Antwort

[66] »Solchen Kranz, wie deine Lieb' mir flicht,

Glaube mir, ach, ich verdien' ihn nicht;

Läßt mich doch dein flammend Lied erscheinen

Als der leuchtend Ueberird'schen Einen,

Der als Götterbild in's Leben ragt,

Den man betend nur zu lieben wagt.

O ich weiß, daß deines Lobes Worte

Wandeln aus wahrhaft'ger Seele Pforte,

Daß, was Deine Dichterlippe singt,

Wahr und wirklich dein Gemüth durchdringt:

Aber Sorge muß mich bang beschleichen,

Daß die Täuschung endlich wird entweichen,

Daß, wenn rauher Wirklichkeiten Strahl

Einst entfärbt dein träum'risch Ideal,[67]

Der Erkenntnißschmerz dich wird durchbeben:

Das nur liebt' ich, was ich ihm gegeben! –

Rufen wirst du dann, von Qual durchfleischt:

Bitter hab' ich ihn und mich getäuscht!

Und der Mensch wird dir nicht mehr genügen,

Den im Traum du sahst mit Engelzügen!« –

»Nein, mein Lieb! kein leeres Traumgebild

Ist's, dem meines Herzens Jubel gilt.

Nein! ich will dich mit phantast'schem Streben

Zu den Engelchören nicht erheben

Nicht mit Ideales Sternenband

Kränzen deiner schönen Stirne Rand.

Wenn für dich in tiefer Lieb' ich brenne,

Ist's, weil ich dein Inn'res ganz erkenne,

Weil ich treulich folgte jeder Spur

Deiner menschlich herrlichen Natur.

Vieles ist an mir vorbeigegangen,

Sieh's an meinen marmorbleichen Wangen,

An des Auges thränenfeuchtem Strahl,

Hör's an meiner Stimme Seufzerhall.

Längst verraut mit dieses Lebens Müh

Lebe ich kein Sein der Phantasie;

Darum darfst du meinen Worten trauen,

Wenn mit Augen, die vor Rührung thauen,[68]

Dir mein Lied nun innig offenbart,

Daß dir darum meine Liebe ward,

Weil ich nimmer fand in Lebens Reichen

Einen Menschen, der dir zu vergleichen,

Dessen Herz so rein und unentweiht

Und so stark blieb in dem Sturm der Zeit;

Dessen Geist, so kühn und stolz im Wagen,

So verstand gebrochner Seele Klagen;

Dessen Huld, ein mild verklärend Licht,

Den, der sie gewonnen, heilig spricht.

Könnt' ich nun im Liede Schön'res zeigen,

Als dir wahr und wirklich ist zu eigen?

Möcht' ich schmücken dich mit fremdem Schein,

Da so edle Sonnenstrahlen dein?

O was könnte Phantasie erfinden,

Das nicht herrlicher in Dir zu finden?!

Laß mich drum, mein Freund, zu jeder Frist

Dich nur treulich schildern, wie du bist!

Wozu wär' mir auch Gesang gegeben,

Wenn für dich nicht, du mein liebes Leben?«

Quelle:
Betty Paoli: Gedichte. Pest; Leipzig 21845, S. 66-69.
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