Das Elixir

[15] An Stilling.


Der Derwisch Aladin lag in Buchara krank:

Sein Fuß berührte schon des Grabes jähe Stufen.

Man ließ den Avicenna rufen.

Er kam. Du mußt in deinem Trank

Von diesem Elixir, sprach er nach reifen Schlüssen,

Des Tags drey Löffel voll genießen;

Es stärkt das Haupt und heilt die Brust.

Der Patient nahm es mit Lust

Und fieng schon an die Wunderkraft zu spüren.

Gut! denkt er bey sich selbst, nehm ich den Balsam pur

Und recht nach Appetit, so wird das meine Cur

Weit eher noch zum frohen Ziele führen.

Gesagt, gethan. Er leeret die Tinctur

Mit einem Zug bis auf den letzten Tropfen.

Sie fährt ihm wie ein Blitz durch Adern und Gebein:

Der Schwindel dreht sein Haupt, das Herz fängt an zu klopfen

Und bald verkalkt es sich zum Kieselstein.

Er taumelt durch die Stadt, steigt auf die Minareen,

Ruft alles Volk mit bacchischem Gebrüll

Zum Beiramstanz, und wer nicht tanzen will,[16]

Den schleppet er in die Moscheen

Und stößt ihm einen Dolch ins Herz.

Man lief, den Arzt um Rath zu fragen.

Er ließ nicht ohne Furcht ihm ein Paar Adern schlagen;

Doch er gestand mit edelm Scherz,

Er werde schwerlich ganz genesen.

Was meinst du, Freund, gleicht die Religion

Nicht diesem Elixir? Braucht sie der Erdensohn

Wie grobe Kost und als ein fremdes Wesen;

So macht sie krank, erzeuget Schwärmerey

Und Pharisäerstolz; doch mischt er als Arzney

Von ihrem Geist, von ihrem Freudenöle,

In jede Nahrung seiner Seele;

So mehrt es ihren Lebenssaft

Und füllet sie mit Gotteskraft.

Quelle:
Gottlieb Konrad Pfeffel: Poetische Versuche, Erster bis Dritter Theil, Band 3, Tübingen 1802, S. 15-17.
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