3.

[159] Frau Marthe, Baumkirchers einzig Kind,

Mahnt ab, mit ahnendem Grauen:

»Ihr wißt, wie böse sie Euch gesinnt,

Und wollt Euch ihnen vertrauen?

Ich sähe Euch lieber von Priesterhand

Gesalbt schon mit heil'gem Oele!

Ihr waget Euch an des Abgrund's Rand,

Ihr geht in des Drachen Höhle!«


Baumkircher blickt sie mit Strenge an:

»Wie magst du so thöricht sprechen?

Sein Wort hält jeder ehrliche Mann,

Wird seines der Kaiser brechen?

Sein Schutzbrief sichert mir frei Geleit;

Was magst du noch mehr verlangen?

Wenn einer, gilt eines Fürsten Eid!

Drum laß das Zagen und Bangen.«


»Schon einmal saht Ihr mit seinem Wort

Nach Willkür den Kaiser schalten!

Trotz aller Mahnung ihn fort und fort

Das Eu're Euch vorenthalten!«[159]

Baumkircher fährt auf voll Ungeduld:

»Da war er nur schlecht beraten!

Der Schranzen war's und der Schreiber Schuld!

Er war nicht Herr seiner Thaten!


Jetzt endlich hat er die Schliche erkannt

Der Lügenbrut, der gemeinen!

Ich fasse die mir gebot'ne Hand

Und halte sie fest in der meinen.

O schwer und bitter hat mich's gedünkt,

Mich gegen den Herrn zu wenden!

Doch nun mir neu seine Gnade winkt,

Wird all dieses Wirrsal enden!«


Frau Martha senket das Haupt im Harm,

Sie kann die Sorge nicht bannen.

Beschwörend faßt sie des Vaters Arm,

Und fleht: »O zieh nicht von dannen!

Daß tückisch lauernd das Unglück wacht,

Deß ward mir sichere Kunde:

Es schrie das Käuzlein die ganze Nacht,

Im Hofe heulten die Hunde!«


Der Ritter lacht. »Das arme Getier,

Das also jämmerlich klagte!

Ein Zeichen scheint mir's, untrüglich schier,

Daß arger Hunger es plagte.

Doch nun lebe wohl! sei froh gefaßt!

Bald siehst du, von hoher Warte,

Mich wiederkehren in freud'ger Hast!

Leb wohl, meine traute Marthe!«


Er küßt sie zärtlich auf Stirn und Wang',

Er winket und grüßet munter,

Dann sprengt er vom steilen Felsenhang

Der Burg in das Thal hinunter.[160]

Es zieht sich der Weg bergauf, bergab,

Die Sporen gibt er dem Rosse,

Und reitet im lang gestreckten Trab

Nach Graz, nach dem Kaiserschlosse.

Quelle:
Betty Paoli: Gedichte. Auswahl und Nachlaß, Stuttgart 1895, S. 159-161.
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