Geisterspuk

[148] Woher das räthselhafte Grauen,

Das nächtig meine Seele trübt?

Muß ich die Seele dessen schauen,

Den ich so tief, so heiß geliebt!


Es ist nicht Schmerz, daß nun zerrissen

Das festgeschlungne Seelenband,

Und daß ich muß im Dunkel missen

Die liebgewohnte Führerhand!


Noch ist's das ungestüme Sehnen

Der mitleidslos verlassnen Braut,

Die unter Strömen heißer Thränen

Zurück auf schön're Tage schaut.
[149]

Die holden Täuschungen beschränken

Mir nicht mehr den erloschnen Blick;

Mit kaltem Lächeln kann ich denken

An früh're Zeiten und ihr Glück.


Und dieses ist's, was trüb und traurig

Durch meine tiefste Seele geht,

Und wie ein Hauch des Todes schaurig

Um meine bleiche Stirne weht:


Daß dieser Blick, der einst entzündet

In mir dämonisch wilde Lust,

Nun nichts als todte Asche findet

In meiner ausgebrannten Brust;


Daß die melodisch süße Rede,

Der einst ich lauschte wonnerschreckt,

In meiner Seele Wüstenöde

Kein freudig Echo mehr erweckt;


Daß ich dieß Bild, deß Schönheitsprangen

Mich einst durchflammt mit trunknem Wahn,

Nun ohne Wunsch, ohne Verlangen,

Mit eis'gem Ernst betrachten kann.
[150]

Daß wie ein leiser Klang der Leier

Schwand, was unsterblich ich geglaubt,

Das wirft den dunkeln Nonnenschleier

Auf mein dem Schmerz verfallnes Haupt!


O welche Macht der Erde schriebe

In's Herz mir noch den sel'gen Schwur,

Seit ich die Sterblichkeit der Liebe

Vernichtet an mir selbst erfuhr!


Ich fühl' es: zwischen mich und Jeden,

Den heiß die Sehnsucht zu mir reißt,

Drängt sich mit höhnisch bittern Reden

Der abgeschiednen Liebe Geist.

Quelle:
Betty Paoli: Gedichte. Pest; Leipzig 21845, S. 148-151.
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