9.

[215] Wen einmal du geliebt, der sei für alle Zeit,

In jedem Lebensdrang dir heilig und geweiht.


Ob er der Liebe, die du einst für ihn getragen,

Auch werth gewesen sei? das hast du nicht zu fragen.


Steht doch das Eine fest, du hast ihn einst geliebt!

Das ist's, was ihm ein Recht, ein ew'ges auf dich gibt.


Wär' er der Schonung auch ganz unwerth zu erklären,

Du müßtest das Gefühl, das du ihm weihtest, ehren.


Und ehren kannst du's nur durch immer gleiche Huld

Für Jenen, dem es galt, wie groß auch seine Schuld.


Nicht lieben sollst du ihn, ist falsch und schlecht sein Wesen;

Doch auch vergessen nicht, daß er dir lieb gewesen.


Wenn eine ird'sche Kron' so große Macht schon hegt,

Daß unverletzlich wird, wer sie auch immer trägt:
[216]

Wie möchtest du ein Haupt wohl zu verletzen wagen,

Das einst das Diadem der Liebe hat getragen?

Quelle:
Betty Paoli: Gedichte. Pest; Leipzig 21845, S. 215-217.
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