An Zoe

[3] Auf ihren Geburtstag.


Noch flimmerte mit blassem Schein

Der Morgenstern. Ich floh die Bahre

Des Schlafs: im festlichen Talare

Eilt ich in unsern Lorbeerhayn,

Um deinem Bild, auf dem Altare

Der Freundschaft, einen Kranz zu weihn.

Itzt trat ich auf die heilge Stätte

Und fand das Bild mit einer Kette

Von Himmelsrosen ausgeschmückt,

Die dir des Engels Hand gepflückt,

Der dich, o Freundin, von den Zinnen

Der Sonnenwelt herabgebracht,

Um in der schönsten Winternacht

Den Traum des Daseyns zu beginnen.

Doch, Zoe, nein, es ist kein Traum,

Das Leben im Erziehungshause

Diesseits des Monds. Kurz ist der Raum[3]

Der Laufbahn oft und eng die Klause

Des Schülers. Doch kurz oder lang,

Ist es kein Traum. Die Saifenblase,

Womit so mancher Bardensang

Es schon verglich, der Silberklang

Der Flöte, der vom bunten Glase

Erzeugte Schatten an der Wand,

So schnell sie auch vorüberfliehen,

Sind keine leere Phantasieen,

Kein Fieberwahn, kein Sinnentand.

Die Rosen, die von deiner Hand

Gepflegt, wie deine Wangen glühen,

Sind, wenn sie gleich noch heut verblühen,

Doch Rosen: oder ist ihr Duft,

Der, wie des Engels Hauch, die Luft

Durchwürzt, ein Unding, eine Grille?

Nein, meine Freundin, zwar wir sehn

Die Dinge, welche vor uns stehn,

Oft mit den Farben unsrer Brille;

Allein auch dieses Phänomen

Ist Wahrheit, nur die fremde Hülle

Ist bald zu häßlich, bald zu schön.

Wohl dem, der keine Brille brauchet

Zu seinem und der Welt Genuß,

Und wenn er eine haben muß,[4]

Sie stets in helle Farben tauchet!

Sieht jemand auf dem Pilgerzug

Durchs krumme Thal nichts als Chimären

Und dünkt dabey sich groß und klug;

Nun wohl, ich will ihn nicht bekehren,

Allein auch mich bekehrt er nicht.

Mir wars kein eitles Traumgesicht,

Als Doris mir mit heitern Mienen

Vor andern ihre Rechte gab,

Um auf dem dunkeln Pfad ans Grab

Mir zur Begleiterin zu dienen,

Die sie mir itzt noch täglich wird.

Mir ists kein Traum, wenn, gleich den Bienen,

Ein Schwarm von Knaben mich umschwirrt,

Wenn sie an meine Brust sich drängen,

Und ihre Seelen, frey und froh,

Mit meiner Seele sich vermengen.

Ach, meine Zoe, träumt man so,

Wohlan, so möcht ich ewig träumen!

Und als an unsers Damons Hand

Du unter den Cypressenbäumen

Mich fandst; als mich dein Arm umwand,

Um jenen Schmerz mit mir zu tragen,

Der an Elisens Gruft mich band;

War das ein Traum? Ich würde sagen,[5]

Es war ein himmlisches Gesicht,

Wenn dich, wie Vater Haller spricht,

Nicht allzusehr die Menschheit zierte.

Und als auf jener fremden Flur,

Wo Gottes Heil uns wiederfuhr,

Die Freundschaft uns zusammenführte;

Als ich in ihrem Heiligthum

Mich deines neuen Lebens freute,

Und dort an deines Gatten Seite

Dein Mund mich, der ich wonnestumm

Die Hand dir hielt, zum Bruder weihte:

O Zoe, meine Schwester, wie?

War diese feyerliche Scene,

Die noch mir eine süße Thräne

Entlockt, ein Spiel der Phantasie?

Nein, meine Zoe, nein! so müßten

Die hohen Ahnungen des Christen

Auch Träume seyn. O laß uns nie

Des Lebens goldnen Werth verkennen,

Ihn nie von seiner Kürze trennen,

Und unsere Philosophie

In stillen Wucher mit den Schätzen

Der Weisheit und der Tugend setzen!

Dann wird der Augenblick zum Jahr;

Dann wird ein jeder unsrer Tage,[6]

Der unsrer Pflicht geweihet war,

Zur Ewigkeit in Gottes Waage;

Und winket uns des Todes Hand,

So stürzen wir die leere Schale

Und eilen satt vom langen Mahle

In unser neues Vaterland.

Der Emir Harum gieng am Strand

Des rothen Meers. Er sah die Wellen

Mit Brausen von der Felsenwand,

In weissem Schaum hinunterprellen,

Und wie der Schaum bey jedem Stoß

Schnell in den Ocean zerfloß.

So, sprach er, schwindet unser Leben!

Er seufzt und ein geheimes Beben

Treibt ihn zurück nach seinem Schloß,

Er tritt ermüdet in die Grotte

Des Dattelhayns. Die Sonne sank.

Hier saß auf einer Rasenbank

Ein hoher Mann, gleich einem Gotte,

In dünnes Abendroth gehüllt:

Bereite dich, nach dreyen Tagen

Wird dich dein Sohn zu Grabe tragen,

Sprach er, und itzt verschwand das Bild.

Der Emir gieng voll stiller Sorgen

Auf sein Gemach. Am ersten Morgen[7]

Ruft er die Pächter seines Guts

Mit ihren Weibern auf den Söller;

Er speist mit ihnen frohen Muths

Und legt auf eines jeden Teller

Die Quittung für die letzte Pacht.

Den zweyten Tag blieb er verschlossen:

Er schrieb bis in die späte Nacht

An seinen Sohn. Die Thränen flossen

Oft auf das Blatt, indem er ihn

Beschwor, den Müßiggang zu fliehn,

Ihn zur Barmherzigkeit ermahnte,

Und ihm durch seinen letzten Rath

Den sichern Weg zur Tugend bahnte.

Am ganzen dritten Tage that

Der Greis nichts als mit vollen Händen

Von seinem schattichten Altan

Sein Gold den Armen auszuspenden:

Und wirklich brach der Abend an,

Als er in seine Halle kehrte.

Hier stand ein grauer Muselmann

Mit alten Lumpen angethan,

Der auch noch Trost von ihm begehrte.

Sein Geld war alle. Harum zieht

Den Kaftan aus und wirft dem Alten

Ihn um die Lenden. Plötzlich sieht[8]

Er ihn zum Geist sich umgestalten,

Der vor drey Tagen ihm erschien.

Er staunt. Der Seraph küsset ihn,

Und hob im Küssen seine Seele,

Die er mit Lächeln Schwester hieß,

Aus ihrer eingesunknen Höle

Und flog mit ihr ins Paradies.

Quelle:
Gottlieb Konrad Pfeffel: Poetische Versuche, Erster bis Dritter Theil, Band 3, Tübingen 1802, S. 3-9.
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