6.
Bei Fontenay

[147] »Heut gilt es alles einzusetzen!

Zu fechten, kühner noch als je!

Die Scharte gilt es auszuwetzen

Des Unglückstages von Tessé!

Das Blut, das dort umsonst geflossen,

Um Rache schreit's zum Himmel auf!

Heran, ihr Freunde und Genossen!

Nehmt heut die Stadt im Sturmeslauf!
[147]

Mag immerhin von ihren Zinnen

Die Tricolore trotzig weh'n!

Und hausten tausend Teufel drinnen,

Sie könnten nicht vor euch besteh'n!

Ich weiß: des Sieges Engel winket

Euch lächelnd zu, verheißungsfroh!

Und was euch jetzt ein Wunder dünket,

Gescheh'n wird's, denn Gott will's so!«


Voll Andacht lauscht das Volk den Worten,

Die Agra's Bischof zu ihm spricht;

Sie küssen seiner Stola Borten,

Ihr Herz erglüht in Zuversicht!

Den Kelch des Opfers in den Händen,

Erteilt der Kirche Fürst und Sohn

Dem Heere ihre Gnadenspenden,

Den Trost der Absolution. –


Jetzt tritt Lescure vor, von den Seinen

Begrüßt mit einem Jubelschrei:

»Schlimm steht's mit uns! man sollt' es meinen!

Wir haben Pulver nicht noch Blei.

Doch, daß mit Knitteln und mit Spießen

Man Batterien nehmen kann,

Das habt ihr selber mir bewiesen!

An's Werk denn, Kinder! drauf und dran!


Mir nach!« – Mit Rauch und Knall und Blitze

Kommt ihm entgegen Schuß auf Schuß!

Die Kugeln streifen seine Mütze,

Und reißen ihm den Sporn vom Fuß.

»Laßt euch den Bettel nicht verdrießen!«

Mit heller Stimme ruft's der Graf,

»Seht nur, wie schlecht die Blauen schießen!

Nicht eine Kugel, die mich traf!«
[148]

Er sprengt voran auf seinem Schimmel,

Bei der Kanonen Donnerkrach!

Als ging's gerade in den Himmel,

So drängen ihm die Bauern nach,

Doch plötzlich stocken ihre Schritte!

Sie knien nieder zum Gebet

Vor einem Kreuz, das in der Mitte

Des Wegs am grünen Raine steht.


Dem Hagel trotzend der Geschosse,

Weih'n sie ihm ihrer Andacht Zoll.

Hinjagt auf schaumbedecktem Rosse

Herr von Boissy: »Wie? seid ihr toll?

Hört ihr den Ruf nicht der Trompeten?

Die Schlacht beginnt! Was ficht euch an?«

»Lass'!« ruft Lescure, »lass' sie erst beten!

Es ficht sich um so besser dann!«


Noch ist das Amen nicht verklungen,

Als schon ihr Feldgeschrei erschallt!

Die Todeswaffen hoch geschwungen

Geht's vorwärts, mit des Sturm's Gewalt!

Bald lösen sich des Feindes Glieder,

Die Reiterei nur steht im Feld;

Im wilden Anprall wirft sie nieder

Larochejacquelein, der Held!


Einzieh'n sie über Schutt und Trümmer

In Fontenay, voll Siegeslust,

In jedem Auge Freudenschimmer,

Von Stolz gehoben jede Brust!

Doch er, ihr Leitstern in den Schlachten,

Still hebt den Blick er himmelan:

»Nicht wir sind's, welche dies vollbrachten!

Gott, der Allmächt'ge, hat's gethan!«

Quelle:
Betty Paoli: Gedichte. Auswahl und Nachlaß, Stuttgart 1895, S. 147-149.
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