Verzeihen Sie, das ist jedenfalls unmöglich«, erwiderte Mistriß W... sehr ernsthaft, »denn das wäre ja eine zweite Sündfluth und Sie scheinen ganz vergessen zu haben, daß uns in der Bibel versprochen ist, eine zweite Sündfluth solle nicht statt finden, aber zum letztenmal die Erde durch Feuer zerstört werden. – (Il faut avouer, que la faveur n'est pas grande.) Daß diese Zerstörung aber wohl nahe seyn mag«, fuhr sie seufzend fort, »glaube ich selbst, denn die Unterrichtetsten unserer heiligen Männer kommen jetzt darin überein, daß wir uns wahrscheinlich im siebenten Reich der Offenbarung Johannis befinden, in welcher der Welt Ende prophezeit ist, und wo unser Heiland kommen wird, uns zu richten.« Wie sonderbar sind nun die Frommen! Ueber diese Aeußerung geriethen Mutter und Tochter in so heftigen und zuletzt erbitterten[35] Streit, daß ich unwürdiger Laye mich für ihre Versöhnung bemühen mußte. Dieser Streit entspann sich darüber, ob bei der erwähnten Katastrophe die Menschen sofort gerichtet und dann verbrannt, oder erst verbrannt und dann gerichtet werden würden. Die Tochter fragte entrüstet (et je vous jure que je ne brode pas) ob unser Heiland, wenn er käme, mit dem Richten erst warten solle, bis die Welt verbrannt sey? es stünde deutlich in der Schrift: daß er kommen würde zu richten über die Lebenden und die Todten, was nicht möglich sey, wenn vorher Alle schon verbrannt worden wären! Die Welt würde also offenbar erst nachher, wenn Alle gerichtet wären, verbrannt. Die Mutter erklärte dies, eben so heftig, als einen wahren nonsense, Menschen müßten nothwendig erst sterben, ehe sie selig oder verdammt werden könnten, und die angeführte Stelle bezöge sich, wo sie von Lebenden und Todten spräche, nur eines Theils auf die, welche bei der Ankunft des Feuers noch lebten, und andererseits auf die, schon längst vorher im Grabe Liegenden. Sie blieb also dabei: erst verbrannt und dann gerichtet! Beide wünschten nun meine Meinung zu wissen, um sich, durch meinen Beitritt, im Kampfe zu verstärken. Ich wagte zu antworten: daß ich in diesen Details nicht allzugut bewandert wäre, und daß mir ihr Streit fast so vorkäme, als der, bei Madame du Déffant, über den heiligen Dionysius: ob dieser nämlich eine oder sechs Meilen ohne Kopf gegangen sey? worauf Frau von Deffand bekanntlich entschied: dans ces sortes[36] de choses, il n'y a que le premier pas qui coute. Uebrigens hätte ich selbst mich in der Christuslehre immer am meisten an die Vorschriften der Pflichterfüllung, Zuversicht auf Gott, Sanftmuth und Nächstenliebe zu halten gesucht, obgleich es mir leider nur zu selten damit nach Wunsch gelungen – glaubte aber doch, in Folge dessen, unbekümmert darüber seyn zu können, ob wir erst gerichtet und dann verbrannt, oder erst verbrannt, und dann gerichtet würden. Alles was Gott thue, sey jedenfalls wohlgethan. Ich müßte aber gestehen, daß ich mich während meines hiesigen Lebens eben so gut in Gottes Hand, und eben so nahe seiner Macht, betrachte, als nach meinem irdischen Ende, oder selbst nach dem Ende der kleinen Erde, die wir Welt zu nennen pflegen. Das Weltgericht daure, meiner Meinung nach, ewig, gleich dem Weltengeist. – Diese Erklärung versöhnte die Kämpfenden glücklich, – indem sie sie beide gegen mich vereinigte. Doch gelang mir noch zuletzt ein geschickter Rückzug, ohne ganz ihre Gunst zu verlieren.

Gegen Abend hatten wir, zwischen Streifregen, Dämmerung und Sonnenuntergang, noch eine herrliche Beleuchtung. Unser Wasserfall im Park war so angeschwollen, daß er sich auch etwas zu donnern erlaubte, und Gras und Busch hatte sich gar artig mit bunten Sonnenstrahlen illuminirt. Wir spazirten bis in die Nacht umher, sahen den hohen Sugarloaf nach und nach vom Dunkelblau in's Rosa übergehen, und ergötzten uns am klaren Spiegel des Meers, am Hüpfen der Fische auf seiner Oberfläche,[37] und den friedlichen Spielen der Fischottern, bis die grausamen Fischerlichter in der Bay das Fest mit einem allgemeinen Kriegstanz beschlossen.

Alles ist hier schön, selbst die Luft, welche wegen ihrer Salubrität berühmt ist.4 Insekten plagen die Menschen auch nicht, daß die Bay eine solche Tiefe hat, daß die Ebbe fast nirgends den Boden entblößt, und der stete, sanfte Lustzug des Thals ihnen wahrscheinlich auch nicht behaglich ist. Das Klima bleibt sich fast immer gleich, weder zu warm noch zu kalt, und die Vegetation ist so üppig, daß nur eine Sache mehr, und eine weniger da zu seyn brauchte, um den größten Theil der kahlen Berge, und auch die Felsen, in ihren Zwischenräumen, mit den schönsten Wäldern zu bekleiden, nämlich – Pflanzer und Ziegen. Den ersten fehlt es an Geld zur Auslage, oder an der Lust, es hier anzulegen, die zweiten lassen nichts, das nicht doppelte Mauern schützen, aufkommen. Ehemals sollen die meisten dieser Gebirge mit Hochwald bedeckt gewesen seyn, aber die Engländer, welche immer nur daran dachten, so viel Geld als möglich in Irland zu machen, schlugen alles nieder, zum Verkohlen und zum Gebrauch der Eisenhämmer, die seitdem eingehen mußten, deren Rudera man aber noch an mehreren Orten findet. Ein anderer Vorzug dieser Gegend ist, nach meinem Geschmack, ihre Abgeschiedenheit. Ein Wagen kann[38] sie kaum erreichen, und, wenige neugierige Reisende von meiner Art aus genommen, wird keiner versucht, die schwierigen Approschen zu besiegen. Ein gutmüthiges Volk wohnt hier, nicht in Dörfern vereinigt, sondern einzeln im Gebürge zerstreut, und führt, unverdorben vom Gewühl der Städte, ein patriarchalisches Leben. Es ist auch nicht so widerlich arm, als in andern Theilen des Landes. Die Bedürfnisse dieser Leute sind gering; Torf zum Feuern dürfen sie holen, wo es ihnen gutdünkt, Gras für ihre Kühe ebenfalls in den Sümpfen, und Fische zur Nahrung liefert ihnen das Meer, mehr als sie bedürfen. Für den mit Schaffungslust ausgerüsteten Besitzer eröffnet sich hier ein unerschöpfliches Feld. Wäre ich ein Kapitalist, hier ließe ich mich nieder.

Mein freundlicher Wirth sorgt für die schnelle Beförderung dieses Briefes. Der Himmel gebe, daß er, in froher Stimmung geschrieben, auch Dich in froher Stimmung antreffe. Erinnere Dich immer des Wahlspruchs meiner Ahnfrau: Coeur content, grand talent!


Dein treu ergebener L....

1

Alle katholischen Kinder in Irland werden sorgfältig unterrichtet, und können wenigstens lesen, während die protestantischen oft höchst unwissend sind. Ueberhaupt ist der moralische Ruf der katholischen Geistlichkeit in Irland überall exemplarisch, wie einst der verfolgten Reformirten in Frankreich. Die unterdrückte Kirche scheint überall die Tugendhafteste zu werden, und die Gründe sind leicht aufzufinden.

A.d.H.

2

Zum Theil ist der Wunsch meines seligen Freundes ja nun schon erfüllt worden, und mit wie Vielem geht noch die Zukunft schwanger!

A.d.H.

3

Ein irländischer Lieblingsschwur.

A.d.H.

4

Bis jetzt wird noch keine Taxe davon erhoben.

A.d.H.

Quelle:
[Hermann von Pückler Muskau]: Briefe eines Verstorbenen. Erster und Zweiter Theil: Ein fragmentarisches Tagebuch aus England, Wales, Irland und Frankreich, geschrieben in den Jahren 1828 und 1829, Band 2, Stuttgart 21831, S. 1-39.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Briefe eines Verstorbenen
Briefe eines Verstorbenen: Ein fragmentarisches Tagebuch
Briefe eines Verstorbenen: Herausgegeben von Heinz Ohff
Ironie Des Lebens: Bd. Einleitung. Aus Den Zetteltoepfen Eines Unruhigen. Die Pfarre Zu Stargard. Scheidung Und Brautfahrt.-2.Bd. Briefe Eines Verstorbenen (German Edition)

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Therese. Chronik eines Frauenlebens

Therese. Chronik eines Frauenlebens

Therese gibt sich nach dem frühen Verfall ihrer Familie beliebigen Liebschaften hin, bekommt ungewollt einen Sohn, den sie in Pflege gibt. Als der später als junger Mann Geld von ihr fordert, kommt es zur Trgödie in diesem Beziehungsroman aus der versunkenen Welt des Fin de siècle.

226 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon